Die „Kölner Kontroverse“?

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Am Edelweißpiraten-Denkmal Köln, © R. Kaufhold

Bücher über Edelweißpiraten (1980 – 2019). Zeitlich chronologisch geordnet…

Von Roland Kaufhold

„In meiner Naivität erwartete ich damals, daß der Kölner Regierungspräsident, Dr. Franz-Josef Antwerpes, nun das Unrecht, für das seine Behörde verantwortlich war, korrigieren würde. Das Beharren des Kölner Regierungspräsidenten, der die Handlungsweise seines Dezernenten deckte, auf der amtlichen Unterdrückung von historischer Wahrheit, zwang mich, weitere Fragen zu stellen. Mir wurde klar, daß diese Fragen und die entsprechenden Antworten meine eigene Existenz in diesem Land berührten.
Peter Finkelgruen (1981: Soweit er Jude war…)

Peter Finkelgruens Buch „Soweit er Jude war…“. Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944 ist 1981 abgeschlossen worden. In den Jahren zuvor hatte Finkelgruen bereits mehrere Zeitungs- und Buchbeiträge über einzelne, in Vergessenheit geratene – bzw. noch nie erinnerte – Edelweißpiraten und über deren anhaltende Kriminalisierung publiziert. Hiermit war Peter Finkelgruen ein Pionier zur Forschung über und zur Rehabilitation der Edelweißpiraten. Seine journalistischen und biografischen Beiträge blieben jedoch weitestgehend vergessen – bis heute. Er verfasste sie aus einer „besonderen“ Position, die ihn von allen anderen, nachfolgend von mir vorgestellten Publizisten, Zeitzeugen und Forschern unterschied: Er verfasste sie als Jude. Er verfasste sie als 1942 in Shanghai als Kind vertriebener Juden Geborener, die in Folge der Vertreibung wenige Jahre nach seiner Geburt verstarben (Kaufhold 2012, 2017d, e). Diese Differenz scheint mir wesensbestimmend und besteht bis heute fort.

Das Werk blieb jedoch in Finkelgruens Schublade liegen, weil er eine weitere Zäsur in seinem Leben vorbereitete: Ein Jahr später ging er für sechs Jahre nach Israel. Dort setzte er „nebenbei“ durch, dass Yad Vashem detaillierte Unterlagen über jugendlichen Widerstand in Köln erhielt. Diese Materialien entsprachen dem Inhalt seines Buches. Als Folge hiervon wurden zwei Jahre später drei Widerständler – dies war eine bewusste Entscheidung – die drei unterschiedlichen Opfergruppen repräsentierten, durch Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet. Geehrt wurden der 1944 öffentlich hingerichtete, 16-jährige Edelweißpirat Bartholomäus Schink, der Kölner Edelweißpirat Jean Jülich sowie der Widerständler und spätere Diplomat Michael „Mike“ Jovy (Finkelgruen 2013; Bothien/von Hellfeld/Peil & Reulecke 2017; Kaufhold 2014a, 2018c, d)– 1984. Hieraus erwuchsen auch für Finkelgruen selbst lebenslang anhaltende Freundschaften, mittels derer er seine eigene Familiengeschichte Schritt für Schritt besser zu verstehen vermochte. Dokumentiert hat er diese in seinen beiden autobiografischen Romanen (Finkelgruen 1992, 1997). Insbesondere Jean Jülich und Peter Finkelgruen blieben verbunden, was sich auch in ihren Texten und Büchern widerspiegelt, wie nachfolgend im Detail nachgezeichnet wird. Jean Jülich hat die von Finkelgruen in seinem Buch Soweit er Jude war… nacherzählte Kontroverse mit dem Leiter des beim Kölner Regierungspräsidium angesiedelten Wiedergutmachungsamtes gleichfalls in seiner Autobiografie (Jülich 2005, s.u.) nacherzählt: Der lebenszugewandte Widerständler und Edelweißpirat Jean Jülich hatte an besagtem Gespräch im Kölner Regierungspräsidium gemeinsam mit Finkelgruen teilgenommen und hat hierüber in seiner Autobiografie geschrieben (s.u.).

1994 wurden die drei Widerständler in Jerusalem durch Yad Vashem geehrt; die Ehrung des Widerständlers und Diplomaten Michael Jovy musste krankheitsbedingt sogar vorgezogen und in Rom statt in Jerusalem zeremoniell durchgeführt  werden. Wenige Wochen später verstarb Mike Jovy in Rom (Finkelgruen 2013; Bothien, von Hellfeld, Peil & Reulecke 2017). In Köln hingegen dauerte es noch 21 Jahre, bis die Edelweißpiraten im Jahr 2005 mit einer symbolischen Geste durch den Kölner Regierungspräsidenten Jürgen Roters rehabilitiert wurden. Den Weg hierzu hatte Roters wohl über Jahre in Gesprächen vorbereitet. Für die nun geehrten, über Jahrzehnte zuvor kriminalisierten Edelweißpiraten war diese späte „offizielle“ Anerkennung im Gebäude des Kölner Regierungspräsidiums höchst bedeutsam und versöhnend, was sie auch in ihren Autobiografien zum Ausdruck brachten.

1988: Rückkehr nach Deutschland: Neue Themen

Als Peter Finkelgruen 1988, nach sechs Jahren in Israel, wieder nach Deutschland zurück kehrte war für ihn das Thema „vorbei“; er unternahm keinen Versuch mehr, sein Edelweißpiraten-Buch zu veröffentlichen. Hinzu kam: Unmittelbar nach seiner Rückkehr ins Land der Täter erfuhr Finkelgruen den Namen des Mörders seines Großvaters Martin Finkelgruen, woraus ein 13 Jahre überdauernder Gerichtsprozess erwuchs, den er in seinen beiden autobiografischen Büchern Haus Deutschland. Die Geschichte eines ungesühnten Mordes (1992) und Erlkönigs Reich. Die Geschichte einer Täuschung (1997) beschrieben hat.

Wir werden, dies sei bereits angekündigt, nach Abschluss dieser Arbeit an dieser Stelle nacheinander weitere Materialien zum Themenkomplex „Edelweißpiraten“ einarbeiten; dies betrifft insbesondere die Materialien des Kölner Jura-Hochschullehrers und ehemaligen FDP-Politikers Prof. Ulrich Klug (1913-1993), der mit Finkelgruen bis zu seinem Tod eng befreundet war.

Eine Anekdote: H. M. Broder: Ich bin gerade an der Beschäftigung mit der Justiz so vollkommen ausgeflippt.

Erwähnt worden ist Finkelgruens Buch Soweit er Jude war… nur zweimal, und auch nur indirekt: im Edelweißpiratenbuch von M. von Hellfeld (1981) tauchte es, mit verkürztem Titel, in der Literaturliste auf. Sein damaliger Freund und Weggefährte Henryk M. Broder, mit dem er von 1979 bis 1980 in Köln die politisch linke Zeitschrift Freie Jüdische Stimme herausgegeben hatte, erwähnte Finkelgruens Buch und sogar den Buchtitel in einem ausführlichen Spiegel-Interview im April 1981, ohne jedoch Finkelgruen als Autor namentlich zu erwähnen.

Broder, der kurz zuvor von Köln nach Jerusalem übergesiedelt war – wo er wenige Monate später Gertrud und Peter Finkelgruen wiedertraf – sagte im Spiegel-Interview über seine Motive, Deutschland zu verlassen, u.a.: 

„Ich bin gerade an der Beschäftigung mit der Justiz so vollkommen ausgeflippt. In Köln gab es in der Nazi-Zeit die „Edelweißpiraten“, so eine jugendliche Widerstandsgruppe. Die sozialdemokratischen Regierungspräsidenten weigern sich bis heute, diese Kinder, die von den Nazis aufgehängt wurden, zu rehabilitieren. Das Makabre ist dabei, daß sie zur Begründung ihrer Weigerung die Aussagen der Gestapoleute anführen, die die Jugendlichen damals an den Galgen gebracht haben. Und jetzt die Pointe der Pointe: Ein oder zwei dieser Hingerichteten waren „teilweise“ Juden – widerlich, diese Arithmetik der Nürnberger Rassengesetze –, und einer von denen ist rehabilitiert worden, mit der wörtlichen Begründung: „soweit er Jude war“. So ist sein jüdischer Teil rehabilitiert worden, der arische aber nicht. Das heißt für mich, der arische Teil hatte keinen Grund, Widerstand zu leisten.“ (Der Spiegel, 20.4.1981).

Damit hatte Broder einen Kern von Finkelgruens Buch über die jugendlichen Widerständler, die „unangepassten“ Edelweißpiraten, präzise beschrieben: Bei den Wiedergutmachungsanträgen in den Nachkriegsjahren wurden nahezu alle Anträge von verfolgten Edelweißpiraten sowie von den Angehörigen der 13 im November 1944 in Köln-Ehrenfeld hingerichteten Menschen (darunter sechs Jugendliche) nahezu immer abgelehnt. In den Ämtern saßen vermutlich viele ehemalige Nationalsozialisten bzw. im Nationalsozialismus Aufgewachsene und Geprägte. Die Loyalitäten und Abhängigkeiten waren offenkundig noch über Jahrzehnte wirksam. Jeder Wiedergutmachungs-Antrag – die Problematik des Begriffs ist offenkundig – berührte sie offenkundig unangenehm, weckte ihre Ängste, rief eine je individuelle Mischung aus unterschiedlichen Gefühlen hervor. Anträge von Widerständlern  wurden i.d.R. abgelehnt, auch weil sie in wohl vielen Fällen mit dem Phantasma des Kommunismus (soweit dies den Widerstand von kommunistischen Gruppierungen betraf), der Illegalität und der Gesetzeswidrigkeit verbunden waren. Es entsprach der Natur des Widerstandes in einer Diktatur, dass dieser mit Gesetzesüberschreitungen verbunden war. Eine gefestigte Diktatur, wie sie der Nationalsozialismus ab spätestens 1940 war, konnte von Innen her eigentlich nicht mehr, oder wenn dann nur mit Waffengewalt gestürzt werden (vgl. Federn 1994). Noch ärger dürfte die seelischen Abwehrreaktion gewesen sein, wenn solche Anträge von überlebenden Juden eingereicht wurden.

Wenn die Verwandten von Ermordeten jedoch darauf hinzuweisen vermochten, dass ihre öffentlich hingerichteten – also ermordeten – Verwandten einen jüdischen Vater oder sogar eine jüdische Mutter hatten (womit sie nach jüdischem Gesetz als Juden galten), so wurde ihnen, wie Finkelgruen in seinem nun auf haGalil veröffentlichtem Buch dokumentiert, vereinzelt doch „Wiedergutmachung“ gewährt: „Soweit er Jude war…“ war ihr Antrag berechtigt. Als Jude musste man ihm – bzw. seinen Nachfahren – Entschädigung zahlen, als „arische“ Widerständler jedoch nicht. Deutsche, so schlussfolgerte Broder, hatten gemäß dieser Logik keine moralische Berechtigung zum Widerstand.

„Wiedergutmachung“: Der Kleinkrieg gegen die Opfer

Ich werde in diesem Übersichtskapitel über Publikationen über die Edelweißpiraten nicht über die moralische, psychologische und politische Fragwürdigkeit von Begriffen sowie Gerichtsprozessen zur „Wiedergutmachung“ schreiben. Dies würde den Rahmen sprengen. Dennoch ist dies dem Thema inhärent; Finkelgruen schreibt in Soweit er Jude war… selbst ausführlich hierüber. Finkelgruen war das Thema Zeit seines Lebens vertraut – bzw. er wurde als Kind von verfolgten, ermordeten Juden genötigt, sich damit vertraut zu machen: Er selbst erhielt nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1959 – der Minderjährige kam  gemeinsam mit seiner Oma Anna, die in drei Jahren mehrere Konzentrationslager überlebt hatte, wohin sie verschleppt wurde, weil sie ihren jüdischen Lebenspartner Martin Finkelgruen drei Jahre lang in Prag vor den nationalsozialistischen Besatzern versteckte – Wiedergutmachung. Bereits in Israel hatte er nur Eines über das ihm anfangs vollständig unbekannte Deutschland gehört: „Du musst alles beweisen können wenn Du Geld haben möchtest!“ Darum habe er zeitlebens immer alles aufbewahrt. Als Finkelgruen 1959 oder 1960, da war er 17 bzw. 18 Jahre alt, erstmals, voller Angst, die Freiburger Wiedergutmachungsbehörde aufsuchte, um seinen Antrag abzugeben, erlebte er mit ungläubigem Erstaunen, dass der Mitarbeiter der Behörde zuerst einmal seine eingereichten Unterlagen durchstrich, auf denen sich auch noch Stempel mit dem Hakenkreuz befanden, mit der Begründung, diese seien ja heute nicht mehr gültig… Sein Antrag, ohne Rechtsanwalt eingereicht, wurde erst einmal abgelehnt.

Wiedergutmachung: Der Kleinkrieg gegen die Opfer

Zwei Buchtitel seien dennoch erwähnt, um die Problematik dieser Wiedergutmachungsprozesse auch nur anzudeuten bzw. um sich hierin einzuarbeiten: Christian Pross veröffentlichte 1988 die retrospektive Studie Wiedergutmachung: Der Kleinkrieg gegen die Opfer. Einer der Mitherausgeber einer Studie des Bundesfinanzministeriums sprach in seiner Begleitschrift von einer Leistung, „auf die die Deutschen stolz sein können“. Ein Großteil der Opfer – Sinti, Roma, Euthanasieopfer – blieben von Beginn an davon ausgeschlossen. Viele Opfer mussten einen Jahrzehnte langen Kampf mit den Behörden führen, der sie seelisch zermürbte (vgl. Beckhardt 2014 (s.u.)); auch die Wiedergutmachungsanträge der Familie von B. Schink sowie von Günther Schwarz (Goeb 2016, S. 108-122; Seibert 2014; Finkelgruen: Soweit er Jude war) waren von solchen jahrelangen, zermürbenden Auseinandersetzungen geprägt. Ihre verfolgungsbedingten schweren Traumatisierungen wurde i.d.R. nicht anerkannt, da sie als Kleinkinder doch noch gar nicht unter den Erfahrungen hätten leiden können, lautete für Jahrzehnte eine anerkannte medizinische Begründung. Die Verfahren und die Justiz, so Pross´ Resümee, bildeten „ein komplettes System zur Abwehr von Ansprüchen“. Die beauftragten Mediziner hätten zuvörderst den Auftrag gehabt, die Ämter vor unberechtigten Anträgen – also von Kosten – zu bewahren. Selbst das KZ-Überlebenssyndrom wurde in zahlreichen Fällen nicht als „verfolgungsbedingt“ anerkannt. Der aus Österreich gebürtige, in die USA emigrierte bekannte Psychoanalytiker Kurt R. Eissler fasste seine Kritik an der Nachkriegspsychiatrie und ihren gutachterlichen Beurteilungen in einem 1963 erstmals erschienenem Beitrag in einer psychoanalytischen Fachzeitschrift in  dem Titel zusammen: Die Ermordung von wievielen seiner Kinder muß ein Mensch symptomfrei ertragen können, um eine normale Konstitution zu haben?[i]; wegen seines prägnanten Titels wurde hierauf in den Jahrzehnten danach immer wieder verwiesen.

Politisch war es, so Pross´ Interpretation, ein „Schweigegeld“, um das leidige Thema, die leidige mörderische Vergangenheit, endlich vom Tisch zu bekommen. Hiermit sollte die Vergangenheit endgültig begraben werden. Bei der Gesetzgebung federführend war der Jurist und Volkswirt Ernst Feaux de la Croix. 1938 hatte er zu den Verfassern der Denkschrift „Rasse, Volk, Staat und Raum in der Begriffs- und Wortbildung“ gehört. 1985 schrieb Feux de la Croix  „das Judentum“ habe „auf allen nur denkbaren Wegen versucht, der Wiedergutmachung einen Platz im kommenden Besatzungsstatut zu verschaffen“.[ii]

Nina Schulz & Elisabeth Mena Urbitsch haben 2016 das Buch Spiel auf Zeit: NS-Verfolgte und ihre Kämpfe um Anerkennung und Entschädigung (2016, Verlag Assoziation A) veröffentlicht, in dem sie 20 Portraits von aus der Entschädigung ausgegrenzten NS-Verfolgten dokumentieren. „Wiedergutmachung“ war mehr ein Mythos als eine Realität, so ihre Erfahrung. Vor allem jedoch war dies für die Mehrzahl der Betroffenen ein Prozess einer ungebrochenen, Jahrzehnte anhaltenden zweiten Traumatisierung und Entwertung. Viele Antragsteller bereuten sehr, überhaupt Anträge gestellt zu haben. Zahlreiche SS-Männer hingegen erhielten über Jahrzehnte zusätzliche Renten.[iii] Peter Finkelgruen führte vergleichbare Auseinandersetzungen im Jahr 2009 zu seinem Hungerstreik gegen die Berliner Entschädigungsbehörde (Kaufhold 2009).

Homosexualität

Ein für das Verständnis der Edelweißpiraten maßgebliches Thema, das nach meinem Wissen noch nie in der Diskussion und in der Fachliteratur über die Nicht-Anerkennung der Edelweißpiraten benannt worden ist, ist die Homosexualität. Peter Finkelgruen hat mich hierauf aufmerksam gemacht und mir Beispiele hierfür benannt: Gerade bei den unangepassten, unter starker nationalsozialistischer Repression stehenden Jugendgruppen wurde Homosexualität unter den Jugendlichen recht häufig „ausprobiert“. Die Verweigerung der Anpassung an die nationalsozialistische Gleichförmigkeit und an den militärischen Drill war in vielen Fällen mit mehr seelischer Freiheit in der Gruppe der Jugendlichen verbunden.

Bedingt durch die bis 1994 gültigen Gesetze der Nachkriegszeit wie insbesondere den Paragraphen 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, war die Angst vieler Edelweißpiraten, nun auch noch zusätzlich auf dieser Ebene juristisch, politisch und gesellschaftlich drangsaliert zu werden, ausgeprägt. Auch dies führte zu zusätzlichen Auseinandersetzungen zwischen einigen Edelweißpiraten sowie zu einem Versuch, die eigene Vergangenheit bei den Edelweißpiraten auch aus diesem Grund geheim zu halten.

Ein letzter, auch sprachlicher Hinweis. In der von mir hier, zeitlich chronologisch geordnet, nacheinander vorgestellten Fachliteratur werden die 13 am 10.11.1944 in Köln-Ehrenfeld öffentlich Hingerichteten – 400 Zuschaer wohnten der schaurigen Inszenierung bei – i.d.R. als Edelweißpiraten bezeichnet. Teils werden sie auch als Widerständler bezeichnet. Die Begriffe und Zuordnungen fallen höchst unterschiedlich aus. Über einige der Hingerichteten findet sich in der Literatur ausführliches biografisches und politisches Material, andere werden nur am Rande erwähnt. Auch gibt es Auseinandersetzungen darüber, wer nun den Edelweißpiraten zugeordnet werden soll; ob nur Edelweißpirat sei, wer sich nicht an konkreten Widerstandsaktionen beteiligt habe etc. Die Interpretation ist, wie ich nachfolgend darstellen werde, aus meiner Sicht vor allem vom politischen Standpunkt der Autoren abhängig. Finkelgruen geht in seinem von uns hier erstmals publiziertem Buch Soweit er Jude war… ausführlich auf diese Thematik und auf einige Biografien dieser Widerständler und Edelweißpiraten ein.

Es handelt sich – Goeb (1981) hat als Erster die Übersicht erstellt (s. auch Finkelgruens Vorwort zu Soweit er Jude war…) – um:   

Hans  Steinbrück, geb. am 12.4.1921; Peter Hüppeler, geb. 9.1.1913; Roland Lorent, geb. am 12.3.1920; Josef Moll, geb. am 17.7.1903; Johann Müller, geb. am 29.1.1928; Barthel Schink, geb. am 25.11.1927; Franz Rheinberger, geb. am 22.2.1927; Wilhelm Kratz, geb. am 6.1.1902; Gustav Bermel, geb. am 11.8.1927; Johann Krausen, geb. am 10.8.1887, Adolf Schütz, geb. am 3.1.1926; Günther Schwarz, geb. am 26.8.1928 und Heinrich Kratina, geb. am 15.1.1906

Wie unschwer zu erkennen ist gehören nur acht oder – wenn man es enger fassen möchte: sechs – der Hingerichteten der Altersgruppe an, die man gemeinhin einer jugendlichen Gruppierung, wie sie die Edelweißpiraten waren, zuordnet. Im Interesse einer leichten Lesbarkeit greife ich diese „Problematik“ nicht bei jeder Nennung auf, sondern spreche nachfolgend von Edelweißpiraten bzw. von Widerständlern, wenn die 13 Ermordeten erwähnt werden. 

 

Chronologie

Detlev Peukert (1980): Die Edelweißpiraten. Protestbewegung jugendlicher Arbeiter im „Dritten Reich“[iv]

1980 erschien das Buch „Die Edelweißpiraten. Protestbewegung jugendlicher Arbeiter im „Dritten Reich““ des Germanisten und Historikers Detlev J. K. Peukert; das Werk fand eine große Verbreitung, wurde immer wieder in der Fachliteratur zitiert und erlebte mehrere Auflagen.

Peukert veröffentlicht vor allem Originaldokumente von NSDAP-Ortsgruppen, Anklageschriften gegen Edelweißpiraten sowie Schriften von Polizeibehörden, in denen auch die politische Dimension der Verfolgung der Edelweißpiraten aufgezeigt wird: Staatliche Behörden in der Nazizeit sahen eine konkrete Gefahr in den diversen Edelweißpiraten und sonstigen unangepassten Jugendgruppen (Navajos, Swing-Jugend, Bündische Jugend, Kittelbachpiraten etc.), die es mit aller Gewalt zu zerstören gelte. Auch unmittelbar auf Köln bezogene Dokumente eines Kölner Jugendrichters (7.11.1943) sowie eines Kölner Oberstaatsanwaltes (16.1.1944) werden, weitgehend kommentarlos, dokumentiert. Die Dokumente, von denen auch Finkelgruen einige verwendet hat, beweisen eindeutig die politische Dimension der Verfolgung der Edelweißpiraten auch in Köln: Die Edelweißpiraten sowie etwa  die „Swing-Boys“ verhöhnten und veralberten mit ihrer unangepassten Kleidung, ihren freiheitlichen Liedern, das nationalsozialistische Ideal des arischen, militärischen Mannes, des „zäh wie Leder, hart wie Krupp-Stahl“, um eine überlieferte Parole zu zitieren. Sie widersetzten sich den nächtlichen Ausgehverboten, sie ignorierten den Verfolgungsdruck durch die Behörden und die Hitler-Jugend. Und sie wurden von den Nationalsozialisten und der Gestapo, wie auch diese bereits 1980 von Peukert publizierten Dokumente beweisen, als eine konkrete Gefahr beschrieben, die es zu vernichten gäbe. Dementsprechend beklagt etwa der „Jugendführer des deutschen Reichs und Reichsjugendführer der NSDAP“ in einem Schreiben vom 8.1.1942 an Himmler den anhaltenden Protest der Hamburger Swing-Jugend, „einige 100 Jugendliche“ (S. 155). Deren Tätigkeit sei „eine Schädigung der deutschen Volkskraft“, deshalb halte er, so die Empfehlung an Himmler, „die sofortige Unterbringung dieser Menschen in ein Arbeitslager für angebracht.“ Er empfehle „dass mit den schärfsten Mitteln gegen die „Swing-Jugend“ vorzugehen.“ (S. 155) Vergleichbare Beschreibungen und Empfehlungen der Kölner Behörden sind dokumentiert.

Die „vergessene Protestbewegung“

Die Edelweißpiraten werden von Peukert (1980) als eine „vergessene Protestbewegung“ (Kap. 1) dargestellt, ihr überwiegend proletarischer  Charakter wird betont – was viele spätere Forscher nur höchst ungern gelesen haben mögen: Diese wollten die Edelweißpiraten vor allem als eine bürgerliche, teils auch als eine eher unpolitische Jugendbewegung verstanden sehen. Vor allem jedoch sahen sie eine Verknüpfung zwischen dem „unangepassten“ Verhalten von Jugendlichen mit direkten Widerstandsaktionen gegen Nazifunktionäre und gegen die Gestapo nur höchst ungern. „Kriminalität“ wollten sie nicht als eine Form des Widerstandes im Nationalsozialismus aufgeführt sehen.

Als erste Literaturangabe wird von Peukert auf Finkelgruens zwei Jahre zuvor erschienener Beitrag „Freunde von gestern – und Feinde von heute (oder was mich ein jüdischer Edelweißpirat lehrte“ verwiesen; dieser war in dem Buch von Broder & M. R. Lang (Hg.) (1979): „Fremd im eigenen Land. Juden in der Bundesrepublik“ publiziert worden; der Beitrag wurde 2012 auf haGalil veröffentlicht.

Der im Buchbeitrag von Finkelgruen portraitierte “Günther S.“ – Günther Schwarz – gehörte zu den 13 Edelweißpiraten und Widerständlern, darunter sechs Jugendliche, die am 10.11.1944 in Köln-Ehrenfeld öffentlich hingerichtet worden waren. Finkelgruen eröffnet seine Recherche über den hingerichteten Kölner Edelweißpiraten1979 in dieser Weise:

„Günther S. starb im Jahre des Unheils 1944. Er war sechzehn Jahre alt, als er am 10. November 1944 zusammen mit zwölf anderen Menschen von der Kölner Gestapo in Köln öffentlich erhängt wurde. Günther S. ist bereits als Opfer des Nationalsozialismus in diese deutsche Gesellschaft hineingeboren worden. Sein Vater war Jude. Sein Vater war auch Kommunist. Er floh nach der Machtübernahme der Nazis nach Holland. Zusammen mit dem Bruder lebte Günther bei seiner Mutter. Sie starb, als er acht Jahre alt war. Um diese Zeit kam seine Tante – Schwester der verstorbenen Mutter – aus dem Lager zurück. Sie hatte als Kommunistin im KZ gesessen“, so das Ergebnis von Finkelgruens Recherchen. In diesem Stil ist auch Finkelgruens nun auf haGalil veröffentlichtes Buch Soweit er Jude war… verfasst. Es hebt sich in grundlegender Weise von nahezu allen Werken von Forscher ab, die sich von 1980 bis heute an der sogenannten „Kölner Kontroverse“ beteiligt haben.

Auch Detlev Peukert erwähnt die Bemühungen von Bürgerinitiativen, „Barthel“ Schink und dessen Freunde zumindest posthum als Widerstandskämpfer zu ehren, als Ausgangspunkt der sog. „Kölner Kontroverse“ (S. 10): „Jeder machte sich strafbar, wenn er sich illegal organisierte, wenn er geflüchtete ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene versorgen wollte (und sich dafür auch Lebensmittel „besorgen“ mußte), erst recht, wenn er der Gestapo und der SS mit Waffen entgegentrat.“ Und Peukert benennt das psychologisch scheinbar überraschende, aber durch die „deutsche Unfähigkeit zum Trauern“ (Alexander und Margarete Mitscherlich) rasch zu verstehende Bemühen auch in Köln, „gründlich die Edelweißpiraten (zu) vergessen“ (ebd.) Die „Erfahrung der Verfolgten“ habe die überlebenden Edelweißpiraten „oft für das ganze weitere Leben“ geprägt (S. 11). Sie schwiegen über ihren Mut, ihre Unangepasstheit, weil die noch für Jahrzehnte von den sorgfältig organisierten nationalsozialistischen Verbrechen und ihren Entscheidungsträgern geprägte Mehrheitsgesellschaft nicht bereit bzw. nicht fähig war, diesen individuellen und teils kollektiven Widerstand auch nur zu akzeptieren, geschweige denn diesen angemessen zu würdigen. Erst als die noch unmittelbar mit der Nazizeit verbundenen Funktionsträger in Rente gingen, also ohne unmittelbaren Einfluss waren, im Jahr 2005 (!), vermochte Regierungspräsident Jürgen Roters diese symbolisch zu rehabilitieren.

Finkelgruen nahm bei diesen Auseinandersetzungen als Jude und als „Rückkehrer“ eine ganz besondere, eine absolut marginale Position ein: Jeder Auftritt von ihm, jede Publikation blieb seelisch an den antisemitischen Vernichtungswahn gebunden: Er, der Jude, verkörperte für die Mehrheitsgesellschaft die Gefahr, die Bedrohung. Der israelische Psychoanalytiker Zvi Rix hat hierfür schon vor Jahrzehnten die luzide, offensichtlich zeitlos gültige Formulierung gewählt: „Die Deutschen werden den Juden den Holocaust niemals verzeihen.“

Nicht-jüdische Forscher und Publizisten hingegen waren hiervon nicht betroffen. Auch dies macht die Singularität von Finkelgruens hier nun erstmals veröffentlichtem Buch (1981) aus.

„… von Haus aus leichtsinnig, charakterlich schwach und disziplinlos“

In dem bereits erwähnten Bericht eines Kölner Jugendrichters vom 7.11.1943 (S. 40-48) kommt eindeutig zum Ausdruck, dass die nationalsozialistische Justiz die Edelweißpiraten auch als eine Form des Widerstandes sah, die von ihr als gefährlich eingeordnet wurde. Im Detail wird von Peukert (1980) ihre Entstehung und ihr Aussehen beschrieben. Die Edelweißpiraten hätten organisatorisch ihren Schwerpunkt in Köln und müssten als „oppositionelle Jugendgruppen“ (S. 42) kategorisiert werden. Die psychopathologische Einschätzung der männlichen Vertreter – „von Haus aus leichtsinnig, charakterlich schwach und disziplinlos“, wie es in einem Bericht hieß (S. 43) – zeige die Verunsicherung der nationalsozialistischen Institutionen gegenüber diesen unangepassten Gruppen. Abschließend wird in besagtem Bericht hervorgehoben: „Darum bildet das Edelweißproblem eine akute, auch staatspolitische Gefahr“ (S. 46), und es wird mit detaillierten Empfehlungen zur „Bekämpfung der Edelweißpiraten“ aufgerufen, primär durch die „Geheime Staatspolizei“. Auch diese Einschätzung sollte in den Jahrzehnten danach immer wieder in Abrede gestellt bzw. durch Relativierungen in Zweifel gezogen werden. Am 3.11.1943 habe er – der Kölner Jugendrichter – „eine Zusammenkunft bei der Geheimen Staatspolizei“ erwirkt, so Peukert; abschließend wird auch „die Errichtung eines Bewahrungslagers“ (S. 48) erwogen.

In einem an das Reichsjustizministerium geschickten „Lagebericht“ des Kölner Generalstaatsanwaltes vom 30.1.1945 (Peukert, S. 103-108) wird insbesondere die für die Edelweißpiratendiskussion zentrale Rolle der Ehrenfelder Gruppe – die 108 Mitglieder gehabt haben soll – benannt. Auch hierin wird ihre politische Dimension hervor gehoben: Sie habe beabsichtigt, „politische Leiter der NSDAP zu beseitigen“ (S. 106), zu ihren Opfern gehörten zahlreiche hohe politische Funktionsträger. Die öffentliche Ermordung von 13 Menschen in Ehrenfeld, von denen einige „früher den „Edelweißpiraten“ angehört hatten“, wird als ein wichtiger Erfolg beschrieben.

„Die verkeilten Fronten in dieser Kölner Kontroverse“

Im Nachwort zur 2. Auflage des Buches (1982) wird die vorwiegend proletarische Zusammensetzung der Edelweißpiraten bestätigt. Es werden bereits 1982 (!) die „verkeilten Fronten in dieser Kölner Kontroverse“ (S. 242) benannt: In den folgenden Jahrzehnten sollte diese „Kölner Kontroverse“ – der Begriff wurde bald zum Selbstläufer –  immer neue Ausprägungen und Neuauflagen erleben.

An die eher wenigen Jugendlichen, die sich dem nationalsozialistischen Geist verweigert hatten – in den Gestapoakten wurden in Köln wohl 3000 Jugendliche aufgeführt – wurden übersteigerte, vielleicht vor allem die eigene, in einer gefestigten Demokratie formulierte Maßstäbe angelegt – während die Mehrzahl der Täter, der brutalen Mörder, weitestgehend unerwähnt blieben. Es könnte sich die Frage aufdrängen, wie viel Prozent der selbstgerechten Ankläger denn selbst Widerstand geleistet hätten?

