Ungarn – Chile – Köln

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Ein Interview mit dem Kölner Psychotherapeuten Peter Pogany-Wnendt über jüdische Identitäten…

Das Interview führte Roland Kaufhold

Peter Pogany-WnendtRoland Kaufhold (RK): Herr Pogany-Wnendt, Sie wurden 1954 als Kind jüdischer Überlebender in Ungarn geboren, mussten das Land jedoch bereits 1956 nach dem Ungarnaufstand verlassen. Dennoch sprechen Sie bis heute ungarisch. Was verbindet sie heute mit Ungarn?

Peter Pogany-Wnendt (PPW) : Wenn ich die aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklung in Ungarn sehe, dann ist mir Ungarn auf schmerzlicher Weise fremd geworden. Wie soll ich mich mit einem Land verbunden fühlen, in dem solcher ein unfassbarer Antisemitismus und Antiziganismus herrscht?

1956 sind Sie mit Ihren Eltern nach Chile gegangen – Zufluchtsstätte vieler Juden, aber auch vieler Nazis. Dort haben Sie 15 Jahre gelebt. Welche Erinnerungen haben Sie an Chile?

PPW: Die ersten Jahre in Chile waren für meine Eltern sehr schwer. Wir lebten in ein fremdes Land unter bescheidenen finanziellen Verhältnissen. Aber es gab Menschen, nicht nur aus der eigenen Familie, die uns halfen. Chile ist ein wunderbares Land, mit freundlichen Menschen. Leider auch ein Land, in dem eine große Kluft zwischen Arm und Reich herrschte. Soweit meine Erinnerung reicht, lernte ich nur die Seite des Wohlstands kennen. Die andere blieb mir verborgen. Sie spielte sich jenseits meines täglichen Horizonts ab.

Haben Sie als Jugendlicher viel in jüdischen Kreisen verkehrt? War Chile für Ihre Eltern eine Möglichkeit, Distanz zu den Verfolgungserfahrungen zu gewinnen, eine neue Identität aufzubauen?

PPW:  Ich wurde nicht jüdisch erzogen. Aber es ließ sich nicht vermeiden, dass wir in jüdischen Kreisen verkehrten, weil wir dort eine große Familie hatten und es dort viele ungarische Juden gab. In meiner Pubertät war ich in einer jüdischen zionistischen Organisation aktiv tätig.

Ich glaube nicht, dass meine Eltern in Chile Distanz von ihren Verfolgungserfahrungen gewinnen konnten. Sie trugen sie in sich. Sie beherrschten, wenn auch ungewollt und oft nur unterschwellig, unseren Alltag.

1970 sind Sie nach Deutschland gegangen. Was wussten Sie von Deutschland?

PPW:  Deutschland war für mich von Kindheit an das „Land der Täter“ und die Deutschen der „Inbegriff des Bösen“. Deutschland, das waren „die Nazis“. An Deutschland zu denken machte mir als Kind Angst, obwohl ich faktisch nichts über Deutschland wusste.

Wie standen Ihre Eltern zu Ihrem Entschluss, in das ehemalige „Land der Täter“ zurück zu kehren?

PPW:  Den Entschluss nach Deutschland zu kommen haben meine Eltern getroffen. Ich war erst 16 Jahre alt. Nach der Erfahrung mit der kommunistischen Diktatur in Ungarn befürchteten sie, dass  sich mit Allende erneut eine kommunistische Diktatur entwickeln könnte. Das wollten sie nicht wieder erleben.

Sie haben in  Münster Medizin studiert, anschließend eine psychotherapeutische Ausbildung gemacht. Hat Ihre jüdische Familienbiografie Sie in Ihrer Wahrnehmung von Deutschland, in Ihrer beruflichen Sozialisation geprägt?

PPW:  Mein Jüdischsein hat mein Leben in Deutschland ganz entscheidend geprägt. Meine Eltern haben verheimlicht, dass wir Jude sind, so dass ich „versteckt“ leben musste. Erst 1985, als ich heiratete, beschloss ich offen damit umzugehen. In der psychoanalytischen Ausbildung, insbesondere in meiner Lehranalyse spielte meine jüdische Zugehörigkeit und die Tatsache, dass meine Eltern Überlebende des Holocaust waren, kaum eine Rolle. Aus diesem Grunde wurde ich Mitbegründer von PAKH. Ich fühlte mich mit dem Problem sehr alleine und suchte Menschen, die bereit waren, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen.

Sie haben einen kürzlich einen großen Beitrag über „Jüdische Identität“ veröffentlicht, erstmals. Wie würden Sie Ihre jüdische Identität skizzieren?  Wie lebt es sich in Deutschland?

