Über die Zerstörung und den Neuaufbau von Nir Oz

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Foto: haGalil

Dieser Beitrag ist dem Kibbuz Nir Oz gewidmet. 1955 gegründet kann Nir Oz als das Symbol eines linken, friedensbereiten, idyllischen jüdischen Friedensortes gelten. Nur drei km von Gaza entfernt wurde dieser wunderbare, durch seine ökologische Schönheit und seine harmonische Grundhaltung berührende Ort am 7. Oktober von palästinensischen Terroristen in einen Ort des absoluten und grenzenlosen Schreckens verwandelt.

Von Roland Kaufhold

Der 7.10.2023 war der schlimmste und brutalste Übergriff auf Juden seit 1945. Nir Oz war, neben etwa zehn weiteren Kibbuzim, der Hauptbetroffene dieses seit Jahren sorgfältig geplanten und bestialisch umgesetzten Angriffs. Es wurden jedoch nicht nur Kibbuzim am Gazastreifen überfallen sondern auch Dörfer, also ganz allgemein Zivilgemeinden.

Das Ausmaß des von der palästinensischen Zivilbevölkerung unterstützten terroristischen Wütens von etwa 500 Hamas-Terroristen übertrifft jedes Vorstellungsvermögen: Sieben Stunden lang wütete ein barbarischer Mob von Terroristen ausgerechnet in dem Ort der linken Kibbuzniks, die den Palästinensern aus Gaza über Jahrzehnte immer wieder in vielfältiger Weise Unterstützung und Arbeit geboten hatten.

Nach sieben Stunden brutalster terroristischer Gewalt, die am 7.10. um 6:29 Uhr begann, waren etwa ein Viertel der 450 Kibbuzniks ermordet und etwa 75 von ihnen entführt worden. Bis heute werden 13 Geiseln aus Nir Oz in Gaza gefangen gehalten. Premier Netanyahu hat es bis heute vorgezogen, Nir Oz nicht zu besuchen.

Ich war, zusammen mit einer Gruppe von 17 Menschen u.a. aus Köln und Bergisch Gladbach, vom 31.3. – 17.4. zu einem Arbeits- und Solidaritätsbesuch im stark zerstörten Kibbuz Nir Oz. Diese Form der unmittelbaren Solidarität war für uns eine Selbstverständlichkeit.

Dieser Beitrag ist vor allem dem Schicksal der Geiseln aus Nir Oz gewidmet.

Unser Arbeitsbesuch in Nir Oz

Der Verein Solidaritätspartnerschaft Bergisch Gladbach – Nir Oz, vorangetrieben vor allem von Petra Hemming und dem Musiker Roman Salyutov, beide eng mit dem Staat Israel verbunden, entstand 2024, als Reaktion auf das barbarische Pogrom. Die Initiatoren, denen es um sehr konkrete Solidarität und um einen Neuaufbau des Kibbuz Nir Oz geht – der von den Bewohnern von Nir Oz gewünscht und vorangetrieben wird – schickten bereits kurz nach dem Pogrom Anfragen an mehrere am 7.10. stark angegriffenen Kibbuzim und fragte an, wer konkretes Interesse an einer festen Kooperation hat. Nir Oz antwortete sogleich – und bereits im August 2024 besuchte die erste Gruppe von Freiwilligen Nir Oz. Es folgten im gleichen Jahr und 2025 weitere Gruppen, die im Kibbuz Nir Oz arbeiteten. Der Solidaritätsverein Bergisch Gladbach genießt in Nir Oz, wie ich selbst erlebt habe, durch das konkrete, kontinuierliche Engagement große Wertschätzung.  

Inzwischen existieren zahlreiche Filmdokumente über den 7. Oktober in Nir Oz. Genannt sei ein Film, in dem Rita Lifshitz, selbst Opfer des Pogroms und Verwandte des ermordeten Oded Lifshitz, als Zeitzeugin inmitten der ausgebrannten Häuser von Nir Oz aussagt.

Wir sind Rita Lifshitz – „My name is Rita, I came 42 years ago to Nir Oz“ – verschiedentlich in Nir Oz begegnet.

In einem Film von Jenny Havemann – „So helfen Deutsche im Kibbuz Nir Oz“ – sowie in einem Podcast von Arye Sharuz Shalicar wurde umfassend über unsere Arbeit in Nir Oz berichtet.

Aus unserem Arbeitsaufenthalt in Nir Oz seien nur einige Szenen beschrieben. 

Foto: R. Kaufhold

Am Frankfurter Flughafen werden wir von einer jungen Soldatin wie üblich nach dem Ziel der Reise befragt. Unser Status als Volunteer war bekannt. Eine Freundin sagte: Nir Oz, um dort zu helfen. Die Frau hatte Tränen in den Augen.

Bei der Ankunft am 31.3.2025 nachts war die Verlassenheit von Nir Oz spürbar. Wir gingen zuerst den langen, mit Plakaten der Geiseln gesäumten Fußweg entlang. Auf einigen Plakaten war eine schwarze Schleife hinzu gefügt worden – diese Bewohner von Nir Oz waren ermordet worden. Gelbe Schleifen hingegen bedeuten, dass diese Geiseln doch noch in Geiselhaft sind. 

Foto: R. Kaufhold

Wir wohnten in kleinen Bungalows am Rande der prächtigen Wiese, dem Mittelpunkt von Nir Oz. Viele der Bäume sind schon über 70 Jahre alt. Sie waren von einem Landschaftsgärtner mit deutschen Wurzeln bereits bei der Gründung von Nir Oz gepflanzt worden. Wir trafen diesen betagten Kibbuznik häufig beim Mittagessen im kleinen Speisesaal.

Daneben befindet sich der große Speisesaal. Er wird heute nicht mehr benutzt, weil nahezu niemand mehr im Kibbuz wohnt – nur Volunteers und zwei, drei Kibbuzniks. Weitere Kibbuzniks kommen tagsüber in den Kibbuz und organisieren den Neuaufbau, die Ernte und die professionelle Werkstatt des Kibbuz. Die Eingangstür des Speisesaals ist bis heute mit Einschusslöchern übersät. Einige Wände des Speisesaals sind rauchgeschwärzt. 

Einschusslöcher in der Tür des Speisesaals, Foto: A. Livnat

Heute ist der Speisesaal vor allem ein kollektiver Gedenkraum: Im Zugangsweg hängen die Fotos von Dutzenden von entführten Geiseln aus Nir Oz, darunter, am Ende der Fotoserie, auch Fotos von aus dem Kibbutz entführten Thailändern.

