
Israels Regierung setzte große Erwartungen in die zweite Amtszeit von Donald Trump. Doch der US-Präsident verfolgt eine Politik, die keine Rücksicht selbst auf engste Verbündete kennt. Genau das bekommen die Verantwortlichen in Jerusalem gerade bitter zu spüren.
Von Ralf Balke
Der Scheck war wohl nicht gedeckt und ist nun auch noch laut geplatzt. Diese Erkenntnis scheint mittlerweile auch bei den politisch Verantwortlichen in Israel angekommen zu sein. Dabei sah das vor einem Jahr ganz anders aus. Da konnten israelische Politiker wie Amichai Chikli, Minister für Diaspora-Angelegenheiten, ihre Vorfreude darüber, dass die Amtszeit von US-Präsident Joe Biden sich dem Ende nähert und sehr wahrscheinlich Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehren wird, kaum noch verbergen. Nicht wenige im Kabinett von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu dachten, Washington erteile ihnen den Blankoscheck. Man könne jetzt ungebremst und endlos Krieg im Gazastreifen führen, ohne dass es kritische Töne aus den Vereinigten Staaten gibt. Auch von der baldigen Annexion des Westjordanlandes träumten einige recht laut, allen voran Finanzminister Bezalel Smotrich. Nun gibt es Konfrontationen mit der Realität in Serie.
Dabei schien man anfangs auf Rosen gebettet. Benjamin Netanyahu kam die Ehre zuteil, am 4. Februar als erster ausländischer Regierungschef von Donald Trump in Washington empfangen zu werden. Zugleich überraschte der gerade wiedergewählte US-Präsident bei dieser Gelegenheit seinen Gast und die Welt mit dem Plan, dass die Vereinigten Staaten den Gazastreifen übernehmen könnten, um ihn dann in eine „Riviera des Nahen Ostens“ zu verwandeln. Für den Premier hätte der Besuch kaum besser laufen können, alle waren euphorisiert. Nur zwei Monate später dann die erste Überraschung. Im Rahmen seiner neuen Zollpolitik verkündete Donald Trump Anfang April, dass man auch Importe aus Israel teurer machen würde und fortan ein Zollsatz von 17 Prozent gelten werde. Benjamin Netanyahu, der gerade auf Staatsbesuch in Budapest weilte, wurde auf kaltem Fuß erwischt und flog sofort weiter nach Washington – schließlich ist das Land der wichtigste Abnehmer israelischer Waren. So hatten die Exporte Richtung USA im Jahr 2024 ein Volumen von 13,5 Milliarden Dollar.
„Bibi, dem Zauberer“ gelang es jedoch nicht, seinen „Freund“ umzustimmen. Vielleicht aber erinnerte sich Donald Trump wieder daran, dass Benjamin Netanyahu das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl von 2020 akzeptiert und seinem Nachfolger Joe Biden gratuliert hatte. Aus der Perspektive von Donald Trump war das ein handfester Verrat. „Ich mochte Bibi. Ich mag Bibi immer noch“, so Donald Trump 2021 gegenüber dem israelischen Journalisten Barak Ravid. „Aber ich mag auch Loyalität. Die erste Person, die Biden gratuliert hatte, war Bibi. Und er hat ihm nicht nur gratuliert, er hat das alles auch noch auf Band aufgenommen. Er war sehr früh dran – früher als die meisten. Seitdem habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen. Fuck him.“ Aber es sollte für Benjamin Netanyahu noch viel übler kommen. Kaum in Washington angekommen, verkündete Donald Trump ebenfalls, dass man jetzt mit dem Iran direkte Gespräche suche, um ein neues Atomabkommen abzuschließen – für Israel ein absolutes Worst-Case-Szenario. Bereits 2015 hatte der damalige US-Präsident Barack Obama einen solchen Deal mit den Mullahs unter Dach und Fach gebracht, sehr zum Entsetzen Israels, da Teheran von seinem erklärtem Ziel, der Vernichtung Israels, nie abgerückt ist und mit seinem zivilen Atomprogramm stets auch militärische Absichten verfolgte. Genau deshalb hatte Donald Trump das Abkommen in seiner ersten Amtszeit 2018 auch aufgekündigt. Nun also die Kehrtwende hin zu einer Neuauflage, die zudem nicht mit Israel abgesprochen war, weshalb Benjamin Netanyahu auf der gemeinsamen Pressekonferenz sichtlich geschockt und hilflos wirkte.
Aber der drohende Iran-Deal sollte nur der Anfang einer ganzen Reihe von Ereignissen sein, die das lange von der Regierung in Jerusalem propagierte Bild von „Donald Trump als der beste US-Präsident, den Israel an seiner Seite haben kann“, in Rekordzeit erschütterten. Denn nun ging es Schlag auf Schlag. So führte die erste offizielle Auslandsreise von Donald Trump am Dienstag nach Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Katar, während Israel links liegen gelassen wird. In Riad geht es in den Gesprächen des US-Präsidenten um Washingtons Zustimmung für den Aufbau eines eigenen saudischen Atomprogramms, selbstverständlich mit US-Unterstützung, weshalb amerikanischen Unternehmen viele Milliarden-schwere Aufträge winken. Lange Zeit lautete eine der Voraussetzungen für die Verwirklichung der nuklearen Ambitionen der Saudis, dass Riad sein Verhältnis zu Israel normalisieren muss, erst dann erfolgt dass amerikanische Ok. Die Administration von Joe Biden hatte intensiv auf dieses Ziel hingearbeitet. Für Donald Trump ist die Anerkennung Israels durch Saudi-Arabien aber plötzlich kein Thema mehr. Jerusalem wird in die Rolle des Zuschauers gedrängt, muss hinnehmen, dass das Wüstenkönigreich ebenfalls zu einer Nuklearmacht aufsteigen könnte. Ganz nebenbei ist damit auch die über vier Jahrzehnte alte Begin-Doktrin, die darauf pochte, dass keine andere Macht in der Region nuklear aufgestellt sein darf, obsolet geworden, und das dank der Politik des engsten Verbündeten, und zwar den Vereinigten Staaten.
