Jugendliche Gewalt in Israel

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„Er war Araber und hat es verdient, zu sterben.“ Das sagte der vierzehn Jahre alte A. nach seiner Verhaftung. A. ist das erste von rund fünfzig jüdischen Kindern aus Jerusalem, das mit Stolz und ohne Reue die Beteiligung an einem versuchten Lynchmord an dem 17 Jahre alten Gamal Julani aus dem arabischen Viertel A-Tur bestätigte. „Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich ihn ermordet.“ Zwischen 40 bis 50 Kinder waren am Donnerstag an einer Verfolgungsjagd vom „Kätzchenplatz“ zu dem etwa 200 Meter entfernten Zionsplatz im Zentrum Jerusalems beteiligt…

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 21. August 2012

Hunderte Passanten schauten zu, ohne einzugreifen, während mehrere Kinder den schon am Boden liegenden Julani mit Schlägen und Fußtritten schwer verletzten. Angeblich wurden die Jugendlichen von der 15-jährigen R. angestachelt, mit rassistischen Rufen Juliani und seine zwei Cousins zu verfolgen. R. behauptete, von einem Araber vergewaltigt worden zu sein. Die Jagd auf die jungen Araber sei „eine Chance für gerechte Rache“. Die Polizei betont, dass Julani und seine Cousins keiner Provokation verdächtig sind und „unbeteiligte Passanten“ waren.

Amit, 23, jüdischer Medizinstudent, hatte unmittelbar nach dem Lynchversuch den am Boden liegenden Julani wiederbelebt. „Zweimal hatte er schon den Puls verloren.“ Inzwischen ist der junge Araber im Krankenhaus wieder wohlauf. Julanis Mutter forderte von der Polizei, die Attacke auf ihren Sohn im Stadtzentrum Jerusalems genauso gewissenhaft aufzuklären wie Angriffe von Palästinensern gegen Juden in den besetzten Gebieten.

Gewalt unter Kindern gehört zu den großen Problemen der israelischen Gesellschaft, im jüdischen wie im arabischen Sektor. In den letzten Jahren hat es mehrere Mordfälle gegeben, ausgeübt von Jugendlichen.

Vor zwei Jahren wurde Arieh Karp, 59, während eines Abendspaziergangs mit Frau und Tochter auf der Tel Baruch Strandpromenade im Norden von Tel Aviv von drei minderjährigen betrunkenen arabischen Jugendlichen aus dem Dorf Jaljulia angegriffen und ermordet. Karps Frau wurde ein Arm gebrochen und die Tochter wurde auf den Boden geworfen, wobei einer der Täter sie angeblich vergewaltigen wollte. Die Leiche den 59-jährigen wurde am nächsten Morgen aus dem Mittelmeer gefischt. Die Jugendlichen hatten kein Motiv für ihr Tötungsdelikt und wurden zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt.

Im vergangenen Mai wurde der 36 Jahre alte Gabi Vichmann von betrunkenen Jugendlichen mit einem Messerstich ins Herz ermordet. Er wohnte in Beer Schewa bei einem Park, in dem sich Nachts Jugendliche trafen, soffen, kifften und viel Lärm machten. Vichmann wollte sie bitten, etwas stiller zu sein, weil seine kleine Tochter nicht einschlafen könne. Vichmanns Frau musste von der Terrasse aus hilflos zuschauen, wie ihr Mann erstochen wurde.

Die Liste solcher Morde ist lang, macht in der Welt aber nur Schlagzeilen, wenn Juden Araber angreifen. Dieser Tage haben mutmaßlich junge Siedler eine Brandbombe auf ein palästinensisches Taxi geworfen. Neben dem Taxifahrer erlitt eine vierköpfige arabischen Familie im Taxi teilweise schwere Brandverletzungen. Andere Fälle, in denen Palästinenser eine ganze jüdische Familie ermordet haben oder das Auto eines Siedler mit einem schweren Stein bewarfen, sodass der Siedler aus Hebron mit seinem Sohn im Babyalter in den Abgrund stürzte und tödlich verunglückte, wurden zum Beispiel von der BBC überhaupt nicht berichtet.

Um der Gewalt unter Schülern, auch in Schulen während der Pausen, Herr zu werden, hat das Erziehungsministerium verboten, sogenannte japanische Messer auf das Schulgelände mitzubringen. Ratlose Psychologen und Erzieher kommen zu dem naheliegenden Schluss, dass die Lynchjustiz in Jerusalem am Donnerstag und andere Fälle von Gewalt ihren tiefen Grund im unverantwortlich hohen Alkoholgenuß hätten. Deswegen wurde Kiosks grundsätzlich verboten, Nachts Alkohol zu verkaufen, während in Supermärkten Hochprozentiges nur noch an Kunden über 18 verkauft werden darf. Doch auch die verschärften Polizeikontrollen nahe Nachtklubs und überwiegend von Jugendlichen frequentierten Kneipen haben die Zahl schwerer Autounfälle mit „angeheiterten“ Fahrern nicht wesentlich mindern können. Seit drei Tagen verfolgt das ganze Land die Suche nach dem vorbestraften Schoschan Barabi, der mit hoher Geschwindigkeit eine rote Ampel überfuhr, drei Frauen tötete und die wilde Fahrt fortsetzte, ohne sich um seine Opfer zu kümmern.