Foto: R. Kaufhold

Und an den festlich gedeckten Tischen sind erneut alle Fotos der Geiseln zu sehen. Im hinteren Teil des Speisesaal dann die Zukunft, die gemeinsame Hoffnung: An einer Wand, etwas abseits der gedenkenden Tische und Stühle, hängen mehrere großformatige Karten von Nir Oz mit den konkreten Planungen: Dem Kibbuz wurden vorerst einmal von Versicherungen 59 Millionen Dollar zugesagt; der Kibbuz hat den Angeboten zugestimmt. Dann die konkreten Baupläne: es sollen insgesamt bis zum Jahr 2030 400 – statt der bisher ca. 240 – Häuser gebaut werden. Der Kibbuz, der vor allem von seiner riesigen Farbfirma lebte, soll noch größer werden. Platz dafür ist im Kibbuz auf jeden Fall: Im hinteren Teil des Kibbuz befinden sich zahlreiche weitgehend leere Flächen, in denen u.a. Müll sortiert und Laubabfälle gesammelt werden.

Bereits in diesem Jahr sollen ca. 20 Häuser an einer Stelle gebaut werden. Dort werden vorerst einmal die Kibbuzniks wohnen, die konkret den Neuaufbau von Nir Oz koordinieren und umsetzen sollen. Bereits 2026 sollen dann mehrere Hundert Häuser gebaut werden. Es ist offenkundig, dass ein Großteil der zerstörten Häuser abgerissen werden muss, zu verheerend sind die Brandschäden: Die Terroristen hatten bei vielen Häusern die Gasleitungen aufgedreht, um die Häuser mit ihren dort verzweifelt Schutz suchenden Bewohnern, darunter viele Kinder, abzubrennen. 

Selbstverständlich wird intern intensiv diskutiert, ob und wie viel der zerstörten Häuser als Mahnmal stehen bleiben sollen. Der Wunsch nach bleibender Erinnerung an den barbarischen Hamas-Überfall steht im Widerspruch zu der zwingenden Notwendigkeit, die kollektive Trauer zu beenden, um gemeinsam die Kraft zum Wiederaufbau des Kibbuz zu finden.

Über allem jedoch steht das tägliche Erinnern an die auch nach 18 Monaten noch in Geiselhaft befindlichen Freunde vor allem aus Nir Oz. Deren Biografien folgen weiter unten im Beitrag. Weiterhin ist das Thema der zukünftigen militärischen Sicherheit von Nir Oz zentral: Nahezu niemand, der lange in Nir Oz gelebt und den Überfall überlebt hat ist bereit, nach Nir Oz, nur drei km von Gaza entfernt, zurück zu kehren solange keine militärisch gesicherte Abstandsfläche zu Gaza errichtet worden ist. Der Traum einer friedlichen Nachbarschaft zu den Palästinensern ist für zumindest 20 Jahre im linken Nir Oz ausgeträumt. Dennoch haben uns einzelne Bewohner erzählt, dass sie weiterhin Kontakte zu einzelnen Palästinensern, ihren ehemaligen Gesprächspartnern und Freunden, aufrecht erhalten.

In dichter Erinnerung sind einzelne meist jüngere Israelis, die ganz bewusst als Volunteers nach Nir Oz gekommen sind, um irgendwie etwas sinnvolles zu machen: Oh, sie habe früher ein paar Jahre in Berlin gelebt, erzählt mir eine israelische Freiwillige auf englisch, mit der wir einmal zusammen kochen durften. Sie habe in Berlin vor allem in linksradikalen Kreisen verkehrt, weil ihr das milieumässig zugesagt habe. Etwa die Hälfte von diesen würden sie heute hassen, nach dem Pogrom, weil sie eine jüngere linke Israelin ist…

Sie habe zuvor länger in Kfar Aza gearbeitet, als Volunteer. Dort sei der Neu-Aufbau schon sehr viel weiter fortgeschritten. Deshalb sei sie nun nach Nir Oz gekommen. Ja, sie habe mehrere Freunde, die noch in den Tunneln von Gaza als Geiseln festgehalten werden. Manche ihrer Freunde seien ermordet worden. Sie habe deshalb ihre sichere bürgerliche Existenz in Israel vorerst einmal abgebrochen, um konkret zu helfen. Sie benötige nicht viel Geld zum Leben…

Es gab viele dieser Geschichten. Ich kann sie hier nicht erzählen. Das wäre ein eigener Text….

Aus der Vielzahl der Zeugenaussagen von ehemaligen Geisel aus Nir Oz sei nur ein eindrückliches Interview genannt: Die 72-jährige Adina Moshe, die von Hamas-Terroristen auf einem Motorrad aus ihrem Haus in Nir Oz nach Gaza entführt wurde – das Foto der barbarischen Verschleppung der betagten, lebenslang für einen Ausgleich mit Palästinensern kämpfenden Dame erreichte die Weltöffentlichkeit – kam nach 49 Tagen frei. In einem Zeitzeugen-Interview vom September 2024 mit einem israelischen Sender beschreibt sie ihre Gefangenschaft in dem riesigen, komplexen, seit 2007 von der Hamas mit Milliardensummen aufgebauten Tunnelsystem von Gaza präzise. Dort traf sie auf mehrere Freunde aus Nir Oz, so auf Yarden Bibas und Ofer Kalderon. Auch diese werden in dem eindrücklichen Filmdokument erinnert. Auch der Hamasführer Mohammad Sinwar suchte sie dort auf. Der gefürchtete Terroristenchef Sinwar wurde im Mai 2025 durch die IDF getötet. Ein großer Erfolg für eine friedlichere Zukunft.

 

Die toten und die lebenden Helden von Nir Oz: Oded Lifshitz und Gadi Moshe Moses

In Nir Oz sind zwei Persönlichkeiten allgegenwärtig: Der beim Hamas-Pogrom ermordete linke Friedensaktivist Oded Lifshitz (85) und Gadi Moses (81). Beide gehören zur Gründergeneration des Kibbuz Nir Oz und haben diesen über Jahrzehnte maßgeblich geprägt.

Der 1940 in Haifa geborene Oded Lifshitz war die inspirierende Persönlichkeit von Nir Oz. Oded war Journalist, u.a. für das israelische Armeeradio. Und er war zugleich ein unermüdlicher Friedensaktivist, der über Jahrzehnte Gespräche mit Palästinensern führte und regelmäßig für die Organisation „Road to Recovery“ krebskranke Palästinenser in israelische Krankenhäuser brachte.