Und es werden von Peukert in der zweiten Neuauflage (1982) die soeben erschienenen Bücher von Matthias von Hellfeld – über die Edelweißpiraten (1981) – sowie von Alexander Goeb (1981) – über Bartholomäus Schink – erwähnt; Goebs Buch sei, im Gegensatz zu von Hellfelds Studie, „spekulativ und nicht frei von heroisierenden Zügen“ (S. 242).

Im Nachwort zur dritten Auflage von Peukerts Studie (1988) wird noch einmal das „unerquickliche Wiederaufflammen“ der Debatte um die Bewertung der Edelweißpiraten beklagt (S. 247).

 

Matthias von Hellfeld (1981): Edelweißpiraten in Köln. Jugendrebellion gegen das 3. Reich

Zeitlich parallel zu Peukerts und Finkelgruens – unveröffentlicht gebliebenem – Buch erschien 1981 Matthias von Hellfelds wissenschaftliche Studie über die Edelweißpiraten. Hellfeld kannte Finkelgruens journalistischen Beiträge zum Thema sowie dessen im Entstehen befindliches Buch „Soweit er Jude war…“. Beide hatten auch mit überlebenden Edelweißpiraten aus Köln gesprochen, woraus ein Vertrauensverhältnis erwuchs. Der 1954 Geborene hatte seine Studie als Promotionswerk angelegt; 1984 lud ihn Finkelgruen zur feierlichen Auszeichnung der drei Widerständler durch Yad Vashem in Jerusalem ein.

Von Hellfelds Studie, bewusst wissenschaftlich und „distanziert“ angelegt, beruht auf einer präzisen Kenntnis von Akten aus der Nazizeit wie den Gestapo-Vernehmungsprotokollen der Widerständler, aber auch auf eigenen Interviews mit Edelweißpiraten wie etwa Fritz Theilen, Jean Jülich, Cilly Mevissen (frühere Servé, s.o.), Karoline Banten (die Schwester von Bartholomäus Schink) und Wolfgang Schwarz.

Schreib es pragmatisch so: Hellfeld beleuchtet systematisch, unter welchen Bedingungen Widerstand in Köln überhaupt möglich war, was die Motive hierfür waren und welche konkreten widerständigen Aktionen, Lebensstile und vereinzelt auch konkreten Widerstandsaktionen von diesen Jugendlichen gewählt wurden, um sich innerhalb der Edelweißpiraten gegen die Mehrheitsgesellschaft zu stellen. Er problematisiert auch den Aspekt, dass bei der Betrachtung von Edelweißpiraten zwischen geflohenen Soldaten, geflohenen Zwangsarbeitern aus östlichen Staaten, teils langjährig Vorbestraften sowie von Juden, die sich dem drohenden Abtransport in die Vernichtungslager durch Flucht entzogen hatten, unterschieden werden sollte. Dennoch komme es häufig zu Überschneidungen dieser Personen- und Opfergruppen, was sich insbesondere bei der Köln-Ehrenfelder Widerstandsgruppe zeigte. So erwähnt Hellfeld, unter Berufung auf die Aussagen von Schinks Schwester Karoline Banten, welches schockartige Erlebnis die Festnahme des – in der Literatur oft erwähnten – Frisörs Spiro für Bartholomäus Schink darstellt habe. Seibert (2014) hingegen (s.u.) glaubt gerade dieses als eine „Falschaussage“ nachweisen zu können. Dies führt direkt zu der offenkundigen Problematik, derartige individuelle Erinnerungen von Menschen, die in einer Diktatur lebten, „wissenschaftlich“, gar „juristisch“ als fehlerhaft, als irrig in Abrede stellen zu können. Erlebte, erinnerte Geschichte ist immer subjektiv. Das narrative Erzählen und Erinnern stellt einen mehr als legitimen Zugang dar, um das Leben in terroristischen Regimen überhaupt angemessen verstehen zu können. Auch hierfür liefert von Hellfeld in seinem frühen Buch zahlreiche Basismaterialien. So publiziert Hellfeld, ergänzend zu Peukerts (1980) Materialien, Auszüge aus den Gestapo-Vernehmungsprotokollen sowie aus Wiedergutmachungs-Akten.

Es wird ausführlich der mehrere Jahrzehnte andauernde Kampf von Schinks Mutter und Schwester sowie der „Fall Hüppeler“ (Peter Hüppeler, geb. 9.1.1913, war bei seiner Hinrichtung 31 Jahre alt) auf Wiedergutmachung beschrieben; beide endeten in einer Ablehnung der Anträge durch die Behörden. 1962 stellt die Behörde bzgl. Schink fest: „Aus der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Köln geht hervor (…), daß der Erblasser mit Sicherheit als Mitglied einer Verbrecherbande erkannt und verhaftet wurde.“ (S. 90) Selbst wenn mehrere Zeugen „den Verstorbenen“ als politischen Gegner des NS-Regimes bezeichnet hätten so könne er bei seinen Kontakten zu der „als Verbrecherbande erkannten Ehrenfelder Clique“ auch „andere Motive“ gehabt haben, „bestenfalls um einem Arbeitseinsatz am Westwall oder einem Fronteinsatz zu entgehen.“ (S. 90) Die Beteiligung am nationalsozialistischen Vernichtungskrieg durch Deutsch wurde also als eine gegebene Pflicht voraus gesetzt. Die Weigerung, sich am Angriffskrieg, der mit der systematischen Ermordung der Juden verbunden war, zu beteiligen, wurde gemäß der juristischen Logik der Entschädigungsbehörde nicht als „Widerstand“ akzeptiert.

Den Angehörigen von Gustav Bermel – der am 11.8.1927 in Köln geborene kaufmännische Lehrling war bei seiner Hinrichtung 17 Jahre alt – wurde die Entschädigung für ihren Sohn versagt, weil diese „keine Beweisunterlagen“ für dessen vorgebliche politische Betätigung beigebracht hätten. Weiterhin wird im Ablehnungsbescheid ausgeführt: „Im übrigen war der Verstorbene zur Zeit seiner Verhaftung erst 17 Jahre alt, so daß schon aus diesem Grunde die Vermutung gegen die vom Antragsteller aufgestellte Behauptung sprechen könnte. (…) Die Kriminalpolizei in Köln ist davon überzeugt, daß von den festgenommenen Terroristen am 10.11.1944 13 Personen ohne Gerichtsverhandlung und ohne Gerichtsurteil öffentlich erhängt wurden, um die Bevölkerung von weiteren Terrorakten abzuhalten. Die Exekution ohne gerichtliches Urteil bedeutet zwar einen Rechtsbruch, der nur durch die damaligen Verhältnisse zu erklären ist.“ Es sind solche höchst offiziellen Darstellungen, die nicht nur für Finkelgruen das Fortwirken des nationalsozialistischen Geistes sowohl auf der politischen als auch auf der juristischen Ebene in für ihn zutiefst verstörender Weise verdeutlichten. Es war dieses ihn zutiefst verstörende Unrecht, die offizielle Kategorisierung von Widerstandsaktionen oder auch nur von Abweichungen von der nationalsozialistischen „Norm“ als „Terrorakte“, die offizielle Kategorisierung von Edelweißpiraten als „Terroristen“, diese faktische Billigung des nationalsozialistischen Verbrecherregimes und dessen systematisch geplanten und in die Tat umgesetzten Massenmordprogramms, dem Finkelgruen bei seinen Recherchen immer wieder begegnete. Er sprach mit den Zeitzeugen und war als Jude zutiefst erschüttert. Gerhart Baum beschreibt diesen seelischen Vorgang des befreundeten Journalisten in seinem Vorwort zu Finkelgruens Buch (1981) in verständnistiefer Weise. Es war dieses Unrecht der Nazizeit, das den 1932 geborenen Urliberalen nach Kriegsende in die Politik geführt hatte. Über Jahrzehnte unterstützte Baum Menschen wie Peter Finkelgruen, auch noch Jahrzehnte nachdem Finkelgruen aus der FDP (1976) ausgetreten war. Von Hellfeld publiziert in seiner Studie zahlreiche vergleichbare Dokumente, so auch eine Stellungnahme des Kölner Entschädigungsamtes, in dem Überraschendes ausgeführt wird: „…Aus anderen Akten ist mir bekannt, daß gerade in Köln Angehörige der Edelweißpiraten von der Justiz sehr sanft behandelt wurden.“ (S. 102). Diese höchst erstaunliche Feststellung einer für Entschädigungen zuständigen Behörde zitiert auch Finkelgruen in seinem Buch – und sie hat ihn zutiefst erschüttert zurück gelassen, aber auch zum Schreiben seines Edelweißpiratenbuches motiviert.

Verstärkt wurde seine Ohnmacht als Jude durch weitere amtliche Darstellungen über den 16-jährig ermordeten Schink, die M. von Hellfeld gleichfalls dokumentiert: Aus den „Einlassungen von Schink“ – also den Gestapo-Verhörakten – ergebe sich, „daß die Bandenmitglieder geradezu am laufenden Band einen Einbruch nach dem anderen durchgeführt haben, daß ihnen hierbei erhebliche Mengen u.a. an Nahrungsmitteln in die Hände fielen und daß sie diese zum kleineren Teil selbst verbrauchten, im übrigen aber verkauften. (…) Die Vernehmungsniederschriften ergeben weiterhin, daß hierbei von der Waffe rücksichtslos Gebrauch gemacht worden ist, ja daß sogar, man möchte sagen wahllos, in unbekannte Passantengruppen geschossen wurde.“ (S. 103) Diese Jugendlichen und die unter Fahndungsdruck der Gestapo stehenden Widerständler wie Hans Steinbrück, der Juden in seinem in der Schönsteinstraße gelegenen Ehrenfelder Haus versteckt hatte (s.u.) – Finkelgruen schreibt hierüber in seinem Buch ausführlich – , hätten „schwere bis schwerste Straftaten“ begangen, denen „nach meiner Auffassung nicht die Qualifikation einer Widerstandsgruppe aus politischer Überzeugung zuerkannt werden“ könne (S. 103).

Der Jude in der FDP…

Hierzu ein kleiner Exkurs, eine Anekdote, bezogen auf Finkelgruens wenige Jahre zurückliegenden Erfahrungen innerhalb seiner FDP (der er 1968 aus Überzeugung, gemeinsam mit vielen Linksliberalen, beigetreten war). Sie steht im Kontext der in den 1970er Jahren besonders ausgeprägten parteiinternen  Kämpfe zwischen dem nationalkonservativen und dem linksliberalen Flügel der FDP (vgl. Kaufhold 2018a, b): Finkelgruen war bereits 1976 aus der FDP ausgetreten, blieb dennoch mit vielen FDPlern in freundschaftlichem Kontakt. Als er sich 1981 als Parteiloser für das Amt des Leiters der Jerusalemer Friedrich Naumann Stiftung bewarb – er kannte ja das Land und sprach hebräisch sowie englisch perfekt – gab es innerhalb der Kölner FDP Bedenken. Bei einer abschließenden Sitzung mehrerer eher dem „rechten“ Flügel zuzurechnender Funktionsträger brüllte ein Sitzungsteilnehmer, so erzählte Finkelgruen jüngst, schließlich enerviert: „Ja, willst Du denn dass der Finkelgruen in Köln bleibt?“ Damit war die Entscheidung gefallen: Der störende linke Jude und Edelweiß-Publizist verschwand aus Köln Richtung Jerusalem.

Einen weiteren Schwerpunkt legt von Hellfeld in seiner Studie auf die spezielle Situation in Köln-Ehrenfeld im Jahr 1944 (Stichwort: Hans Steinbrück, „Ehrenfelder Gruppe“).

„… wenn wir von denen Prügel kriegten, dann war allerlei los. Und dann sind wir dazu übergegangen, uns dagegen zu wehren“

M. von Hellfeld fasst in knapper Weise Reflexionen über die Motive, die Jugendliche in der Nazizeit zu den Edelweißpiraten „getrieben“ haben, zusammen und beschreibt Phasen, die die „Entscheidungen zum Widerstand“ beeinflusst haben: Alle „“Nicht“- und „Anti-Nazis“ wurden im totalitären, terroristischen Regime binnen weniger Jahre zu einer Entscheidung genötigt: „Anpassung an das System, Auswanderung oder eine konsequent oppositionelle Haltung innerhalb des „III. Reichs“.“ (S. 24) Diese profane und naheliegende Darstellung, 1981 formuliert, findet man in nahezu keiner „konservativen“ Studie über die Edelweißpiraten wieder. Die Entscheidung, in welchem Maße man sich, insbesondere als Jugendlicher, gegen die „kompakte Majorität“ (S. Freud), gegen die nationalsozialistische Mehrheitsgesellschaft zu stellen bereit war, musste nahezu jeden Tag neu gefällt werden. Jede nicht-Anpassung war mit einer Eigengefährdung und mit einer Gefährdung der eigenen Familie verbunden. Bereits die kleinste Geste, mit der man Solidarität mit den tagtäglich auf den Kölner Straßen zusammengetriebenen und ab Oktober 1941 öffentlich am Bahnhof Deutz in die deutschen Vernichtungslager geschickten Juden zeigte war ein außergewöhnlich mutiger Akt.

Von Hellfeld zitiert hierzu aus seinen damaligen Interviews mit Wolfgang Schwarz, Fritz Theilen und Jean Jülich. Wolfgang Schwarz: „Anfangs, da sind wir noch ausgerissen (vor dem Streifendienst der Ortsgruppen) (…) wenn wir von denen Prügel kriegten, dann war allerlei los. Und dann sind wir dazu übergegangen, uns dagegen zu wehren und haben uns die einzeln gekauft. Dann kriegten die von uns 20 Mann Prügel.“ Fritz Theilen: „Das war praktisch Selbsterhaltungstrieb, wir sind ja dazu gezwungen worden. Gewalt gibt Gegengewalt.“ Und Jean Jülich: „Barthel wollte das gar nicht, man hat ihn da ein bißchen reingezogen. Gitarre und Musik, das war sein Leben, das andere war nicht sein Leben, da hat man ihn zu gezwungen. Der Staat hat ihn dazu gemacht – hätte man ihm seine Gitarre gelassen, er hätte sie heute noch. Er hätte niemals eine Pistole in die Hand genommen, gezwungen haben eigentlich die Nazis ihn, die ihm aufgelauert haben.“ (von Hellfeld 1981, S. 25) Die Motive für die Entscheidung hin zur Verweigerung, zum Widerstand – wie ihn diese drei Zeitzeugen beschreiben (S. 27f.), waren gleichfalls unterschiedlich. Ausschlaggebend war jedoch die brutale Alltagswirklichkeit, der tagtägliche, insbesondere von existentiell bedrohten Juden erlebte Terror, die sehr konkrete Vernichtungsdrohung. Dies war die Hauptursache für Kölner Jugendliche – in den Kölner Gestapoakten sollen 3000 Jugendliche erfasst worden sein – , sich zu verweigern, sich gegen die Hitlerjugend, gegen die Gestapo aufzulehnen. Es war vor allem die Gewalt, die die Auflehnung hervor rief. Nur wenige lehnten sich auf.

Die große Mehrheit hingegen schwieg, passte sich an, identifizierte sich innerlich mit der nationalsozialistischen rassistischen Lehre, dem vulgären Antisemitismus. 50 Jahre später war noch nahezu nichts davon verschwunden in den Köpfen und Seelen. Die fortdauernde Diffamierung der ermordeten und der überlebenden Edelweißpiraten, die bereit waren, in Köln öffentlich als Zeitzeugen aufzutreten, ist ein Beleg hiervon. Auch ein Großteil der Forscher dürfte hiervon nicht unberührt geblieben sein: Letztlich ist jeder ein Teil dieser nationalsozialistischen Unrechts- und Terrorgeschichte. Erst als diese Generation verstorben oder pensionsbedingt „machtlos“ war vermochte Jürgen Roters eine zumindest symbolische „Rehabilitation“ auszusprechen – im Jahr 2005. Jüdische Publizisten wie Peter Finkelgruen hingegen störten diesen kollektiven Verdrängungs- und Verleugnungswunsch nachhaltig. Wenn Finkelgruens Studie Soweit er Jude war… 1981 wie vorgesehen publiziert worden wäre so hätten ihn vermutlich gleichfalls verstörende wissenschaftlichen und publizistischen Angriffe ereilt. Finkelgruen war sich dessen zeitlebens bewusst. Der „Fall Malloth“ (1988 – 2002) demonstrierte ihm dies ein Jahrzehnt später immer wieder.

Finkelgruen, dies sei noch angemerkt, hatte nur einen Sicherheitsanker: Er wusste zeitlebens, dass er jederzeit als Jude nach Israel gehen konnte. Israel blieb für ihn, wie für die meisten in Deutschland lebenden Juden, der Ort, der ihm Aufnahme und Sicherheit garantierte – trotz des konkreten Vernichtungswunsches palästinensischer und vom Iran finanzierter und ausgebildeter Terrortruppen.

Weitere Studien zum jugendlichen Widerstand

In den folgenden Jahren publizierte M. von Hellfeld weitere Studien über die Jugend im Nationalsozialismus, nun nicht mehr mit dem Schwerpunkt Köln. In dem gemeinsam mit Arno Klönne herausgegebenem Buch „Die betrogene Generation. Jugend im Faschismus“ (1985) hat er ein Dokument des HJ-Streifendienstes (Juli 1936) zu „Navajos gegen HJ“ (S. 79-81) dokumentiert. Die Navajos (s. Kenkmann 1991) –  s. die vom EL-DE-Haus auch im Netz dokumentierte Ausstellung „Von Navajos und Edelweißpiraten“ – waren eine widerständige Jugendgruppe im Rhein-Ruhrgebiet, die verschiedentlich auch als „Vorläuferorganisation“ der Edelweißpiraten eingeordnet werden.

In besagtem Dokument des Streifendienstes der Hitler-Jugend vom Juli 1936 wird die politische Bedeutung der Jugendlichen, die sich Navajos nannten, indirekt betont: Die HJ sah diese unangepassten Jugendlichen als eine konkrete Bedrohung an, gegen die der nationalsozialistische Staat sich mit aller Brutalität wehren müsse. Die Navajos werden als ein „freier Zusammenschluss der ehemalig bündisch-marxistisch orientierten Jugendlichen“ (Hellfeld/Klönne 1985, S. 79) beschrieben. Diese seien – so eine Darstellung vom Juli 1936 – „ehemalige HJ-Mitglieder, die aufgrund sittlicher Verfehlungen und wegen sonstiger Vergehen aus der HJ ausgestoßen bzw. ausgeschlossen“ worden seien (ebd.). Am Beispiel eines „ehemaligen KPD-Angehörigen“ wird vermutet, dass „staatsfeindliche Kräfte“ sich zu diesen „wilden und illegalen Vereinigungen“ zusammen geschlossen hätten, und Jugendliche nun „bewußt zu Staatsfeinden erziehen“ (ebd., S. 80). Es werden weitere Beispiele von Bedrohungsszenarios aus Köln aufgeführt: So seien sechs durch ihre Kleidung als Angehörige des HJ-Streifendienstes erkennbare „Volksgenossen“ gegen 22 Uhr in der Kölner Innenstadt „von einer 120 – 150 Mann starken Navajo-Bande umringt und angerempelt“ worden. Nach Beleidigungen sei es zu Tätlichkeiten gekommen: „Es gelang den Streifendienstangehörigen, sich unter Anwendung von Gewalt zurückzuziehen. Immer wieder tauchten diese Banden auf, einmal stärker, einmal schwächer, um auf die HJ Jagd zu machen.“ (ebd, S. 80) Auch dieses Dokument verdeutlicht, dass die Regierung und ihr untergeordnete Gruppierung die Edelweißpiraten und die Navajos als eine ernste Gefahr ansahen, die es mit allen Mitteln zu vernichten gelte. Die Edelweißpiraten und weitere widerständige Gruppen wurden wegen ihres politischen Gehalts verfolgt. Die öffentliche Hinrichtung der 13 Edelweißpiraten und Widerständler sieben Jahre später war eine logische Konsequenz hieraus. Es war eine politische Entscheidung. Der Sachverhalt ist sehr eindeutig. Dass dies noch 20 weitere Jahre von Entscheidungsträgern in Köln wie auch von Wissenschaftlern in Abrede gestellt wurde – bis 2005 – könnte sehr verwundern.

Alexander Goeb: Er war sechzehn, als man ihn hängte. Das kurze Leben des Widerstandskämpfers Bartholomäus Schink (1981)

Alexander Goebs Jugendroman über Bartholomäus Schink entstand zeitgleich mit den vorhergehend genannten Büchern. Sein Verdienst ist es, Schinks kurzes Leben und dessen öffentliche Hinrichtung zu einem frühen Zeitpunkt (1981) zu einem öffentlichen Thema gemacht zu haben. Damit waren auch die Edelweißpiraten insgesamt ein öffentliches Thema. Zugleich verknüpfte er die Edelweißpiraten – oder zumindest Bartholomäus Schink – insgesamt mit dem Begriff des politischen Widerstandes. Edelweißpiraten und politischer Widerstand, das schien Vielen nun als eine faktische, eine historische Einheit.

Goebs Buch erzielte eine hohe Aufmerksamkeit, auch weil es als rororo-Taschenbuch und somit zu einem erschwinglichen Preis (heute: 10 Euro) publiziert wurde. Es erlebte zumindest drei Auflagen: Die Zweitauflage erschien 2001, die Drittauflage 2012. Das Werk scheint über 50.000 mal verkauft worden zu sein. Es war von der Sprache her als Jugendroman angelegt, insofern sind hierbei biografische und historische Fakten verknüpft mit literarischer Fantasie. Goeb wählt für seine Methode den Begriff der „dokumentarischen Reportage“ (S. 9).

Goeb versteht sein Werk offenkundig als primär „faktenorientiert“: Die Dialoge seines Buches  beruhten vorrangig auf Interviews mit ehemaligen Edelweißpiraten und anderen Zeugen der Zeit“ (ebd.). Einige Szenen seien „in ihrer Ausgestaltung erfunden“, insbesondere bei Sachverhalten wie der Erschießung des SS-Ortsgruppenleiters Söntgen, über die es „mindestens drei verschiedene Variationen“ gebe (ebd.). Alle im Buch beschriebenen Begebenheiten „“können sich (…) so oder ähnlich zugetragen haben.“ (S. 9) Von einem Großteil seiner Leser dürfte es als ein Fachbuch verstanden worden sein.

Goebs Werk über Bartholomäus Schink wurde in der Fachliteratur immer wieder, in teils sehr scharfer Form, kritisiert; einige Beispiele hierfür sind in den später vorgestellten Büchern zu finden. Einige Wissenschaftler wollten ihn als Fachautor nicht akzeptieren, dies gilt wohl auch für das Kölner EL-DE Haus. Die von mir an anderer Stelle erwähnte Personendarstellung des Hauses über B. Schink scheint mir von dieser Auseinandersetzung geprägt zu sein.[v] Einen Hintergrund der Kritik könnte Goebs seinerzeitiger politischer Hintergrund sein: Er gehörte dem DKP-Umfeld an und publizierte die ersten Teile seiner Recherchen in der der DKP sehr nahestehenden „Deutschen Volkszeitung“, deren Redakteur er zeitweise war.[vi] Für eher konservative Publizisten und Leser war die politische und historische Einschätzung der Edelweißpiraten nun offenkundig mit einer von ihnen abgelehnten politischen Position verbunden, so mein Eindruck.

Goeb eröffnet seinen Jugendroman mit einer Feststellung, die mit dieser Wahrnehmung korrespondiert: Sein Vorwort („Liebe Leserin, lieber Leser“) beginnt er so:
„Diese Geschichte ist die Geschichte einer Hetzjagd. Sie endet mit dem Tod des Gejagten im November 1944. Der sechzehnjährige Bartholomäus Schink starb zusammen mit seinen Freunden am Galgen. Öffentlich exekutiert durch die Schergen Hitlers.“ (S. 7)

Günther und Wolfgang Schwarzs Tante – Wolfgang Schwarz war der Bruder des 1944 hingerichteten Günther Schwarz[vii]; sie hatten einen jüdischen Vater und Wolfgang Schwarz überlebte nur mit viel Glück – beschreibt Goeb in dieser Weise: „Die Tante war schon einmal in ein Lager gebracht worden. Aber sie hatten sie bald erschossen. Nie wieder hatte sie mit den Jungen über Politik und über die Nazis gesprochen. Aber wie es in den KZ aussah, davon hatten sie mittlerweile von anderen einiges gehört. Die Tante war keine Jüdin, aber sie war in der Kommunistischen Partei gewesen. Doch darüber sprach sie nicht mehr.“ (S. 41)

Ein geplantes Attentat durch „Bubes“ beschreibt Goeb so:
„Die Nazi-Bonzen aus der Ortsgruppe Hardenbergstraße hatten ihnen in der letzten Zeit einige Male schlimm zugesetzt. Nun war der Tag der Rache gekommen. Bubes hatte den Auftrag übernommen, einen Molotow-Cocktail zu basteln. „So, jetzt nur schütteln, einen Lappen drumwickeln, anzünden und ab durchs Fenster in die gute Stube der NSDA?, huiiiiii!“ Bubes schwenkte die Flasche durch die Luft.“ (S. 47)

Goeb beschreibt die sich steigernde Propaganda der NSDAP gegen die Edelweißpiraten und lässt Hans Steinbrück sagen: „Jeder, der Widerstand leistet, egal wie, ist ihr Todfeind, den machen sie fertig. Wenn wir weitermachen wollen, haben wir keine andere Wahl als uns zu bewaffnen. Die Nazis sind sehr vorsichtig geworden, vor allem bei Dunkelheit. Sie gingen nur noch zu zweit Streife. Sie hatten Angst, die Nazis hatten Angst vor ihnen!“ (S. 93)

Abgeschlossen wird das Buch – d.h. in der aktualisierten, mir vorliegenden 3. Ausgabe (2012) – durch eine Zeittabelle mit den wichtigsten Phasen des Kampfes um die Anerkennung durch das Kölner Entschädigungsamt von 1952 – 1988 (S. 162-171). Goeb erinnert an die „frühe“ Aktion des (1983 verstorbenen) kommunistischen Widerstandskämpfers Walter Kuchta, der bereits am 10.11.1966 mit einem Plakat an der Ehrenfelder Hinrichtungsstätte Gerechtigkeit gefordert hatte; Kuchta war auch ein Gesprächspartner Finkelgruens (s. Soweit er Jude war…). Es wird auch aus dem Antwortschreiben von Bundespräsident Walter Scheel (FDP) zur Edelweißpiratendiskussion Ende 1979 zitiert, in dem dieser schreibt, es bestehe für ihn „gar kein Zweifel an dem verbrecherischen Charakter der Gruppe“ (S. 170). Zeitgleich dokumentierte Finkelgruen in der von ihm gemeinsam mit Broder herausgegebenen Zeitschrift „Freie Jüdische Stimme“ (FJS) bereits im ersten Heft (Nr. 1, 7/1979) (vgl. Kaufhold 2019a, b) Scheels Parteinahme für die „Tätergeschichtsschreibung“. Der erste Aufmacher der FJS lautete: „Walter Scheel: Kölner Widerstandskämpfer waren Verbrecher!“. Es folgten in der FJS zahlreiche weitere Beiträge über die Edelweißpiraten, so in H. 8 (Juli 1980) der erneut auf Scheel Bezug nehmende Aufmacher: „Edelweißpiraten: Vergangenheitsbewältigung im Amt“. Abgebildet wurde auch ein Foto Scheels mit einer „Nazi-Kappe“. Scheel war bei Kriegsende 26 Jahre alt. Erst im Jahr 2010 wurde Scheels von diesem beharrlich verschwiegene NSDAP-Mitgliedschaft im Forschungsbericht der „Unabhängigen Historikerkommission – Auswärtiges Amt“ nachgewiesen.[viii]

Im gleichen Heft fügt Finkelgruen einen „Kommentar der Redaktion“ bei (S. 3), in dem er zahlreiche eigene desillusionierende Erfahrungen aus seinem Engagement im linksliberalen Flügel der Kölner FDP einfließen lässt: Dieses Schreiben des Bundespräsidialamtes enthalte eine „makabre Anhäufung von Peinlichkeiten“. Scheel sei „immerhin zu einem Zeitpunkt in die F.D.P.“ eingetreten, „als diese vorzugsweise nationalistische Strömungen ansprechen wollte. Bekanntlich sind Teile der verbotenen Sozialistischen Reichspartei in der F.D.P. aufgegangen.“ (ebd.)

Und Finkelgruen erinnert an Scheels parteiinternen Kampf gegen den linksliberalen und radikaldemokratischen Flügel der FDP, dem er – Finkelgruen – selbst für acht Jahre angehörte: Scheel habe mit seinem Antwortschreiben „nun seinen Anteil an amtlicher Verleumdung und übler Nachrede gegenüber Verstorbenen geleistet“ – womit Finkelgruen an die ermordeten Edelweißpiraten anspielte. Scheel stütze sich bei seinen Einordnungen „auf Aussagen verurteilter Gestapoleute, die bei der Ermordung mitwirkten.“ 

Finkelgruen erinnert sich auch noch lebhaft daran, wie er mir erzählt hat, wie er wegen seiner Unterstützung der Kandidatur des linksliberalen Justizexperten Prof. Ulrich Klugs in Parteisitzungen von Walter Scheel persönlich scharf attackiert und sogar niedergebrüllt wurde

Kommen wir zu Goebs Jugendroman zurück: Am Buchende (S. 172-179) findet sich  – hier besteht eine weitere Überschneidung mit Finkelgruens Buch Soweit er Jude war… – ein Interview Goebs mit besagtem Amtsleiter Dr. Dette vom November 1980: Das Interview sei „das Psychogramm einer deutschen Behörde“ (S. 172) – dem würde Finkelgruen bei diesem Punkt auch heute noch zustimmen.

Fritz Theilen: Edelweißpiraten (1984). Mit einem Vorwort von Matthias von Hellfeld 

Fritz Theilens autobiografisches Werk „Edelweißpiraten“ (1984) spielte insbesondere auch wegen des frühen Zeitpunktes seines Erscheinens sowie des Verlages – es erschien bei Fischer – eine bedeutende Rolle bei der schrittweisen Anerkennung der Edelweißpiraten in Köln. Das Buch wurde von Matthias von Hellfeld herausgegeben, der neben einem Vorwort auch zusätzliches dokumentierendes historisches Material beisteuert. Später wurde es ini einer Neuauflage (Emons Verlag) ohne von Hellfelds Beiträge publiziert. Hellfeld benennt im Vorwort zu Theilens Autobiografie die Kölner Edelweißpiraten gleich im ersten Satz als „Verfolgte und Opfer des Faschismus“ (S. 7), was „konservative“ Edelweißpiratenforscher  bis heute eher nicht erfreuen dürfte. Die Kriminalisierung dieser widerständigen Jugendlichen, denen Fritz Theilen über sein eigenes widerständiges, unangepasstes Beispiel eine Stimme verliehen hat, führte zu deren „Rückzug (…) ins Privatleben“ (ebd.), ihrem öffentlichen und privaten Verstummen. Nur noch die Täter, die in der NS-Zeit Angepassten, spielten in der Nach-Nazizeit eine Rolle. Deshalb hebt von Hellfeld 1984 in seiner Einleitung hervor: „Die Edelweißpiraten waren Widerstandskämpfer, die einen Anspruch auf öffentliche Ehrung haben, genau wie viele andere Männer und Frauen, deren wir Jahr für Jahr gedenken.“ (ebd.)

