Der ansteigende (manifeste) Antisemitismus seit dem Hamas-Massaker von 2023 hat schon lange auch den Kulturbetrieb erreicht. Es gibt aber nicht nur die bekannten Fälle aus den Feuilletons, wie die Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen in einem neuen Sammelband zeigen.
Von Armin Pfahl-Traughber
Ein Anstieg des Antisemitismus konnte in vielen Ländern direkt nach den Massakern vom 7. Oktober 2023 ausgemacht werden. Dabei kommt folgenden Details große Relevanz zu: Der Anstieg ließ sich bereits vor den ersten Gegenschlägen der israelischen Streitkräfte konstatieren. Demnach kam es zur gemeinten Entwicklung nicht als Folge von deren Vorgehen, entscheidender war offenkundig eine zumindest latente antisemitische Einstellung bei den gemeinten Protesthandlungen. Darüber hinaus ließ sich eine pauschale Gleichsetzung in vielen Ländern konstatieren, wurden doch die dortigen Juden schlechthin für die israelische Politik verantwortlich gemacht. Auch diese Denkungsart steht für zumindest latente antisemitische Einstellungen, die durch solche Entwicklungen zu manifesten Handlungen werden konnten. Derartiges ließ sich nicht nur anhand von öffentlichen Demonstrationen mit fanatischen Rufen wahrnehmen. Auch Besetzungsaktionen an Hochschulen und Universitäten standen bekanntlich für solche Wirkungen.
Gleiches gilt für den kulturellen Betrieb in einem weiteren Sinne, wo sich ebenfalls derartige Entwicklungstendenzen über eine israelfeindliche Judenfeindlichkeit artikulierten. Eine kritische Aufmerksamkeit dafür gab es gelegentlich in den Medien, viele Dimensionen beschränkten sich aber auf kommunikative Randbereiche. Einen Einblick in das Gemeinte gibt jetzt ein Sammelband, der mit „Judenhass im Kunstbetrieb. Reaktionen nach dem 7. Oktober 2023“ als Titel erschien. Herausgegeben hat ihn Matthias Naumann, der Leiter des eher kleinen Neofelis-Verlags. Die Autoren der acht Beiträge kommen meist aus den jeweiligen Kulturbereichen, haben sich aber auch intensiver mit der Antisemitismusforschung in solchen Kontexten beschäftigt. Insofern stammen die Inhalte aus einer Perspektive, die auch für die etablierte Forschung von innovativem Interesse sein dürfte. Anlass für die Herausgabe war das „dröhnende Schweigen“, denn zunächst reagierte der Kulturbetrieb eben gar nicht auf das antisemitische Massaker vom 7. Oktober 2023.
Dass die Entwicklung dann aber häufig in eine antisemitische Israelfeindlichkeit umschlug, veranschaulichen die jeweiligen Aufsätze für die unterschiedlichen Bereiche. Ihnen vorangestellt ist eine längere Einführung von Naumann, der kritisch auf die sich links und progressiv wähnenden Einstellungen der Gemeinten abstellt. Er zeigt aber auch an historischen Beispielen, dass stereotype Bilder von Juden als Tätern schon sehr früh präsent waren. So habe etwa die KPD in der Weimarer Republik vermittelt, dass „arabische Eingeborene“ gegen den „zionistischen Faschismus“ standen. Frühe „post-kolonialistische“ Denkungsarten scheinen in der Gegenwart hinter antisemitischen Stereotypen zu stecken. Derartige Einstellungen propagierten nicht selten einem falschen Gegensatz, der zwischen Antisemitismusbekämpfung und Kunstfreiheit postuliert werde. Auch die BDS-Kampagne wird in einen diesen Kontext eingeordnet, spielt sie doch im kulturellen Bereich länderübergreifend eine besondere Rolle.
Die anschließenden Beiträge veranschaulichen dies anhand einschlägiger Fallbeispiele, die sich jeweils beziehen auf Film, Karikaturen, Literatur, Musik, Tanz oder Theater. Zahlreiche Bespiele veranschaulichen das konkret Gemeinte, wobei die Fülle eine gewisse Verallgemeinerung erlaubt. Man kann wohl diese Ausrichtung nicht auf ganze Gesellschaften übertragen, was der Beitrag zum „European Song Contest“ 2024 in Malmö zeigt. Während die Jury der israelischen Kandidatin nur 52 Punkte gab, erhielt sie im Publikumsvoting 323 Punkte und damit die zweitmeisten Stimmen. Demgegenüber veranschaulichen Aufsätze zu besonderen Bereichen wie etwa dem Tanz, dass auch ebendort Agitationserfolge der BDS-Bewegung zu verbuchen sind. Der Aufsatz zu Comics macht an konkreten Fallbeispielen deutlich, dass mit „wulstigen Lippen“ und „großen Nasen“ uralte Stereotype wieder belebt werden. Derartige Darstellungen nimmt man mit Erschrecken zur Kenntnis, denn hier soll es sich ja um ein gebildetes und progressives Milieu und Publikum handeln.
Matthias Naumann (Hrsg.): Judenhass im Kunstbetrieb. Reaktionen nach dem 7. Oktober 2023, Neofelis Verlag 2024, 214 S., 18,00 €, Bestellen?