Oded hatte sich bereits in seiner Jugend bei Hashomer Hatzair engagiert. 1957, da hatte er soeben seinen Schulabschluss an der Real-Schule in Haifa gemacht, gehörte der 17-Jährige zu den Begründern von Nir Oz. Er unterstützte über Jahrzehnte zahlreiche Beduinen aus Rafah und berichtete z.B. 1982 über die Proteste in Folge des Massakers von Sabra und Shatila.

Innerhalb von Nir Oz hatte Oded Lifshitz zahlreiche verantwortliche Positionen inne, darunter als deren Sekretär und als Schatzmeister. Durch seinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn genoss er unter den linken Kibbuzniks höchstes Ansehen. Über Jahrzehnte kämpfte der radikale Friedensaktivist Oded für einen Ausgleich mit den Palästinensern und für die Rechte der Beduinen in Israel, deren Beitrag für die Entwicklung Israels er stets hervor hob.

Am 7. Oktober wurde  Oded und seine Frau Yocheved nach Gaza entführt; ihr Wohnhaus wurde niedergebrannt.

Oded und Yocheved Lifshitz

Die Beerdigungszeremonien für Oded Lifshitz im Februar 2025 in Nir Oz wurden von Hunderten von Trauergästen – darunter auch Präsident Herzog und der deutsche Botschafter Steffen Seibert – besucht. Zahlreiche Bewohner von Nir Oz kamen teils zum ersten Mal seit dem Pogrom wieder nach Nir Oz – an den Ort ihres kollektiven Traumas. Odeds Leiche war zwei Wochen zuvor von der Terrororganisation Hamas nach Israel überführt worden. Bei der Feier wurde Oded von Seibert als „ein Mann des Friedens und der Versöhnung mit den Palästinensern“ (Der Spiegel 26.2.2025) gewürdigt. 

Israels Präsident Isaac Herzog bat den getöteten Lifshitz und dessen Familie um „Vergebung, dass der israelische Staat dich, deine Familie und deinen Kibbuz nicht beschützt hat“, und „dass wir es nicht geschafft haben, dich zu retten und dich und alle deine Freunde sicher nach Hause zu bringen“.

Auch wir wurden im März 2025 eingeladen, der Grabsteinsetzung für Oded Lifshitz auf dem Friedhof von Nir Oz beizuwohnen. Es war eine außergewöhnlich würdige, bewusst religionsfreie Veranstaltung, auf der zahlreiche seiner Wegbegleiter aus seinem Kibbuz sprachen, darunter auch seine Ehefrau Yocheved Lifshitz – eine Fotografin und Lehrerin – und Rita Lifshitz. Auch Yocheved war bei dem Pogrom von der Hamas entführt worden, kam jedoch nach zwei Wochen – am 23.10.2023 – gemeinsam mit Nurit Cooper (79) wieder frei.

Oded hinterlässt seine Frau, vier Kinder, Enkelkinder und einen Urenkel.

Der 81-jährige Gadi Moses ist das Symbol für den leidenschaftlichen Willen zum Wiederaufbau von Nir Oz. Am 30. Januar 2025 kam er nach 483 Tagen Geiselhaft frei. Die Szenen seiner Wiederbegegnung mit seiner Familie wurden festgehalten.

Seine Freilassung war für alle Bewohner von Nir Oz das Symbol einer großen unerschütterlichen Hoffnung auf einen Neuanfang – trotz aller Schrecklichkeiten und aller toten Schwestern und Brüdern. Auch Gadis Lebensgefährtin Efrat Katz wurde ermordet. Sechs Wochen nach seiner Befreiung verfasste Gadi Moses einen öffentlichen Brief „an alle meine Freunde in Nir Oz“ – so beginnt Gadis Schreiben – Nir Oz wieder aufzubauen, und zwar in noch größerem Ausmaß als zuvor:

„Unser Haus brannte nieder und unser Besitz wurde in alle Winde zerstreut. Wir haben, jeder für sich und alle zusammen, Momente des Schreckens und der Angst durchlebt.
Ich sah die existenziellen Fragezeichen und die Unsicherheit in Euren Gesichtern. Ich sah die Angst und Wut darüber, dass wir alleine gelassen und aufgegeben wurden, von denjenigen, die für unsere Sicherheit verantwortlich waren.
Ich teile alle Ängste und Unsicherheiten.
Doch aus der Tiefe des Abgrunds, in dem wir uns befinden, habe ich beschlossen, mich bereit zu machen, die Ärmel hochzukrempeln und mich all jenen anzuschließen, die wollen, dass unsere Heimat, Nir Oz, wieder ein lebendiges und warmes Zuhause wird, ein Zuhause, das Kultur und Bildung, Gesundheit und Kreativität, Hoffnung und Sicherheit bietet.
Ich rufe alle auf, aufzustehen und Schulter an Schulter zu arbeiten, damit dies so schnell wie möglich geschieht.“

Tief bewegend die Szenen im April 2025, während unseres Arbeitsaufenthaltes in Nir Oz, als Gadi im Stadion von Beerscheba von Zehntausenden gefeiert wurde. Gadi Moses ist in der Tat das Symbol eines Großteils der Israelis auf eine gemeinsame, friedlichere Zukunft.

In den Monaten danach trat Gadi, oft mit geballter Faust als Ausdruck seiner Unerschrockenheit und seelischen Resilienz, bei zentralen Kundgebungen für die Freilassung aller Geiseln in Tel Aviv auf. So sprach er im April 2025 in eindrücklicher Weise über das bevorstehende Pessachfest:

„Nach 482 Tagen in Gefangenschaft des Islamischen Dschihad bin ich wieder frei, inmitten meiner Familie und meines Volkes. Die Kriegstrommeln hallen wieder in meinen Ohren wider. Ich war dort und habe diese Geräusche auch von der anderen Seite der Grenze gehört. Es ist schrecklich und beängstigend! Es schnürt mir die Kehle zu und lähmt die Seele. Unsere gefangenen Brüder verlieren alle Hoffnung, wenn von allen Seiten Granaten einschlagen.“ 

Über seine grausame Geiselhaft durch die Hamas hat Gadi mehrfach Zeugnis abgelegt. 

Gadi ist in den Monaten danach regelmäßig in sein Häuschen in Nir Oz zurück gekehrt. Gelegentlich konnte man ihn auch auf seiner kleinen Terrasse sehen. Immer mal wieder wenn Besucher in Nir Oz eintreffen, empfängt der betagte Landwirt diese spontan, um über das Geschehene zu berichten und von den Zukunftsplänen zu sprechen.