„Wir müssen mehr Wert auf Erziehung setzen, in der Schule und in den Elternhäusern“, empfahl ein Psychologe, eingestehend, dass dieses nur langfristig Erfolg haben werde. Rassismus gebe es in jeder Gesellschaft und sei nur schwer zu bekämpfen. Während eine Sprecherin des Erziehungsministeriums eingesteht, dass ihr Amt „keine Zähne“ habe, um gegen Auswüchse der Gewalt vorzugehen, wird in öffentlichen Diskussionen wird der Polizei vorgeworfen, nicht ernsthaft das Verbot des Alkoholverkaufs an durchgehend geöffneten Kiosks und Bars durchzusetzen. Richter werden bezichtigt, das Leid der Opfer und der zerstörten Familien gar nicht zu beachten, Mordfälle als Tötungsdelikte zu interpretieren und die Täter mit Rücksicht auf ihr junges Alter nur milde zu bestrafen.

(C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com

Nachtrag:

Die 15 Jahre alte R. , die angeblich die Jugendlichen aufgestachelt hat, die jungen Araber im Zentrum Jerusalems zu lynchen ist nach Angaben der Polizei tatsächlich im März von einem Araber vergewaltigt worden. Der Täter sei verhaftet worden.

Auf Anfrage hat mir jetzt das israelische Erziehungsministerium eine ausführliche schriftliche Stellungnahme zum Thema Gewalt in Schulen geschickt.

Seit drei Jahren werde Wert auf den Kampf gegen Gewalt unter Schülern in 1200 Schulen gelegt. Für Sonderprogramme wurden etwa 2 Millionen Euro vorgesehen wurden.

Dazu gehören eine enge Begleitung von Lehrern, die Schaffung eines „sicheren Klimas“, Behandlung problematischer Schüler. Das Programm erwies sich als erfolgreich. Zentren für psychologische Behandlung wurden eröffnet. In jeder der 6 Regionen Israels wurde je ein Zentrum für die Behandlung besonders schwerer Fälle unter Schülern eröffnet: Gruppentherapie, Einzelbehandlung, Einweisung für Eltern und Lehrer.

Deshalb gab es im letzten Schuljahr einen deutlich Rückgang bei Gewalt in Schulen und eine Besserung des Gefühls der Sicherheit in jenen Schulen, die sich dem Programm angeschlossen haben.

Für eine statistische Erhebung der Gewalt wurden 24.625 Fragebögen an Schüler ausgeteilt und verwertet.

Gefragt wurde nach: schwerer Gewalt, Gewalt mit digitalen Mitteln, verbale Gewalt, Bandenbildung, sexuelle Gewalt, Alkohol, Haschisch, Pillen, Gewalt von und gegen Lehrer, Mitbringen von Messern.

In den Klassen 4-6 wurde Rückgang der Gewalt in Werten zwischen 10 und beim Alkohol sogar um 45 % verzeichnet.

In den Klassen 7 bis 9 wurde bei den meisten Punkten ein Rückgang um durchschnittlich 20 % gemessen, beim Alkohol sogar um 40-50 Prozent

In den Klassen 10 bis 12 gab es bei fast allen Punkten ohnehin nur ein relativ niedriges Maß an Gewalt, das weitgehend unverändert blieb. Beim Thema Alkohol wurde ein Rückgang zwischen 12 und 17 % gemessen.

(C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com

7 Kommentare

  1. Schlimme Taten, sehr schlimme Taten. Doch hat Sahm hier den Fokus auf die Taten selbst gelegt, und dass ist nicht der Kern der Sache. Der Kern der Sache ist, dass es „unter den Augen der Gesellschaft“ geschah, nicht im Dunkeln im Park, nicht dort wo es keiner sieht, sondern in aller Öffentlichkeit! Die Gesellschaft scheint in großen Teilen kein Problem damit zu haben wenn Araber in Israel tot geschlagen zu werden. Wie hieß es gleich:“ Ach die haben nur ein wenig geschubst“!

  2. Der jüdische Staat kann nur bestehen, wenn er auch demokratisch bleibt. Rassismus aber darf kein demokratischer Staat dulden.
    Und Sebastian hat Recht, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen um sich werfen.

  3. Der Beitrag von Ulrich W. Sahm hat die Hintergründe dieses schlimmen Vorfalls dargestellt. Dem Beitrag aus Ynetnews, auf den Karl Pfeifer hingewiesen hat, ist zu entnehmen, wie ernst so etwas in Israel genommen wird und, dass man von Regierungsseite sehr viel tut, um derartiger Gewalt entgegen zu wirken.
    Manche deutsche Journalisten werfen sich freilich begierig auf solche Vorfälle, um ein Zerrbild über den jüdischen Staat zu fixieren.

    Ein übles Beispiel hier: http://www.taz.de/Kommentar-Angriff-in-Jerusalem/!100019/

    Ich denke sowas ist deutscher Chauvinismus, der genau 20 Jahre nach Rostock von dem Ãœbel im eigenen Land ablenken soll.

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