PPW:  Ich sehe mein Jüdischsein weniger als Teil meiner Identität, sondern vielmehr als eine Zugehörigkeit. Ich bin an das Judentum hauptsächlich über die Tatsache, dass meine Eltern Holocaust-Überlebende waren, gebunden. Mein Verhältnis zu meinem Jüdischsein beschreibt der Titel meines Beitrages ziemlich genau: „Jüdisch sein zu müssen, ohne es wirklich sein zu können.“

Ich fühle mich in Deutschland, auch als Jude, wohl. Es gibt auch hier Antisemitismus gegen den man wachsam sein muss. Aber in welchem anderen Land gehen 15.000 Menschen auf die Straße, um den Aufmarsch von einigen Hundert Neonazis zu blockieren, wie beispielsweise vor einigen Jahren in Köln?

1995 haben Sie gemeinsam mit einigen Freunden und Kollegen den Arbeitskreis für intergenerationelle Folgen des Holocaust, ehem. PAKH gegründet.  Solche Gruppen, in denen „Deutsche“ und „Juden“ regelmäßig aufeinander treffen, sich über ihre Lebensgeschichten austauschen, haben häufig nur ein kurzes Leben gehabt. Ihre Gruppierung existiert bis heute. Was sind ihre zentralen Erfahrungen?

PPW: Im PAKH habe ich gelernt die transgenerationellen Auswirkungen des Holocaust auf meine Entwicklung besser zu erfassen und zu verstehen. Heute fühle ich mich besser in der Lage mich vom Leid meiner Eltern abzugrenzen. Als Kind habe ich ihn zu meinem Leid gemacht. Dadurch kann ich meine selbstbestimmte Identität besser zum Zuge kommen lassen.

Ich habe in PAKH auch gelernt zu verstehen welche schwere Last die Kinder der Täter und Mittäter tragen. PAKH ist vor allem eine Dialog-Gruppe.

Sie arbeiten in Köln als  ärztlicher Psychotherapeut. Sie haben viele Patienten aus anderen Ländern. Profitieren Sie – und Ihre Patienten – von Ihren vielfältigen kulturellen Erfahrungen?  Wissen Ihre Patienten von Ihrer jüdischen Familienbiografie?

PPW:  Ich behandele viele Patienten aus anderen Kulturkreisen, die ihre Heimat freiwillig oder gezwungenermaßen verlassen haben. Ich weiß was es bedeutet, die eigene Heimat, die Freunde, die Familie, usw. zu verlassen. Ich kann in manchen Fällen, z.B. bei Patienten, die aus Südamerika kommen, ihre Erfahrungen unmittelbar auf dem kulturellen Hintergrund verstehen. Manche Therapien mache ich sogar in Spanisch.

Es gibt Patienten, die über Internet erfahren, dass ich Jude bin. Bei anderen wird es während der Therapie zum Thema.

Kürzlich waren Sie gemeinsam mit Mitgliedern des PAKH in Israel. Wie haben Sie Israel empfunden?

PPW: Ich war in Israel 1985. Seitdem hat es sich auf atemberaubender Weise entwickelt. Ich habe eine gewisse Bewunderung gespürt, aber mir kamen auch Bedenken. Es hat etwas Irreales am Strand von Tel-Aviv das pulsierende, scheinbar unbeschwerte Leben zu sehen, sich aber dabei ins Bewusstsein zu rufen, dass es ein Land ist, das in ständiger Bedrohung und im Krieg lebt. Das ist schwer auszuhalten. Ich hatte den Eindruck, dass die meisten Menschen sich nach Frieden sehnen. Desto frustrierender ist es, mitzubekommen, dass sie gleichzeitig wenig Hoffnung auf eine schnelle Lösung haben. Das hat mich traurig gestimmt.

Peter Pogany-Wnendt hat kürzlich eine umfangreiche, autobiografisch geprägte Studie vorgelegt: Jüdisch sein zu müssen, ohne es wirklich sein zu können – Ein Identitätsdilemma im Lichte des Holocaust. In: Roland Kaufhold & Bernd Nitzschke (Hg.) (2012): Jüdische Identitäten in Deutschland nach dem Holocaust, in: Psychoanalyse, Texte zur Sozialforschung, Heft 1, 2012, 150 S., 12.80 Euro.‎

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Das Ende der Sprachlosigkeit?

Am 4.7. stellt Peter Pogany-Wnendt gemeinsam mit Kollegen im Kölner EL-DE Haus das Buch vor.

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