Unser Arbeitsaufenthalt in Nir Oz hatte vor allem den Zweck, das seit 1 ½ Jahren brach liegende Schwimmbad und dessen malerische Freizeit-Umgebung wieder so herzustellen, dass es ein Ort des Friedens und der ungestörten Gemeinsamkeit wurde. Am Ende unserer Zeit war ein erstes gemeinsames Treffen zahlreicher Kibbuzniks am Schwimmbad von Nir Oz geplant. Alles gelang, das Treffen war sehr gelungen.

Der Eingang zum Schwimmbad, Foto: R. Kaufhold

Erst danach, am 1. Mai, dem Jom haAtzmaut, dem Unabhängigkeitstag, sollte das abgestandene Wasser des Pools ausgetauscht werden. Wir waren da schon wieder abgereist.

Zuhause schickte uns Ron, unser Verbindungsmann zum Kibbuz, Fotos. Darunter ein Bild mit Gadi: Dieser steht im Schwimmbad, beide Fäuste nach oben gereckt. Das Symbol einer beeindruckenden Resilienz und einer großen Entschlossenheit, trotz des größten Pogroms gegen Juden seit Frühjahr 1945 dennoch Nir Oz, Gadis Heimat, wieder aufzubauen.

Dennoch sei angemerkt: Viele der Überlebenden des Pogroms hatten sehr viel größere Schwierigkeiten, ihr früheres Leben nach dem Pogrom wieder fortzusetzen. Die Mehrzahl der Bewohner von Nir Oz beschloss, wieder nach Nir Oz zurück zu kehren. Insbesondere Familien mit kleinen Kindern, so hörten wir, waren hierzu nicht mehr bereit. Über allem steht die Frage, wie eine militärische Sicherheit für Nir Oz gewährleistet werden kann. Die Vernichtung der Hamas ist ein vordringliches Ziel, um eine friedlichere Zukunft zu ermöglichen. Die Hamas muss militärisch vernichtet werden.

Eine ältere Frau mit deutschen Wurzeln war auch zu der ersten gemeinsamen Feier am Swimmingpool von Nir Oz gekommen. Sie deutete an, bzw. ich hatte dies gehört, dass sie das Pogrom nur mit äußerstem Glück überlebt hatte: Selbst schwer verletzt lag sie am 7.10. zwischen den von den Terroristen abgeschlachteten Leichen ihrer Freunde. Sie bewegte sich über Stunden nicht und stellte sich tot.

Erst nachdem die Terroristen nach sieben Stunden sadistischen Wütens und Mordens abgezogen war, die Armee erschien erst mehrere Stunden später, vermochte sie Hilfe zu erbeten. Sie sagte, dass ihr ein erneutes Leben in Nir Oz nicht mehr möglich sei. Sie möchte die Jahrzehnte langen Freundschaften aufrecht erhalten. Ein Leben in dem Ort des grenzenlosen Schreckens sei ihr jedoch nicht möglich.

Optisch war Nir Oz auch 18 Monate nach dem Pogrom ein Ort der absoluten Zerstörung: Etwa die Hälfte der Häuser waren stark oder teilweise vollständig zerstört. Überall schwarze Balken, voller Ruß.

Die Geiseln

Zum heutigen Zeitpunkt (Mai 2025) sind noch 58 Geiseln in der Hand der Terroristen der Hamas. 23 von ihnen sind – hoffentlich – am Leben: Matan Angrest, Elkana Bohbot, Avinatan Or, Yosef-Haim Ohana, Alon Ohel, Evyatar David, Guy Gilboa-Dalal, Binbin Yoshi, Rom Braslavski, Ziv Berman, Gali Berman, Omri Miran, Eitan Mor, Segev Kalfon, Nimrod Cohen, Pinta Nattapong, Maxim Herkin, Eitan Horn, Matan Zangauker, Bar Kupershtein, Ariel Cunio, David Cunio und Tamir Nimrodi.

13 dieser Geiseln stammen aus Nir Oz. Eitan Horn, Matan Zangauker, Ariel Cunio und David Cunio sind am Leben. Weiterhin der Thailänder Nattapong Pinta.

Matan Zangauker (25)

Matan ist jung, trägt einen Bart und hat ein freundliches Lächeln. Er wurde am 7.10. von der Hamas aus Nir Oz entführt. Das Foto von Matan springt mir bei meinen Gängen durch Nir Oz gleich ins Auge. 

Matans Mutter Einav kämpft wie eine Löwin um die Freilassung ihres Sohnes, schreibt Sabine Brandes in ihrem Portrait für die Jüdische Allgemeine (JA) über Einav und Matan. 

Am 7.10.2023 telefonierte Einav gerade mit ihrem Sohn, den sie alleine großgezogen hat, als das Gespräch abrupt abbrach. Dem 23-jährigen Matan Zangauker gelingt es noch, zusammen mit seiner Freundin Ilana Gritzewsky aus dem Fenster ihres Schutzraumes zu springen Sie liefen in verschiedene Richtungen, wurden kurz danach von den Hamas-Terroristen gefangen genommen und nach Gaza entführt.

Matans Freundin Ilana wurde am 30.11.2023 freigelassen. Seitdem kämpft auch sie, die vor 14 Jahren aus zionistischen Motiven von Mexiko nach Israel einwanderte – auch ihre Mutter und ihre Schwester folgten ihr nach Israel – , gemeinsam mit Matans Mutter und seiner Schwester für Matans Freilassung.

In einem erschütterndem Interview mit der New York Times hat Ilana im Detail auch die sexuellen Misshandlungen beschrieben, und zwar schon bei ihrer Entführung auf einem Motorrad durch zwei Terroristen. Sie verlor das Bewusstsein und erwachte entkleidet, umringt von sieben Terroristen. Weitere Details des Missbrauchs werden hier (JA 26.3.2025) beschrieben. Erst bei ihrer Freilassung bemerkte Ilana, dass sie sich ihre Hüfte gebrochen hatte.

Matans Mutter Einav Zangauker entwickelte sich nach der Entführung angesichts Netanyahus Gleichgültigkeit gegenüber des Schicksal der Geiseln – Netanyahu hat bis heute noch nicht einmal Nir Oz besucht – zu einer besonders scharfen Kritikerin von Premier Netanyahu. Zuvor war sie eine überzeugte Likud-Wählerin. In Israel kennt sie jeder. Einav ist eine sefardische Frau, sie lebt in der 1955 gegründeten, 35.000 Einwohner zählenden Entwicklungsstadt Ofakim in der Negev-Wüste, 25 Kilometer östlich von Nir Oz.