Fritz Theilen wird 1927 in Köln geboren und versteht sich zeitlebens als ein proletarisch geprägter Mensch. Sein Vater ist in seiner Jugend beim Wandervogel und später in der SPD engagiert. Fritz wächst im proletarischen Köln-Ehrenfeld auf. Politik ist immer präsent, die Ablehnung der Nazis ist für den Jungen familiär eine Selbstverständlichkeit; insbesondere seine Mutter lehnte sich immer gegen diese auf. Er erlebt Straßenschlachten mit den Nationalsozialisten, die in Ehrenfeld sehr starken Parteien SPD und KPD erinnert er als gemeinsam handelnd. Bei seiner Einschulung dominieren Nazi-Lehrer, aber er hat anfangs auch oppositionelle Lehrer. Mit zehn Jahren, 1937, „mußte ich (…) ins Jungvolk der Hitlerjugend (HJ) eintreten.“ (S. 14). Die Disziplin, der Zwang zur Gleichförmigkeit, die erlebte Gewalt stößt ihn ab, ohne dass er dies politisch einzuordnen vermag. Fritz distanziert sich schrittweise vom Drill, schließt sich den Navajos sowie Kölner Gruppen der Edelweißpiraten an. Die gemeinsamen Fahrten und Geländespiele machten „mir großen Spaß“ (S. 16), das Gitarrespielen eröffnet ihm Freiräume und bringt ihm stabile Freundschaften ein. Wegen Befehlsverweigerung wird Fritz Theilen aus der HJ ausgeschlossen. Mehrfach wird er danach zur HJ vorgeladen, um ihn zu nötigen, ihr doch beizutreten – vergeblich. Er lehnt dies kategorisch ab. Als er mit 14 die Schule verlässt und bei den Kölner Fordwerken anfangen will hat er deshalb anfangs massive Schwierigkeiten.

Die Sinnlosigkeit des Krieges stößt ihn und seine Freunde ab, ihm wird klar, so beschreibt er es zumindest in der Retrospektion, „daß wir unsere Träume und Ideale aus der bündischen Jugend unter den Nazis und erst recht im Krieg nicht verwirklichen konnten.“ (S. 45) In gemeinsamen Gesprächen wird die theoretische Notwendigkeit von Widerstandshandlungen erwogen; Möglichkeiten, diese in die Tat umzusetzen sehen die 15- und 16-Jährigen jedoch nicht: „Noch wollte niemand von uns etwas riskieren, und wir alle fürchteten die Repressalien und den Terror der Nationalsozialisten.“ (ebd.)

Misshandlungen im EL-DE-Haus

Im Oktober 1943, da ist er gerade 16 geworden, wird er erstmals von der Gestapo ins EL-DE-Haus und ins Gefängnis Brauweiler vorgeladen, erlebt dort u.a. durch den Gestapomann Fink schwere Misshandlungen. Er hat seinen Freunden versprochen, möglichst nichts über die gemeinsamen Treffen, die nun als „kriminell“ gelten, zu erzählen. Am Ende muss er unterschreiben, „daß ich über meinen Aufenthalt im Gefängnis Brauweiler strengstes Stillschweigen zu bewahren hätte.“ (S. 77) Zuerst weigert er sich, dann leistet er doch die Unterschrift.

Im November 1943 beteiligen sie sich innerhalb der Fordwerke, wo er eine Ausbildung als Werkzeugmacher absolviert, an Sabotageaktionen gegen die Nazis: Sie entwenden „wichtige Ersatzteile, die wir anschließend im Rhein versenkten.“ (S. 87)

Anfang 1944 eine Zäsur: Der knapp 17-Jährige erhält einen Einberufungsbescheid. Die Möglichkeit einer Flucht wird, so schreibt Fritz Theilen im Rückblick, erwogen, vor allem aus Rücksicht auf die Familie jedoch verworfen. Bei der Verabschiedung von Freunden lernt er Bartholomäus Schink und Franz „Bubbes“ Rheinberger kennen (S. 90), die bald zu Freunden werden; beide gehörten zu der Gruppe der 13 am 10.11.1944 in Ehrenfeld Hingerichteten.

Der Verfolgungsdruck auf ihre kleine widerständige Gruppe in Ehrenfeld insbesondere durch nächtliche Gestapo-Streifen nimmt zu, die Angst vor der drohenden Folter ist ausgeprägt. Auch unterliegt Theilen noch der sonntäglichen Meldepflicht bei der Polizei. Dennoch schreiben sie antifaschistische Parolen an die Häuser wie „Ein Volk, ein Reich, ein Trümmerhaufen“ und verbreiten BBC-Meldungen auf Flugblättern. Auch die Edelweißpiraten werden für diese Aktionen verantwortlich gemacht, der Verfolgungsdruck auf sie steigt immer weiter. Dennoch gibt es weiterhin landesweite Treffen der Kittelbachpiraten, Nerother, Navajos und der Edelweißpiraten, etwa am Felsensee. Ihre Gitarren haben sie immer dabei. Ihre Lieder verbinden sie und stärken ihren Mut.

Sabotageaktion am 20.4.1944

Am symbolreichen 20.4.1944 – Hitlers Geburtstag – führt er gemeinsam mit einigen Freunden, darunter B. Schink, eine weitreichende Sabotageaktion durch. Dennoch stellen Publizisten Schinks Beteiligung an den Edelweißpiraten sowie an Widerstandsaktionen immer wieder in Abrede (oder aber sie konstruieren eine Unvereinbarkeit zwischen den – aus ihrer Sicht – edlen, „bürgerlichen“ Edelweißpiraten und „kriminellen“ kommunistischen Nazigegnern bzw. Widerständlern wie Hans Steinbrück; ein Steinbrück, der in Ehrenfeld, wie auch Finkelgruen in seinem Buch belegt, bewusst und selbstlos auch Jüdinnen und Zwangsarbeitern Unterschlupf und Unterstützung geboten hat.)[ix]

Ihre „illegale“ Sabotageaktion mit „Hemmschuhen“ unweit des Bahnhofs Köln-West beschreibt Theilen 1984 (S. 118-121) ausführlich: „Vorsichtig robbten wir näher. Barthel und ich sollten die Hemmschuhe legen. Der Krach um uns herum war ungeheuerlich, als wir zu den Schienen rannten und die beiden Schienenschuhe platzierten. Den einen klemmten wir genau vor eine Weiche. „Los, weg hier“, schrie Barthel…“ (S. 119) Die Aktion wurde von den Nationalsozialisten als eine massive Bedrohung wahrgenommen, aber nicht den Edelweißpiraten zugeordnet. Widerstand gab es selbst 1944 immer noch in Köln, an der „Vierten Front“ – um Finkelgruens Buchtitel aufzugreifen. Es gab immer noch Kölner, die sich den Nationalsozialisten entgegen stellten, trotz ihrer existentiellen Eigengefährdung.

Gemälde von Fritz Theilen am Köln-Ehrenfelder Edelweißpiraten-Denkmal, © R. Kaufhold

Nach dieser militanten Aktion ist für Fritz Theilen klar, dass er untertauchen muss: „Auch meine Mutter“, so schreibt er, „der ich noch in derselben Nacht von meinem Entschluß erzählte, konnte mich nicht mehr umstimmen. Damit begann die Illegalität.“ (S. 121)

Illegalität bedeutete ein fortgesetzter Verstoß gegen bürgerliche Regeln und Gesetze: Diebstahl von Lebensmitteln, Zusammenarbeit mit untergetauchten Zwangsarbeitern, Beschaffen von Waffen. Es ist der verzweifelte Versuch des Überlebens und der inzwischen ausweglose Versuch, das nationalsozialistische Terrorregime von Innen her zu stürzen.

Drei Monate später wird Fritz Theilen inhaftiert und kommt ins Außenlager des KZ Dachau. Von dort vermag er zu fliehen, mit Kriegsende kommt er nach Köln zurück. Der Tag der Kapitulation, so schreibt er am Ende seiner Autobiografie, bildet nicht das Ende der Not, im Gegenteil: „Sehr oft wachte ich nachts auf, Alpträume über die Zeit der Flucht und der Verfolgung kehrten immer wieder; manchmal sogar bis zum heutigen Tag.“ (S. 195) Ihre Traumatisierungen sind sie alle wohl nie losgeworden, selbst nicht der scheinbar immer so souverän und selbstbewusst auftretende Zeitzeuge Fritz Theilen.

Das individuelle und kollektive Schweigen in der Nachkriegsaera

Theilen beschreibt aus eigener Erfahrung, wie in der Jahrzehnten nach Kriegsende die „Propaganda der Nationalsozialisten“ weiterhin ihre Wirkung zeigte. Schweigen, Verleugnen dominierten:

 „Wir wurden als „kriminelle Bande“ diffamiert und viele meiner Freunde zogen sich von der Gruppe zurück. Einige von ihnen sind heute Beamte oder haben hohe Positionen in Unternehmen. Sie alle haben in ihren Lebensläufen verschwiegen, bei den Edelweißpiraten gewesen zu sein. Sie haben Angst davor, mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit gehen, weil sie (…) Rücksicht auf ihre Familien nehmen wollten.“ Viele Ankläger der Edelweißpiraten, auch Forscher, „scheuen (…) nicht davor zurück, ehemalige SS-Schergen und Gestapo-Leute gegen uns als Zeugen beizubringen. Dieselben Männer, die uns grausam misshandelten und auch vor Mord nicht zurückschreckten, sind heute die Kronzeugen der Anklage gegen uns.“ (S. 149) SS- und Gestapo-Täter, die sie früher misshandelt und zu falschen „Geständnissen“ gezwungen hatten, „sorgen mit ihrer Unterschrift unter ebenso falsche Zeugenaussagen für unsere Diskriminierung – bis heute.“ (ebd.)

Fritz Theilens weitere politische Entwicklung trug dazu bei, dass die Jahrzehnte später einsetzende Diskussion über die Edelweißpiraten von zusätzlichen politischen Kontroversen geprägt wurde: 1966 tritt er aus der SPD aus und gehört zwei Jahre später zu den Gründungsmitgliedern der doktrinären DKP. Die politische Orientierung an der DDR ist eine Selbstverständlichkeit, der sich nahezu kein Parteimitglied zu entziehen vermochte.

Theilen gehört 1977 zu den Begründern einer Kölner Initiative zur Rehabilitation der Edelweißpiraten. 1980 tritt er in Schuberts Kinofilm „Nachforschungen über die Edelweißpiraten“ auf, in den Jahren danach tritt er in Köln, häufig gemeinsam mit Jean Jülich und weiteren Freunden, immer wieder als Zeitzeuge auf und gibt den Edelweißpiraten eine Stimme

Ein Zusatz meinerseits: Seine Gebundenheit an die „antizionistische“ DKP zerstörte für Viele zumindest partiell seine Glaubwürdigkeit. Widerstand war für dieses Lager nun gebunden an eine enge weltanschauliche Sichtweise. Juden hingegen, die sich nicht als Kommunisten verstanden, waren für viele DKP-Mitglieder nun nur noch Gegner, „zionistische Agenten“ (vgl. meine kritischen Darstellungen zu Goebs zweitem Buch (2016), s.u.). Ob dies auch für Fritz Theilen selbst galt vermag ich nicht zu beurteilen. Die spätere Entwicklung in der DDR, ihr offiziöser „Antizionismus“, bestätigte die düstersten Einschätzungen. Von „Aufarbeitung“ des Nationalsozialismus, wie es ihn in Westdeutschland zumindest partiell gab und den jede Generation immer wieder neu durchleben muss, konnte in der DDR nur schwerlich gesprochen werden. Es verwundert nicht, dass Fremdenfeindlichkeit und Judenhass gerade in Ostdeutschland besonders ausgeprägt zu sein scheint (vgl. Heitzer/Jander/Kahane/Poutrus 2018; Kaufhold 2019c).

Späte Ehrungen

Im April 2011 erhält Fritz Theilen, gemeinsam mit den Edelweißpiraten Hans Fricke, Gertrud „Mucki“ Koch, Peter Schäfer und Wolfgang Schwarz, vom Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters das Verdienstkreuz am Bande, weil sie in der Diktatur „im Kleinen Widerstand geleistet, sich nicht angepasst haben und dafür verfolgt wurden“, wie es Roters formulierte. (siehe auch Roters in: Krauthäuser/Mescher/de Torres 2016, S. 49-51).

Ein Jahr später verstirbt Theilen 84-jährig, ein halbes Jahr nach Jean Jülich; OB Jürgen Roters veröffentlichte ein offizielles Beileidschreiben, in dem er Theilen als ein Vorbild an Zivilcourage und bürgerschaftlichem Engagement bezeichnete.

Ab 1985: Die zweite Phase der Kriminalisierung: Buscher, Rusinek und Volmer

Matthias von Hellfelds Studie und weitere Publikationen, die Hellfeld z.T. gemeinsam mit Arno Klönne vorlegte, bildeten eine Grundlage für weitere Publikationen, in denen der jugendliche Widerstand der Edelweißpiraten in Erinnerung gerufen wurde. Seine Studien waren zugleich eine Ermutigung der Wenigen, die zum Erinnern und zum Sprechen bereit bzw. in der Lage waren. Peter Finkelgruens journalistische Arbeiten sowie insbesondere die von ihm durchgesetzte Ehrung der drei Repräsentanten unterschiedlicher Opfergruppen durch Yad Vashem trugen gleichfalls sehr maßgeblich dazu bei, das gesellschaftliche Schweigen, die Verdrängung, die Diffamierung zu durchbrechen. Zahlreiche Bürgerinitiativen und Jugendorganisationen insbesondere aus Ehrenfeld und in der Kölner Südstadt engagierten sich für die Aufarbeitung der Geschichte. Auch große Teile der SPD und sogar Teile der FDP unter Gerhart Baum beteiligten sich – wie Finkelgruen in seinem Buch darlegt – hieran. Eine maßgebliche Rolle spielte der renommierte linksliberale und radikaldemokratische Kölner Juraprofessor Ulrich Klug, zeitweise Staatssekretär im NRW Justizministerium. Peter Finkelgruen und dessen damalige Ehefrau Irmtrud Finkelgruen waren zeitweise enger mit Finkelgruen befreundet. Finkelgruen hatte ihn sogar 1968 dazu gewonnen, auch in die FDP einzutreten. In den Jahren von 1971 – 1974 hatte es eine gezielte, vom „rechten“ Flügel der Kölner und der NRW- FDP initiierte Diffamierungskampagne gegen Irmtrud Finkelgruen und Ulrich Klug gegeben, um beiden eine Unterstützung einer RAF-Terroristin unterzuschieben – eine unglaubliche Geschichte, die später einmal publiziert werden wird.

Ulrich Klug war in den 1980er Jahren eine der maßgeblichsten Persönlichkeiten in Köln, die das Thema nicht ruhen ließen. Sie wollten mit ihrer Bürgerinitiative – deren Entstehung und Bedeutung Finkelgruen in seinem Buch Soweit er Jude war beschreibt – insbesondere erreichen, dass Kölner Straßen nach den Edelweißpiraten benannt und am Bahnhof Ehrenfeld ein Denkmal für sie errichtet werde – was dann ja auch gelang.

Der frühere Hamburger Justizsenator Ulrich Klug hatte auch nach Michael Mike Jovys Tod (19.1.1984) auf der Trauerfeier eine Rede gehalten, in der er an das mutige Wirken seines Freundes erinnerte. Klug ehrte Mike Jovy als „einen mutigen Deutschen, von denen es seinerzeit zu Wenige“ gegeben habe. Und Klug bedauerte, dass es in der Bundesrepublik noch keine Auszeichnung für den Wiederstand gegen Hitler gebe (vgl. Peil (2017) in Bothien, von Hellfeld, Peil & Reulecke (2017), S. 152). In einem Grußwort des israelischen Gesandten anlässlich der für Jovy angesichts seiner schweren Erkrankung vorgezogenen Auszeichnung durch Yad Vashem am 18.11.1983 an seinem Amtssitz in Rom bezeichnete ihn der israelische Botschafter in Rom als einen „mutigen Deutschen, einer von denen, die es wagten, die Kraft des Bösen herauszufordern.“ Und der israelische Gesandte hob den repräsentativen, zu mutigem Handeln auch in der Gegenwart auffordernden Charakter der hohen Ehrung Jovys hervor: „Die „Gerechten“ sind nicht nur Helden ihrer Zeit. Sie sind ebenso Helden unserer Zeit. Wir ehren sie nicht nur, weil sie vor 70 Jahren Mut bewiesen haben, sondern auch weil der damalige Mut für uns heute beispielhaft ist.“ (Peil (2017) in Bothien, von Hellfeld, Peil & Reulecke (2017), S. 151-153).

Diese Bemühungen riefen massivste Gegenkräfte sowie Eifersucht unter verschiedenen Edelweißpiraten hervor, die das „Rad der Geschichte“ wieder umzukehren versuchten. Die Kölner Tagespresse war über Jahre hinweg mit immer neuen „Enthüllungen“ gefüllt, in denen diese „Skandale“ ausgebreitet wurden. Immer wieder standen die ganz Wenigen im Fokus der Kritik, der Zweifels, die sich gewehrt hatten – und nicht die übergroße Mehrheit, die sich angepasst oder die unmittelbar an den furchtbaren Verbrechen beteiligt waren. Einige dieser kleinen „Skandale“, die insbesondere auch von Seibert (2014) (s.u.) sowie von Rüther (2015, u.a. S. 183-194)) thematisiert wurden, seien knapp vorgestellt.

Paulus Buscher

Den Anfang dieser letztlich destruktiven Auseinandersetzungen bildete der in Wuppertal lebende, 1928 geborene Paulus Buscher. Er suchte anfangs Kontakt zu von Hellfeld und begann ab 1984 aus offenkundig höchst persönlichen Gründen, von Hellfeld – der sein Buch (1981) auch als Promotionsschrift eingereicht hatte – gezielt wissenschaftlich zu diffamieren. Für Buscher waren die etwa gleich alten, öffentlich hingerichteten Jugendlichen keine Edelweißpiraten sondern Kriminelle. Sie seien Mitglieder einer Einbrecher- und Terrorbande gewesen. Er selbst, der bei Kriegsende 17 Jahre alt war, hatte sich selbst immer als bündischer Widerstandskämpfer verstanden. Den Begriff der Edelweißpiraten verstand er hingegen als „Stigma“, so überschrieb er auch einen seiner Privatdrucke. Buscher war wohl auch an Widerstandsaktionen beteiligt gewesen und hatte Gestapohaft erlebt. Sein Vater hingegen war Begründer der SS Wuppertal und soll seinen eigenen Sohn mit vorgehaltener Waffe den Feldjägern übergeben haben (laut Angaben von Wikipedia). Motive für sein späteres destruktives Agieren lassen sich erahnen.

Buscher veröffentlichte in Form von privaten Rundbriefen Auszüge aus Ermittlungsakten, in denen er die Edelweißpiraten als Verbrecher diffamierte. Hellfeld bildete bald sein Hauptangriffsobjekt. Dieser ließ sich dies irgendwann nicht mehr gefallen, als Buscher diese sehr persönlich formulierten Angriffe sogar seinem „Promotionsvater“ zukommen ließ und strengte einen Prozess gegen Buscher an. Seibert übernahm den Prozess. Buscher, der auch Begriffe wie „krimineller Coup“ und „Geschichtsfälscher“ verwendete, war für Seibert, so schreibt dieser, ein „nicht berechenbarer Gegner“ (Seibert 2014, S. 165). 1985 kam es zu einem Vergleich, seine Beleidigungen musste Buscher alle zukünftig unterlassen.

1988: Bernd A. Rusinek

Zu Rusinek sei nur kurz etwas gesagt – dessen Studie ist immer wieder öffentlich kontrovers diskutiert worden, was ich als bekannt voraus setze: Nach der Auszeichnung der drei Widerständler durch Yad Vashem im Jahr 1984 stieg der Druck auch innerhalb der SPD auf deren Entscheidungsträger. 1985 gab es Anfragen von SPD-Landtagsabgeordneten an die SPD-Landesregierung. Innenminister H. Schnoor (SPD) beauftragte den Hochschullehrer Hüttenberger mit einem Gutachten. Der leitete seinen Auftrag an seinen Doktoranden Rusinek weiter. Der begann mit einem intensiven Aktenstudium, wollte von den Opfern, den Verfolgten, jedoch eher nichts wissen: Das seien keine glaubwürdigen Zeugen. 1988 wurde sein Gutachten vorgelegt, das 1989 auch als Buch – Rusinek: Gesellschaft in der Katastrophe. Terror, Illegalität, Widerstand Köln 1944/45 – erschien. Rusinek drehte die sog. „Kölner Kontroverse“ letztlich wieder an den Anfang zurück und wollte insbesondere Schink auf keinen Fall als Widerständler sehen. Was Widerstand in einem totalitären Regime denn sei, ob vielleicht – aus seiner bzw. aus konservativer Perspektive – nur „Widerstand“ zu leisten vermochte, wer, wie Graf Staufenberg, eine hohe militärische Position inne hatte, auf solche Fragen findet man bei ihm eher keine Antwort. Letztlich, so wurde dies verschiedentlich durch seine Gegner interpretiert bzw. kolportiert, war die Stellungnahme von Hüttenberger & Rusinek ein Gefälligkeitsgutachten an die SPD-Landesregierung, die das Thema vom Tisch haben wollte. Solche Gefälligkeitsgutachten haben den Vorteil, dass sie sich für die eigene Zukunft vorteilhaft auswirken. Goebs (2016, S. 142) entrüstetes Urteil war dementsprechend unzweideutig: „Rusinek ging an die Arbeit und erfüllte seinen Auftrag. (…) Als Begründung für seine Methode gibt Rusinek in seinem Gutachten an: „Die Zeitzeugen sind selbst ein Teil der Kölner Kontroverse. Man ist gezwungen, sich auf die Quellen zu beschränken.“ Zeitzeugen waren für den Doktoranden demnach keine ernst zu nehmende Quellen. Der Gutachter Rusinek klammerte sich an die Akten der Gestapo. Die Aussagen von Zeitzeugen, die mit Mühe dem Tode entronnen waren, zweifelte er an, wenn er sie überhaupt zur Kenntnis nahm.“ (Goeb 2016, S. 142; vgl. Peil (2017) in Bothien, von Hellfeld, Peil & Reulecke (2017), S. 166-173).

Dass darüber hinaus zahlreiche „Verschwörer“ des 20. Juli 1944 veritable Antisemiten waren, einige von ihnen sogar persönlich an der systematischen Verfolgung und Ermordung der Juden beteiligt waren, wie vielfältig belegt worden ist, das störte offenkundig eher nicht. Widerstand schien ein Privileg des Adels, der gehobenen Kaste zu sein, wurde vielfach vermutet. Für unangepasste Jugendliche, geschweige denn für nicht parteigebundene Widerständler wie Hans Steinbrück, war eine solche Idealisierung offenkundig auf keinen Fall vorgesehen.

Eine Glorifizierung von Stauffenberg und der weiteren Attentäter sollte heute eher als „unangemessen und irritierend“ erscheinen, wie Ralf Balke in der Jüdischen Allgemeinen (19.7.2019) ausgeführt hat. Balke zitiert aus den Briefen Stauffenbergs an seine Frau Nina, „in denen er erste Eindrücke in Polen unmittelbar nach Kriegsbeginn 1939 schildert. „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt.““ Balke fügt noch hinzu: „Wie die Mehrheit der Adeligen verachtete Stauffenberg die Nazis für ihre vulgäre Art, was ihn und andere aber nicht daran hindern sollte, in der Wehrmacht Karriere zu machen und mit wehenden Fahnen in den Krieg zu ziehen.“ 

Mit Rusineks im Januar 1988 von Landesinnenminister Schnoor (SPD) der Öffentlichkeit vorgestelltem Gutachten begann die Diskussion scheinbar wieder ganz von vorne. Die eigentlichen Opfer, die in der Nachkriegsära zum Schweigen Gebrachten, waren nun erneut marginalisiert. Die Kölner Tageszeitungen wurden erneut mit Beiträgen überhäuft, in denen die Edelweißpiraten als zumindest äußerst verdächtige Personen dargestellt und fantasiert wurden. Inhaltlich versuchte Rusinek vor allem, von Hellfelds 1981 vorgelegten Analysen (s.o.) zum Widerstand und zum Charakter und Wirken der Edelweißpiraten zu widerlegen. Mark Obert hat die Fragwürdigkeit von Rusineks wissenschaftlichen Bemühungen in einer ausführlichen Besprechung von Jülichs Autobiografie (2003, s.u.) in der Frankfurter Rundschau umfänglich analysiert:

„…Diese Schlussfolgerung erscheint so wenig zwingend wie viele, bei denen Rusinek auf Polizeiakten oder auf Vernehmungsprotokolle der Gestapo vertraut. Und selbst wenn die Schwester Schinks sich irrte, könnte ihr Bruder dennoch von der Attacke gegen den Friseur erfahren und seine Schlüsse daraus gezogen haben. Wie will man so etwas rekonstruieren, wie will man ein schlüssiges Bild von der Vorstellungskraft, von der Psyche eines Kindes gewinnen, 40 Jahre nach dessen Tod? Dass die Vernehmungs-Protokolle aus dem Gefängnis in Brauweiler unter Gewaltanwendung zustande gekommen sind, ist für Rusinek hingegen eindeutig belegt – hier beruft er sich auf einen namhaften Zeugen, den Brauweiler-Häftling Konrad Adenauer. Dennoch hält er die Gestapo-Protokolle für entscheidende Hinweise auf die so genannte Banden-These. Auszug aus Rusineks Fazit: „Ein Großteil dessen, was als Argumente von der Widerstandspartei angeführt worden ist, stellte sich als Irrtum heraus. […]Keine einzige Äußerung, die auf eine Widerstandshaltung gegenüber dem Regime schließen lassen könnte, ist von den Jugendlichen aus dem Kreis um Steinbrück zuverlässig überliefert. […] (…) Auch Bartholomäus Schink war Steinbrück ausgeliefert und tat, was dieser sagte. (…) Es ist Rusineks Verdienst, dass er einen tiefen Einblick in die Kriegswirren einer Großstadt wie Köln gewährt und sorgfältig protokolliert, wie verschieden Zeitzeugen Ereignisse in ihrem Viertel, ihrer Straße erlebt haben und erinnern, wie unterschiedlich sie Menschen wie Schink oder Steinbrück wahrgenommen haben. Es ist Rusinek aber gerade deshalb von vielen Seiten der Vorwurf gemacht worden, tendenziös geurteilt zu haben, dem Erinnerungsvermögen mancher Zeitzeugen zu sehr vertraut, dem anderer mit übertriebenem Misstrauen begegnet zu sein.“[x]

Dass hingegen Autoren wie der Jurist Seibert (2014, S. 157-161) aufgrund seiner offenkundig konträren politischen Position Rusinek auch heute noch massiv verteidigen kann eher nicht verwundern. Dabei möchte ich es belassen. 2005 beendete Jürgen Roters die selbstgerechte Diskussion: Es gehöre außergewöhnlicher Mut dazu, wenn Jugendliche sich im terroristischen Regime nicht angepasst hatten. Wenn sie sich dem Konformitäts- und Unterordnungsdruck entzogen. Damit waren sie nahezu die Einzigen. „Befreit“ wurde Deutschland jedoch nicht durch die Deutschen selbst. Das war ausgeschlossen. Befreit wurden sie von den Alliierten, von einem militärisch entschlossenen Gegner. Ohne die Alliierten hätte es keine Niederlage des faschisischen, mörderischen deutschen Regimes gegeben. Die Vernichtung des antisemitischen Wahns wurde durch die Alliierten erreicht, durch die demokratischen Staaten. Ralph Giordano (vgl. Kaufhold 2013a, b, 2014c) hat 1989 in „Wenn Hitler den Kriege gewonnen hätte“  im Detail die größenwahnsinnigen Vernichtungspläne Hitlers beschrieben. Die Edelweißpiraten gehörten zu der kleinen Minderheit, die dies zumindest versucht, die sich Hitler verweigert hatten. Hierfür hatte Jürgen Roters großen Respekt – und „rehabilitierte“ diese im Jahr 2005.

Ein Ende der Diskussion bedeutete dies jedoch nicht.

2007: Walter Volmer

Die Geschichte der mich selbstgerecht anmutenden Skandalisierungen der Edelweißpiraten ging weiter. Der nächste Protagonist war Walter Volmer. Der 1941 Geborene war in Köln Chef der Kriminalpolizei gewesen. Öffentliche Aufmerksamkeit erregte Volmer bereits 1971 als junger Kriminalkommissar: Er nahm Beate Klarsfeld nach deren gescheitertem Entführungsversuch des NS-Täters Kurt Lischka (vgl. Kaufhold 2013d, e) fest. Später bereute er dies und war mit Tamar (Kaufhold 2011c) und Zvi Dreifuß befreundet; Zvi Dreifuss, der in Israel aufgewachsen war, hatte als Kameramann die Enttarnung von Lischka sowie von Hagen gefilmt. Finkelgruen wiederum hat 2013 sowie 2016 gemeinsam mit Zvi und Tamar Dreifuß sowie mit Schülern zwei große Zeitzeugenprojekte auf der Bühne aufgeführt. 

Publikationen von Gertrud Seehaus-Finkelgruen sowie von Beate Klarsfeld über Lischka sowie über Kiesinger

Die seelische Verarbeitung der Nazizeit klappte offenkundig nicht dauerhaft. Der Kriminalist attackierte ausgerechnet im ehemaligen Gestapogefängnis (!), der Abtei Brauweiler – wo u.a. Jülich und Theilen festgehalten und misshandelt worden sind – in seinem Vortrag just an Jean Jülichs 78. Geburtstag diesen und weitere Edelweißpiraten und beschuldigte sie der Lüge. Sie hätten sich die Ehrung durch Yad Vashem „erschlichen“ (obwohl Jülich am Zustandekommen seiner Ehrung in keinster Weise beteiligt war). Mehrere Zeitzeugen gaben daraufhin eidesstattliche Versicherungen für Jülich ab. 2007 entschied das Gericht – Jülichs Anwalt war erneut Seibert, Peter Finkelgruen hatte dies vermittelt – , dass Volmers Behauptungen unzutreffend seien. Er musste seine Behauptungen „als unwahr widerrufen“ (Seibert 2014, S. 174). Dezent sei angedeutet, um dem zeitlichen Ablauf meiner Darstellung vorzugreifen: Von der reinen Logik her widersprach Seibert mit diesem juristischen Erfolg aus meiner Sicht einem Großteil dessen, was er wenige Jahre später in seinem Buch (2014) über die „Kölner Kontroverse“ insinuierte (s.u.).

Auch der ehemalige Kölner Polizeichef und Regierungspräsident Jürgen Roters kritisierte Volmer 2007 während dessen Vortrag öffentlich und verwahrte sich dagegen, dass Volmer ausgerechnet Jean Jülich „in  kleinkrämerisch Weise“ betrügerische Absichten unterstelle. 

 

Jean Jülich (2003): Kohldampf, Knast un Kamelle – Ein Edelweißpirat erzählt aus seinem Leben

Jean Jülich, 1929 in Köln geboren und aufgewachsen, wird bei jeder Diskussion über die Kölner Edelweißpiraten erwähnt. Auch in Finkelgruens hier von uns publiziertem Edelweißpiratenbuch „Soweit er Jude war…“ spielt der Edelweißpirat Jean Jülich eine zentrale Rolle: Er gehörte zu den Ersten, die mit Finkelgruen über die 13 im November 1944 in Köln-Ehrenfeld öffentlich hingerichteten Jugendlichen und Erwachsenen sprach. Jülich, der – wie er sich selbst gerne nannte – „Kölsche Kraat“, der lebenszugewandte, unverwüstliche optimistische Lebenskünstler und Edelweißpirat, vermochte öffentlich aufzutreten, sich öffentlich zu engagieren. Und er verteidigte von Anfang an, schon in den 1970er Jahren, als die „zweite Schuld“ (Ralph Giordano), die zweite Herabsetzung und Kriminalisierung dieser widerständigen Jugendlichen einsetzte, ihr Andenken. Er legte Zeugnis über seine vereinzelten Begegnungen u.a. mit B. Schink und Jovy (vgl. Bothien, von Hellfeld, Peil & Reulecke 2017), ihre gemeinsame Haftzeit in der Haftanstalt Brauweiler – wo übrigens auch Konrad Adenauer festgehalten worden ist – ab: Wieder und immer wieder. Und er machte Finkelgruen, wie dieser in seinem Buch Soweit er Jude war… ausführlich darlegt, mit weiteren Verwandten der Hingerichteten bekannt. Eine ganze Anzahl von zusätzlichen Dokumenten aus Finkelgruens Privatarchiv belegen dies; einige werden wir auf haGalil zu einem späteren Zeitpunkt dokumentieren.