Am 6. Mai sollte eine weitere Bombe platzen, als Donald Trump verkündete, dass die Houthi-Rebellen im Jemen bereit seien, ihre Angriffe auf die internationale Schifffahrt einzustellen und kapituliert hätten. „Sie wollen einfach nicht mehr kämpfen, und wir werden das respektieren.“ Die Tatsache, dass die Houthis weiterhin Raketen und Drohnen Richtung Israel in Marsch setzen, interessiert ihn dabei nicht. Zwar hatten die Vereinigten Staaten gemeinsam mit Großbritannien die Wochen zuvor immer wieder militärisch im Jemen interveniert, aber offensichtlich wurde Donald Trump das Ganze schnell zu teuer, weshalb die Angriffe eingestellt werden. Israel wurde nicht dabei konsultiert und muss sich fortan alleine gegen die Bedrohung aus dem Jemen zur Wehr setzen.
Last but not least gab es offensichtlich auch direkte Kontakte zwischen Vertretern der Vereinigten Staaten sowie der Terrororganisation Hamas, um die Freilassung der amerikanisch-israelischen Geisel Edan Alexander am Montag zu bewirken – nicht nur aus israelischer Sicht ein absoluter Tabubruch. Auf diese Weise wurde Benjamin Netanyahu erneut düpiert. Zum einen hatten ihn die Amerikaner nicht über die Verhandlungen informiert, zum anderen aber genau das geschafft, was der Ministerpräsident als Ziel nur halbherzig verfolgt, und zwar die Freilassung der israelischen Geiseln aus der Gewalt der Hamas voranzubringen. „Da der Präsident nicht länger darauf warten wollte, bis Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, der ausschließlich auf militärischen Druck setzt, auch nur einen Mini-Deal mit der Hamas zustande bekommt, beauftragte er seine Gesandten, Alexanders Freilassung zu ermöglichen“, kommentiert David Horovitz, Chefredakteur der „Times of Israel“ das Prozedere. „Israel wurde erst am Sonntag offiziell auf den neuesten Stand gebracht und damit auch vor vollendete Tatsachen gestellt.“
Genau das verweist auf einen Dissens zwischen dem US-Präsidenten und Benjamin Netanyahu in der Frage des Krieges im Gazastreifen. Die vom israelischen Kabinett beschlossene Intensivierung der Kämpfe sowie die geplante Bodenoffensive werden in Washington plötzlich kritisch gesehen. So soll Trumps Sondergesandter Steve Witkoff gegenüber Angehörigen der Geiseln erklärt haben, die USA könnten keine militärischen Fortschritte erkennen, die etwas an der Situation ändern würden. Man selbst aber wolle auf jeden Fall die Freilassung der Geiseln, „aber Israel ist nicht bereit, den Krieg zu beenden“. Und Donald Trump selbst sagte am Sonntag, dass er die Freilassung Alexanders als „hoffentlich den ersten der letzten Schritte, die notwendig sind, um diesen brutalen Konflikt zu beenden“, betrachtet. Die Vernichtung der Hamas als Voraussetzung für ein Ende des Krieges nannte er bemerkenswerterweise nicht mehr.
Die Hamas hat es durch die bedingungslose Freilassung Edan Alexanders geschafft, die Kluft, die sich zwischen Donald Trump und Benjamin Netanyahu auftat, weiter zu vergrößern und sich selbst neu ins Spiel zu bringen. Somit könnten die Chancen auf erneute Hilfslieferungen ebenso steigen wie auch der Druck aus Washington auf Israel, es mit der großangelegten Bodenoffensive vielleicht besser sein zu lassen. Auch die Tatsache, dass die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien erst einmal kein Thema mehr ist, dürfte die Terrororganisation mit großer Genugtuung erfüllen. So gibt sie zugleich Donald Trump die Möglichkeit, sich bei seinem Besuchen in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar als Freund der arabischen Welt zu inszenieren, wofür dieser sich vielleicht revanchiert. Und die Absicht, „Gaza in die Riviera des Nahen Ostens“ zu verwandeln, scheint bei dem US-Präsidenten ohnehin keine Priorität mehr zu haben.
Benjamin Netanyahus Reaktionen auf die Berichte, dass sein Verhältnis zum amerikanischen Präsidenten zerrüttet sei, fielen überraschend aus. Einerseits sagt er, dass die Beziehungen weiterhin „exzellent“ seien. Andererseits behauptet der Premier, dass das alles ein „Spin“ eines gewissen Medienunternehmens in Israel sei, das ihm persönlich schaden und andere Politiker voranbringen möchte, also alles nur eine Erfindung und Lüge wäre. Doch um welches Medienunternehmen es sich dabei handelt, das verriet der Ministerpräsident wiederum nicht, das bleibt wie so vieles sein stilles Geheimnis. Anders dagegen die amerikanischen Medien, allen voran TV-Sender Fox News, der Donald Trump politisch sehr nahesteht. Dort war ganz offen von einem Zerwürfnis die Rede, weil man den israelischen Premier in Washington zusehends als Hindernis sieht, wenn man in der Region diplomatischer Initiativen erfolgreich auf den Weg bringen will.