Das Hamas-Pogrom hatte Einav sogar in Ofakim erlebt: Am 7.10. waren zumindest 16 Hamasterroristen mit zwei Pick Ups in Ofakim eingedrungen und hatten in einem Massaker mindestens 52 Menschen ermordet. Sie verfügten – wie an zahlreichen weiteren Tatorten –  über präzise Pläne über Ofakim und drangen in zahlreiche Häuser ein, um Juden zu töten.

Einav Zangauker ist seit dem 7.10. bei jeder Demonstration für die Freilassung der Geiseln dabei. Sie campt vor der Knesset, tritt bei zahllosen Protestkundgebungen auf und hat teils Eisenketten um ihren Körper gelegt, um an die grausame Situation der Geiseln zu erinnern. Sie ließ sich auch schon von einem Kran in einem Käfig von einer Brücke abseilen und kettet sich an Brücken, im Kampf für ihren Sohn und die weiteren Geiseln. Hierdurch ist sie, die bisher als Reinigungskraft gearbeitet hatte, zu dem bekanntesten Gesicht der unermüdlichen israelischen Proteste gegen die rechte Regierung geworden.

Ariel Cunio (27)

Der argentinische Israeli Ariel Cunio wurde gemeinsam mit seiner Freundin Arbel Yehoud entführt. Während Arbel am 30.11.2024 im Rahmen eines Geiseldeals gemeinsam mit Gadi Moses freikam, ist Ariel Cunio immer noch in Geiselhaft.

Das Paar war am 7.10. gerade von einer langen Lateinamerikareise zurückgekehrt. Cunio arbeitet als Software-Tester. Gemeinsam mit ihm wurde auch sein Bruder David (34), dessen Frau Sharon (33), ihre dreijährigen Zwillinge sowie Sharons Schwester Danielle (44) und deren fünfjährige Tochter Emilia als Geiseln genommen. Die Frauen und Kinder wurden im Rahmen des Geiselabkommens im November 2023 freigelassen. Von Ariel gibt es seit dem 7. Oktober kein Lebenszeichen mehr.

Arbel, deren Großvater ein Maler aus Hamburg war und die auch einen deutschen Pass hat, lebt mit ihrer Familie schon in der dritten Generation in Nir Oz. Sie war in Nir Oz außergewöhnlich beliebt und arbeitete dort zeitweise als Kinderbetreuerin. Sie interessierte sich leidenschaftlich für Astronomie und Weltraumforschung.

Die Szenen während Arbels Freilassung am Grenzort Chan Junis, sie wurde verängstigt durch einen aufgebrachten Mob gezerrt, flankiert durch mit Sturmmasken maskierten Hamaskämpfern, bevor sie dem Roten Kreuz übergeben wurde, prägten sich tief in die Erinnerung vieler Israelis ein. Es waren Szenen eines absoluten Bösen.

Arbels Bruder Dolev Yehud (35) galt anfangs auch als verschleppt, bis seine Leiche im Juni 2024 entdeckt wurde. 

David Cunio (34)

Ariels 34-jähriger Bruder David Cunio, ein Elektroingenieur, gilt als der engste Freund von Yarden Bibas. Die Bibas-Familie wurde von den palästinensischen Terroristen vollständig ermordet; nur Yarden kam frei. Ihr Haus in Nir Oz, zu dem alle Besucher von Nir Oz hingeführt werden, kann als das Symbol der barbarischen Verbrechen der Hamas gelten.

David Cunio wurde mit seiner Frau Sharon, den dreijährigen Zwillingstöchtern und der fünfjährigen Tochter entführt. Im Rahmen des ersten Abkommens wurde seine Familie von den Terroristen freigelassen. Der Regisseur Tom Shoval stellte auf der Berlinale den David gewidmeten Film „A letter to David“ vor. 2013 war David Cunio mit einem Film zur Berlinale gekommen. Im Februar 2023 versammelte sich nur eine kleine Gruppe von deutschen Schauspielern – u.a. Andrea Sawatzki, Ulrich Matthes und Martina Gedeck – zum Erinnern an David auf dem Berlinale-Gelände, um an das Schicksal ihres Kollegen zu erinnern. Immerhin: Die Berlinale-Chefin Tricia Tuttle hielt ein Bild Cunios mit der Aufschrift „Bring David Cunio Home“ hoch.

Einige private Szenen aus Davids Leben mit den Zwillingen wurden auf Instagram veröffentlicht.

Eitan Horn (38)

Eitan Horn (38) und sein Bruder Iair Horn wurden am 7.10.2023 gemeinsam in Iairs Wohnung in Nir Oz von der Hamas entführt. Eitan selbst wohnt in Kfar Saba, einer 100.000 Einwohner zählenden Stadt 15 km nordöstlich von Tel Aviv gelegen. Eitan ist Lehrer, die Horns haben auch eine argentinische Staatsbürgerschaft. Am 1.3.2025 veröffentlichte die Hamas ein Propagandavideo, in dem die Geiselnehmer zeigten, wie Eitan sich von seinem Bruder Iair verabschieden musste. 

Die Überlebensgeschichte von Iair und Eitan Horn sowie die Freilassung von Iair am 15.2.2025 – er wurde in Israel von seiner Mutter Ruth und seinem Bruder Amos begrüßt – ist in dieser Filmszene dokumentiert worden.

Unmittelbar nach seiner Freilassung stellte sich Iair mit seiner Familie der Öffentlichkeit. Iair Horn hat nach seiner Freilassung durch die Terrororganisation Hamas ein weiteres eindrückliches Video veröffentlicht, in dem er nur eine einzige Forderung erhebt: „Bringt mir meinen Bruder und alle Geiseln nach Hause!“

Iair Horn und Freunde haben weitere Videos veröffentlicht, in denen er und seine Familie eindringlich an die israelische Öffentlichkeit appellieren, den Kampf für die Freilassung der letzten noch lebenden Geiseln nicht aufzugeben. Jeder Waffenstillstand, der das Leben seines Bruders und weiterer Geiseln zu retten vermöge, habe absoluten Vorrang. 

In Argentinien wurde in sehr intensiver Weise und in riesigen Demonstrationen an die israelischen Geiseln erinnert, die auch einen argentinischen Pass haben, darunter auch die Bibas Familie und die Horn-Familie. Es sind eindrückliche Demonstrationen der Solidarität aus Buenos Aires, die in der Bundesrepublik schlicht unvorstellbar wären. 