Nach dem knapp zwei Jahre älteren Fritz Theilen legte der 1984 durch Yad Vashem geehrte Jean Jülich im Jahr 2003 gleichfalls seine Autobiografie vor: Kohldampf, Knast un Kamelle – Ein Edelweißpirat erzählt aus seinem Leben; zu diesem Zeitpunkt war Jülich 74 Jahre alt. Seine „offizielle“ Rehabilitation im Kölner Regierungspräsidium durch Roters sollte noch zwei Jahre dauern.

Wir begegnen in dem Buch – dem der Kölner BAP-Sänger Wolfgang Niedecken ein Vorwort beigesteuert hat in dem er sich wundert, dass Jülich in seinen Erinnerungen so gar nicht von „heldenhaften Sabotageakten“ erzähle – einem lebensdurstigen Jungen, der bereits als Jugendlicher Verfolgungserfahrungen macht, der sich bei und mit den Kölner Edelweißpiraten Freiräume schafft und mit 15 Jahren in Untersuchungshaft kommt. Als Motiv für sein späteres unermüdliches Engagement für die Edelweißpiraten, welches ihn in Köln sehr bekannt machen sollte, benennt Jülich im Vorwort, „dass es mir hilft, davon zu erzählen, damit die Verbrechen der Nazis nicht vergessen werden.“ (S. 8)

Der am 18.4.1929 in Köln-Riehl Geborene wächst in Armut auf, die für ihn jedoch eine Selbstverständlichkeit ist. Sein Opa, der Kaninchenstallbesitzer, der Lebenskünstler mit  bescheidenem „Garten“, wird ihm zum Vorbild. Zweimal pro Woche fahren sie früh morgens zum Köln-Sülzer Markt auf dem Auerbachplatz, der bald Jeans neuer Lebensmittelpunkt wird.

Jeans Vater Johann, 1901 geboren, engagiert sich antifaschistisch bei den Kommunisten, arbeitet bereits 1932 im Untergrund. Am 27.5.1936, Jean ist erst sieben, wird sein Vater gemeinsam mit acht Freunden verhaftet, für Jean eine traumatische Erfahrung: „Ich wollte gerade zur Schule aufbrechen, als ich laute Schritte und dann Stimmen hörte. Die Haustür wurde aufgebrochen. Ein paar SS-Leute riefen laut: „Wo ist der Jean? Wir wollen zu Jean Jülich!“ (S. 20), so seine 70 Jahre später niedergeschriebene Erinnerung.

Kurz darauf kommt Jean in das Köln-Sülzer Waisenhaus, heute ein modernisiertes Wohngebiet; unmittelbar gegenüber befindet sich der zu Finkelgruens 70. Geburtstag gepflanzte Gedenkbaum und die Gedenkplakette für seinen Großvater Martin; vier Jahre später wurde die Gedenkplakette vermutlich von einer kleinen Köln-Zollstocker Neonazigruppe geschändet. Der Anschlag trug eine antisemitische Handschrift.

Kurz danach wechselt Jean Jülich in ein innerstädtisches Kinderheim im Klapperhof. Erst als seine gleichfalls festgenommene Großmutter wieder frei ist kann er in seine Familie zurückkehren.

1939 tritt Jean, „wie üblich“, in die HJ ein, schließt sich dann jedoch über seinen Freund Ferdi Steingass den Sülzer Edelweißpiraten an. Diese formen mit ihren Liedern, ihrer Kleidung und ihren Ausflügen rasch sein Lebensgefühl. Ein enger Austausch besteht insbesondere zu der Ehrenfelder  Gruppe, die teils unmittelbar an Widerstandsaktionen beteiligt war. Als einschneidendes Erlebnis beschreibt er in der Rückerinnerung die Zerstörung eines Sülzer Kinderwarengeschäftes am 10.11.1939, das einen jüdischen Besitzer hatte: „Unser jüdisches Freundespaar wurde kurze Zeit darauf in unserem Kreis nicht mehr gesehen, die beiden Kinder wagten sich nicht mehr auf die Straße.“ (S. 33)

Auf ihren gemeinsamen Fahrten ins 40 km entfernt gelegene Siebengebirge lernt Jean Edelweißpiraten wie Bartholomäus „Barthel“ Schink sowie Ferdl Steingass kennen. Er erlebt die Bombenangriffe, die Angst. Jean kommt mit einigen teils älteren Akteuren wie etwa Hans Steinbrück („Bombenhans“) in Kontakt, der sich an direkten Widerstandsaktionen beteiligte und der in der Ehrenfelder Schönsteinstraße – wie Finkelgruen in seinem Buch Soweit er Jude war im Detail schildert – auch Juden und Zwangsarbeitern selbstlos und unter Eigengefährdung geholfen hat.

Eine Sabotageaktion gegen den Nazi-Kiosk

Jülich beschreibt auch mehrere konkrete Sabotageaktionen gegen örtliche Nationalsozialisten. Am eindrücklichsten erscheint mir ihre Aktion auf dem Sülzgürtel, wo sie nachts eine „schwere Eisenkette“ um den Zeitungskiosk eines „strammen Nazis“ (S. 52), der als Denunziant gilt, legen. Das andere Ende dieser Kette befestigen sie an der nachts dort parkenden U-Bahn. Als die Bahn morgens losfährt wirft die Kette den Nazikiosk um. Solche Aktionen waren winzige, konkrete Widerstandsaktionen, die von der Gestapo in ihren Akten niedergeschrieben wurden und auch in der Nachkriegszeit zu ihrer fortgesetzten Kriminalisierung beitrugen. Nach dem Ende der Nazizeit bildeten diese Akten auch eine Entscheidungsgrundlage für die Ablehnung von Wiedergutmachungsanträgen.

Der Verfolgungsdruck gegen die unangepassten Jugendlichen verstärkt sich: Am 29.9.1944 fliegt – wie Finkelgruen in seinem Buch im Detail beschreibt und wie in zahlreichen Edelweißpiratenbüchern dokumentiert worden ist (Seibert 2014, S. 56 f.) – das Versteck in der Ehrenfelder Schönsteinstraße 7-13 auf, das Waffenlager wird entdeckt, Cilly Servé mit ihren drei Kindern und die Jüdinnen Friedel Sara und Ruth Krämer sowie Paul Urbat (vgl. Finkelgruen 1980) werden festgenommen; es kommt zu einer Schießerei vor dem Haus. In den nachfolgenden Tagen werden u.a. Paul Lorent und Hans Steinbrück festgenommen; am 10.11. kommt es zu ihrer öffentlichen Hinrichtung am nur 50 Meter entfernt gelegenen Bahnhof Köln-Ehrenfeld.

Steinbrücks Plan, die Gestapozentrale im EL-DE-Haus in die Luft zu sprengen, lässt sich nicht mehr umsetzen: Um den 4.10.1944 wird die Steinbrück-Gruppe nacheinander inhaftiert, insgesamt 63 Menschen; sechs Tage später wird auch Jean Jülich wegen seiner Kontakte zu Steinbrück festgenommen. Diese Geschehnisse werden in Finkelgruens Buch (1981) im Detail beschrieben.

„Es waren Juden, die Hans versteckte. Er ging ein hohes Risiko ein, denn wer dabei erwischt wurde, dass er Juden versteckte, wurde standrechtlich erschossen.“

Dem Edelweißpiraten und Zeitzeugen Jülich liegt sehr daran, den Widerständler Hans Steinbrück vor posthumen Angriffen in Schutz zu nehmen. Sein Kennenlernen des acht Jahre älteren Steinbrück (1921 – 1944) wohl Anfang der 1940er Jahre in dessen Unterkunft in der Ehrenfelder Schönsteinstraße, eingebunden in die Kriegssituation, beschreibt Jülich in dichter Weise. Es lohnt sich, eine längere Passage wiederzugeben:
„Ferdi Steingass und ich machten uns abends auf den Weg nach Ehrenfeld, und wir wurden von Barthel Schink in die Schönsteinstraße geleitet, wo Hans Steinbrück wohnte und seine Gruppe Unterschlupf gefunden hatte.

Das ganze Dreieck Venloer Straße, Schönsteinstraße und Marienstraße war ausgebrannt. Hans hatte sich in einem Hinterhof eine kleine Wohnung zurechtgezimmert, in der er mit seiner Lebensgefährtin Cilli wohnte. Er war im KZ-Außenlager Köln-Messe inhaftiert gewesen und dort zu einem Bombenräumkommando abgestellt worden. Es ist müßig, zu erklären, dass es sich dabei um ein so genanntes „Himmelfahrtskommando“ gehandelt hat. (…) Tagsüber versteckten sie sich in ihren Katakomben und schliefen die meiste Zeit. In der Nacht aber gingen sie auf Beutezug und stahlen gezielt oder ungezielt Lebensmittel und Kleidung. Da die Männer um Hans Steinbrück illegal waren, bekamen sie keine Lebensmittelkarten und waren auf das Stehlen angewiesen. Das Diebesgut setzten sie auch für Tauschgeschäfte ein und erwarben so Waffen und Munition. Unter ihnen waren einige Kriminelle gewesen, aber in dieser inzwischen so verworrenen Zeit fragte niemand mehr danach. Außer diesen Raubzügen führten sie auch gezielte Aktionen gegen einzelne Nazis durch. (…)

Als wir Hans Steinbrück in seiner Wohnung besuchten, trafen wir dort zwei Frauen, Mutter und Tochter, und einen jungen Mann. Es waren Juden, die Hans versteckte. Er ging ein hohes Risiko ein, denn wer dabei erwischt wurde, dass er Juden versteckte, wurde standrechtlich erschossen. Insgesamt fanden, wenn auch zum Teil nur für kurze Zeit, fünf Juden hier einen sicheren Unterschlupf. Angeblich hatten die Frau und ihre Tochter Hans Geld dafür angeboten, das er jedoch nicht angenommen hat.“ (Jülich, S. 61-63)

Insbesondere diese Sachverhalte waren Peter Finkelgruen bei seinen Recherchen und Interviews mit Edelweißpiraten in den Jahren von 1975 – 1981 immer wieder berichtet worden. Er hat sie in seinem Buch in detaillierter Weise aufgearbeitet.

Gestapohaft im EL-DE-Haus

Auch der 14-jährige Jean Jülich wird am 10.10.1944 nach einer waghalsigen Aktion inhaftiert und im Gestapo-Hauptquartier EL-DE-Haus gefoltert. Zellennachbarn sind u.a. die unmittelbar danach hingerichteten Barthel Schink und Franz „Bubbes“ Rheinberger. Jülich wird ohne Gerichtsverfahren u.a. im Gestapo-Gefängnis in der Abtei festgehalten. Über diese harte Zeit berichtet er ausführlich in seiner Autobiografie (S. 73-98). Im März 1945 stehen amerikanische Panzer vor Jülichs Gefängnis, viele Mithäftlinge waren gestorben – Jean Jülich wird befreit.

Seinen von Behauptungswillen und Neugierde geprägten Lebenslauf nach Kriegsende beschreibt er gleichfalls ausführlich. Als Karnevalist wird der „geborene Vereinsmeier“ (S. 143) in Köln, insbesondere in „seiner“ Südstadt“, bald eine Berühmtheit, eine Institution. 1961 greift Jean den Vorschlag seines Freundes Sally Kessler, Vorsitzender der Synagogengemeinde Köln, auf und organisiert die erste Karnevalsveranstaltung nach der Nazizeit in der Synagoge. 1934 war noch ein vulgär antisemitischer Wagen im Kölner Karnevalszug mitgefahren – der „Palästina-Wagen“. Diese Parole und Strategie bildet, hierauf sei verwiesen, heute bekanntlich ein Kernelement sowohl „linker“ (BDS) als auch „rechter“ antisemitischer Gruppierungen. 1962 gibt es noch eine Wiederholung der Karnevalveranstaltung in der Synagoge (S. 141f.), dann findet die Idee ein abruptes Ende.

Peter Finkelgruen als Redner auf der Trauerfeier für Jean Jülich, Oktober 2011, (c) Jan Krauthäuser

Ein halbes Jahrhundert später, 2019, ist die Idee durch die neu entstandene jüdische Karnevalgruppe Die Kölsche Kippaköpp übrigens wiederbelebt worden. Ein Jahr zuvor war bereits ein jüdischer Karnevalwagen, von der Menge umjubelt, beim Düsseldorfer Rosenmontagszug mitgefahren.

In seiner Autobiografie sowie in zahlreichen Interviews hat Jean Jülich mehrfach erwähnt, dass er die politische Bedeutung und Reichweite seiner eigenen antifaschistischen Aktionen bei den Edelweißpiraten nicht sehr hoch veranschlage: Wirklichen „Widerstand“ habe er als Jugendlicher in der Nazizeit – bei Kriegsende war er 16 Jahre alt (!) – nicht geleistet, zu den Waffen habe er mit 16 Jahren nicht gegriffen, große persönliche Opfer habe er nicht gebracht.

1978: Jean Jülichs Brief an „Monitor“

Auch über seine Freundschaft mit Peter Finkelgruen und seine von Finkelgruen angeregte Auszeichnung durch Yad Vashem (S. 160-182) schreibt Jülich ausführlich und in sehr persönlicher Weise. Trotz seiner Bekanntheit in Köln sei er bis 1978 – bis zu der auch von Finkelgruen angeregten Monitor-Fernsehsendung (23.5.1978)[xi] über den Edelweißpiraten Schink – nie auf die Edelweißpiraten angesprochen worden. Das Thema war ein Tabu, die wenigen Unangepassten galten Vielen als „Nestbeschmutzer“ und „Kriminelle“. Nach der Sendung schreibt Jülich an die Monitor- Redaktion, dass er selbst auch ein Edelweißpirat sei und seinen „Grünen Ausweis“ zurückgeben werde, wenn man Schink nicht zumindest posthum anerkennen werde. Seitdem trat Jülich gemeinsam mit seinen Freunden Fritz Theilen, Wolfgang Schwarz und „Mucki“ Koch in Köln immer wieder als Zeitzeuge auf.

(c) Jan Krauthäuser

Nach der Monitor-Sendung wird Jean Jülich – hier schließt er nun direkt an ein zentrales Kapitel von Finkelgruens Buch „Soweit er Jude war…“ (1981) an – vom Leiter des Kölner Amtes für Wiedergutmachung, Dr. Dette, zu einem Gespräch in die Kölner Bezirksregierung eingeladen. Dieses Gespräch prägte sich wegen seines verstörenden Verlaufs tief in die Seele des Edelweißpiraten Jülich ein. Jülich erinnert es in seiner Autobiografie (2003) in dieser Weise:

„Gewissen Leuten schien mein Auftreten in der Öffentlichkeit nicht zu passen, jedenfalls erhielt ich Mitte der achtziger Jahre[xii] einen Anruf vom damaligen Dezernenten des Amtes für Wiedergutmachung, Herrn Dr. Dette. Er bat mich um ein Gespräch. Ich nahm meinen Freund Peter Finkelgruen mit, der ja auch anerkannt politisch Verfolgter ist. Dr. Dette begann sofort, Peter Finkelgruen zu beschimpfen. Ich war völlig überrascht. (…) Dann brach Dr. Dette abrupt sein Gespräch mit Peter Finkelgruen ab. „Wissen Sie, auch, dass der Schink Sie damals verpfiffen hat?“, fragte er mich in einem abstoßenden Tonfall. (…) Natürlich habe ich noch oft über dieses Gespräch nachgedacht. Wie kann ein Mann, der doch eigentlich dazu berufen ist, sich um das Schicksal der politisch Verfolgten zu kümmern, sie fachkundig zu beraten, sich so verhalten?“ (S. 176f.)

Die Ehrung durch Yad Vashem: „Es war wirklich überwältigend“

Als seine bevorstehende Auszeichnung durch Yad Vashem Anfang 1984 bekannt wird gilt Jülich unerwartet als eine öffentliche Person, als ein glaubwürdiger Zeitzeuge. Im April 1984 reist er gemeinsam mit Finkelgruen, Hellfeld und Schwartz nach Jerusalem – für ihn eine prägende Erfahrung. Jülich schreibt hierzu:

„Peter Finkelgruen führte uns zunächst durch die Ausstellung. Die Fotos aus den Konzentrationslagern, die Fernsehaufnahmen, die Namenslisten der Ermordeten, das alles ging uns im wahrsten Sinne so unter die Haut, dass wir hinterher lange Zeit brauchten, um diese Eindrücke zu verarbeiten. Nach dem Besuch der Ausstellung schwiegen wir betroffen. Es dauerte eine Stunde, bis wir zaghaft wieder ein paar Worte miteinander wechselten.“ (S. 165) Kurz danach hält Jülich bei einem Symposium in Jerusalem eine kurze Ansprache. Hierbei meldeten, so erinnert er sich, „bestimmt drei Dutzend ehemaliger Kölner Juden, die nach Israel ausgewandert waren“ (S. 168) zu Wort und erkundigten sich teils „in waschechtem Kölsch“ nach ihrer früheren Heimatstadt: „Ich war erschüttert. Hinter all den Fragen spürte ich das Heimweh dieser Menschen, die man aus ihrer Heimat vertrieben hatte und die in ihrem Herzen immer noch ein bisschen Kölsche waren. Es war wirklich überwältigend.“

Schild und Baum in Yad Vashem, (c) Jan. Ü. Krauthäuser / Edelweißpiratenfestival

Der Mutmacher

Jean Jülich bleibt sich zeitlebens treu. Immer wieder tritt er als Zeitzeuge auf, häufig zusammen mit Gertrud „Mucki“ Koch, insbesondere auch beim von Jan Krauthäuser und dem Edelweißpiratenclub jährlich veranstalteten Edelweißpiratenfestival in der Kölner Südstadt. In einem dort aufgenommenem Interview, „Edelweißpiraten sind treu“ überschrieben (Krauthäuser/Mescher/de Torres 2016, S. 10-13), spricht Jülich gleichfalls in sehr unprätentiöser Weise über ihre Unangepasstheit in der Nazizeit, die für einige seiner Freunde mit dem Tode endete. Nach seinem Tode, 2013, wird innerhalb des Kölner Stollwerk-Geländes eine winzige Gasse – der Jean- Jülich Weg (Untertitelung: „Kölner Edelweißpirat, Förderer sozialer Projekte, Zeitzeuge zur NS-Zeit“) – in der Kölner Südstadt nach Jülich benannt. Bei der Einweihungsfeier erscheinen 250 Menschen.

(c) R. Kaufhold

Ein Nachtrag: Jean Jülichs und Fritz Theilens öffentliches Wirken, ihre Autobiografien, ermutigten weitere Edelweißpiraten, etwa ab dem Jahr 2000, sich erstmals öffentlich zu den Edelweißpiraten, zu denen sie gehört hatten, zu bekennen. Ein bekanntes Beispiel ist Hans Fricke (1926 – 2015); siehe auch Frickes Erinnerungsbericht. Fricke erhielt 2011 von Oberbürgermeister Roters das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Ein weiteres Beispiel ist der 1930 in Köln geborene Peter Schäfer. Dieser trat ab 2004 öffentlich als Zeitzeuge auf, auch regelmäßig beim Edelweißpiratenfestival, wo er u.a. auch mit der Mundharmonika die alten Edelweißpiratenlieder vortrug. 1943, dreizehnjährig, stieß er zu den Edelweißpiraten, wurde 1944 verhaftet, im EL-DE Haus verhört und im innerstädtischen Gefängnis „Klüngelpütz“ inhaftiert. 2007 wurde er vom LVR mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet.

Im Rahmen der Edelweißfestival-Veranstaltungsreihe (s.o.) trat er 2004 als Zeitzeuge auf, sein erster öffentlicher Auftritt. Jan Krauthäuser hat die Szene anschaulich beschrieben: „Peter war die Liebenswürdigkeit in Person und freute sich in nahezu kindlicher Weise über die späte Anerkennung seiner Jugendbewegung. Auf dem Weg durch den Wald winkte er mich zu sich, um mir zu sagen, dass er noch nie öffentlich über seine schlimme Jugenderlebnisse gesprochen habe. Er fand es zwar gut und wichtig, das nun zu versuchen. Aber er hatte „Angst, die Kontrolle zu verlieren.“ Deshalb bat er mich, ihm beizustehen und ihn notfalls zu stoppen: „Ich möchte nicht vor all den Menschen anfangen zu weinen.“ Auf der nächsten Rast fasste Peter sich schließlich ein Herz und erzählte seine traurige Geschichte. (…) Peter sprach – an einen Baum gelehnt – leise aber deutlich und häufig unterbrochen vom erstaunten Ausruf „Ich war ja erst 13, ich war noch ein Kind!“ Nach einer kurzen Besinnungspause stimmte er sein Lieblingslied aus jener Zeit an: „En dr. Blech“. Ein kölsches Spottlied der Häftlinge aus dem Klingelpütz. Musik als Widerstand und als Medizin.“ (in: Krauthäuser/Mescher/de Torres 2016, S. 23) Den Liedertext und weitere Hintergründe zum Lied finden sich hier.

Gertrud „Mucki“ Koch (2006): Meine Jugend als Widerstandskämpferin

Gertrud Koch, 1924 in Köln als Gertrud Kühlem geboren und aufgewachsen, war eine Edelweißpiraten. Die Begeisterung für das Unangepasstsein war bei ihr, familiär begünstigt, quasi von Anfang an mit politischem Widerstand verbunden: Ihr Vater hatte sich bereits früh den Kommunisten angeschlossen. Hierfür zahlte er einen sehr hohen Preis: Er „verstarb“ 1942 im Konzentrationslager Börgermoor. Dieses in Norddeutschland, bei Surwold gelegene KZ war bereits 1933 errichtet worden und stand unter der Kontrolle der SS-Gruppe West.[xiii] Dorthin wurden ab 1933 vor allem politische Gegner aus den Industriestandorten Rhein und Ruhr verschleppt, hierunter „Muckis“ Vater. Die Ablehnung der Nationalsozialisten war für Mucki  eine Selbstverständlichkeit.

Die 2016 im Alter von 92 Jahren verstorbene Gertrud „Mucki“ Koch war in Köln seit dem Erscheinen ihrer Autobiografie gewissermaßen eine Berühmtheit: Immer wieder trat sie als Zeitzeugin auf, insbesondere auch beim seit 2005 jährlich stattfindenden Edelweißpiratenfest in der Kölner Südstadt.

(c) Jan Krauthäuser

„“Hallo, Mucki“, begrüßte mich der Drucker. Meinen richtigen Vor- und Nachnamen kannte er nicht, nur diesen Spitznamen“

Erstmals in einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird sie 2006 mit dem Erscheinen ihrer bei Rowohlt erschienenen Autobiografie; diese hatte sie mit Unterstützung der Lektorin Regina Carstensen verfasst. Zuvor, so schreibt es Werner Jung im Vorwort ihres Buches, habe sie nie über ihre widerständige Jugendzeit gesprochen. Bei einem Besuch im EL-DE-Haus, wohl im Jahr 2000, habe sie erstmals über ihre Verfolgungserlebnisse während der Nazizeit berichtet. Die Bilder der Ausstellung riefen die traumatischen Erlebnisse wieder hervor. Die Chance, diese in einer Autobiografie zu bezeugen, wirkte kurativ und verlieh ihr die Stärke, sich den traumatischen Erlebnissen zu stellen. Sechs Jahre später war das Buch fertig.

Das Buch ist in einfacher Sprache im Stile eines Jugendromans geschrieben.

Als Jugendliche tritt Mucki Koch der Bündischen Jugend und den Roten Jungpionieren bei; nach deren Illegalisierung arbeitet sie bei einer unabhängigen Edelweißpiraten-Gruppe weiter. Im Vordergrund steht anfänglich der Wunsch, sich durch die eigene Kleidung, die eigenen Lieder dem Konformitätsdruck zu entziehen. Dies teilt sie mit allen etwa 3000 Jugendlichen, die bei den Edelweißpiraten mitmachten. Mucki Koch, politisch „geschult“, geht rasch jedoch noch einen Schritt weiter hin zum Aufbau einer klandestin arbeitenden kleinen Untergrundgruppe. Sie beschreibt diese Entwicklung, die mit der Verweigerung des Zeigens des Hitlergrußes beginnt, so:
„Wir wollten zudem frei sein, wir wollten frei wandern und singen können, wir wollten unsere Kleidung und unser Aussehen selbst bestimmen – alles Wünsche, die unter dem nationalsozialistischen Regime undenkbar waren. Und für die wir kämpfen wollten. Bislang hatten wir keine konkreten Pläne, was wir gegen das Hitler-Regime unternehmen konnten. Aber wenn wir tatsächlich Widerstand leisten wollten, das wurde uns in diesem Augenblick bewusst, dann mussten wir eine eigene Gruppe bilden und uns einen Namen geben.“ (S. 88)

Den Beitritt beim Bund Deutscher Mädel verweigert sie aus politischen Gründen, was ihr Schwierigkeiten in der Schule einbringt: „Ich traf in dieser Zeit eher auf Hitler-Jugendliche, die mich bekehren wollten. Einer der Jungen fragte mich einmal: „Warum geht ihr denn nicht mit uns? Es ist doch toll bei uns.““ (S. 92), erzählt sie.

(c) Jan Krauthäuser

Ihr Vater wird 1934 erstmals für neun Monate inhaftiert. Angst ist ihr früh vertraut, aber ihre Bereitschaft zur Gegenwehr wächst auch: „Ich litt extrem darunter, dass man mir meinen Vater weggenommen hatte. Ich hing sehr an ihm. Den Gedanken, dass man ihn schlug, konnte ich kaum ertragen. Am meisten vermisste ich die Abende, an denen ich stundenlang mit ihm auf dem Ledersofa saß und wir zusammen Bücher lasen, ja aufsaugten.“ (S. 63)

Gertrud, die sich mit 14 Jahren in ihrer illegalisierten Gruppe den Tarnnamen „Mucki“ zulegt, den sie auch später verwendet, beteiligt sich am Herstellen und Verteilen illegaler Flugblätter; weiterhin schreibt sie antinazistische Parolen auf Hauswände wie „Macht endlich Schluss mit der braunen Horde!“ und „Soldaten legt die Waffen nieder.“ (S. 97) Die Atmosphäre der Illegalisierung verstärkt das Misstrauen, auch untereinander. Bei ihren Treffen in Köln sowie in der ländlichen Umgebung haben sie stets Angst vor einem eingeschleusten Spion der HJ.

Am Edelweißpiraten-Denkmal Köln, © R. Kaufhold

Flugblattregen in der Glaskuppel des Kölner Hauptbahnhofs

Die gefährlichste und spektakulärste Aktion ihrer Jugendgruppe – die sie am Anfang ihrer Autobiografie (2006, S. 13-23) wiedergibt und die an Sophie Scholls sechs Monate später (18.2.1943) stattfindende Flugblattaktion in der Münchner Universität erinnert – ist ein konspirativer „Flugblattregen“ von der Glaskuppel des Kölner Hauptbahnhofes im August 1942 aus; da ist sie 18 Jahre alt. Die Flugblätter hatte zuvor ein Freund in seiner kirchlichen Druckerei gedruckt; sie lagerten diese Flugblätter zuvor an mehreren geheimen Orten, meist Ruinen von zerstörten Häusern. Es wird in ihren niedergeschriebenen Erinnerungen nicht deutlich, ob sie sich der existentiellen Gefährlichkeit ihrer Aktion im Hauptbahnhof bewusst ist. Sie, deren Vater im gleichen Jahr im KZ „verstirbt“, verdrängt vermutlich die Angst, um die Fähigkeit zum Handeln nicht zu verlieren. Sie schreibt:

„Uns war nicht bewusst, welchen Gefahren wir uns damit tatsächlich aussetzten. Und wir sahen keine andere Möglichkeit, gegen den Krieg und das Unrecht anzugehen. Wir konnten nicht tatenlos zusehen. Die Menschen mussten wissen, dass es da welche gab, junge Leute, die gegen die Unrechtsdiktatur waren. Wären es mehr gewesen, die wie wir gedacht und gehandelt hätten, wäre das Dritte Reich vielleicht besser ausgegangen. Wenn wir Widerstand nicht für richtig gehalten hätten, hätten wir keinen ausgeübt. Es war eine Selbstverständlichkeit gegen Hitler zu kämpfen. Es war unser Untergang, das wussten wir.“ (S. 14)

Mucki Kochs innere Ambivalenz ist erkennbar, wenn sie in ihrer Rückerinnerung, 70 Jahre später, im ersten Satz die Gefahr verneint (sofern es sich um keinen Fehler des Lektorats handelt) und am Ende denn doch einräumt.

Anfangs trägt sie das Edelweißabzeichen, das „interne“ Erkennungszeichen der Edelweißpiraten, noch offen; ab 1943 ist das Tragen dieses Abzeichens zu gefährlich. Ihr Vater wird erneut inhaftiert und ins KZ Esterwegen verschleppt, wo er 1942 verstirbt: „Ein paar Tage später bekamen wir einen Brief von der Lagerleitung in Esterwege. Darin teilten sie uns das Schicksal meines Vaters mit: „Auf der Flucht erschossen.“ Kurz und bündig. Mehr stand nicht in dem Schreiben.“ (S. 128)

Verhöre und Misshandlungen im EL-DE-Haus

Der Verfolgungsdruck nimmt immer weiter zu. Sie beteiligt sich auch in umliegenden Städten an illegalen Sprüh- und Flugblattaktionen. Immer mehr Freunde werden inhaftiert. Auch Gertrud Koch wird 1942 festgenommen, im EL-DE Haus der Gestapo u.a. durch Josef Högen brutal verhört und misshandelt; sie wird mehrere Monate lang im Gestapogefängnis Brauweiler festgehalten. Zu den Verhören schreibt sie u.a.: „Die einzelnen Verhöre dauerten mal zehn Minuten, dann auch wieder zwei oder drei Stunden. Jedes Mal wollte Hoegen wissen, wo sonst noch „Nester“ wären. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte es ihm nicht sagen können. Ich wusste es nicht. Jede einzelne Edelweißgruppe funktionierte selbständig.“ (S. 176) Irgendwann erleidet sie in der Einzelzelle einen Nervenzusammenbruch.

Sie zerbricht langsam unter den Misshandlungen, der Folter, zugleich wächst hierdurch jedoch der Widerstandsgeist der knapp 20-Jährigen:
„Sollten sie mich doch totschlagen, mich würden sie nicht verbiegen können. Die grausamen Schläge zeigten mir auch, dass sie Angst hatten. Sie fürchteten den jugendlichen Widerstand der Edelweißgruppen. Hätten sie sonst so viel Aufhebens um meine Person gemacht? Ich musste an unsere Anfänge denken, als wir in unseren bunten Kleidern kleinere und größere Zusammenstöße mit der einheitlich uniformierten Hitlerjugend hatten. Wie harmlos war das alles noch gewesen im Vergleich zur Gestapo!“ (S. 185)

Sechs Seiten weiter schreibt sie, sich erinnernd: „Tag für Tag wurde ich nun wieder von Hoegen oder seinen nicht weniger grausamen Stellvertretern verhört und geschlagen. Tag für Tag ging ich in die Zelle zurück, ohne ein Wort gesagt zu haben. Ich sah ihren Gesichtern an, dass sie mir am liebsten den Hals umgedreht hätten.“ (S. 191)

Mucki Koch mit Jan Krauthäuser

Von Freunden wird ihr von der öffentlichen Hinrichtung der 13 Widerständler am 10.11.1944 in Ehrenfeld berichtet. Die posthume Rehabilitation von Hans Steinbrück ist ihr in ihrer Autobiografie besonders wichtig. Über ihn schreibt sie u.a.: „Der Bombenhans. Hans Steinbrück. Ich kannte ihn nicht persönlich, aber meine Mutter hatte mir von ihm erzählt, als wir abends im Stroh lagen. (…) Er war ein Abenteurer, der erst richtig in Köln aktiv wurde, als unsere Edelweißgruppe kaum noch Möglichkeiten sah, den Widerstand fortzusetzen. Er war aus dem KZ-Außenlager Köln-Messe geflohen und hatte andere Geflüchtete, Juden, Deserteure und so genannte arbeitsvertragsbrüchige Zwangsarbeiter, um sich gesammelt. Im Keller eines Hauses in Ehrenfeld hatte er Unterschlupf gefunden und ein umfangreiches Waffen- und Lebensmittellager angelegt. In diesem Keller lebten zeitweilig auch untergetauchte Juden und Zwangsarbeiter. (…) Er kannte sich (…) mit Munition aus und soll sogar die Idee gehabt haben, das EL-DE-Haus in die Luft zu sprengen. Eine nachvollziehbare Idee.“ (S. 235)

Irgendwann gelingt ihr auf abenteuerlichen Wegen die Flucht. Sie trifft ihre Mutter wieder, gemeinsam leben sie bis zum Ende des Krieges auf einem Bergbauernhof. Nach dem Krieg engagiert sie sich bei der KPD, was während des „Kalten Krieges“ eine angemessene, auch nur partielle Erinnerung an den Widerstand in der Nazizeit zusätzlich erschwerte. Erst durch ihre späte Autobiografie (2006) wurde dieser Teil der Geschichte der Edelweißpiraten wiedererinnert – nach 61 Jahren.

