Israels Wasser: Weine nicht wenn der Regen fällt

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Die Wasserkrise in Israel besteht bereits seit den achtziger Jahren. Steigender Wasserbedarf durch Bevölkerungswachstum und später dann politische Wasserabkommen mit Jordanien und der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie sinkende Niederschlagsmengen ließen das Wasserdefizit von Jahr zu Jahr erheblich anwachsen…

Itai Gall

Im Sommer 1991 erreichten die Pegel schon einmal einen historischen Tiefststand. Doch der darauf folgende Winter war einer der regenreichsten, die jemals aufgezeichnet wurden, mit Niederschlagsmengen von 220 Prozent des Jahresdurchschnitts. Im Nachhinein erklären Wissenschaftler dieses Phänomen mit dem Ausbruch des philippinischen Vulkans Pinatubo im selben Jahr, dessen enorme Zufuhr von Kleinst­par­ti­keln in die Erdatmosphäre die meteorologischen Verhältnisse beeinflusste.

Nach diesem Winter standen die Pegel so hoch, dass die Regulierungsbehörden und die Geldgeber des Finanzministeriums keinen unmittelbaren Handlungsbedarf sahen, doch mit Ausnahme einiger regnerischer Winter begannen die Pegel dann wieder kontinuierlich zu sinken. Dennoch muss betont werden, dass Israel seit der Eröffnung des National Water Carrier 1959, des zentralen Kanalsystems für den Transport des Wassers aus dem See Genezareth in den trockenen Süden des Landes, bis hin zur jüngsten Errungenschaft aus dem Jahre 2005, der weltgrößten Meerwasser-Entsalzungsanlage in der südlichen Küstenstadt Ashkelon, viele wichtige und technisch ausgefeilte Projekte von großem finanziellen Umfang auf die Beine gestellt hat, um den Wasserhaushalt des Landes so nachhaltig wie möglich zu regulieren.

Dementsprechend reagieren Fachleute tendenziell optimistischer als die Mehrheit der Bürger, wenn es um Zukunftsprognosen geht. Auch weil sie weniger durch die politisch motivierte Kollektivhysterie beeinflusst sind, mit der die Wasserfrage für Kampagnen instrumentalisiert wird. So stellte der deutsche Hydrogeologe Clemens Messerschmidt in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Ha’aretz im März 2008 fest, in Jerusalem fielen jährlich mehr Niederschläge (564 mm) als in Berlin (550 mm) und in Ramallah (689 mm) mehr als in Paris (630 mm). Diese überraschende Auskunft wird durch die Angaben des Meteorologischen Dienstes in Israel durchaus bestätigt. Dennoch berechtigen sie nicht seine zweite Behauptung, Israel erhalte den Mythos der Wasserkrise und der spärlichen Niederschlagsmengen künstlich aufrecht, um die ungerechte Verteilung der Wasserreserven zugunsten von Israels Landwirtschaftssektor beizubehalten und die palästinensische Bevölkerung zu diskriminieren.

Was die politisch-gesellschaftliche Argumen­­ta­tion anbelangt, wird diese in den entsprechenden Ministerien erörtert, wobei selbstverständlich jeder Staat seine eigenen Interessen verteidigt, vor allem, wenn es um einen knappen Rohstoff geht. Dies gilt für die globalen »Sorgenkinder«, Israel und Palästina, aber genauso für andere grenz­überschreitende Wasserkonflikte, wie zum Beispiel jene zwischen der Türkei und Syrien um das aufgestaute Wasser des Euphrat und zwischen Äthiopien und Ägypten um das Wasser des Blauen Nil. Bei beiden Konflikten geht es um Wassermengen, die das Wasserpotenzial in Israel wie eine lächerliche Pfütze aussehen lassen.

Ohne die typisch israelische feindselige Reak­tion auf »Kritik von außen« zu bemühen, ist es notwendig, zwei gravierende Fehler in Messerschmidts Behauptung richtigzustellen. Zum einen basieren seine Werte auf jährlichen Durchschnittsmengen, die nicht nur Schwan­kungen unterworfen sind, sondern sich vor allem auf die feuchtesten Regionen des Landes beziehen, die ein Drittel der Fläche ausmachen und in denen zwei Drittel der gesamten Niederschlagsmengen fallen. Zum zweiten konzentriert sich die Mehrheit der Niederschläge (über 75 Prozent) auf 60 bis 70 Regentage im Jahr im Norden des Landes und der Küstenebene. Dieser konzentrierte Regen ist auch der Grund für die relativ spärliche Grundwasseranreicherung im Gegensatz zu den genannten Beispielen Berlin und Paris, wo die Niederschlagsmengen sich über das gesamte Jahr verteilen und nicht wie im subtropischen Israel sehr schnell durch Verdunstung und Transpiration der Vegetation wieder an die relativ trockene Atmosphäre abgegeben werden.