Nattapong Pinta (Thailand) (35) 

Unter den Geiseln waren auch zehn ausländische Staatsbürger, acht Thailänder, ein Nepalese und ein Tansanier.

In Nir Oz wird auf zahlreichen Wegen und auch im Speisesaal des Kibbuz mit Fotos an die zahlreichen Geiseln aus Nir Oz erinnert, auch an die thailändischen Geiseln. In Nir Oz leben weiterhin thailändische Gastarbeiter. Sie betreiben dort u.a. eine Hühnerfarm. Ich bin ihnen in Nir Oz häufig begegnet, oft sah ich sie auf einem Traktor fahrend. Sie haben von der israelischen Regierung nun ein lebenslanges Aufenthaltsrecht erhalten.

Nattapong Pinta (35) ist ein thailändischer Arbeiter, der auf den Avocado-Plantagen des Kibbuz Nir Oz tätig war, als die Terroristen kamen und auch ihn gefangen nahmen. Neben ihm sind noch vier weitere Thailänder in Gazahaft. Sein Ziel war es, mit dem Verdienst aus Israel ein Café mit seiner Familie zu errichten. Zahlreiche Thailänder wurden am 7.10. durch die Hamas ermordet, einige wurden als Geiseln genommen und später freigelassen. Einige nicht-israelische Geiseln sind von den Hamas-Terroristen zu Tode geprügelt worden, weil diese weder englisch noch arabisch verstanden, berichtet die Jerusalem Post. Das Schicksal von Nattapong Pinta ist ungewiss, es gibt kein Lebenszeichen von ihm seit dem 7. Oktober, aber auch keinen Hinweis, dass er nicht mehr lebt.

Von den nachfolgenden Geiseln aus Nir Oz wird angenommen, dass sie nicht mehr am Leben sind.

Judy Weinstein-Haggai (70) und Gad Haggai (73)

Judy Weinstein-Haggai (70) und ihr Ehemann Gad Haggai (73) können als die Verkörperung von linken, verständigungsbereiten Kibbuzniks gelten. Ihre berührenden Fotos hängen bis heute in den Erinnerungswegen in Nir Oz.

Inzwischen musste Judys Foto mit der schwarzen Schleife der Trauer ergänzt werden: Im Dezember 2023 teilte der Kibbuz Nir Oz mit, dass Judy, die am 7.10. als Geisel vermutet wurde, wohl bereits am 7.10. von der Hamas ermordet wurde. Ihr Ehemann war gleichfalls beim Hamaspogrom ermordet worden. 

Judith Weinstein, die auch die amerikanische und kanadische Staatsbürgerschaft besaß, wurde beim Pogrom schwer verletzt. Sie bat telefonisch noch verzweifelt um Hilfe, danach brach der Kontakt zu ihr ab. Die Leichen des Ehepaares hält die Terrororganisation bis heute fest.

Judith Weinstein wird vom Kibbuz als eine engagierte Englischlehrerin für behinderte Kinder beschrieben. Sie gilt als besonders talentierte Lehrerin und Puppenspielerin, die ihren durch jahrelangen Raketenbeschuss traumatisierten Schülern zu helfen vermochte, mit den Bedrohungen durch die Hamas besser umzugehen. Sie, die mit ihrem Ehemann Gad seit 30 Jahren in Nir Oz lebt, engagierte sich leidenschaftlich in Friedensinitiativen mit benachbarten Palästinensern in Gaza (JA, 29.12.2023). Sie hinterlässt vier Kinder und sieben Enkelkinder und ihre eigene 95-jährige Mutter.

Gad Haggai, ein pensionierter Koch, war ein talentierter Musiker. Die Tochter schrieb über ihren Vater Gad: „Du hast das Kibbutzleben von früher geliebt und warst von unserem Staat enttäuscht, der seine Werte verloren hat. Du wolltest Frieden, aber Du wusstest, dass er in der jetzigen Lage nicht kommen wird.“

Ihre Ermordung wurde auch in amerikanischen und kanadischen Medien vermeldet. Für eines dieser Magazine erklärte sich ihre Tochter Iris bereit, über ihre Mutter zu erzählen. Sie hob deren außergewöhnliche pädagogische und spirituelle Kompetenz hervor.

Aviv Atzili (49)

Im November 2023 wurde die Freilassung von 12 israelischen Geiseln bekannt, darunter Liat Atzili (49) aus Nir Oz. Das Schicksal ihres Mannes Aviv Atzili (49) galt zu diesem Zeitpunkt noch als ungeklärt.

Wenige Tage später wurde bekannt gegeben, dass Aviv Atzili während des Pogroms in Nir Oz ermordet worden sei. 

Tamir Adar (38)

Tamir Adars Fotos sind im Kibbuz Nir Oz allgegenwärtig. An seinem ehemaligen Wohnhaus wird in mehreren Fotos sein Heldentum hervor gehoben. Tamir, 38 Jahre, gehörte zur Einsatzgruppe des Kibbutz. Er kämpfte gegen die Übermacht der Angreifer der Hamasterroristen und wurde wohl schon am 7.10. ermordet. Seine Leiche wurde in den Gazastreifen verschleppt. Tamir ist der Enkel der 85-jährigen Jaffa Adar, die ebenfalls entführt und im November 2023 freigelassen wurde. Seine Frau und die beiden Kinder überlebten das Massaker. Auch Tamir hatte neben der israelischen die deutsche Staatsbürgerschaft. 

Bild von Tamir in Nir Oz, Foto: R. Kaufhold

Tamir Adars Mutter ist Yael Adar. In einem Interview der JA (25.2.2025) zeichnet diese die abgrundtiefe Erschütterung nach, die die Ermordung ihres Sohnes sowie so vieler weiterer friedlicher, politisch eher linker Israelis und Kibbuzniks in ihr ausgelöste. Es ist ein Gefühl, welches von allen Kibbuzniks aus Nir Oz geteilt wird wie auch von dem Autor dieser erinnernden Studie. Es lohnt sich Yael Adars Entsetzen ausführlicher widerzugeben:

„Der Angriff hat unser grundlegendes Verständnis von Zusammenleben erschüttert. Es war nicht nur ein Massaker durch Terroristen – auch Zivilisten aus Gaza folgten der Hamas, drangen in unsere Häuser ein, plünderten, zerstörten und lachten dabei. Meine Kinder hörten aus ihrem Schutzraum, wie Fremde unser Haus verwüsteten und sich amüsierten. Wir haben früher zwischen Hamas und der Zivilbevölkerung unterschieden, aber nach dem 7. Oktober lässt sich diese Grenze nicht mehr so einfach ziehen. Auch Zivilisten nahmen an den Massakern teil. Das ist ein Schmerz, der sich tief in uns eingebrannt hat.“

Die deutschen Behörden hat sie als Teil einer israelischen Delegation, die durch die ganze Welt reiste im Kampf um die Geiseln – auch unsere Freundin und israelische Ansprechpartnerin für Nir Oz Efrat Machikawa gehörte mit ihrem unerschöpflichen Engagement dieser Delegation an; sie war auch dabei, als der neue Außenminister Wadepuhl im Mai bei seinem Antrittsbesuch in Israel Angehörige der Geiseln in Israel traf – als eher wohlwollend und hilfreich erlebt. Aber auf der globalen Ebene sei der Kampf gegen den Terror nicht ausreichend unterstützt worden. Israel stehe hierin weitgehend alleine. Insbesondere die Finanzströme der Hamas und ihrer Unterstützergruppen müssten international gestoppt werden. Nur so könne ein wirklicher Frieden auf Dauer erreicht werden.

Amiram Cooper (84)

Der 1938 in Haifa geborene Amiram Cooper gehört zu den wichtigsten und prägendsten Persönlichkeiten von Nir Oz: Er hatte diesen Kibbuz 16-jährig mit gegründet. Amiram wurde am 7.10. von den Hamasterroristen entführt, wie auch seine 79-jährige Frau Nurit Cooper.

Amiram Cooper gilt als tot. Nurit hingegen wurde am 23.10.2023 gemeinsam mit Yocheved Lifshitz im Rahmen eines „Geiseldeals“ freigelassen. Nach ihrer Freilassung erzählte sie ihrer Familie von der brutalen Entführung. 

Die 85-jährige Yocheved Lifshitz, die gleichfalls in Nir Oz lebte, so sei nachgetragen, hat nach ihrer Freilassung nach 18 Tagen in deutlicher, mutiger Weise über die barbarischen Erfahrungen berichtet, die sie in Hamashaft durchleben musste: „Ich ging durch die Hölle“ sagte sie gemäß der Jüdischen Allgemeinen (JA, 24.10.2023), und weiter: Die Terroristen „wüteten in unserem Kibbuz und haben mich während der Fahrt nach Gaza mit Stöcken geschlagen, wodurch ich an den Rippen verletzt wurde und Schwierigkeiten beim Atmen hatte.“ Ihre Uhr und ihr Schmuck seien ihr abgenommen worden.“
Die ca. 500 Terroristen, die in Nir Oz eindrangen, seien sehr gut vorbereitet gewesen. Die israelische Regierung habe sie, die Bewohner von Nir Oz und zahlreicher weiterer Ortschaften, im Stich gelassen.  

Amiram Cooper und seine Frau wurden von den Terroristen unter der Erde in den Tunneln im gleichen Raum festgehalten, zusammen mit fünf weiteren Geiseln. Die gesamte Zeit wussten sie nie, ob es Tag oder Nacht war. Amiram Cooper war Geschäftsmann, aber schrieb auch Lyrik. Sein Leben in seinem Kibbuz in Nir Oz, wo er seit 1957 lebte, sah er als seine Lebensmission an. 

Im Juni 2024 teilte ein IDF-Sprecher mit, dass Amiram Cooper als ermordet gelten müsse. Die genauen Umstände ihrer Ermordung seien noch ungeklärt. 

Amiram hinterlässt seine Frau, drei Kinder und neun Enkelkinder.

Amirams Sohn Rotem Cooper hat das Leiden seines Vaters in einem Fernsehinterview bezeugt. In diesem Interview wurden zahlreiche Familienfotos dokumentiert, um seine Persönlichkeit der Nachwelt zu vermitteln. 

Arye Zalmanovich (86)

Der 86-jährige Arye Zalmanovich gehörte 1955 zu den Begründern von Nir Oz und arbeitete dort von Anfang an als Landwirt. Er war ein Spezialist zur Frage, wie man Getreide unter den Bedingungen einer Wüstengegend wie dem Negev möglichst effektiv pflanzen und ernten kann. Noch als Mitte 80-Jähriger ging er täglich auf die Felder von Nir Oz. Während unseres Arbeitsaufenthaltes in Nir Oz waren es gerade die ältesten Kibbuzbewohner, die täglich nach Nir Oz kamen, um sich am Neuaufbau des Kibbuz zu beteiligen sowie die Basisversorgungen des Kibbuz – die Landwirtschaft, einen kleinen Weinanbau sowie auch die Pflege eines Haschischfeldes direkt am Eingang von Nir Oz – , zu gewährleisten.

Sein Sohn Boaz Zalmanovich sagte bei einer Kundgebung für die Freilassung der Geiseln Ende Oktober 2023 über seinen Vater: „60 Jahre lang stand er jeden Tag um 4:30 Uhr auf und ging hinaus, um zu pflügen, zu säen und zu ernten.“ Und: „Er ist ein Mann mit schwieligen Händen und Arbeitskleidung, und er sieht den Kibbuz als seine Lebensaufgabe.“ 

Boaz teilte im August 2024 mit, dass seinem betagten, kranken Vater von den Hamasterroristen 40 Tage lang die lebensnotwendige Medizin vorenthalten wurde, auf die er zwingend angewiesen war. 

Arye, dessen Tod von seinem Kibbuz Nir Oz am 1.12.2023 bestätigt wurde, hinterlässt zwei Kinder und fünf Enkelkinder. Zwei Wochen vor seinem Tod hatte die Terrororganisation Hamas eines ihrer zynischen Videos, in diesem Fall mit Arye, veröffentlicht, in dem dieser nach Auskunft seiner Familie sehr krank aussah.

Aryes Familie – Ora Gazit und Boaz Zalmanovich – gehören zu den Unterzeichnern der Allianz von über 150 Geiselfamilien und freigelassenen Geiseln, die Anfang April 2025 einen eindringlichen Brief für einen sofortigen Waffenstillstand im Interesse einer sofortigen Freilassung alles verbliebenen 59 israelischen Geiseln veröffentlichten. 