„… die Krönung meines Lebens“

Ihre symbolische Rehabilitation durch den von Jürgen Roters in beachtlicher Hartnäckigkeit durchgesetzten Festakt im Jahr 2005 war „für mich (…) die Krönung meines Lebens.“ Mit dieser Bemerkung endet das Buch. 2007 werden sie, Jean Jülich und Peter Schwarz mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet, 2011 erhält Mucki Koch das Bundesverdienstkreuz.

Ihre kölsche Erzählgabe ist in einer Audiobiografie „Erlebte Geschichte“ des NS-Doks zu hören; ein weiteres kurzes Interview wurde im Band von Krauthäuser/Mescher/de Torres (2016, S. 24-26) publiziert. 2014 veröffentlichte der WDR in seiner Sendereihe „Erlebte Geschichte“ ein 22-minütiges Erzähl-Portrait

Einer ihrer letzten öffentlichen Auftritte ist am 10.11.2013 bei der jährlichen Erinnerungsveranstaltung am Ehrenfelder Mahnmal; eine filmische Dokumentation ist erhalten geblieben. Sie verstirbt, weitgehend erblindet, am 20.6.2016 im Alter von 92. Eine Gesamtschule in Troisdorf bei Köln wird posthum nach ihr benannt. Schüler dieser Schule treten 2019 in eindrücklicher Weise erzählend und musizierend beim Edelweißpiratenfest auf.

Auf der Website der Gesamtschule wird zur Namensbenennung hervorgehoben: „Mit Gertrud Koch verstarb am 20. Juni 2016 das letzte bekannte Mitglied der Edelweißpiraten. Durch die Namensgebung unserer Schule wollen wir ihr und den anderen Edelweißpiraten ein Andenken setzen.“ 

 

Jugendromane: Dirk Reinhardt (2012), Elisabeth Zöller (2013) und Felicita Horstschäfer & Frank Maria Reifenberg (2019)

Je länger die Diskussion über die Edelweißpiraten andauerte desto stärker wurde die Auseinandersetzung auch im kulturellen Bereich ausgefochten: 1980 inszenierte das Schauspielhaus Köln eine Aufführung zum Schicksal der vergessenen Edelweißpiraten. Es erschienen mehrere Kinofilme, angefangen von den bereits erwähnten Nachforschungen über die Edelweißpiraten von Dietrich Schubert (1980), Niko von Glasows (2004) Kinofilm „Edelweißpiraten“ bis hin zu Nicole von der Gathens (2015) familiärer Spurensuche: Die Edelweißpiraten – Jugend-Opposition im Dritten Reich (ZDF). In diesem familienbiografischen Film spürt die Autorin den ihr vollständig unbekannten Spuren über ihren Vaters, einem Edelweißpiraten, nach. Sie wusste nur, dass er in der Nazizeit wegen Mordversuches in Haft saß. Hieraus entstand die filmische Dokumentation; auch der Historiker Martin Rüther sowie Gertrud Koch als Zeitzeugin kommen hierin zu Wort.

Es gab zahlreiche Versuche, das Thema als Stoff für Jugendliche literarisch aufzuarbeiten; A. Goebs (1981) teils spekulativ anmutendes Buch ist dem auch zuzurechnen. 2012 legte Dirk Reinhardt den Roman Edelweißpiraten vor, der sich, wie der Autor im Nachwort anmerkt, an Jean Jülich und Fritz Theilens Biografie anlehnt, diese jedoch literarisch weiterentwickelt. Beiden widmet er auch seinen Jugendroman. In zwei Erzählsträngen berichtet der Autor für Jugendliche über die Protagonisten Gerle und Flint, ihren Mut, ihre Solidarität, ihr Leiden. Über das gescheiterte Attentat gegen Hitler wird von einem der Protagonisten in dieser Weise erzählt: „In den ersten Tagen nach dem Attentat waren wir ziemlich niedergeschlagen. Aber nicht lange. Dann haben wir uns gesagt, dass es eigentlich keinen Grund gibt, die Köpfe hängen zu lassen. Gut, die Sache ist schiefgelaufen, aber: besser ein gescheitertes Attentat als gar keins. Flint hat das gesagt, und er hat verdammt recht damit. Denn die Sache zeigt doch, dass es noch `n paar mutige Leute gibt. Sogar unter denen da oben. Vielleicht sind´s ja mehr, als wir glauben. Vielleicht war´s nur der Startschuss!“ (S. 158)

Das Kriegsende wird aus der Perspektive der Protagonisten so beschrieben:

„Anfang März kapitulierten die nationalsozialistischen Herrscher auch in Köln. Am 1. März ordnete Gauleiter Josef Grohé die Evakuierung des linksrheinischen Kölns an. Am 5. März begann die 3. Spearhead-Division der 1. US-Armee mit dem entscheidenden Angriff auf Köln“.[xiv] Das „Ende“ beschreibt Reinhardt im vorletzten Kapitel, „1. März 1945“ betitelt, so: „Die Edelweißpiraten gibt´s nicht mehr. Unser Käptn ist tot! Es ist keiner mehr da, der das Schiff steuert. Tom, Flocke, Frettchen und ich: Wir sind noch vier Leute, die versuchten, irgendwie zu überleben. Das ist alles – mehr ist uns nicht geblieben.“ (S. 236) Im Nachwort hebt Reinhardt „den Mut und den Anstand“ dieser unangepassten Jugendlichen hervor, „sich gegen ein Unrechtsregime zur Wehr zu setzen.“ (S. 254)

Einigen Rezensenten erschien die Konstruktion der Handlung etwas bemüht.

Ein Jahr später erschien Elisabeth Zöllers Werk Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife. Ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten (2013). Auch diese krimiartige Erzählung, die u.a. am Köln-Ehrenfelder Takuplatz spielt, lehnt sich an Fritz Theilens Autobiografie an. Der Verfolgungsdruck der Gestapo wird beschrieben, dem sich die Protagonisten nicht beugen, sondern auf den sie mit Mut und der Protagonist Paul mit einer tollkühnen Märtyreraktion reagiert.

Soeben (2019) ist der von Frank Maria Reifenberg (mit Illustrationen von Felicita Horstschäfer) verfasste Briefroman „Wo die Freiheit wächst. Briefroman zum Widerstand der Edelweißpiraten“ erschienen. Er handelt im Jahr 1942. Die 16-jährige Lene Meister, Auszubildende in einem Friseursalon, erlebt die Bombenangriffe, zweifelt immer mehr am Krieg. Ihr Freund Erich ist bei den Edelweißpiraten. Schrittweise wachsen sie in den jugendlichen Widerstand hinein. Lene erzählt in diesem Briefroman ihre gemeinsame Geschichte, ihre Aktivitäten gegen den Nationalsozialismus: Anfangs singen sie nur ihre Lieder, werden aber bereits deshalb vom totalitären Regime, in dem sie aufwachsen, bedroht und verfolgt. Die Notwendigkeit, sich gegen das Unrecht zu wehren, verleiht ihnen Mut. Eine Unterscheidung zwischen „friedlichem“ Protest und „gewaltsamem“ Widerstand, wie sie von einigen Publizisten immer wieder vorgenommen wurde, erscheint im Briefroman als wirklichkeitsfremd: Sie beschmieren Wände mit Anti-Nazi-Parolen, dann verteilen sie Flugblätter. Sie erleben die Sinnlosigkeit des Krieges. Der Konflikt, der nationalsozialistische, antisemitische Terror, spiegelt sich auch innerfamiliär wieder: Lenes Vater gilt als „vermisst“. Später erfährt sie, dass er als Sozialist in einem KZ sein Leben verlor. Ein Bruder von ihr entwickelt sich zu einem „Vorzeigenazi“, ein anderer Bruder kämpft an der „Ostfront“. Die Schwestern wachsen zwischen Trümmern auf, ihre Mutter ist von der Lebenssituation völlig überfordert. Ihre Briefe, die den Strang der Handlung konstruieren, schickt Lene an drei enge Freunde. Einer ihrer Briefpartner, Franz, berichtet an der „Front“ vom Grauen des Krieges, des Häuserkampfes in Stalingrad, von seinen wachsenden Zweifeln am „Sieg“. Er stirbt in Stalingrad; seine Zweifel, und was er später damit gemacht hätte, erlöschen mit seinem Tod.  Das Ende der Geschichte dieser beiden Edelweißpiraten bleibt offen: Der letzte Text hängt noch in der Schreibmaschine.[xv]

Winfried Seibert (2014): Die Kölner Kontroverse

2014 legte ein Kölner Jurist, Winfried Seibert, noch einmal nach. Erneut, sogar nach ihrem Tode, stehen die ganz wenigen Jugendlichen, die sich in der Nazizeit „verweigert“ hatten, im Fokus – und nicht die übergroße Mehrheit der Täter, der Mitläufer, der Angepassten. Bereits 1980 hatten Peukert und von Hellfeld diese anklagende „Kölner Kontroverse“ beschrieben – nun wird sie 34 Jahre später erneut aufgelegt, diesmal mit einem juristischen Schwerpunkt und von einer offenkundig eher „konservativen“ Perspektive aus. Wirklich alle Protagonisten, die sich in der Nazizeit nicht angepasst hatten, und diverse Autoren werden im Detail auf ihre „Widersprüche“ hin seziert. Seibert hatte über Jahrzehnte als Anwalt mit Wiedergutmachungsanträgen zu tun und hatte auch als FDP-Mitglied Peter Finkelgruen gekannt. Peter Finkelgruen erinnert sich heute, dass Seibert von ihm parteiintern vor allem als „dem Linken“ sprach. Der Groll scheint bis heute noch nicht verflogen, so mein Eindruck.

Auf der anderen Seite hatte Seibert verschiedentlich auch Finkelgruens Exil-Pen als Anwalt vertreten. Besonders erinnerlich ist Finkelgruen dessen Initiative, mit der er dagegen Schritte unternahm, dass viele Romane von vertriebenen deutschen Schriftstellern nach dem Krieg von Verlagen gedruckt wurden, ohne an deren Nachkommen Tantiemen zu bezahlen.

Seiberts Buch über die „Kölner Kontroverse“ habe ich als teils „problematisch“ empfunden. Teils ist es in einer mir unangenehmen Diktion verfasst. Ob dies dabei hilfreich ist, Biografien und Überlebensversuche einiger Weniger in einer brutalen Diktatur Aufgewachsener angemessen zu verstehen dürfte eine individuelle Entscheidung sein. Mit Finkelgruens Herangehensweise dürfte es eher nicht kompatibel sein.

Gelegentlich drängt sich mir bei der Lektüre auch der Wunsch nach Ironisierung auf, etwa wenn Seibert über die – von mir bereits mehrfach erwähnten – beiden Monitor-Sendungen über Bartholomäus Schink vom April und Mai 1978 schreibt. Monitor, daran sei erinnert, galt seinerzeit insbesondere bei Konservativen als ein ausgeprägt „linkes“ Sendeformat. Einige ausgeprägt  Konservative verwendeten bei ihrer Antipathie gegen dieses seinerzeit kritische Fernsehmagazin auch gerne den Kampfbegriff des „Kampagnenjournalismus“. Wie immer man das einschätzen mag: Seibert bezeichnet die ein knappes halbes Jahrhundert alten (!) Monitor-Beiträge über die Edelweißpiraten als eine „Unwertung“ (S. 132), womit er offenkundig ein deutlicheres Wort zu umgehen versucht. Der zweite, vom Journalisten Rüdiger Hoffmann verfasste Monitor-Beitrag ist für Seibert „härtester Kampagnenjournalismus“ (ebd.). Im Folgenden hebt er hervor, dass „jugendliche Opfer“ (also die 1944 ermordeten Edelweißpiraten) „einen besonderen Emotionswert“ (ebd.) hatten. Es sei daran erinnert, dass dies einer der ersten journalistischen Beiträge über die vergessenen und seinerzeit noch „verrufenen“ Edelweißpiraten überhaupt war, durch den  „das gesellschaftliche Schweigen“ erstmals ansatzweise durchbrochen wurde. Wenige Monate später erschienen Finkelgruens beiden Beiträge über die Edelweißpiraten in der Frankfurter Rundschau. Diese hatten Gerhart Baum übrigens dazu veranlasst, Finkelgruen bei einem zufälligen Treffen auf der Straße in Köln zuzurufen: „Sie übernehmen ja die Frankfurter Rundschau!“[xvi]  Es dauerte bekanntlich noch 27 Jahren, bis diese Erkenntnis auch eine politische Korrektur erfuhr, durch Jürgen Roters symbolischer Anerkennung im Kölner Regierungspräsidium. Seibert fügt nun – im Jahr 2014 – über besagte Monitor-Sendung hinzu: „Der Bericht, man muss es leider konstatieren, war von Anfang bis Ende in unverantwortlicher Weise manipuliert. Zugleich war er die wirkungsvollste Quelle der Legende.“ (Seibert, S. 132f.)

Auf der anderen Seite beklagt Seibert in seinem Vorwort die mangelnde bzw. die vollständig ausgebliebene juristische „Aufarbeitung“ der Hinrichtung der elf Zwangsarbeiter sowie der 13 Widerständler und Jugendlichen (10.11.1944) vor dem Ehrenfelder Bahnhof: „Bestraft wurde (…) niemand. Keine Täter, keine Strafen, keine Entschädigung. Das war zu wenig. Wenn der Staat das nicht zuwege brachte, dann musste er doch wenigstens die Opfer als Widerstandskämpfer anerkennen und angemessen ehren.“ (S. 9)

Besonders stört ihn die Vermengung zwischen der Ehrenfelder Widerstandsgruppe und den Edelweißpiraten. Dass B. Schenk hierbei eine zentrale Rolle zugewiesen wurde, insbesondere durch Goebs (1981) frühen Jugendroman, empört  ihn. Ganz unerwartet  streut er im Vorwort seiner Studie ein, dass „1968 (…) dabei gewiss eine Rolle“ spiele (S. 9) – nur dass 1968 noch kein Mensch über die Edelweißpiraten sprach… Das Schweigen hielt noch ein Jahrzehnt an. Die Täter waren in Amt und Würden bzw. wurden geschützt. Die Opfer schwiegen, bzw. sie begegneten ihren Peinigern auf Kölns Straßen, teils auch in den Amtsstuben, wenn sie Anträge stellten. Finkelgruen hat in einem Gespräch über sein Buch soeben noch einmal bestätigt, wie sehr alle Kölner Opfer aus der Nazizeit, mit denen er in den Jahren von 1978 bis 1981 intensiv gesprochen hatte – woraus sein Buch entstand – Angst vor ehemaligen NS-Tätern, teils frühere Nachbarn und Bekannte, hatten. Diesen begegneten sie auf den Straßen und auf Kölns Ämtern (auch im Amt für Wiedergutmachung!) immer wieder zufällig. Ihre Ängste wuchsen nach solchen Begegnungen häufig ins Unermessliche. Die Bereitschaft, über die eigene Jugendzeit als Edelweißpirat zu sprechen, existierte bei nahezu Niemandem. Auch Jean Jülich (s.o.) hat dies hervorgehoben.

Das Trauma der jüdischen Rückkehrer

Sie, die Opfer, die Edelweißpiraten und deren Angehörigen, hatten die Ablehnung ihrer Wiedergutmachungsanträge erlebt. Und sie begriffen rasch, dass das Stellen solcher Anträge bei ihnen häufig eine erneute, zweite Traumatisierung zur Folge hatte. Ihre Ängste, ihre Albträume nahmen zu, nachdem sie die Anträge gestellt hatten. Viele empfanden die Antragstellung auf „Entschädigung“ im Rückblick auch als einen der größten Fehler ihres Lebens.

Lorenz Beckhardt (2014) hat in seiner Familienbiografie „Der Jude mit dem Hakenkreuz“ in eindrücklicher Weise beschrieben, wie sehr sein jüdischer Vater, der Rückkehrer, durch seine sich über Jahre hinstreckenden „Wiedergutmachungsanträge“ seelisch entwürdigt, vernichtet wurde: Es war der letzte Triumpf der Täter über die Opfer. Noch einmal zeigten die Dorfbewohner dem jüdischen Rückkehrer Fritz Beckhardt, dass er wirklich unerwünscht war. Er, der Jude, verkörperte die „Schuld“, ihn galt es zu vernichten. Er hätte nicht zurückkehren dürfen. Nur wenn er geschwiegen, seine Familienbiografie öffentlich ausgelöscht hätte hätte man ihn „geduldet“, ihn „toleriert“ (vgl. Kaufhold 2016d): „Nach mehrjährigen Prozessen erhält Fritz im Rahmen der „Wiedergutmachung“ einen Teil seines „arisierten“ Vermögens wieder zurück. Die quälenden Prozesse um die „Wiedergutmachung“ haben seine Gesundheit zerstört, er bezahlt sie mit drei Herzinfarkten“.

Beckhardt beschreibt den als Kind erlebten Zerstörungsprozess durch die „Wiedergutmachungsanträge“ in dieser Weise:

„Die Liebe zu Deutschland hat ihn blind gemacht. Auf Fotos und in den nuancierten Beschreibungen erleben wir einen zunehmend verzweifelnden, schwer traumatisierten, existentiell enttäuschten Menschen. Bis zum 8. Mai 1945 galten Juden in den Augen der „arischen“ Mehrheit ausnahmslos als reich. Tags darauf mussten sie beweisen, jemals etwas besessen zu haben. Für jeden Zahnstocher musste Fritz Kaufbelege vorzeigen.“ (S. 368)

Diese Beschreibungen sind erschütternd. Eine Episode: „Zum dritten Mal wechselt Fritz den Anwalt. Der neue hieß Goldberg und hatte seine Kanzlei in der Bahnhofstraße, so wie einst Berthold Guthmann. Die Jahre 1954 und 1955 verbrachten Fritz und Goldberg im Dauergefecht mit der Frankfurter Oberfinanzdirektion. Hauptstreitpunkt war die Rückerstattung des Eigentums von Emil und Hannchen, das nach der Deportation versteigert worden war. (…) Die Behörde verlangte Einsicht in Emils Konten, um zu prüfen, ob die Juden nicht vielleicht doch etwas rechtzeitig verkauft hatten. Es war immer die gleiche Masche. Die „arischen“ Beamten gaben sich ahnungslos und verlangte von den Juden Beweise für die Naziverbrechen. Ebenso gut hätte man sie zur Vorlage von Hitlers Geburtsurkunde auffordern können – als Beweis dafür, dass das Dritte Reich existiert hatte.“ (Beckhardt 2014, S. 399f. nach Kaufhold (2014d))

Peter Finkelgruen brachten vergleichbare Auseinandersetzungen, dies sei nur angedeutet, im Jahr 2009 zu seinem Hungerstreik gegen die Berliner Entschädigungsbehörde (Kaufhold 2009).  Es war seine letzte Möglichkeit des Protestes, der Gegenwehr gegen das historische und individuelle Unrecht. Er wählte die Protestform des „unbefristeten Fastens“ weniger für sich als für alle jüdischen Opfer. Er vermochte sich zu wehren – sie hingegen nicht. Nach einer Woche beendete er seinen Protest, weil die Behörde einlenkte

Seibert ist auch über drei Jahrzehnte später noch aufgebracht über die Ehrung von Schink, Jülich und Jovy durch Yad Vashem, möchte mit seinem Buch aufzeigen, „wie sehr und worin Yad Vashem tatsächlich geirrt hat.“ (S. 10) Insbesondere die Einschätzung von B. Schink sowie der „Ehrenfelder Gruppe“ um Hans Steinbrück hält er für grundlegend falsch. Er möchte, wie auch andere Publizisten, so meine Interpretation, die „bürgerlichen“ Edelweißpiraten von den „proletarischen“, den „kriminellen“ Widerständlern wie Hans Steinbrück separiert sehen. So verwundert es nicht, dass auch er mehrfach in ablehnender Weise auf Alexander Goebs frühen Jugendroman über B. Schink (1981) verweist.

Die Differenz in der Wahrnehmung und Beurteilung dürfte also vor allem politischer Natur sein. Man würde doch gerne wissen, welche Form des „Wiederstandes“ er ansonsten in Köln sah. Köln war die „Vierte Front“ (Finkelgruen), weil unangepasste Jugendliche und vereinzelte Widerständler dazu beitrugen, dass ein kleiner Teil des antisemitischen deutschen Vernichtungsapparates in Köln agieren musste, um die bescheidenen Formen des Widerstandes zu brechen.

 „Jetzt geht es zu wie bei den zehn kleinen Negerlein. Steinbrück ist nur noch der Gejagde“

Seibert stellt umfassend die Protagonisten der Edelweißpiraten (M. Jovy, B. Schink, Cilli Servé, Roland Lorent, Gestapomann Kütter etc.) vor, möchte deren Geschichte im Detail rekonstruieren und richtig stellen. Die Zugehörigkeit des am 27.11.1927 geborenen Schink zu den Edelweißpiraten erscheint ihm als nicht nachweisbar. Dessen Freund Franz „Bubbes“ Rheinberger habe ihn „einige Male zu einer Gruppe“ mitgenommen, dabei sei „auch mal Gitarre gespielt“ worden (S. 28). Im Sommer 1944 habe er sich dann der Ehrenfelder Steinbrück-Gruppe angeschlossen, die Lebensmittel- und Waffendiebstähle begangen habe. Im August 1944 habe er – „möglicherweise wollte er dadurch einer Strafverfolgung entgehen“, merkt Seibert hierzu an (S. 29) – eine Aufnahme in die Waffen-SS beantragt. Für Seibert steht fest: „In das überlieferte Bild will das gleichwohl nicht passen.“ (S. 29) Er scheint ein festes Bild davon zu haben, wie sich ein 16-jähriger Jugendlicher mitten im Krieg, existentiell bedroht, zu verhalten hat. Mehrfach verweist er auf Goebs Darstellungen, der bei seinen, literarisch angehauchten Beschreibungen des gleichfalls am 10.11.1944 hingerichteten Roland Lorent – dieser hatte den Köln—Braunsfelder NSDAP-Ortsgruppenleiter Heinrich Soentgen nach einem Zechgelage am 29.9.1944 erschossen – „keinerlei Belege“ angeführt habe (S. 50). Was die  historische und persönliche Einordnung des von Yad Vashem geehrten Barthel Schink betrifft, ein „unscheinbarer Sechzehnjähriger mit frisierter Legende“, schreibt Seibert: „Mit der Überhöhung hat man Barthel Schink gleichsam Unrecht getan, weil dadurch seine jugendliche Widersetzlichkeit, die vielleicht mehr war als teilnahmslose Nichtanpassung, übertüncht wird.“ (S. 62) Für den verzweifelten Fluchtversuch von Hans Steinbrück nach der Durchsuchung ihres Unterschlupfes in der Schönsteinstraße 7 – 15 durch eine Heeresstreife am 29.9.1944 und der Schießerei einen Tag später wählt Seibert diese Formulierung: „Jetzt geht es zu wie bei den zehn kleinen Negerlein. Steinbrück ist nur noch der Gejagde. Von Planung kann schon lange keine Rede mehr sein. Er muss sehen wo er bleibt.“ (S. 63)

In seinem Buch – dem bedauerlicherweise kein Namensregister beigefügt wurde, was die systematische Recherche erschwert – stellt Seibert ausführlich und materialienreich mehrere Entschädigungsverfahren vor, u.a. die der Verwandten von Schink sowie die von Cilly Servé (geb. 1919), Steinbrücks Lebensgefährtin; über Letztgenannte schreibt Finkelgruen in seinem Buch Soweit er Jude war… ausführlich. Ihr Entschädigungsantrag wurde 1961 vom Kölner Amt abgelehnt: „Ihre Angabe, sie sei aus politischen Gründen inhaftiert worden, treffe nicht zu.“ (S. 115) Seibert macht der Überlebenden im Folgenden, so meine Wahrnehmung, Vorhaltungen, staucht sie gewissermaßen posthum juristisch zusammen – wie sie mit ihren furchtbaren, von abgrundtiefen Ängsten angefüllten Erfahrungen, ihren Traumatisierungen, ihren Schuldgefühlen gegenüber den von den Nationalsozialisten Ermordeten, ihren Ängsten gegenüber deutschen Behörden, ihrer Müdigkeit über die barbarische deutsche Geschichte, ihrem Ekel vor den deutschen Tätern und Mördern – „umzugehen“ habe: „Sie war so etwas wie die Mutter Courage gewesen. Warum hat sie nicht geschildert, wie es in der Ehrenfelder Gruppe zugegangen ist, wer was getan hat, welche Widerstandsleistungen begangen oder wenigstens geplant gewesen waren? Hätte sie nicht das Waffenlager in einen verständlichen Zusammenhang bringen können? Warum hat sie sich nicht darauf berufen, dass sie die geflüchteten Juden bzw. Halbjuden“ (der Autor verwendet diesen Nazibegriff noch nicht einmal in Anführungszeichen; dass dieser Begriff der „Halbjuden“ einer zynischen antisemitischen Aussonderungs- und Vernichtungslogik entspricht sollte sich in akademischen Kreisen herumgesprochen haben) „aufgenommen und verpflegt hat?“ (S. 116)

Die erfahrenen Juristen und mit Finkelgruen eng befreundeten FDP-Politiker Gerhart Baum und Ulrich Klug[xvii], die sich beide bereits in den 1970er Jahren nachdrücklich und in persönlicher Weise, gemeinsam mit Finkelgruen, für die Rehabilitation der Edelweißpiraten engagiert hatten, haben eine sehr andere Sprache und Herangehensweise an diese persönlichen Tragödien gewählt. Baum etwa schreibt in seinem 1981 verfassten Vorwort zu Finkelgruens Buch: „Wo sind Finkelgruens Freunde? Er ist, wie er selbst einmal schrieb, als Jude fremd im eigenen Land. Ob er will oder nicht: er trifft hinter den Schreibtischen der Bürokratie von heute Menschen an, die ihm als Bürokraten von damals erscheinen. (…) Mit meinem Vorwort erspare ich dem Leser nicht das Nachvollziehen des Skandals, wie er sich dem Journalisten Finkelgruen darstellt. Das Buch liest sich nicht leicht: Denn auch amtliche Papiere lesen sich nicht leicht. Mich bewegt die Betroffenheit, die sich bei Finkelgruen so stark entwickelt hat. Sein Urteil ist hart: für ihn handelte der Kölner Regierungspräsident falsch; politisch, juristisch und moralisch falsch in der Beurteilung des „Falles“; alle, die sich auf sein Urteil berufen, machten sich mitschuldig.“ (Schreibmaschinenmanuskript S. 2)

„… zwei junge Historiker“

Auch Finkelgruen, von Hellfeld (und dessen Studienkollege Brock, der mit dem Thema nach meinem Wissen überhaupt nichts mehr zu tun hat; er verfasste einzig im Rahmen seines Studiums eine „Hausarbeit“, wie man es regelmäßig macht im Rahmen eines Studiums) widmet Seibert im Jahr 2014 ein eigenes, mit „zwei junge Historiker“ (S. 133-152) überschriebenes Kapitel, in dem seine Unzufriedenheit über deren politische Position bzw. Einschätzungen zum Ausdruck kommt. Hierbei bezieht er sich überraschenderweise auf den ersten, im Rahmen seines Studiums verfassten Beitrag M. von Hellfelds, den dieser noch gemeinsam mit einem Studienfreund (Brock) verfasst hatte. Auch für seinen ehemaligen linken FDP-Parteifreund Finkelgruen findet er Tadel; und er zitiert ausgerechnet eine Passage aus dieser Uni-Hausarbeit, in der beide „einen Seitenhieb auf den in dieser Sache sehr engagierten Journalisten Peter Finkelgruen“ (S. 136) formulierten. Dies könnte verwundern, hat Hellfeld nach seiner Hausarbeit im Rahmen seines Studiums doch zahlreiche wissenschaftliche Bücher über die Edelweißpiraten und über den jugendlichen Widerstand vorgelegt (u.a. von Hellfeld 1981, von Hellfeld & Klönne 1985; in: Breyvogel 1991); der jugendliche Widerstand wurde gewissermaßen zu seinem Lebensthema, auf welches er immer wieder schreibend zurückgekommen ist (u.a. von Hellfeld 2017; von Hellfelds haGalil-Begleittext zu Finkelgruens Buch Soweit er Jude war… (2019).

Weiterhin findet sich in Seiberts Buch ein Verweis auf den Entschädigungsantrag von Schinks Mutter, Frau Banten, vom 23.9.1981 gegen die Kölner Entschädigungsbehörde (Dr. Dette); die Klage wurde am 21.10.1981 abgewiesen. In einer Fußnote (S. 146) notiert Seibert (Schreibweise im Original): „Der Vertreter des Regierungspräsidenten notierte in seinem Terminbericht auch, dass etwa zehn Zuhörer anwesend gewesen seien, darunter Herr Finkelgruen. Welche Bedeutung das damals für die Behörde hatte, bleibt unklar. Immerhin wusste sie, wer dieser Zuhörer war, und fand es wichtig genug, ihn zu erwähnen.“

Martin Rüther (2015): „Senkrecht stehen bleiben“. Wolfgang Ritzer und die Edelweißpiraten

Rüthers Buch ist zuerst einmal ein „Insider“-Buch: Rüther, der beim Kölner EL-DE Haus arbeitet und dort als „der“ Edelweißpiratenforscher gilt, stellt hierin die Biografie  sowie die konflikthafte Beziehung eines bisher eher unbekannten Edelweißpiraten, Wolfgang Ritzer (1925 – 2010), zum eigenen Haus dar. Die Studie erschien fünf Jahre nach Ritzers Tod; ein ausreichender Abstand war also gegeben. Vom „politischen“ Charakter her, was die Edelweißpiratenforschung betrifft, vertritt Rüther, so mein Eindruck, eine eher „konservative“ Position: Er möchte die Edelweißpiraten strikt von der „linken“, „proletarischen“ Ehrenfelder Gruppe (Steinbrück, Lorent etc.), die in konkreter Weise Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime ausgeübt und auch Juden und „Ostarbeitern“ Unterschlupf geboten hatten, getrennt sehen. Die Edelweißpiraten seien eine heterogene, bürgerliche Jugendgruppe gewesen, die sich vor allem durch ihre „Unangepasstheit“ ausgezeichnet haben, jedoch nicht durch Widerstands- und Sabotageaktionen – so könnte man seine Position, in der Gesamtzusammenschau der zurückliegenden Diskurse (s.o.), vermutlich subsumieren.  Methodisch hätte ich Wolfgang Ritzer auch im Kapitel „Buscher, Rusinek und Volmer“ einordnen können, vermutlich wäre ich Wolfgang Ritzer hiermit nicht gerecht geworden.

