Am 7. Oktober 2023, um 6.29 Uhr, hat sich das Leben in Israel für immer verändert. Die einfallenden, mordenden, vergewaltigenden Terroristen haben eine Illusion zerplatzen lassen, in der sich Israel befand. Die Illusion, die Situation im Griff zu haben, den Terror beherrschen und die Feinde lesen zu können. Die Illusion der Hightech Nation mit der stärksten Armee der Region, die ihre Bürger schützt.
Von Andrea Livnat
Wie hast Du den 7. Oktober erlebt? Das ist eine Frage, die wohl alle Israelis ihr Leben lang beantworten können. Noch immer sitzt der Schock tief, der Unglauben über das Versagen der Armee, der Geheimdienste. Noch immer sind die Bilder kaum zu ertragen, die am 7. Oktober über unsere Bildschirme flimmerten, von den weißen Pickups voller Terroristen. Von Naama, gefesselt, verletzt, in Todesangst. Von Shani, leblos auf einem Tender. Von Ohad, barfuss und in Unterwäsche in Gaza. Von den um ihr Leben rennenden jungen Menschen, die auf dem Nova Festival das Leben feierten. Noa Argamani, die auf einem Motorrad entführt wird, ihre Hände verzweifelt ausgestreckt.
Ein Jahr danach ist noch immer Ausnahmezustand in Israel. Es war ein Jahr, das täglich schreckliche Nachrichten in unser Leben gebracht hat. Und jedes mal wieder, haben wir sie als Höhepunkt des „Nicht mehr zu Ertragenden empfunden“. 15 gefallene Soldaten an einem Tag. Die drei Geiseln, die von der israelischen Armee versehentlich erschossen wurden. Der Film, der die entführten Späherinnen zeigt, blutüberströmt, in Todesangst. Das Massaker der Hisbollah in Majdal Shams. Die sechs toten Geiseln, die in einem Tunnel in Rafah gefunden wurden. Und und und…
Und natürlich die Berichte von den Überlebenden des Massakers. Jeder einzelne gräbt sich ins Gedächtnis ein. Die Berichte der Geiseln, die zurückgekehrt sind und Zeugnis über ihre Gefangenschaft ablegten.
Ein Jahr nach dem Überfall der Hamas ist Israel weit davon entfernt, zur Normalität zurückzukehren. Noch immer sind 101 Geiseln in Gaza gefangen. Netanyahu sagte kürzlich, dass etwa die Hälfte von ihnen noch am Leben sei. Ein zynisch grausamer Kommentar. Wer ist unter den Lebenden?
Das Leben kann nicht weitergehen, solange 101 Geiseln weiter in Gaza sind. Das Trauma kann nicht heilen.

In einige der Kibbutzim sind die Bewohner zurückgekehrt, in anderen wird es noch Monate oder auch Jahre dauern. Im Norden Israels tobt der Krieg mit der Hisbollah, Zehntausende Israelis wurden vor einem Jahr, als der Beschuss aus dem Libanon begann, evakuiert und sind auch heute nicht zurück in ihren Häusern. Hunderte Häuser wurden im Norden zerstört, ein ganzer Landstrich zerbombt. Auch hier ist von Normalität keine Rede.
Zehn- und Hunderttausende Israelis demonstrieren jede Woche an der Seite der Familien der Entführten, blockieren Straßen, fordern lautstark, alles für ein Abkommen zu tun. Werden dafür angegangen, beschimpft. Das Land ist wieder gespalten.

Und die Politik? Räumt keine Verantwortung ein, setzt keine Untersuchungskommission ein. Klebt an ihren Sesseln, stellt persönliche und parteiinterne Interessen über die des Staates und seiner Bürger. Ein finsterer erster Jahrestag.
Links:
Hostages and Missing Families Forum:
https://stories.bringthemhomenow.net/
Interaktive Karte zum 7. Oktober:
https://oct7map.com/
Video und Suund-Dateien zum 7. Oktober:
https://oct7.treedis.com/
Die Gefallenen der IDF:
https://www.idf.il/