Auf diese Weise erreichen nur ungefähr 25 Prozent der Niederschläge das Grundwasser. Das Wasserpotenzial in Israel lässt sich also auf 1,8 Milliarden Kubikmeter pro Jahr berechnen, nachdem sich von den auf 14 000 Quadratkilometern gefallenen sieben Milliarden Kubikmetern Regen 5,2 Milliarden Kubikmeter durch Verdunstung, Transpiration der Vegetation und Oberflächenabfluss verflüchtigen. Umgerechnet auf die Bevölkerung bedeutet das ungefähr 250 Kubikmeter pro Person pro Jahr, einschließlich des landwirtschaftlichen und industriellen Wasserverbrauchs. Der international anerkannte Falkenmark­indikator definiert 500 Kubikmeter als die unterste Schwel­le, unterhalb der ein Land als unter »absolutem Wassermangel« leidend angesehen wird.

In den 60 Jahren der israelischen Wasserwirtschaft hat sich der Bezug des Süßwassers auf folgende Hauptquellen eingependelt: 30 Prozent aus dem See Genezareth, 40 Prozent aus dem Gebirgs­aquifer der Judäischen Bergkette im Westjordanland (wobei sich die wichtigste Quelle in Rosh Ha’ayin im israelischen Kernland befindet) und weitere 25 Prozent aus dem Aquifer der Küstenebene. Diese intensive Wasserwirtschaft mit jährlich steigendem Bedarf hatte mehrere negative Auswirkungen auf das natürliche Gleichgewicht der Wasserspeicher: Durch Überpumpung der küstennahen Brunnen drang an mehreren Stellen Meerwasser unterirdisch ein und vermischte sich mit dem Grundwasser, viele Brunnen wurden durch nahe gelegene punktuelle Umweltverschmutzungen, vor allem durch Tankstellen, kontaminiert. Der See Genezareth leidet unter ökologischen Schwankungen durch schädliche Algenarten, und die Trockenlegung der Küstensümpfe vor mehr als 60 Jahren führte zur Freisetzung von ungeheuren Mengen Stickstoff enthaltender Verbindungen, die sich bis heute im Grundwasser gehalten haben.

Eine lange Liste von Umweltgefährdungen in einem relativ kleinen und isolierten geographischen System wie Israel, in dem kleine Änderungen große Auswirkungen haben können, erfordert Regenerierungsstrategien der belasteten Quellen, insbesondere da in Zukunft mit einem weiterhin steigenden Wasserbedarf zu rechnen ist. Schon heute konzentrieren sich viele Investitionen und Projekte auf technologische Entwicklungen der Trinkwassergewinnung, der Aufbereitung von nicht trinkbaren Wasserquellen, der Minimierung von natürlichem Verlust von Wasser durch Oberflächenabfluss oder Verdunstung und der Einsparung von Wasser im häuslichen und industriellen Sektor. Neben den Entsalzungstechnologien, in die ein großer Teil der Forschung und Entwicklung investiert wird und in denen viele israelische Firmen eine Marktlücke entdeckt haben, rühmt sich Israel des Rufs, Marktführer im Recycling von Abwässern für die landwirtschaf­tliche Bewässerung zu sein. Ungefähr 70 Pro­zent der Abwässer werden recycelt.

Mit der Zuspitzung der Wasserkrise hat sogar der israelische Verwaltungsapparat eingesehen, dass eine zentrale und effiziente Koordinierung des Wasserhaushalts unumgänglich ist. 2007 wurde die Israelische Wasserbehörde gegründet, die das bisherige Wasserkommissariat ablöste und Zuständigkeitsbereiche vereint, die bis dahin auf einzelne Ministerien verteilt waren, was zu Interessengegensätzen geführt hatte. Im 6. Jahrzehnt des Staats sieht sich Israel mehr denn je mit den Herausforderungen konfrontiert, der widrigen Umweltverhältnisse und der mangelhaften Ressourcen Herr zu werden, doch inzwischen ist der Akteur erwachsen, wirtschaftlich und technologisch erstarkt und in der Lage, eine Ära der nachhaltigen Ressourcenverteilung einzuleiten.

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