Der Edelweißpirat Wolfgang Ritzer

Der Schwerpunkt von Rüthers Studie liegt auf der Biografie des 1925 in Köln-Deutz geborenen Wolfgang Ritzer. Dieser hatte sich mit 14 Jahren, so beschreibt es Rüther im Detail (S. 9), den Edelweißpiraten angeschlossen, verbrachte mit ihnen viel Zeit bei Fahrten ins Bergische Land sowie im in der Kölner Südstadt gelegenen Volksgarten. Ende 1942 war damit nach einer Großrazzia der Gestapo Schluss. Die meisten Gruppenmitglieder wurden festgenommen, der 17-jährige Ritzer entging mit Glück der Verhaftung. Nach dem Krieg gab es für Ritzer immer neue Kränkungen, die dem Thema inhärent zu sein scheinen: Ein Vertreter der VVN – große Teile der VVN dürften der damaligen, strikt hierarchisch aufgebauten KPD eher nahegestanden haben – habe ihm 1946 seine Ablehnung der Edelweißpiraten durch den Begriff „Arschlöcher“ mehr als deutlich gemacht (S. 9). Dies könnte als eher nicht überraschend erscheinen, waren doch diese unangepassten, unterschiedlich motivierten Jugendlichen eher nicht in eine enge, stalinistisch angehauchte „Parteiperspektive“ einzubinden. Ihre Unangepasstheit und ihre vereinzelten Sabotageaktionen entsprachen eher nicht einer parteipolitischen Strategie.

Der „Vernichtungsschlag“ – ein Trauma

Rüther rekonstruiert, vor allem auf der Basis der Unterlagen, die Ritzel seinem Haus posthum vermacht hatte, dessen Lebensphasen und sozialen Kontakte auch innerhalb der Edelweißpiraten. Es werden Erfahrungen der unmittelbaren Konfrontation mit dem totalitären Staat – etwa eine Großrazzia der Gestapo Pfingsten 1939 in einer Koblenzer Jugendherberge (S. 21) sowie ein traumatisches Verhör im EL-DE Haus Ende 1939 (S. 61f) –  beschrieben. Ergänzt wird dies durch umfangreichere, bebilderte  Darstellungen der Gruppierung der Navajos und einiger Edelweißpiratengruppen. Für Wolfgang Ritzer folgte ein „Leben unter Überwachung“ (S. 62). Die Volksgartengruppe und der „Club der Edelweißpiraten“ (S. 66-73) werden beschrieben. Seine Verhaftung am 4.12.1942 erlebte und erinnerte der seinerzeit 17-Jährige zeitlebens als eine traumatische, sein zukünftiges Leben prägende  Sequenz, als einen „Vernichtungsschlag“ (S. 81).  Im Januar 1943 folgte eine angeordnete Tätigkeit beim Reichsarbeitsdienst, über seine Zeit bei den Edelweißpiraten sprach er wohl 40 Jahre lang nicht mehr. Damit ähnelte seine Verarbeitungs- und Abwehrformation der des größten Teils der Edelweißpiraten.

„Verschiedene Grüppchen verübten in Ehrenfeld in großem Maßstab Einbrüche und „Kaperfahrten“. Es wurde gestohlen und verschoben…“

Rüther beschreibt anschließend die auch von anderen Autoren (s.o.) beschriebene Entwicklung in Ehrenfeld, die Verhaftung und öffentliche Hinrichtung der Zwangsarbeiter sowie die Protagonisten der Ehrenfelder Widerstandsgruppe. Rüthers Position kommt in dieser Darstellung über die sich überschlagenden Ereignisse in Ehrenfeld ab August 1944 zum Ausdruck:

„Verschiedene, zunächst völlig unabhängig voneinander agierende Gruppen und Grüppchen verübten in Ehrenfeld seit Mitte August 1944 in großem Maßstab Einbrüche und „Kaperfahrten“. Es wurde gestohlen und verschoben, wobei große Summen immer wertloseren Geldes umgesetzt und dann häufig in Waffen investiert wurden. Natürlich waren unter den Beteiligten auch einzelne, die – und das wohl aus durchaus unterschiedlichen Gründen – gegen das NS-Regime eingestellt waren, doch lässt es die Quellenlage kaum zu, dieses Konglomerat verschiedener Vergehen auf eine gemeinsame politische Zielsetzung oder gar Programmatik zurückzuführen.“ (S. 96) Das habe zwar schon „mit resistentem Verhalten gegenüber dem NS-Regime zu tun, andererseits aber zumindest ebenso viel mit krimineller Energie und vor allem und immer wieder mit Überlebenswillen.“ (ebd.)

Politisch betrachtet entsprach dies einer scharfen Distanzierung von allen Autoren, die die Edelweißpiraten bereits 35 Jahre zuvor im Kontext von Kategorien des politischen Widerstands betrachtet haben. In sehr eindeutiger Weise war dies auch mit Peter Finkelgruens Vita und seiner Studie Soweit er Jude war… nicht kompatibel.

Eine Erinnerung: Sammy Maedge und Kurt Holl

Diese Beurteilung von Jugendlichen in Köln, die in einem totalitären Regime lebten, ein Gewaltsystem, das die vollständige Vernichtung aller Juden weltweit systematisch und zielgerichtet vorantrieb, könnte vielleicht verwundern. Und dies vielleicht auch, weil diese Einschätzung im Kontext eines städtischen NS-Museum formuliert wird. Es sei daran erinnert: Protagonisten der Gründung des Kölner NS-Museums waren vor allem Sammy Maedge sowie Kurt Holl (s. Loh, H. & B. Holl (Hrsg., 2018).[xviii]

Sammy Maedge, Sozialdemokrat und radikaler „Aktivist“, wurde durch seinen „linken“ Adoptivvater geprägt. Dieser lehrte in der Nazizeit in Aachen Wirtschaftskund und galt als „Roter Professer“, erinnert sich Maedge in einem kleinen Erinnerungsstück (Maedge 2017). Den widerständigen Sozialdemokraten, Juden und Edelweißpiraten fühlte er sich seit seiner Jugend verbunden. Bereits Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre durchbrach Maedge mit spektakulären Einzelaktionen immer wieder „das Schweigen“ – anfangs und für Jahre vergeblich: Auf zentralen Plätzen erinnerte er mit selbstgebastelten Schautafeln an das nationalsozialistische Unrecht, informierte insbesondere über die Vergangenheit des EL-DE Hauses. Die Presse berichtete Mitte der 1960er Jahre hierüber, wie auch über die Strafanzeigen, die der Staatschutz gegen ihn anfertigte. Bereits 1967 schlich er sich erstmals in die Folterkeller der Gestapo im EL-DE Haus, schrieb die Inschriften der ehemaligen Häftlinge ab und fotografierte diese. Maedge (2017) erinnert sich: „In einem Aktenvermerk vom 5. Oktober 1966 sah sich ein Beamter des 14. Kommissariats, KHM Stolzenberg, veranlasst, festzuhalten: „…Nach hiesiger Ansicht schadet Maedge durch sein Verhalten im Ausland der Bundesrepublik in erheblichem Maße. Nach seinen eigenen Angaben hat er in anderen Ländern Freunde, die mit ihm gemeinsam die Gewalttaten aus der NS-Zeit, die noch nicht vor einem ordentlichen Gericht verhandelt wurden, zu ermitteln.“

1974 protestierte er gegen den in Köln lebenden NS-Täter Kurt Lischka, ab 1986 setzte er seine Aufklärungstätigkeit über Widerstand und Verfolgung in seiner in der Lochnerstraße gelegenen Kölner Schülergeschichtswerkstatt fort. „Nicht überall“, merkt er an, „stieß die KSGW jedoch auf Wohlwollen. November 1989 wurde der Raum verwüstet. Bei einem am 29. November 1994 erfolgten Brandanschlag fing ich selbst Feuer.“ Das EL-DE Haus als städtisches Museum hätte es ohne seine Pioniertätigkeit nicht gegeben.

Auch bei der Anerkennung der Edelweißpiraten spielte der unverwüstliche Erinnerungsaktivist eine zentrale Rolle. Maedge verband sein Engagement für die Edelweißpiraten bald mit der Forderung der Gründung eines NS-Museums in der ehemaligen Gestapozentrale EL- DE Haus. Peter Finkelgruen stand früh und über viele Jahre in Kontakt mit ihm und fühlte sich durch dessen Engagement und Biografie in ganz außerordentlichem Maße ermutigt. In Peter Finkelgruens „Vorlass“, welchen er nach reiflicher Überlegung der Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA) anvertraut hat [xix], befinden sich zahlreiche Materialien über die Edelweißpiraten, darunter auch Materialien von Sammy Maedge sowie von Finkelgruens Freund Prof. Ulrich Klug.

Sammy Maedge und in seiner Folge Kurt Holl (vgl. Loh, H. & B. Holl (Hrsg., 2018)) hatten über Jahrzehnte systematisch und gezielt gegen bestehende Bestimmungen und Sprachregelungen verstoßen, um auf die verbrecherische Vergangenheit, insbesondere der ehemaligen Gestapozentrale EL-DE Hauses, hinzuweisen, in der auch zahlreiche Edelweißpiraten misshandelt und terrorisiert worden sind. In spektakulären Einzelaktionen hatte der Künstler Sammy Maedge (vgl. Maedge 1980) immer wieder in öffentlichen Einzelaktionen mit Plakaten und Fotodokumentationen gegen das Vergessen gekämpft, für die Errichtung einer NS-Dokumentationsstelle in Köln, und er hatte die Straffreiheit von NS-Verbrechen angeprangert. Hierfür wurde er von der Justiz und auch von Teilen der Politik als „Querulant“ angeprangert. Er, der die das menschliche Vorstellungsvermögen übersteigernden Verbrechen am jüdischen Volk benannte, über die die noch vom nationalsozialistischen Erbe geprägte Mehrheitsgesellschaft  den Mantel des Schweigens ausbreitete – was Finkelgruen innerhalb der NRW-FDP immer wieder in ihn verstörender Weise sehr persönlich erlebte – wurde nun von gesellschaftlich mächtigen Institutionen „pathologisiert“ und kriminalisiert. Er teilte somit das Schicksal der Edelweißpiraten, auch psychologisch setzte sich die traumatische Geschichte ungebremst, routiniert und ungestört fort.

Maedge und Holl gründeten auch gemeinsam mit Freunden die „Initiative für ein Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus“.

Auch Kurt Holls Vita, welche 2018 in seiner posthum, von seinen Söhnen Hannes Loh & Benjamin Küsters herausgegebenen Autobiografie Ein unbequemer Kölner bis zum Schluss: Kurt Holl. Autobiografisches Portrait eines 68ers (vgl. Degania 2018a, b) publiziert worden ist, dürfte eher nicht mit solchen moralisierenden Zuschreibungen und Kategoriosierungen kompatibel sein…

„Wenn sich die Ereignisse 1944 plötzlich unkontrolliert überstürzten, spielten hierbei allem Anschein nach Angst, Wut, Alkohol und eine gehörige Portion Untergangsstimmung eine wesentliche Rolle“

In Rüthers Studie geht es in diesem Sinne weiter. Die „Ereignisse nach dem 28. September 1944“ in Ehrenfeld – also die Erschießung von nationalsozialistischen Funktionsträgern, die Festnahme und anschließende Hinrichtung u.a. von Hans Steinbrück sowie die Festnahme von Steinbrücks Lebensgefährtin Cilly Servé – werden von Rüther vor allem als ein Scheitern der Edelweißpiraten und Widerständler beschrieben: Bei den „unkontrolliert überstürzten“ Ereignissen habe „allem Anschein nach Angst, Wut, Alkohol und eine gehörige Portion Untergangsstimmung eine wesentliche Rolle“ gespielt (S. 96). Die Hauptverantwortung hierfür trügen vor allem oder letztlich nur „“Bomben-Hans“ und Roland Lorent“ mit ihren „starken, aber wohl kaum politisch motivierten Aversionen gegen das NS-Regime“, die in ihrem Handeln von einer „aber wohl kaum politisch motivierten Aversion gegen das NS-Regime“ gesteuert wurden, welches wiederum „mit einem hohen, offenbar aus ihrer verzweifelten Situation erwachsenden Aggressionspotential“ (ebd.) geprägt gewesen sei.

Lorent und Hans Steinbrück hätten anschließend gemeinsam mit sieben Jugendlichen versucht, Steinbrücks Lebensgefährtin zu befreien, obwohl diese – was Steinbrück und Lorent nicht wissen konnten – „zu diesem Zeitpunkt jedoch längst abtransportiert“ worden sei. Es folgt eine moralisierend-disqualifizierende Beurteilung dieser Widerständler, die innerhalb eines terroristischen und abgrundtief bösartigen Systems lebten, gegen das sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten gewehrt hatten: „Die dilettantisch organisierte und ohnehin völlig aussichts- und damit sinnlose Aktion endete, nachdem bereits auf dem Weg zur Schönsteinstraße wahllos auf uniformierte Passanten geschossen worden war, am Abend des 1. Oktober in einer wüsten Schießerei, bei der ein HJ-Streifendienstführer und ein SA-Mann erschossen sowie ein Polizist verletzt wurden.“ (S. 97)

Wenige Zeilen weiter beschreibt Rüther eine weitere „wiederum sinnlose Aktion“ Steinbrücks wenige Tage später. Der Groll des Edelweißpiratenforschers scheint ausgeprägt zu sein. In den folgenden Tagen nach dieser „Aktion“ sei Steinbrücks Gruppe „von der Gestapo völlig aufgerollt“ (S. 97) worden. Am 25.10.1944 wurden daraufhin am Ehrenfelder Bahndamm ohne Prozess und Urteil elf junge ausländische Personen an einem Galgen aufgehängt; er handelte sich um osteuropäische „Fremdarbeiter“, u.a. Wassilij Roman-Car, Iwan Orichowski, Iwan Komaschko, Bronislaw Dobanowski, Wolodemar Kazemba und Iwan Wolowski, alle zwischen 1923 und 1925 geboren (vgl. Goeb 2016, S. 22-24; Dittmar 2011). Auch an sie wird am Ehrenfelder Edelweißpiratendenkmal erinnert.[xx] Einen Monat später wurden dann Steinbrück, Barthel Schink und elf weiter Personen am gleichen Ort öffentlich hingerichtet. Fotos der Mordaktion am 25.10.1944 sind erhalten geblieben und wurden verschiedentlich publiziert (u.a. von Hellfeld 1981, S. 33; Rüther 2015, S. 98f.; Goeb 2016, S. 18f.), von der Ermordung der Edelweißpiraten existieren wohl keine Fotos.

Die Hinrichtung der elf Zwangsarbeiter

Die von mir bereits mehrfach erwähnte „offiziöse“ Kölner Beurteilung von Bartholomäus Schink korrespondiert mit Rüthers von hehren moralischen Vorstellungen geprägten Darlegungen, die an die Heroisierung des Widerstandes von Graf Staufenberg erinnern könnten (Rüthers Beurteilung Stauffenbergs ist mir nicht bekannt!). Mir ist auch nicht bekannt, welche moralische Beurteilungen er für den organisierten politischen Widerstand von kommunistischen oder sonstigen linken Kölner Gruppierungen hat. Die aus seiner Darstellung und seiner politischen Position offenkundig erwachsene tiefe Feindschaft zwischen Rüther bzw. dem EL-DE Haus einerseits und Goeb andererseits könnte auch als ein psychologisches Erbe der Nazizeit gedeutet werden.

„Von Hellfelds die „Kölner Kontroverse“ entscheidend befeuernde Examensarbeit“

Rüthers Erwähnungen der Studie von M. von Hellfeld sprechen gleichfalls für eine subtile Abneigung: Dieser habe in seiner die „“Kölner Kontroverse“ entscheidend befeuernden Examensarbeit“ (S. 160)[xxi] Klönnes Bewertungen nicht berücksichtigt. Insofern, so insinuiert er nachfolgend offenkundig, trage auch dieser einen Teil der Mitschuld an der negativen Beurteilung der Edelweißpiraten. Diese Darstellung könnte auch insofern verwundern, da Klönne für viele Jahre ein enger Kollege von Hellfelds war; so hatten sie bereits 1985 – also 20 Jahre vor Rüthers Edelweißpiraten-Studie (!) gemeinsam das Buch „Die betrogene Generation. Jugend im Faschismus“ publiziert. Hellfeld habe den „aktiven Widerstand“ der Edelweißpiraten, also auch kriminelle Handlungen, legitimiert (S. 167f.); „Anhänger der Widerstandsthese als auch die Verfechter der Kriminalitätsannahme“ hätten offenkundig nicht nach Kölner Jugendlichen gesucht, die während der Nazizeit nicht ihren Annahmen entsprochen hätten, insinuiert er ein paar Seiten weiter (S. 174) um dann hinzuzufügen: „Selbst Matthias von Hellfeld gestand nach Erscheinen des Rusinek-Gutachtens ein, dass seine Begeisterung für die Möglichkeit der Oral History im Laufe der vergangenen Jahre etwas abgekühlt sei.“ (S. 174) Auch diese Diktion eines Forschers über einen Kollegen – „etwas Eingestehen“ impliziert die Rolle des Angeklagten, des mit Schuld Beladenen… –  könnte verwundern, da von Hellfeld, wie er mir soeben noch einmal versichert hat, in den letzten Jahrzehnten sehr darauf geachtet hat, sich nicht in die konstruierte „Kölner Kontroverse“ hineinziehen zu lassen und sich auch nie zu den diversen Protagonisten dieser „Kontroverse“ geäußert habe.

Ritzers Beziehung zu Buscher und weitere traumatische Reinszenierungen

In seiner  Studie über Wolfgang Ritzer beschreibt Rüther nachfolgend im Detail dessen anfängliche Zusammenarbeit mit besagtem Paulus Buscher (s.o.), die sich im Laufe der Jahre auflöste und offenkundig in einer abgrundtiefen Unversöhnlichkeit endete, wie Rüther materialreich nachzeichnet (u.a. S. 212-227). Auch diese ganzen, sehr persönlich und mit tiefem Hass ausgetragenen, um Entwertung bemühte Kontroversen von ins Alter gekommenen ehemaligen Edelweißpiraten gegenüber anderen Edelweißpiraten wie Fritz Theilen (Buscher bezeichnete Fritz Theilen u.a. als „SS-Rekruten“, was zu einem Gerichtsprozess Theilens führte, den Theilen gewann, vgl. Rüther, S. 219), „Mucki“ Koch“ (Ritzer gehörte in der Nazizeit der gleichen Edelweißpiratengruppe wie Koch an, vgl. S. 233f.), seine zeitweilige Kooperation mit dem pensionierten Kölner Kripochef  Walter Volmer (S. 235f.) (der ausgerechnet Jean Jülich zu „entlarven“ versuchte, s.o.) sowie Forschern wie von Hellfeld, dürften eher wenig über die verbrecherische Nazizeit und dem vereinzelten Widerstand in Köln aussagen. Sie imponieren hingegen aus meiner Sicht als destruktive, traumatische Reinszenierungen der Verfolgungserfahrungen ehemals Verfolgter: Erneut bekämpften sich die wenigen eher „widerständigen“ Jugendlichen noch Jahrzehnte später, inszenierten sich vor der noch zutiefst vom nationalsozialistischen Erbe geprägten deutschen Mehrheitsgesellschaft als die einzigen moralisch integeren „Widerständler“. Die Generation der Täter, der Mehrheitsgesellschaft auch in Köln, die Auschwitz durch ihre jahrelange Anpassung erst ermöglicht hatte, erschien nun für einen Teil der Öffentlichkeit als die Gruppe der „Aufrichtigen“, der „Moralischen“…

von Eckardstein: „Gefangen in der Vergangenheit“

Abgeschlossen wird Rüthers Studie über Wolfgang Ritzel durch Erinnerungen von Michael Paukner, Sonja Schlegel sowie von der Traumatherapeutin Irmi von Eckardstein: „Gefangen in der Vergangenheit“ (S. 244-270). Irmi von Eckardstein, 13 Jahre jünger als Wolfgang Ritzer, war dessen Nichte. Vor dem Hintergrund ihrer familiären Verbundenheit sowie ihrer psychoanalytischen Ausbildung entfaltet sie in berührender, um Verständigung bemühter Weise die Tragik eines Menschen, der in der Nazizeit im Kontext seines Engagements bei den unangepassten Edelweißpiraten schwer traumatisiert wurde, der über ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl verfügte und die u.a. in der Gestapozentrale EL-DE Haus sowie in der Haftanstalt Brauweiler erlittenen tiefen Verletzungen zeitlebens nie los wurde. Er musste sie, in seinen Beziehungsversuchen ein halbes Jahrhundert später immer wieder neu Re-inszenieren. Es ist eine eindrückliche, wirkliches Verständnis ermöglichende biografische Analyse, um die „teilweise für den äußeren Betrachter schwer nachvollziehbaren Verhaltensweisen Wolfgang Ritzers“ (S. 244) zumindest posthum verstehbar zu machen. Insofern waren Ritzers jahrelange Bemühungen und Auseinandersetzungen, seine späten festen Kontakte zum Kölner NS-Museum, psychoanalytisch betrachtet „Entgiftungsversuche“  des nationalsozialistischen Erbes.

Das Schicksal ihres Onkels erscheint der Traumatherapeutin von Eckardstein nicht nur als ein Einzelschicksal; dieses stehe „auch für eine Generation durch das NS-System traumatisierter Menschen. (…) Viele von ihnen haben sich als Zeitzeugen einbringen können, konnten jedoch als Traumatisierte in ihren Aussagen und in ihrem Verhalten nicht immer so verstanden werden, wie sie es sich gewünscht hätten und wie es beim heutigen Wissensstand über die späteren Auswirkungen von Traumatisierungen angemessen wäre.“ (S. 270)

Vergleichbare Bemühungen wie sie in dieser eindrücklichen Beschreibung zum Ausdruck kommt unternimmt im Kölner Umfeld der Arbeitskreises für intergenerationelle Folgen des Holocaust, ehem. PAKH. Peter Pogany-Wnendt, heute 1. Vorsitzender des Arbeitskreises (vgl. Pogany-Wnendt 2012, Kaufhold 2013f), hat seine Erfahrungen in seiner soeben erschienenen Studie (2019) „Der Wert der Menschlichkeit“ in persönlicher Weise zusammen geführt.

Alexander Goeb (2016): Die verlorene Ehre des Bartholomäus Schink. Jugendwiderstand im NS-Staat und der Umgang 2016 mit den Verfolgten von 1945 bis heute

Im Jahr 2016 gab es eine Fortsetzung der Kontroverse um die – inzwischen seit elf Jahren als Verfolgte „anerkannten“ – Edelweißpiraten. Vor allem jedoch war es, so scheint es mir, eine Fortsetzung der schon in persönlicher Weise geführten Auseinandersetzungen vor allem zwischen Alexander Goeb einerseits und Martin Rüther vom Kölner EL-DE-Hauses (bzw. dem gesamten Dokumentationszentrum?)  andererseits (vgl. Goeb 2016, S. 172-174) sowie mit Rusineks Studie (1989) (Goeb, S. 142-147) andererseits. 35 Jahre zuvor hatte Goeb seinen Jugendroman über Schink vorgelegt (s.o.). 2016 hatte ich Goebs Buch auf haGalil besprochen[xxii], den Text arbeite ich hier etwas überarbeitet ein; Dopplungen mit Vorhergesagtem lassen sich methodisch nicht verhindern:

Es war eine Szene, die erst 30 Jahre später öffentlich erinnert wurde: 10. November 1944: Auf einem öffentlichen Platz im Kölner Arbeiterstadtteil Ehrenfeld hängt die Gestapo sechs Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahren und sieben weitere Erwachsene auf. Ohne Prozess und Urteil. Zahlreiche Zuschauer mussten zur Abschreckung und Einschüchterung der grausamen Zeremonie beiwohnen. Mehrere dieser Jugendlichen gehörten der Jugendgruppe der Edelweißpiraten an. Einer von ihnen war der 16-jährige Bartholomäus Schink. Für Freunde war er einfach „der Barthel“. Sein jüngerer Bruder musste der Hinrichtung beiwohnen. Schinks Schicksal und den massiven Schwierigkeiten, die auf dem langen Weg bis zu seiner Rehabilitation auftraten, ist dieses Buch gewidmet.

Viele Jahrzehnte lang galten die Edelweißpiraten – ein lockerer Verband von etwa 3000 „widerständigen“ Jugendlichen aus Köln und dessen Umgebung[xxiii] – in der Öffentlichkeit und Rechtsprechung als Kriminelle. Mitte der 70er Jahre begann der Kampf um die „richtige“ Erinnerung. 1978 berichtete das Fernsehmagazin Monitor darüber, dass Bartholomäus Schink und viele seiner Freunde, die sich dem Nationalsozialismus widersetzt, sich nicht angepasst hatten, immer noch als Kriminelle galten – und nicht als widerständige Jugendliche, die „nicht mitgemacht hatten“ beim deutschen Wahn.  1981 veröffentlichte der Journalist Alexander Goeb – seinerzeit Redakteur einer DKP-nahen Zeitung, mit den damit einhergehenden ideologischen Positionen und Einengungen – ein Jugendbuch über Schinks Schicksal, das sehr erfolgreich war; 2012 erlebte es die 9. Auflage. Der 1940 geborene Goeb ist auch der Autor dieses neuen Werkes.

Erstmals rehabilitiert wurden Bartholomäus Schink und einige weitere Edelweißpiraten wie Jean Jülich und der spätere Diplomat Michael Jovy durch die Recherchen eines Journalisten: Der Journalist Peter Finkelgruen, der in den 80er Jahren in Israel als Korrespondent der Deutschen Welle und als Vertreter der FDP-nahen Friedrich Naumann Stiftung arbeitete, setzte durch, dass diese Edelweißpiraten 1984 durch Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt wurden. Dies ist eine sehr hohe Auszeichnung in Israel, die in einer feierlichen Zeremonie durchgeführt und in israelischen Medien stark wahrgenommen wird. Verliehen wird sie an Menschen, die während der Zeit des Nationalsozialismus „ihr Leben riskierten, um Juden zu retten“. Erstmals verliehen wurde diese Auszeichnung im Jahr 1953. Dennoch: In Köln galten diese Edelweißpiraten weiterhin als Kriminelle. Auf Peter Finkelgruen nimmt Goeb in seinem Buch zwar mehrfach Bezug; es hätte seinem Buch aber keinen Abbruch getan, wenn es aktuelle, insbesondere auf haGalil veröffentlichte Beiträge von und über Finkelgruen berücksichtigt hätte. Stattdessen belässt er es bei der Erwähnung eines sehr frühen, in dem Band von Broder & Lang 1979 (Finkelgruen 1979) veröffentlichten Edelweißpiraten-Beitrages von Finkelgruen.

1986 wurde an der Köln-Ehrenfelder Hinrichtungsstätte eine Erinnerungstafel veröffentlicht und ein kleiner Abschnitt dieser – bis heute wenig attraktiven – Straße wurde nach Bartholomäus Schink benannt. Kleine Erfolge, dem zählebigen Widerstand gegen das Erinnern abgetrotzt, an die dieses Buch erinnert.

Goeb rekonstruiert in knapper Weise die Zeitumstände und den Widerstand der Edelweißpiraten. Er gibt Interviews mit einigen Zeitzeugen, Freunden von Bartholomäus Schink, wieder – der größte Teil von ihnen ist zwischenzeitlich verstorben. Hilfreich sind die Beschreibungen der langjährigen Versuche, die Edelweißpiraten zu rehabilitieren. In den 50er Jahren war ein Antrag von Schinks Mutter auf dessen „Wiedergutmachung“ abgelehnt worden. Nach der Auszeichnung durch Yad Vashem versuchten ab 1984 einige SPD-Landtagsabgeordnete, endlich eine posthume Rehabilitation der Edelweißpiraten zu erreichen – vergeblich (S. 131-141). Die bürokratischen Hürden, das innere Widerstreben, die Loyalität mit der Elterngeneration, das Vertrauen auf die Akten des nationalsozialistischen Unrechtsregimes waren zu ausgeprägt. 20 Jahre später waren es die Berichte eines engagierten Journalisten der Boulevardzeitung Express, Robert Baumanns, die das Thema wieder öffentlich machten und den SPD-Regierungspräsidenten (und späteren Kölner Oberbürgermeister) Jürgen Roters ermutigten, 2005 einige dieser Edelweißpiraten (Gustav Bermel, Franz Rheinberger, Bartholomäus Schink und Günter Schwarz) in einer öffentlichen Zeremonie zu rehabilitieren. Warum zwei weitere hingerichtete Jugendliche, der seinerzeit 16-jährige  Johann Müller und der 18-jährige Adolf Schütz, nicht gleichfalls geehrt wurden, „blieb offen“, so Goeb (S. 164). Roters führte in seiner Presseerklärung aus: „Über viele Jahre ist äußerst kontrovers diskutiert worden, ob es sich bei diesen jungen Menschen um Mitglieder einer kriminellen Bande oder um Widerstandskämpfer gegen das verbrecherische NS-Regime gehandelt hat. (…) Die erneute Beschäftigung mit den Kriegs- und Nachkriegsakten und der Kontakt zu Zeitzeugen hat mich zu der Überzeugung kommen lassen, dass es sich bei den Ehrenfelder Edelweißpiraten um politische Widerstandskämpfer handelt. Mir liegt daran, die Betroffenen politisch zu rehabilitieren und sie als Widerstandskämpfer anzuerkennen.“ (S. 164) Eine historisch betrachtet späte, aber dennoch bemerkenswerte Entscheidung.

Sechs Jahre später, 2011, wurden einige von ihnen – Hans Fricke, Gertrud Koch, Peter Schäfer, Wolfgang Schwarz (der Bruder des ermordeten Günther Schwarz und Fritz Theilen – mit dem Verdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Fritz Theilen (s.o.) starb ein Jahr später.

Abschließend hadert der Autor mit der bis heute ambivalenten Stellungnahme städtischer Historiker des EL-DE Hauses (Martin Rüther) (S. 172-174), die diesen Jugendlichen bis heute den Status von Widerstandskämpfern verweigerten.[xxiv]

In einem abschließenden Satz mahnt Goeb die Schaffung eines Edelweißpiraten-Preises an – aber schafft es zugleich nicht, das von Jan Krauthäuser organisierte traditionsreiche Kölner Edelweißpiratenfestival, auf dem u.a. Jean Jülich und Gertrud „Mucki“ Koch regelmäßig aufgetreten sind, auch nur mit einem Wort zu erwähnen.

Eine persönliche Nachbemerkung bzw. ein politischer und historischer Zusatz: Ich habe das Buch nur mit Ambivalenzen gelesen. Mehrfach wollte ich es zur Seite legen – etwa wenn der Autor in der Tradition der westdeutschen DKP-Vertreter der 1970er und 1980er Jahre davon schwärmt, dass selbstverständlich nur „westliche“ Atomwaffen „den Weltfrieden“ gefährdeten und dass es vor allem in der DDR keine „ehemaligen Altnazis“ gäbe. Vom vulgären Antisemitismus der DDR, dessen Fortwirkungen wir heute bei Pegida-Kundgebungen und bei Angriffen gegen Flüchtlinge erleben können, möchte ich erst gar nicht sprechen. In Westdeutschland gab es ab den 1960er Jahren immer wieder neu aufbrechende Versuche, sich mit der verbrecherischen Vergangenheit auseinanderzusetzen, sie – wie es häufig formuliert wird – „zu verarbeiten“. In der DDR hat es keinerlei ernst zu nehmende Versuche hierzu gegeben. Der Antizionismus war „Staatsreligion“, die Feindschaft gegenüber dem demokratischen Staat der Juden, der Überlebenden der Shoah, wurde kultiviert. [xxv] Terroristische palästinensische Gruppierungen wie die PFLP, die Fatah und die DPLFP, die Terrorakte in Israel ausgeführt hatten, wurden teils sogar in der DDR militärisch ausgebildet und durch Gelder aus der DDR massiv unterstützt.

Der Historiker Jeffrey Herf („Zweierlei Erinnerung“, 1998) sprach vom „unerklärten Krieg der DDR gegen Israel unter dem Deckmantel des Antizionismus“.