Eliyahu Margalit  (75)

Der 75-Jährige Eliyahu Margalit, der in Nir Oz unter dem Namen Churchill bekannt ist, wird als ein Katzen- und Pferdefreund beschrieben. Eliyahu Margalit hatte am 7.10. seine Wohnung kurz verlassen, um sich um die kibbuzeigenen Pferde zu kümmern. Diese leben in einem eigenen Stallungsbereich am Rande von Nir Oz. Dort wurden Blutspuren gefunden. Die Pferde wurden ebenfalls gestohlen.

Im Dezember 2023 bestätigte IDF Sprecher Daniel Hagari den Tod von Eliyahu, der seit dem Pogrom vom 7.10. als vermisst galt.

Eliyahus Tochter Nili Margalit (41), eine gelernte Krankenschwester, die gleichfalls am 7.10. entführt worden war, gehörte zu einer Gruppe von acht Geiseln, die am 30.11.2023 nach 55 Tagen Geiselhaft im Rahmen eines Geiselabkommens wieder freigelassen wurde. Im April 2024 berichtete Nili, dass sie selbst nicht von der Hamas, sondern von palästinensischen „Zivilisten“ aus ihrem Haus in Nir Oz entführt worden sei. Diese „verhandelten mit der Hamas, um mich zu verkaufen. Als sie bezahlt worden waren, wurde ich direkt in einen Tunnel gebracht“, beschreibt Nili Margalit die Vorgänge am Tag des Pogroms. Als ausgebildete Krankenschwester kümmerte sich Nili um eine Gruppe älterer Geiseln. „Ich habe sie immer wieder zu etwas Bewegung animiert. Viel mehr, als mit ihnen über ihre Beschwerden zu reden, konnte ich nicht tun, es gab fast keine Medikamente oder andere Behandlungsmöglichkeiten.“ Um ihre Opfer zusätzlich zu peinigen haben die Terroristen ihnen Brillen und Hörgeräte abgenommen.

Yair Yaakov (59)

Yair Yaakovs Schicksal galt über Monate als ungewiss. Man ging lange davon aus, dass der 59-jährige Yair am 7.10. von der Hamas nach Gaza entführt worden sei, weshalb auch sein Foto in Nir Oz als noch lebende Geisel allgegenwärtig ist.

Am 15.2.2024 wurde Yairs Familie darüber informiert, dass er bereits am 7.10. in Nir Oz ermordet und dass seine Leiche direkt danach nach Gaza entführt worden sei. Dort wird sie weiter festgehalten, um sie zum Tausch gegen in Israel rechtstaatlich verurteilte Gewalttäter zu verwenden.

Yairs aus Rischon Lezion stammende Lebensgefährtin Meirav Tal (53) und seine Söhne Or (16) und Yagil (12) waren gleichfalls aus Nir Oz entführt worden. Auch sie kamen Ende November 2023 im Rahmen des Geiseldeals frei. 

Der Kibbuz schreibt über Yair Yaakov, er sei ein bescheidener Mann gewesen, der seine Familie, sein Land und die Musik liebte.

Ronen Engel (54)

Auch der 54-jährige Ronen Engel wurde am 7.10. aus seinem Haus in Nir Oz entführt. Am 27.10.2023 erschien in der JA ein Portrait der entführten Geiseln Karina Engelbert (51) – diese litt an Brustkrebs – sowie ihres Lebenspartners Ronen Engel. Beide waren nach Gaza entführt worden, gemeinsam mit ihren Töchtern Mika (18) und Yuval (11). Karinas jüngerer Bruder Diego Engelbert führte seit deren Entführung einen verzweifelten Kampf für deren Freilassung – und für die Freilassung aller Geiseln. Er suchte hierbei den einzigen Weg, der ihm blieb: Die Öffentlichkeit und die wöchentlichen Kundgebungen insbesondere in Tel Aviv. 1989 waren die Engelberts aus Argentinien nach Israel eingewandert und lebten in Beersheba im Süden Israels.

In dem JA-Portrait heißt es: „Karina habe immer gesagt, wo sie leben, sei es zu 90 Prozent wie im Himmel und zu zehn Prozent wie in der Hölle durch die wiederkehrenden Raketen der Hamas. Diego stockt. „Jetzt ist es nur noch die Hölle.““

Im November 2023 wurden Karina Engelbert und ihre beiden Töchter freigelassen. Für Ronen Engel gab es keine Gnade: Die Terroristen ermordeten ihn kurz danach. Seine Familie wurde am 1.12.2023 über seine Ermordung informiert.

In Times of Israel wurde Ronen als ein „Vater, der immer lächelte“ portraitiert. 

Wohl alle Bewohner des Kibbuz Nir Oz stimmen in der Forderung überein, dass die verbliebenen 58 Geiseln nach über 18 Monaten Gefangenschaft unverzüglich freigelassen werde müssen. Jede Fortsetzung des Krieges gegen die Hamas durch Netanyahus Regierung verringert deren Überlebenschance.

 

Solidaritätspartnerschaft Bergisch Gladbach – Nir Oz e.V.

Vom 31.3. – 17.4.2025 war der Autor Teil einer Solidaritäts- und Arbeitsreise in den Kibbuz Nir Oz. Während des Arbeitsaufenthaltes hatten wir einen klaren Arbeitsauftrag. Organisiert wurde dieser Arbeitsaufenthalt – der bereits zum dritten Mal in Nir Oz stattfand – durch die Solidaritätspartnerschaft Bergisch Gladbach – Nir Oz e.V.

Für 2025 sind drei weitere Arbeitsaufenthalte der Solidaritätspartnerschaft von israelsolidarischen Menschen – überwiegend aus Köln und Bergisch Gladbach – geplant. Diese Reisen finden in enger Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen aus Nir Oz statt.

Einen Eindruck von einer vorhergehenden Solidaritätsreise (2024) nach Nir Oz vermittelt ein von Jenny Havemann erstelltes Video.

Der Solidaritätspartnerschaftsverein finanziert auch zahlreiche weitere Projekte in Nir Oz, so regelmäßige Geldzahlungen an Waisen – Kinder und junge Erwachsene – , deren Eltern durch die Hamas ermordet wurden.

Der Verein ist zwingend auf Spenden angewiesen, um seine Solidaritätsarbeit für Nir Oz und den fest geplanten Neuaufbau von Nir Oz weiter entschlossen fortzuführen:

https://www.bgl-niroz.de/

Das Konto für Ihre Unterstützung

Empfänger: Solidaritätspartnerschaft Bergisch Gladbach – Nir Oz e. V. 
IBAN: DE50 3706 2600 4048 2270 10
BIC: GENODED1PAF
Kreditinstitut: VR Bank eG Bergisch Gladbach-Leverkusen