All dies scheint Goeb nicht bekannt zu sein. Goeb schreibt im Jahr 2016, knapp 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR:

„Der Einzug alter Nazis in die Justiz ging einher mit dem Einsickern ehemaliger NS-Parteigänger in die Politik. Es bedurfte einer Recherche der DDR, um das öffentlich zu machen. Im Juli 1965 hatte Albert Norden, im Politbüro der SED für Propaganda zuständig, einschlägige Dokumente vorgelegt…“ (S. 100). Goeb verweist also im Jahr 2016 (!) ausgerechnet auf den stalinistischen SED-Funktionär Albert Norden, dessen Vater Joseph Norden als Rabbiner Vertreter eines liberalen Judentums war und der 1943 im KZ Theresienstadt ums Leben kam. Albert Norden trieb – was Goeb in den vorhergehenden Jahrzehnten durchaus hätte wahrnehmen können, Literatur gab es mehr als ausreichend – die DDR-Propagandastrategie voran, ausgerechnet den jüdisch-demokratischen Staat Israel, den Staat der Überlebenden der Shoah, als Erbe des Faschismus zu denunzieren. Jens Rosbach führte hierzu 2009 in einem Rundfunkbeitrag zum Thema „Antisemitismus in der DDR“ aus: „Die Propagandastrategie der DDR: Israel mit dem Faschismus in Verbindung zu bringen. Politbüromitglied Albert Norden etwa versucht, sich damit zu profilieren. Norden ist war zwar selbst jüdischer Abstammung, aber dennoch ganz auf SED-Linie. So hetzt er immer wieder gegen Israels Kooperation mit den USA sowie mit Westdeutschland. Norden: `Wir zahlen nicht an den Staat Israel Geld, damit er seine Waffengeschäfte treiben kann mit den Faschisten.´“  [xxvi]

Bereits 1995 schrieb der Spiegel über Albert Norden: „Im Frühjahr 1961 beschloß das Politbüro der SED eine „Kampagne zum Prozeß Eichmann in Jerusalem“. Die Durchführung der Aufgabe wurde Albert Norden übertragen, der aus einer Rabbinerfamilie stammte, was dem SED-Funktionär Norden dermaßen peinlich war, daß er seinen Vater zu einem „Arbeiter“ umschrieb. Die Feinarbeit leistete die Hauptabteilung XX/4 der Stasi mit der „Aktion Vergißmeinnicht“.

Ein detaillierter Plan legte fest, über welche Neonazi-Organisationen in Westdeutschland antisemitische Rundbriefe an andere Organisationen versandt und „Mittel zur Verteidigung Eichmanns“ gesammelt werden sollten. Die U-Boote der Stasi „führten den westdeutschen Rechten die Hand“. Dabei hatten sie keine Schwierigkeiten, den authentischen Ton zu treffen: „Offensichtlich habt Ihr Juden immer noch nicht begriffen, daß Ihr aus Deutschland zu verschwinden habt.“ Um sicherzugehen, daß ihre Botschaften bei den Adressaten auch ankommen, schickten Mitarbeiter der HA XX/4 Schmähpost unter westdeutschen Absendern auch direkt an Juden in der Bundesrepublik: „Dich hat man wohl vergessen zu vergasen.“ Dieselbe Hauptabteilung der Stasi sorgte auch für die richtigen Reaktionen auf ihre antisemitischen Initiativen. Sie schrieb und brachte Briefe entsetzter Juden in Umlauf: „Ich getraue mich nicht, meinen Absender anzugeben . . .“ – „Jetzt habe ich Angst vor der Wiederholung . . . Ich werde Deutschland verlassen.“[xxvii]

Und der Historiker Harry Waibel schreibt im Vorwort zu seiner Studie „Kritik des Antisemitismus in der DDR“ u.a.: „Für Albert Norden, Mitglied des Politbüros der SED, waren die in den Zeitungen der DDR veröffentlichten Berichte über den Krieg im Nahen Osten zu wenig zugespitzt und er forderte deshalb in einem internen Schreiben an Werner Lamberz, Leiter der Agitationsabteilung im SED-Zentralkomitee, dass die israelischen Militäroperationen in der Öffentlichkeit der DDR so dargestellt werden, dass der Vergleich mit dem Überfall der Nazi-Wehrmacht auf die Sowjetunion nahe liege. (…) Jetzt kam die Direktive von A. Norden aus dem Jahre 1973 wieder zur Geltung, in der er die Gleichsetzung der faschistischen Militäroperation der Nazi-Wehrmacht mit den Aktivitäten des israelischen Militärs für Presse und Medien der DDR angeordnet hatte. Es ist eindeutig, dass diese Stimmungsmache den offenen und den latenten Anti-Semitismus in der ostdeutschen Bevölkerung angefacht hat.“[xxviii]

Ich habe „nachgeschaut“ und erfahren, dass der Buchautor Goeb nach internen Kämpfen innerhalb dieser stalinistischen und antisemitischen DKP, die mit seiner Kündigung aus einer DKP-nahen Zeitung endeten, wohl schon 1982 aus der Partei ausgetreten ist. Offenkundig hat es nicht viel geholfen. Zumindest winzigste Relativierungen und Verweise auf die „andere Seite“ hätten dem Buch nicht geschadet. In seiner Darstellungsweise, Sprache und seinen Auslassungen hat es mich an verschiedenen Stellen sehr unangenehm berührt…

Wenn man hiervon absieht: Auch dieses Buch ermöglicht eine Erinnerung an Bartholomäus Schink und an die mehrere Jahrzehnte andauernden Auseinandersetzungen um dessen Rehabilitation im Kontext der „Wiedergutmachungs“prozesse. Goeb hat dazu beigetragen, dass die Edelweißpiraten in der kollektiven Erinnerung „rehabilitiert“ worden sind.

Michael „Mike“ Jovy (2018): Ein Leben gegen den Strom
H.-P. Bothien, M. von Hellfeld, S. Peil und J. Reulecke (2017): Ein Leben gegen den Strom. Michael Mike Jovy[xxix]

Es war ein höchst außergewöhnliches illegales Treffen zweier junger Menschen, die nachts in einem Stollen eines Außenlagers zu regelmäßigen Gesprächen über die Möglichkeit des Widerstandes gegen die Nationalsozialisten zusammenkamen: Der Edelweißpirat Jean Jülich und der neun Jahre ältere Jugendbündler Mike Jovy (vgl. Kaufhold 2018c, d). Der spätere Diplomat Jovy erinnert sich: „1943 befand ich mich auf einem Außenkommando des Zuchthauses Siegburg. Ein Mitgefangener erzählte mir, dass sein Sohn in Köln Mitglied einer illegalen Jugendgruppe sei und mich gern kennenlernen wolle. Der etwa 15-jährige heutige Kölner Gastwirt Jean Jülich erzählte mir, dass er in Köln-Sülz zu einer Gruppe von Jugendlichen gehörte, die sich Edelweißpiraten nannten, gegen die Hitlerjugend arbeiteten und illegal zusammen kämen.“

Ein halbes Jahrhundert später werden die beiden auf Initiative Finkelgruens von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt.

Michael „Mike“ Jovy blieb in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, obwohl seine bewegte Vita mehr als spannend und lehrreich ist. Das 2017 erschienene Buch Ein Leben gegen den Strom (Bothien/von Hellfeld/Peil & Reulecke 2017) erinnert an diesen vergessenen überzeugten Demokraten.

Mike Jovy wird am 9.3.1920 in der Bergarbeiterstadt Gladbeck geboren. Sein Vater Michael Jovy, 1883 in der Eifel geboren, ist als promovierter Jurist und Parteiloser von 1917 bis 1931 Bürgermeister von Gladbeck. Gladbeck ist seinerzeit politisch in vier etwa gleich große Blöcke gespalten, darunter auch die KPD. Dessen Wirken in dieser auch ökonomisch schwierigen Zeit erlebt Mike Jovy bewusst mit. Er wird früh politisch geprägt, sieht die Anfeindungen der Nazis gegen seinen Vater: „Mein bösartiges Verhalten gegen die Nazis wurde auch dadurch genährt, dass sie in meiner Heimatstadt Gladbeck in übelsten Tönen (…) eine Untersuchung über die Amtszeit meines Vaters angekündigt hatten“, hebt Jovy im Rückblick hervor (Bothien et. al. 2017, S. 17). Und in einem im März 1946 angefertigten Lebenslauf bemerkt der 26-jährige im Rückblick: „Ich weigerte mich wie viele meiner Kameraden in die Hitlerjugend einzutreten, schon allein aus dem Grunde, dass die Nazis (…) meinen verstorbenen Vater unrechtmäßigerweise auf übelste Art beschimpften.“ (ebd., S. 57) Sein Vater stirbt Ende 1931 im Alter von 48 Jahren, da ist Mike erst elf.

Nach dem Tod des Vaters zieht Mike 1932 nach Bonn, wo er später auch studiert. In Bonn schließt er sich dem katholischen Jugendbund Neudeutschland an, der in diesen unruhigen Jahren in direktem Gegensatz zur Hitlerjugend steht. Hierdurch findet in ihm offenkundig früh eine Imprägnierung gegen den Nationalsozialismus statt.

Jovy schließt sich der 1929 von Eberhard Koebel gegründeten, inzwischen illegalisierten Jugendgruppe dj.1.11 an. Innerlich geprägt werden sie durch regelmäßige Ausflüge in die Natur, Gitarrenmusik, Feuernächte, gemeinsame Gesänge und politische Diskussionen. Zwischen den politisch wachen Jugendlichen entstehen Freundschaften, die auch die späteren Verhöre und die Folter überdauern.

Mike Jovy engagiert sich früh beim katholischen Jugendverband Neudeutschland. Rasch übernimmt er dort Leitungsfunktionen. Ein enger Weggefährte ist der Jugendbündler Karl O. Paetel. Als dieser vor den Nazis nach Paris emigriert besucht er ihn dort mehrfach, um über Möglichkeiten des Widerstandes zu diskutieren. Die Nationalsozialisten werden auf Jovy aufmerksam. Überlegungen, selbst in die Niederlande zu fliehen, werden von ihm beiseite geschoben.

Jovy erlebt die Angriffe der Nazis u.a. auch auf „seine“ ND-Heime. Anfang 1934 gerät er in eine wilde Schlägerei mit der HJ: „Es waren zehn der HJ auf einen von uns, so dass ich schließlich zerschrammt, mit zerbrochener Brille und blutverschmiertem Gesicht spät in der Nacht vor meiner Mutter stand“ (Bothien ebd., S. 18). Einige Jugendbündler wechseln unter der Bedrohung zu den Nazis über. Für Jovy ist dies keine Option. Er nimmt an Wochenenden an internen Treffen teil, teilweise kommen 250 Jugendliche in noch halbwegs geschützten Räumlichkeiten zusammen.

1936 wird er erstmals verhaftet, 1939 kommt er in das gefürchtete Kölner Gestapogefängnis EL-DE Haus.

„Vorbereitung zum Hochverrat“

Jovy wird immer wieder verhört und misshandelt. Rasch wird ihm klar, dass die Taktik des totalen Leugnens nicht hilfreich ist. Danach kommt er in das Kölner Gefängnis „Klüngelpütz“. Am 27.2.1940 wird er in das Berliner-Moabiter Gestapogefängnis verbracht; die weiteren Ermittlungen gegen den 20-Jährigen übernimmt nun der Volksgerichtshof. Im September 1941 verurteilt man ihn wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu sechs Jahren Zuchthaus. Das Gericht attestiert ihm eine „überaus verwerfliche Gesinnung.“ Grundlage waren, so schreibt Jovy kurz vor seinem Tod, „unsere angeblichen und von der Gestapo gefälschten Geständnisse.“

Nun darf Mike Jovy auch keine Pakete mehr empfangen und nur noch einmal im Monat Briefe. Seine Einsamkeit und Verzweiflung nimmt zu, wie später angefertigten Aufzeichnungen – er publizierte sie 1950 in der internen Zeitschrift „feuer“ – in eindrücklicher Weise zu entnehmen ist:

„Wir werden auf die anklagebank geführt. Schwerbewaffnete polizei steht hinter uns. Hat der „führer“ soviel angst vor dem freiheitswillen einiger jungen. … Einzeln stehn wir „junge verbrecher“ gegen die heilige autorität des staates vor unseren richtern. Eine welle von hass schlägt über uns. (…) Selbst unsere anwälte, bekannte und erfahrene juristen, werden behandelt wie muskoten auf dem kasernenhof. In den Pausen gelingt es ihnen, uns etwas brot und einige zigaretten zuzustecken. (…) Wir kennen dies alles schon aus den monatelangen verhören, diese fragen nach unseren fahrten, nach unseren freunden, nach unserer ansicht zum attentat auf den „führer“. Die gesichter dort oben sind unbarmherzig. Der dicke gestapomann redet davon, dass wir erst in den verhören zu menschen geworden seien.“ (ebd., S. 37, Schreibweise im Original).

Konspirative Treffen mit Jean Jülich

Danach wird Jovy in das Zuchthaus von Siegburg verbracht, arbeitet in einem „Außenkommando“.  Im Sommer 1943 kommt es dort – in der „Tongrube der Fa. Lichtenberg“ – zu den eingangs erwähnten Treffen mit dem neun Jahre jüngeren Jean Jülich. Dessen Vater war gleichfalls in Siegburg als politischer Häftling inhaftiert.

In ihren geheimen nächtlichen Gesprächen in einem alten Stollen, zu dem dann auch weitere Kölner Edelweißpiraten dazu kommen,  berichtet der seinerzeit 14-jährige Jean Jülich ihm von ihren widerständigen Aktionen in Köln. Gemeinsam entwerfen sie wenig später bei weiteren konspirativen Gesprächen Pläne, „Köln selbst zu befreien und die verantwortlichen Nazis den Amerikanern zu übergeben“ (ebd., S. 41).

In einem Brief vom Februar 1980 erinnert sich Jovy an diese Gespräche mit Jülich. Diese waren für ihn so bedeutsam, so identitätsstiftend, dass er sie auch 37 Jahre später erinnerte und niederschrieb:

Jean Jülich erzählte ihm, „…dass er in Köln-Sülz zu einer Gruppe von Jugendlichen gehörte, die sich Edelweißpiraten nannten, gegen die Hitlerjugend arbeiteten, illegal zusammenkämen und Fahrten durchführten. Von ihm erfuhr ich auch, dass es solche Gruppen überall in mehreren Stadtteilen gebe, darunter auch in Ehrenfeld. Die Ehrenfelder seien besonders aktiv und hätten schon verschiedene Auseinandersetzungen mit Polizei und Hitlerjugend gehabt.“ (Jülich 2005, S. 39-41)

Es wird besprochen, dass Jovy, wenn er wieder in Freiheit sei, auch nach Köln kommen und sich dem Widerstand anschließen solle. In der Zwischenzeit sollte sich Jülichs Gruppe um eine Unterkunft sowie um Kontakte mit allen illegalen Gruppen, „entlaufenden Fremdarbeitern, desertierten Soldaten“ kümmern, „um sie in eine gemeinsame Widerstandsaktion zu bringen.“

Dem älteren, politisch erfahrenen Jovy ist klar, dass sie zum Sturz der Nazis in Köln auch auf bewaffnete Widerstandsaktionen angewiesen waren. Dies schließt er in seinem politischen Plan ein, den er in einem Brief vom 20.2.1980 erinnernd so beschreibt:

„Ich habe die Jungen aufgefordert, gemeinsame Aktionen mit den Ehrenfeldern durchzuführen; wir brauchten Waffen, Munition, Lebensmittel, u.U. auch Geld. Die Nazi-Organisation in Köln müsse völlig durcheinandergebracht werden. Als Zielsetzung schwebte uns vor, vor Ankunft der Amerikaner die Flucht der Parteigenossen und Gestapo-Beamten zu verhindern.“ Auch Jean Jülich hat diese Treffen in vergleichbarer Weise erinnert; die Treffen fanden gemäß Jülich in einer Luftschutzröhre statt. Jovys politische Erfahrungen waren inspirierend für ihn. Und Jovy erzählte ihnen viel über die bündische Jugend, deren Lieder, spielte ihnen einige auch auf einer Balalaika vor. Jülich erinnert es als „eine unwahrscheinlich ergreifende und schöne Angelegenheit“, besonders, „weil wir überhaupt keine Vorbilder hatten.“

1944 wird Jovy in das Strafbataillon 999 eingezogen. Vier Monate später zwingt er den führenden Unteroffizier zur Aufgabe. Jovy kehrt als „Specialinvestigator“ nach Köln zurück.

Studium, Jugendbewegung und Diplomatischer Dienst

Nach Kriegsende setzt Jovy – man trifft sich in der Kölner Bottmühle – sein Engagement in der Jugendbewegung fort. Seine internationale Orientierung und sein Widerstand gegen obrigkeitsstaatliches Denken prägen ihn. Er studiert in Köln Politikwissenschaft und promoviert 1952 über „Jugendbewegung und Nationalsozialismus“: Seine politische und pädagogische Grundhaltung beschreibt der überzeugte Demokrat und Widerständler so:

„Wir wollten junge Menschen formen, die frei von Parteidogmen jeglicher Art zu Reife und Verantwortungsbewusstsein gelangen und fähig sind selbst zu urteilen und Entscheidungen zu fällen. (…) Nach langer Zeit war es uns endlich wieder möglich, ohne Furcht vor Streifendienst und Gestapo zusammenzusein. Dieses erste freie Lager bot ein ganz anderes Bild.“ (ebd., S. 46f.)

Bald ist er einer der prominentesten Sprecher der Kölner und nordrhein-westfälischen Jugendbewegung. Politisch hat er eine internationale Orientierung: „Ich fühle mich (in Frankreich) viel wohler als in unserer lieben Bundesrepublik“, schreibt er dem in die USA emigrierten Jugendfreund Paetel (ebd., S. 65). Seine entillusionierenden Erfahrungen in der jungen Bundesrepublik reflektierend fügt er hinzu: „Das Schlagwort kommunistisch wird heute in der gleichen Weise gebraucht, um alle unabhängigen Regungen an die Wand zu drücken, wie einst die Bezeichnung jüdisch unter den Nazis. Es ist tragisch zu sehen, die Deutschen brauchen wieder einmal den Urbegriff alles Bösen, brauchen eine Inkarnation des Satans, ob das Kommunismus oder Judentum ist, um alles darunter zu subsummieren, was ihnen irgendwie unbequem ist und sie aus ihrer Selbstzufriedenheit aufrütteln will.“ (ebd., S. 65) Solche Positionen, denen Finkelgruen zugestimmt hätte, waren in der Nachkriegszeit nicht geeignet, in Deutschland viele Freunde zu finden. Von einem angehenden Diplomaten hätte man solche Einschätzungen erst recht nicht erwartet.

Jovy engagiert sich gegen die Wiederbewaffnung, was von Vielen nicht gerne gesehen wird. Die Angriffe gegen ihn nehmen zu. Man verdächtigt ihn Sympathien für die Kommunisten, was in keinster Weise zutreffend war. Gelegentlich scheint er zu resignieren, seine Desillusionierung spiegelt sich in seinen Briefen der damaligen Jahre wieder.

1952 schließt Jovy seine auch autobiografisch getönte Promotion über „Jugendbewegung und Nationalsozialismus“ ausgerechnet beim „nationalkonservativen“ Hochschullehrer Theodor Schieder ab. Erst über 30 Jahre später publiziert der Soziologe Arno Klönne diese, angereichert durch eine einleitende Kommentierung, als Buch. Sie erscheint 1984, kurz nach Jovys Tod.

Der junge Familienvater beschließt, in den diplomatischen Dienst zu gehen. 1953 beginnt er den Vorbereitungsdienst. Dann ein Schock: Der Verfassungsschutz interessiert sich für den überzeugten Demokraten und erhebt Einspruch gegen dessen Übernahme in den diplomatischen Dienst. Hierfür greift das Amt immer wieder auf die Gestapoakten zurück: „Ich sei in der illegalen Jungenschaft gegen Hitler gewesen, ferner Führer der Deutschen Jungenschaft nach dem Kriege und daher Kommunist“, schreibt er. Bereits während seines Vorbereitungsdienstes wird er von seinen Kollegen geschnitten. Für ein halbes Jahr wird ihm das Betreten seines Dienstgebäudes in Köln verboten, was Finkelgruen in seinen Texten über die Edelweißpiraten mehrfach als ihn schockierende Umgangsweise hervorgehoben hat.

Als Diplomat in Afrika – und Verleumdungen des Verfassungsschutzes

Das Auswärtige Amt jedoch gibt dem politischen Druck nicht nach. 1955 geht Jovy als Diplomat ins ferne Australien, es folgen mehrere Stationen als Konsul in Afrika. Die Versuche des Amtes, den in Afrika sehr angesehenen Diplomaten zu attackieren, lassen auch 20 Jahre später nicht nach. Jovy moniert in offiziellen Briefen an seine Arbeitgeber bitter, dass auf der einen Seite ermordete Widerstandskämpfer wie Sophie Scholl durch Bundespräsidenten geehrt würden „und auf der anderen Seite die politische Zuverlässigkeit der Überlebenden wegen ihrer Widerstandstätigkeit in der NS-Zeit in Zweifel gezogen werden darf.“

Und doch versucht der Verfassungsschutz weiterhin, 20 Jahre lang, den in Afrika tätigen deutschen Diplomaten zu attackieren. Am 22.5.1955 schreibt Jovy an seinen Jugendfreund Paetel nach New York: „Ich selbst bin nun als Vizekonsul nach Melbourne versetzt worden. (…) Ich hatte mich noch über erhebliche politische Schwierigkeiten hinwegzusetzen, da unser Verfassungsschutzamt eine wilde Attacke gegen mich losgelassen hatte und meine Entlassung aus dem Auswärtigen Dienst forderte. Grund war illegale Tätigkeit und Führung der Jungenschaft. (…) der letzte Trumpf dieser Leute waren die Akten des Volksgerichtshofes, in denen ja alles zu lesen wäre.“ (ebd., S. 73)

1963 stellt Jovy in einem Brief gegenüber seinem Auswärtige Amt fest: „Ich sehe keine Notwendigkeit, den Widerstand unserer Gruppe zu rechtfertigen. Die Pflicht zum Widerstand ergab sich aus dem Unrechtssystem des NS-Regimes.“ (S. 130) Er beklagt bitter, dass bei den Angriffen gegen ihn weiterhin auf NS-Akten zurückgegriffen werde, die durch „Prügel, Dunkelhaft, Nahrungsentzug und Erpressung“ entstanden seien.

Noch Mitte der 70er Jahre schickt der in zahlreichen afrikanischen Staaten Tätige Beschwerdebriefe an das Auswärtige Amt: „Ich erlaube mir auch, festzustellen, dass es auf dem afrikanischen Kontinent keinen deutschen Botschafter gibt, der mehr Vertrauen und Ansehen genießt als ich.“

Mike Jovy arbeitet in Mali, in Kongo und im Kamerun. Immer wieder wird er zu unkonventionellem, gefährlichem Handeln genötigt: Nach der Entführung mehrerer Diplomaten übertritt er im Dschungel illegal die Grenze zwischen Kamerun und Kongo, um im direkten Gespräch mit den Entführern deren Freilassung zu erwirken.

Bedrohung durch die RAF und den „Schwarzen September“

1973 wird ausgerechnet der ehemalige Widerstandskämpfer vom deutschen RAF-Terrorismus und den mit ihnen verbündeten PLO-Terrorgruppen bedroht – eine Erfahrung, die Jovy mit Finkelgruen teilt: Auch Finkelgruen wurde in den 1970er Jahren mehrfach mit der wahnhaft-destruktiv agierenden RAF in Verbindung gesetzt – was später einmal auf hagalil erzählt werden wird. Jovy arbeitete seinerzeit im Sudan: Am 1.3.1973, ein halbes Jahr nach dem PLO-Überfall auf die israelische Olympiamannschaft in München, verüben Terroristen des „Schwarzen September“ bei einem Empfang in Khartum ein Attentat. Zwei amerikanische Diplomaten und drei weitere Vertreter aus Saudi-Arabien, Jordanien und Belgien werden entführt. Durch widrige Umstände kommt Jovy zu spät und entgeht so der Entführung. Aus den Forderungen der Terroristen geht hervor, dass auch Jovys Entführung eingeplant war, um neben der Freipressung mehrere Palästinenser auch die Freilassung von Mitgliedern der Bader-Meinhof Gruppe zu erzwingen. Die beiden Amerikaner und der Belgier werden nach Folterungen erschossen.

Nach 30 Stunden geben die Entführer auf. Jovy stellt kurz darauf in einem für das Auswärtige Amt verfassten Bericht die Motive und politischen Strategien der palästinensischen Terroristen dar. Deren strategisches Hauptziel sei es gewesen, „die Begünstiger Israels zu treffen, Schrecken zu verbreiten und den Ruf der Terrororganisation (…) wiederherzustellen.“ (S. 141) Trotz seiner eigenen Gefährdung setzt sich Jovy später, wie einige weitere linke und liberale Politiker, insbesondere Bundesinnenminister Baum, für eine Begnadigung und Re-Integration von Mitgliedern der RAF ein.

Jovys gescheiterte Entführung, dies sei angemerkt, korrespondiert politisch mit der neueren Diskussion über den „linken Antisemitismus“ auch der RAF, der sich im Credo des ehemaligen „Kommunarden“ Dieter Kunzelmann vom „Judenknacks“, den man „überwinden“ müsse, wiederspiegelt (vgl. Kaufhold 2018e).[xxx] Dass auch der linke Widerständler Mike Jovy Teil dieser antisemitischen Verfolgungsakte war war bisher unbekannt.

Eine Kontroverse mit Franz-Josef Strauß

Erwähnenswert eine sehr heftige politische Kontroverse, die sich im Februar 1980 zwischen dem bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß und Jovy in Rumänien ereignete; Jovy wirkte von 1980 bis 1983 als Botschafter in Bukarest (S. 142-146). Auch hierin ging es um den deutschen Terrorismus und dessen polizeiliche und politische Bekämpfung. Strauß soll bei einer Begegnung vollständig die Kontrolle verloren und Jovy angebrüllt und diesen einer Sympathie für Terroristen beschuldigt haben. In einem anschließend verfassten Bericht für das Auswärtige Amt (11.2.1980) stellt Jovy fest:
„Daraufhin erklärte ich ihm, dass eine Reihe junger Menschen aus übertriebenem Gerechtigkeitssinn zu den Terroristen gestoßen seien und beispielsweise, wie der Lebenslauf eines Terroristen im Spiegel gezeigt habe, junge Menschen dadurch aufgeschreckt seien, wie die NS-Vergangenheit abgehandelt werde. Ich sei persönlich auch der Überzeugung, dass nicht in Ordnung sei, wenn Richter des Volksgerichtshofes bei uns in Ruhe ihre Pension verzehren könnten.“ (S. 145) Abschließend betont der streitbare Demokrat Jovy: „Für den Fall (der Beschwerde) werde ich meine Aussagen voll aufrechterhalten.“

Es folgten diplomatische Stationen in Algier, Rumänien und Italien.

Gerechter unter den Völkern

Kurz vor seinem Tode erreichte Jovy an seinem Amtssitz in Rom seine größte Ehrung. Peter Finkelgruen setzt sich ab Anfang der 1980er Jahre in Israel dafür ein, dass drei Kölner Widerstandskämpfer in exemplarischer Hinsicht durch Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt werden: Jovy, Jülich und Bartholomäus Schink.

Nach eingehender Prüfung akzeptiert Yad Vashem diese Ehrung. Jovy, der zu diesem Zeitpunkt in Rom arbeitet, ist zu krank, um zur Ehrung nach Israel zu reisen. Ende 1983 wird der Demokrat und Widerständler in der israelischen Botschaft in Rom ausgezeichnet. Der israelische Botschafter bezeichnete ihn als einen “mutigen Deutschen“, der es wagte, „die Kraft des Bösen herauszufordern“.

Die „offizielle“ Ehrung der Drei durch Yad Vashem hingegen findet erst einige Wochen später in Jerusalem statt. Zwei Monate, am 19.1.1984, hört Mike Jovys von langer Nazihaft geschädigtes Herz in Rom auf zu schlagen.

Über seine inneren Motive für sein Interesse an Jovy und an den Edelweißpiraten – welches mit der Fluchtgeschichte seiner Familie korrespondierte – , bemerkt Finkelgruen:

„Es entsprach meiner Überzeugung, dass die Bundesrepublik und die Stadt Köln die Pflicht hatten, die Edelweißpiraten und Menschen wie Michael Jovy nicht zu kriminalisieren sondern vielmehr zu ehren.“

Im „offiziellen“ Köln hingegen gelten die Edelweißpiraten aufgrund des Insistierens der ranghöchsten örtlichen Sozialdemokraten noch 20 weitere Jahre als „Kriminelle“. Erst 2005 werden sie durch Jürgen Roters offiziell rehabilitiert.

Ein Epilog: Der Widerstand der Familie Finkelgruen

Von Hellfeld, aber in noch pointierterer und überzeugenderer Weise Peter Finkelgruen haben die Frage aufgeworfen, was Widerstand gegen ein absolutes terroristisches Regime bedeutet. Peter Finkelgruen hat sich selbst, auf der Grundlage einer radikal aufrichtigen familienbiografischen Reflexion, in Soweit er  Jude war… (1981) der schmerzhaften Selbstbefragung ausgesetzt, in welcher Weise seine eigene, teils jüdische und teils nicht-jüdische Familie, Widerstand geleistet hat. Er hat eine scheinbar überraschende Antwort gefunden, die ihm überhaupt erst ein Leben in Deutschland seelisch ermöglichte: Alle seine Familienangehörigen haben in einer gewissen, aber doch auch in einer radikalen, selbstlosen Weise Widerstand geleistet. Er bemerkt in seinem – nun auf haGalil erstmals veröffentlichtem – Buch (1981) hierzu: „Meine Eltern – eine sogenannte Mischehe – haben den Abtransport auch nicht passiv abgewartet. Sie haben versucht, sich den Nazis durch Auswanderung zu ent­ziehen. (…) Über Litauen, Lettland, die Sowjetunion und Japan ging ihre Flucht bis nach Shanghai, wo für die jüdischen Flüchtlinge aus Europa ein Ghetto eingerichtet wurde. Dort wurde ich geboren. Meine Eltern und Großeltern waren keine Partisa­nen. Sie waren keine aktiven Widerständler. Sie haben keine Bomben geworfen. Sie haben keinen SS-Mann, keiner NS-Ortsgruppenführer liquidiert.“

Peter Finkelgruens jüdischer Großvater Martin vertraute anfangs auf den Schutz des für seine „Verdienste“ im 1. Weltkrieg verliehenen „Eisernen Kreuz. Dann jedoch, als er die Gefahr erkannte, verweigerte er den nationalsozialistischen Befehl, sich „freiwillig“ „zu stellen“. Er floh gemeinsam mit Anna nach Prag, wo er als erfahrener Kaufmann versuchte, sich eine neue Existenz aufzubauen.

Seine Großmutter Anna, die Lebensgefährtin von Martin Finkelgruen, stand zu ihrem jüdischen Lebensgefährten: Drei Jahre lang, von 1939 bis 1942, versteckte sie ihn in Prag. Nach der deutschen Besetzung Prags musste er als Jude untertauchen. Anna versteckte ihn. Nach ihrer gemeinsamen Festnahme wurde Martin Finkelgruen am 10.12.1942 durch den SS-Mann Malloth im Kleinen Lager Theresienstadt totgetreten. Auch Anna Bartl zahlte für ihren Mut einen hohen Preis: Sie überlebte drei Jahre härtester Verfolgung in mehreren Konzentrationslagern mit äußerstem Glück. Danach, nach dem Tod ihrer Tochter Esti am 1.6.1950 in Prag, übernahm sie die Verantwortung für ihren 51 Jahre jüngeren Enkel Peter.

Sein jüdischer Vater Hans verweigerte gemeinsam mit seiner Freundin und späteren Ehefrau Esti die nationalsozialistischen Anordnungen, sich „zu stellen“. Sie emigrierten gemeinsam erst nach Prag. Von dort aus suchten und fanden sie in höchst mutiger Weise immer neue Wege, um aus dem von den Deutschen besetzten Prag in ein „sicheres“ Land zu fliehen. Sie gelangten auf abenteuerlichen Wegen nacheinander nach Shanghai, dem einzigen Zufluchtsort, der ihnen noch geblieben war.

Dort, inmitten der Armut und Verzweiflung, weiterhin sehr konkret bedroht durch die Deutschen – die organisierte vollständige Vernichtung aller Juden in Shanghai war ein konkreter Plan der Nationalsozialisten (vgl. Finkelgruen 1997) – bekamen sie am 9.3.1942 ihren Sohn Peter. Sie ließen diesen dort gleich zweimal hintereinander Taufen, in der verzweifelten Hoffnung, dass zumindest die Kirchen ihren jüdischen Sohn in Shanghai beschützen würden, was diese jedoch zurück wiesen. Am 29.7.1943, 16 Monate nach der Geburt seines Sohnes, verstarb der Kaufmann und begnadete Autor Hans Leo Finkelgruen völlig verarmt an Mangel medizinischer Versorgung im jüdischen Ghetto Shanghai. Seine schwer kranke Frau Esti versuchte verzweifelt, den Lebensmut nicht zu verlieren, ihr Kleinkind irgendwie zu ernähren. Sie hielt den Briefkontakt zu einzelnen, verstreut in der Welt lebenden Freunden (Herbert Ashe in New York, Tilly Cohn in Zürich, Dora Finkelgruen in Palästina) aufrecht, erhielt von diesen immer wieder Lebensmittelpakete. Gesundheitlich schwer geschädigt gelang ihr Ende 1946 noch die Übersiedlung mit Peter nach Prag, wo sie wieder mit ihrer Mutter Anna, der KZ-Überlebenden, zusammen kam. Am 1.6.1950 starb die seit Jahren schwer kranke Esti in Prag. Ihrem letzten Wunsch folgend gelang ihrer Mutter Anna gemeinsam mit dem neunjährigen Peter noch die Übersiedlung nach Israel zu Hans Tante Dora Finkelgruen.

Und zuletzt Dora Fanny Finkelgruen: Die am 20.8.1913 in Bamberg geborene Schwester von Hans verspürte als Jüdin früh die Gefahr. 1937 übersiedelte sie nach ihrer Hachschara in der Lohnberger Hütte als überzeugte junge Zionistin nach Palästina, wo sie gemeinsam mit ihrem gleichfalls aus Deutschland geflohenen Mann Gerhard ihr zionistisches Ideal realisierte, indem sie gemeinsam den Kibbuz Kfar Hammakabi aufbauten. Dort lebten Peter Finkelgruen und Anna nach ihrer Ankunft in Israel für einige Monate.

Eine Frage jedoch hat sich mir bei der Lektüre der zahlreichen Bücher über die Edelweißpiraten aufgedrängt, die einige Leser vermutlich als unangemessen empfinden. Ich stelle sie dennoch: Wie viel Prozent der „Ankläger“ hätten die Bereitschaft, den Mut gehabt, sich im totalitären nationalsozialistischen System zu verweigern? Wie viele von ihnen hätten sich den Edelweißpiraten oder anderen Widerstandsgruppen angeschlossen, hätten die Konfrontation, die Auseinandersetzungen mit der Hitlerjugend und der allgegenwärtigen Gestapo auf sich genommen? Wie viele hätten die „Vierte Front“ (Finkelgruen) gebildet? Wie viele von ihnen hätten sich getraut, in Köln aktiven, gewaltsamen Widerstand gegen die Terrorherrschaft zu leiten? Wer von ihnen hätte untergetauchten Juden, bedrohten Zwangsarbeitern Unterschlupf geboten?  Wer von ihnen, von uns, hätte seine jüdischen Nachbarn gewarnt, hätte ihnen zur Flucht geraten? Wer wäre aus Solidarität mit den bedrohten Juden aus Nazideutschland, aus Köln  geflohen? Es spricht nichts dafür, dass deren Anteil höher wäre als der der Gesamtbevölkerung. Es ist eine Frage, die sich jeder Generation neu stellt und die jede Generation für sich selbst neu beantworten muss.

Für Finkelgruen war es als „zurück gekehrter“, als in Köln lebender Jude eine ganz außergewöhnliche Ermutigung zu wissen, zu erfahren, dass – wie er in seinem hier auf haGalil veröffentlichtem Buch schreibt – „die eigenen Eltern oder sogar Großeltern sich nicht total passiv und ohne jegliche Gegenwehr den Nazis zwecks „Endlösung“ ausgeliefert haben.“

Und Finkelgruen war tief beeindruckt zu erfahren, dass es auch in Köln Juden gegeben hat, „die in Köln Widerstand geleistet haben.“ (ebd.) Dass es „Juden und Nichtjuden“ gegeben hat, „die sich gemeinsam widersetzten.“

Peter Finkelgruen hebt hervor: „Nach dem Krieg konnte ich gegenüber den Nazis einen Teil meiner Würde aus diesem bisschen Widerstand schöpfen – viel war es nicht, aber immerhin. Welch furchtbare Vorstellung, wenn alle, alle sich ohne jede Art von Widerstand den Nazis selbst ausge­liefert hätten! Die überlebenden Kinder hätten auf den Gedanken kommen können, dass es sich selbst rechtfer­tige, wenn der Staat und seine Bürokraten mit und ohne Uniform die „Endlösung“ nach allen Regeln des Verwal­tungsstaates einleiten und die zu Endlösenden sich entsprechend diesen Regeln fügen.“

Seine sehr persönliche Auseinandersetzung um das Schicksal der Kölner Edelweißpiraten, welche er in einem unveröffentlichten Buch niederschrieb, handelte von der Frage, „wie heute mit jenen umgegangen wird, die ihren Widerstand gegen die Nazis konsequent zu Ende brachten.“ (Ebd.)

Die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung, das Erstarken von teils offen rechtsradikalen und antisemitischen Parteien, das Erstarken einer geschichtsrevisionistischen Partei wie der AfD, spricht nicht dafür, dass „wir“ wirkliche Fortschritte gemacht haben.

Bild oben: Am Edelweißpiraten-Denkmal Köln, © R. Kaufhold

 


Die Buches liegt auch in Druckversion vor:

Peter Finkelgruen, „Soweit er Jude war…“ Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944, Hrsg. v. Roland Kaufhold, Andrea Livnat und Nadine Englhart, Hardcover, 352 S., ISBN-13: 9783752812367, Euro 39,90, Bestellen?

Paperback, Euro 17,99, Bestellen?
Ebook, Euro 9,99, Bestellen?

 

Literatur

(zeitlich chronologisch geordnet)

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Finkelgruen, P. (1978b): Frankfurter Rundschau 18.9.1978

Finkelgruen, P. (1979): Walter Scheel: Kölner Widerstandskämpfer waren Verbrecher! In: Freie Jüdische Stimme (FJS) H. 1, Juli 1979. (s. haGalil 7/2019): https://www.hagalil.com/2019/07/freie-juedische-stimme/)

Finkelgruen, P. & G. Seehaus-Finkelgruen (1979): „Endlöser mit 35 Jahren Verspätung vor Gericht“, Freie Jüdische Stimme, Nr. 9, Nov. 1979. (s. haGalil 7/2019): https://www.hagalil.com/2019/07/freie-juedische-stimme/)

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Verwendete Publikationen von Roland Kaufhold, u.a. über die Edelweißpiraten

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Kaufhold, R. (2012): Kein Ort. Nirgends. Peter Finkelgruen: Von Shanghai über Prag und Israel nach Köln, in: Tribüne H. 201 (2/2012), S. 82-87; eine veränderte Version: Journal 21 (Zürich) (2012): https://www.journal21.ch/category/tags/peter-finkelgruen

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Kaufhold, R. (2013b): „Du bist davongekommen, du bist davongekommen, du bist davongekommen!“, haGalil, 21.3.2013:  https://www.hagalil.com/2013/03/giordano-4/

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Kaufhold, R. (2016c): Das Flüchtlingskind und der Ochsenfrosch. Peter Finkelgruen – Von Shanghai über Prag und Israel nach Köln. Lebensstationen eines Journalisten und Schriftstellers, haGalil, 3.5.2016: https://www.hagalil.com/2016/05/finkelgruen-16/

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Kaufhold, R. (2017b): Peter Finkelgruens Gedenkrede in Peking. Eine chinesisch-tschechisch-deutsche Erinnerungsveranstaltung zur Shoah, haGalil, Februar 2017: https://www.hagalil.com/2017/02/gedenkrede-in-peking/

Kaufhold, R. (2017c): Vatersprache. Gertrud Seehaus Gedichte über den Lischka-Prozess, hasGalil, 27.11.2017: https://www.hagalil.com/2017/11/vatersprache/

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Kaufhold, R. (2017d): Von Shanghai nach Köln. Peter Finkelgruen wird 75 (lange Version),  haGalil, 9.3.1917: https://www.hagalil.com/2017/03/finkelgruen-18/

Kaufhold, R. (2018a): Adresse der Linksliberalen. In Köln erinnerte eine Festveranstaltung an die Gründung des Liberalen Zentrums vor 40 Jahren, Neues Deutschland, 27.8.2018

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Kaufhold, R. (2018e):  Dieter Kunzelmann ist tot. Der Protagonist des „Judenknaxes“ und des linken Antisemitismus, haGalil, 21. Mai 2018: https://www.hagalil.com/2018/05/kunzelmann/

Kaufhold, R. (2019a): Eine „jüdische Apo“: Die Freie jüdische Stimme (1979 – 1980), haGalil, 7.7.2019: https://www.hagalil.com/2019/07/freie-juedische-stimme/

Kaufhold, R. (2019b): Eine jüdische APO. Vor 40 Jahren gründeten Henryk M. Broder und Peter Finkelgruen in Köln die »Freie Jüdische Stimme«, in: Jüdische Allgemeine, 4.7.2019: https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/eine-juedische-apo/

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Literatur (alphabetisch)

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Breyvogel, W. (Hg.) (1991): Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. Bonn: Dietz. 

Bothien, H.-P,  M. von Hellfeld, S. Peil & J. Reulecke (2017): Ein Leben gegen den Strom. Michael Mike Jovy. Münster: LIT Verlag.

Der Spiegel (1981): Spiegel Gespräch: „Für Juden gibt es hier keine Normalität“. Der Journalist Henryk M. Broder über die Gründe, warum er die Bundesrepublik verließ, Der Spiegel, 20.4.1981, https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14328371.html

Dittmar, S. (2011): „Wir wollen frei von Hitler sein“. Jugendwiderstand im Dritten Reich am Beispiel von drei Kölner Edelweißpiraten. Berlin: Peter Lang Verlag.

Federn, E. (1985/2014): Weitere Bemerkungen zum Problemkreis „Psychoanalyse und Politik“, Psyche 4/1985 (39. Jg.), S. 367-374; wiederveröffentlicht auf haGalil, 10.4.2014:  https://www.hagalil.com/2010/04/psychoanalyse-und-politik/

Federn, E. (2014): Versuch einer Psychologie des Terrors (1946/1989). In: Kaufhold, R. (Hg.) (2014): Versuche zur Psychologie des nationalsozialistischen Terrors. Gießen: Psychosozial Verlag, S. 51-91.

Fiege, C. & NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hg.) (1991) (Neuaufl. 2000): Gegen den braunen Strom. Kölner WiderstandskämpferInnen heute in Portraits der Arbeiterfotografie Köln. Katalog zur Ausstellung von NS-Dokumentationszentrum und Arbeiterfotografie Köln in der Alten Wache des Kölnischen Stadtmuseums, 14.3. – 12.5.1991. Köln: Emons Verlag.

Finkelgruen, P. (1978a / 2005): Freunde von gestern – und Feinde von heute (oder was mich ein jüdischer Edelweißpirat lehrte). In: Broder, H.-M./M. Lang: Fremd im eigenen Land. Frankfurt/M. (Fischer). https://www.hagalil.com/2012/03/edelweisspirat/

Finkelgruen, P. (1978b): Frankfurter Rundschau 18.9.1978

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Finkelgruen, P. & G. Seehaus-Finkelgruen (1979): „Endlöser mit 35 Jahren Verspätung vor Gericht“, Freie Jüdische Stimme, Nr. 9, Nov. 1979. (s. haGalil 7/2019): https://www.hagalil.com/2019/07/freie-juedische-stimme/)

Finkelgruen, P. (1980/2011): Köln und die Edelweißpiraten (Paul Urbat). In: Gröhler/Hoffmann/Tümmers (Hrsg.) (1980): Beispielsweise Köln. Ein Lesebuch. Lamuv Verlag, TB 4, haGalil 3.7.2011: https://www.hagalil.com/2011/07/edelweisspiraten/

Finkelgruen, P. (1992): Haus Deutschland. Die Geschichte eines ungesühnten Mordes. Berlin: Rowohlt.

Finkelgruen, P (1997): Erlkönigs Reich. Die Geschichte einer Täuschung. Berlin: Rowohlt.

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Horstschäfer, F. & F. M. Reifenberg (2019): Wo die Freiheit wächst. Briefroman zum Widerstand der Edelweißpiraten. München: ars Edition.

Jülich, J. (2003): Kohldampf, Knast un Kamelle. Ein Edelweißpirat erzählt sein Leben. Köln: KiWi.

Kaufhold, R.: Gesamtübersicht der Beiträge s.o.

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Klönne, A. (2003): Jugend im Dritten Reich. Die Hitlerjugend und ihre Gegner, Köln: PapyRossa Verlag (S. 238 – 273).

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Krauthäuser, J. / D. Werheid / J. Seyffarth (Hg.) (2010): Gefährliche Lieder. (Buch mit CD). Köln: Emons-Verlag.

Krauthäuser, J./K. Mescher/ B. de Torres (2016): Edelweißpiratenfestival. Eine Dokumentation in Text, Bild und Ton. Köln: Dabbelju Verlag.

Lange, S. (2015): Meuten, Swings & Edelweißpiraten. Jugendkultur und Opposition im Nationalsozialismus, Mainz: Ventil Verlag.

Loh, H. & B. Holl (Hrsg., 2018): Ein unbequemer Kölner bis zum Schluss: Kurt Holl. Autobiografisches Portrait eines 68ers. Köln: Edition Fredebold.

Maedge, M. (1980): Wie die Stadt zu einem Museum kam, in: H. Groehler, G. E. Hoffmann und H.-J. Tiimmers (Hrsg.), Beispielsweise Kaln, Bornheim-Merten 1980, S. 179ff.

Museen Köln (ohne Jahr): Jugendpolitik und Jugendverhalten 1933 – 1945: Chronik, Gruppen, Lieder. Internet: http://www.museenkoeln.de/ausstellungen/nsd_0404_edelweiss/db_index.html

Peukert, D. J. (1980): Die Edelweißpiraten. Protestbewegung jugendlicher Arbeiter im „Dritten Reich“.

Peukert, D. (1988): Die Edelweißpiraten: Protestbewegungen jugendlicher Arbeiter im ‚Dritten Reich‘. Eine Dokumentation, 3., erw. Aufl. Köln: Bund-Verlag.

Piehl, K. (1988): Geschichte eines Edelweißpiraten. Brandes & Apsel, Frankfurt a. M.

Pogany-Wendt, P. (2012): Jüdisch sein zu müssen, ohne es wirklich sein zu können – Ein Identitätsdilemma im Lichte des Holocaust. In: Kaufhold, R. & B. Nitzschke (Hg., 2012): Jüdische Identitäten in Deutschland nach dem Holocaust. Psychoanalyse. Texte zur Sozialforschung H. 1(28), 2012. Internet: http://roland-kaufhold.blogorio.com/content/juedische-identitaeten-nach-dem-holocaust-deutschland

Pogany Wnendt, P. (2019): Der Wert der Menschlichkeit. Psychologische Perspektiven für eine Humanisierung der Menschlichkeit. Gießen: Psychosozial Verlag.

Reinhardt, D. (2012): Edelweißpiraten. Berlin: Aufbau Verlag.

Rusinek, B.-A. (1989): Gesellschaft in der Katastrophe. Terror, Illegalität, Widerstand. Köln 1944/45. Essen: Klartext.

Seibert, W. (2014): Die Kölner Kontroverse. Legenden und Fakten um die NS-Verbrechen in Köln-Ehrenfeld. Essen: Klartext-Verlag.

Theilen, F. (1984): Edelweißpiraten. Geschichte eines Jugendlichen der trotz aller Drohungen nicht bereit war, sich dem nationalsozialistischen Erziehungsanspruch unterzuordnen. Mit einem

Von Hellfeld, M. (1981): Edelweißpiraten in Köln. Jugendrebellion gegen das 3. Reich. Köln: Pahl-Rugenstein.

Von Hellfeld, M. & A. Klönne (1985): Die betrogene Generation. Jugend im Faschismus. Köln: Pahl-Rugenstein.

Von Hellfeld, M. (1987): Bündische Jugend und Hitlerjugend. Zur Geschichte von Anpassung und Widerstand 1930 – 1939. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik.

Von Hellfeld, M. (2017): „Damit nicht alles vor die Hunde geht…“ Anfänge in der Bundesrepublik 1945 bis 1955, in: Peil Bothien, H.-P,  M. von Hellfeld, S. Peil & J. Reulecke (2017): Ein Leben gegen den Strom. Michael Mike Jovy, S. 44-73.

Zöller, E. (2013): Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife. Ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten. München: Hanser.

 

Anmerkungen:

[i] Erstmals erschienen in der Zeitschrift Psyche, 17. Jg, H. 5/1963, S. 241-291. Wiederabgedruckt in: Lohmann, H. M. (1984): Psychoanalyse und Nationalsozialismus, Frankfurt/M.: Fischer, S. 159-209.

[ii] Der Spiegel (10.10.1988): „Eine lästige, verordnete Pflichtübung“. SPIEGEL-Redakteurin Iris Nustede über Christian Pross‘ „Wiedergutmachung“. Internet: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13530617.html

[iii] Solche „zusätzlichen“ Rentenzahlungen an ehemalige SS-Männer bestehen teilweise bis heute bzw. es gab erst im Jahr 2019 versuche, diese Zahlungen abzuschaffen. Hierzu gibt es zahlreiche Zeitungsbeiträge, u.a.: „Rente für ehemalige SS-Soldaten: Zentralrat der Juden spricht von «unerträglichem Zustand»“:, NZZ, 26.3.2019: https://www.dw.com/de/deutsche-renten-an-belgische-ss-freiwillige/a-47604523; „Deutsche Renten an belgische SS-Freiwillige“, Deutsche Welle, 20.2.2019: https://www.dw.com/de/deutsche-renten-an-belgische-ss-freiwillige/a-47604523: https://www.nzz.ch/international/deutschland/warum-zahlt-deutschland-ss-soldaten-rente-ld.1470083.

[iv] Da in den nachfolgenden Kapiteln jedes Buch einzeln vorgestellt wird wird bei Zitationen nur am Anfang der Buchtitel und der Autor genannt, ansonsten belasse ich es zur leichteren Lesbarkeit bei der Seitenangabe.

[v] http://www.museenkoeln.de/ausstellungen/nsd_0404_edelweiss/db_index.html sowie http://www.museenkoeln.de/ausstellungen/nsd_0404_edelweiss/db_index.html

[vi] Die Deutsche Volkszeitung (DVZ), in der Goebs erster Beitrag (2.11.1978)  über Schink und die Edelweißpiraten publiziert wurde (vgl. Goeb 2016, S. 148f.), erschien von 1953 – 1989 und hatte entsprechende Themen wie dem „Kampf gegen den Atomtod“, die „Berufsverbote“ in der Bundesrepublik und die „Militarisierung“ der Bundesrepublik“. Dass all diese Phänomene in der DDR nicht anzutreffen seien verstand sich von selbst. 1989, wohl kurz vor dem Ende der DDR, fusionierte sie mit dem Blatt „Sonntag“ zum Magazin „Freitag“; zeitgleich wurde auch der der DKP sehr nahestehende Köln-Zollstocker Pahl-Rugenstein Verlag; beide lebten, wie nun auf faktisch bewiesen wurde,  vor allem von Millionenaufträgen aus der DDR. https://www.zeit.de/1989/52/von-den-genossen-verlassen Goeb musste seine Redakteurstelle nach einem, wie er selbst schrieb „beispiellosen Kesseltreibe“ wohl 1981 aufgeben, wie der mit der Materie sehr vertraute Journalist Franz Sommerfeld in einem erinnernden Hintergrundbeitrag schreibt. http://carta.info/als-die-geschichte-zu-rotieren-begann-von-der-volkszeitung-zum-freitag/. In meiner Besprechung von Goebs zweitem B. Schink Buch (2016) habe ich teils scharfe Kritik an einigen Aspekten des Werkes geübt, im Kontext eines Diskurses über linken Antizionismus.

[vii] In seinem Buchbeitrag (Finkelgruen 1980) über Paul Urbat bezeichnet Finkelgruen ihn noch, um dessen Identität zu schützen, als „Günter S.“: https://www.hagalil.com/2011/07/edelweisspiraten/

[viii] Vgl. Conze, E./N. Frei/ P. Hayes & M. Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. München: Karl Blessing Verlag, S. 663, sowie: Braune Diplomaten, Die Zeit 15.8.2010: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-08/auswaertiges-amt-nazis/komplettansicht

[ix] Auf der offenkundig vom EL-DE Haus gestalteten Website mit vielfältigen Informationen über die Edelweißpiraten findet sich ein, wissenschaftlich betrachtet, befremdlich anmutendes Dokument, in dem – in vollständigem Widerspruch zu Peter Finkelgruens hier veröffentlichtem Buch (1981), eine Unvereinbarkeit während der Zeit des Nationalsozialismus zwischen den „edlen“ „Edelweißpiraten“ und der „kriminellen“ Ehrenfelder Gruppe um Hans Steinbrück konstruiert wird. Nüchtern betrachtet ist dies zugleich eine Negierung der Biografien etwa von Theilen, Jülich und Koch. Dort findet sich die Feststellung: „„Die „Steinbrück-Gruppe“ selbst hatte nichts mit „Edelweißpiraten“ zu tun. Allerdings kamen einige Jugendliche, die zuvor zu den Ehrenfelder „Edelweißpiraten“ gezählt hatten, im Sommer 1944 in Kontakt mit Steinbrück, dessen Anweisungen sie seitdem befolgten. An Fahrten oder anderen Aktivitäten ihrer früheren Gruppen nahmen sie nun nicht mehr teil, sondern beschafften stattdessen weisungsgemäß Waffen. Warnungen, die gefährliche Nähe zu Steinbrück zu meiden, ignorierten sie. Franz Rheinberger und Bartholomäus Schink, beide 1927 geboren, hatten sich im Juni 1944 am Bunker Körnerstraße kennen gelernt. Rheinberger, der zeitweise ein Edelweißabzeichen am Hut trug, führte Schink in die Gruppe von „Edelweißpiraten“ ein, die sich am „Ehrenfelder Loch“ im inneren Grüngürtel traf. Bald erschien beiden jedoch der Kontakt zu Hans Steinbrück interessanter; sie suchten den Treffpunkt daher nicht mehr auf.“

http://www.museenkoeln.de/ausstellungen/nsd_0404_edelweiss/db_inhalt.asp?G=44; vgl. auch die Personenangaben des von Yad Vashem Ausgezeichneten B. Schink: http://www.museenkoeln.de/ausstellungen/nsd_0404_edelweiss/db_inhalt.asp?G=44&P=157. Was als eine wissenschaftliche Aussage imponieren mag ist faktisch die Fortsetzung des persönlich und weltanschaulich gespeisten Kampfes zwischen dem EL-DE Haus Mitarbeiter Martin Rüther sowie Alexander Goeb (2016); vgl. Kaufhold (2018a, b). Ob diese über 40 Jahre kultivierten „Kölner Kontroversen“ hilfreich dabei sind, die Zeit des Nationalsozialismus und die Biografien der wenigen „unangepassten“ Jugendlichen sowie einzelner Widerstandskämpfer in Köln angemessen zu verstehen dürfte als höchst zweifelhaft erscheinen.

[x] Mark Obert (2004): Jean Jülich sieht sich doch nicht als Widerstandskämpfer, Frankfurter Rundschau, 15.7.2004: https://www.fr.de/politik/jean-juelich-sieht-sich-doch-nicht-widerstandskaempfer-11732349.html

[xi] Am 20.4.1978 hatte es bereits eine weitere Monitor-Sendung über Bartholomäus Schink und die Edelweißpiraten gegeben.

[xii] Bei der zeitlichen Einordnung ist Jülich, leicht nachvollziehbar, ein winziger Fehler unterlaufen: Er ordnet dieses Treffen mit Dette „Mitte der achtziger Jahre“ (S. 176) ein, also nach der Auszeichnung in Yad Vashem. Dieses hat jedoch Ende der 1970er Jahre stattgefunden; Finkelgruens Buch, in dem er diese Szene schildert, wurde 1981 abgeschlossen.

[xiii] Vgl. Faulenbach, B. & A. Kaltofen (Hg.) (2017): Hölle im Moor. Die Emslandlager 1933–1945. Göttingen: Wallstein.

[xiv] Siehe hierzu: https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/default.aspx?s=396

[xv] Schwab, S (2019): Besprechung von „Reifenberg: „Wo die Freiheit wächst“. Jugendliche gegen das Hitlerregime, Deutschlandfunk Kultur, 3.7.2019: https://www.deutschlandfunkkultur.de/f-m-reifenberg-wo-die-freiheit-waechst-jugendliche-gegen.950.de.html?dram:article_id=452857

[xvi] Persönl. Mitteilung von Peter Finkelgruen, Juni 2019.

[xvii] Über die Beziehung von Prof. Ulrich zu Finkelgruen und dessen erster Frau Irmtrud Finkelgruen, die zu einer mehrere Jahre andauernden infamen Kampagne des rechtsnationalen FDP-Flügels gegen alle drei  führte – der FDP-Staatssekretär des Justizministeriums Ulrich Klug und Irmtrud Finkelgruen wurde sogar eine Unterstützung der RAF angedichtet, wird in dem geplanten Buch über Peter Finkelgruen eine Studie erscheinen.

[xviii] Siehe hierzu: „Der Kampf für die Einrichtung der Gedenkstätte: https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/default.aspx?s=445

[xix] Der „Vorlass“ von Peter Finkelgruens Materialien befindet sich in der Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA), Vorlass Peter Finkelgruen, Köln, RWWA 570-1-1 foltlaufend

[xx] https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/default.aspx?s=2505&sfrom=1233&buchstabe=A&id=297&f=Autohaus%20Eduard%20Maletz; vgl. auch den Redebeitrag von W. Jung: http://www.rollybrings.de/kuratorium/Werner_Jung_Rede_Einweihung_Denkmal_Ehrenfeld_2010_.pdf

[xxi] Rüther zieht den Begriff der „Examensarbeit“ dem Begriff der wissenschaftlichen Studie vor; von Hellfelds Studie erschien bekanntlich 1981 als Buch, erlebte wohl eine Gesamtauflage von mindestens 25.000 und wurde in der Literatur vielfach rezipiert..

[xxii] Internet haGalil: https://www.hagalil.com/2016/03/schink/; s. auch: Kaufhold (2016): Die Edelweißpiraten, Neues Deutschland, 6.5.2016:  https://www.neues-deutschland.de/artikel/1010898.die-edelweisspiraten.html?sstr=roland|kaufhold

[xxiii] Exemplarisch verwiesen sei auf diese Website: http://www.museenkoeln.de/ausstellungen/nsd_0404_edelweiss/index.html; sowie: http://www.jugend1918-1945.de/thema.aspx?s=4962&m=4959&open=4962

[xxiv] Das Kölner EL-DE Haus hat, so sei ergänzend hinzugefügt, auf seiner Website nur einen kurzen, B. Schinks Wirken skizzierenden Beitrag veröffentlicht. In diesem Kurzportrait erscheint Schink als eine eher marginale Person innerhalb der Edelweißpiraten; auch seine Einordnung als „Krimineller“ erscheint in diesem offiziellen Portrait als möglich. Zitiert sei: „Am 5.8.1944 wurde Sch. als Freiwilliger in die Waffen-SS aufgenommen. Sch. und Rh. wurden am 4.9. zum Westwall eingezogen, flohen aber bereits einen Tag später. Sch. ging weiter zur Arbeit und erklärte seinem Arbeitgeber, dass er vom Westwall entlassen worden sei. Ab 1933 war er Mitglied des Jungvolks, ab 1942 der HJ. (…) Sch. war seit Juni 1944 ein enger Freund Rh.´s, lernte Steinbrück über Rh. kennen und wurde am 4.10.1944 gemeinsam mit ihm und einem weiteren Jugendlichen in einer Gartenlaube am Blücherpark festgenommen. Zwei Tage zuvor hatte ein V- Mann der Kriminalpolizeistelle Ehrenfeld mitgeteilt, dass Rh. geäußert haben soll, 1500 RM dafür bekommen zu haben, dass er einen Menschen umgelegt habe. Auch Sch. sei an dieser Sache beteiligt. (…) Zu dieser Zeit hatte Sch. aber wahrscheinlich keine näheren Kontakte zu anderen Edelweißpiraten mehr. Diese Verbindungen waren aber auch zuvor nicht sehr eng geknüpft (…) Sch. schloss sich stattdessen immer enger dem Kreis um Steinbrück an und beteiligte sich aktiv an den Einbrüchen und Waffengeschäften. Er war bei der Amokfahrt durch Ehrenfeld dabei und gab dabei auch selber einen Schuss ab. Sch. wurde am 10.11.1944 in Köln-Ehrenfeld öffentlich erhängt.“ Link:http://www.museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/pages/1200.aspx?s=1200&stid=1040&stt=K%C3%B6ln%20-%20Ehrenfeld. Es hätte Goebs Position und Plausibilität keinen keinen Abbruch getan, wenn er dieses offizielle Kurzportrait des Kölner EL-DE Hauses zumindest als Quelle in seinem Buch erwähnt hätte. Dann wäre eine Grundlage für eine argumentative Auseinandersetzung und Kritik dieser Position gelegt worden.

[xxv] Antisemitismus in der DDR, Bundeszentrale für politische Bildung, 2006: http://www.bpb.de/themen/I2CRVI,0,Antisemitismus_in_der_DDR.html, Antisemitismus in der DDR, Deutschlandradio, 16.10.2009: http://www.deutschlandradiokultur.de/antisemitismus-in-der-ddr.1079.de.html?dram:article_id=176132; Antisemitismus in der DDR: Propaganda gegen Israel und Juden, Deutschlandfunk, 13.3.2016:http://www.deutschlandfunk.de/antisemitismus-in-der-ddr-propaganda-gegen-israel-und-juden.886.de.html?dram:article_id=340619; Andreas Strippel: Antisemitismus und NS-Vergangenheit in der ostdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Publikative, 17.11.2015

https://honestlyconcerned.info/links/antisemitismus-und-ns-vergangenheit-in-der-ostdeutschen-nachkriegsgesellschaft-publikative/; Judith Kessler: Fast „unsichtbar“ – Juden in der SBZ/DDR 1945–89: https://www.hagalil.com/archiv/2014/11/17/juden-in-der-ddr.

[xxvi] Weiterhin: Die durchsichtige Strategie der SED-Führung, Die Welt, 29.4.2015: https://www.welt.de/sonderthemen/deutschland-israel/article140267592/Die-durchsichtige-Strategie-der-SED-Fuehrung.html ; Heike Amos: Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949-1963, Münster 2003 (LIT Verlag), S. 548

[xxvii] Politisches Buch: Die nützlichen Idioten, Der Spiegel, 25.9.1995 https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9221729.html

[xxviii] Harry Waibel (2006): Kritik des Antisemitismus in der DDR, Internet: https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/kritik-des-antisemitismus-in-der-ddr/; Im Internet ist die Studie auf Waibels Website zu lesen: http://www.harrywaibel.de/anlagen_archiv/Kritik%20des%20Anti-Semitismus%20in%20der%20DDR.pdf

[xxix] Eine kürzere Version dieser Besprechung ist auf haGalil, 9.6.2018, erschienen: https://www.hagalil.com/2018/06/jovy/; eine weitere Version im Neuen Deutschland, 1.6.2018.

[xxx] Siehe: Kaufhold, R. (2017): 40 Jahre nach Entebbe. Deutsche Linke, Erinnerungen an den Holocaust und Antizionismus. Ein Vortragsabend mit Tobias Ebbrecht-Hartmann, haGalil, 2.2.2017: https://www.hagalil.com/2017/02/40-jahre-nach-entebbe/