Syrien: Bashar Al-Assad oder das Chaos?

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Nach wie vor weigert sich die syrische Regierung, die Proteste der letzten Wochen als eine legitime Willensbekundung der Bevölkerung anzuerkennen. Die offiziellen Medien versuchen weiterhin den Eindruck zu erwecken, es handele sich um eine ausländische Verschwörung zur Destabilisierung des Landes durch eine bewaffnete Rebellion…

In Syrien geht das Ringen zwischen Protestbewegung und Regime weiter

PERSPEKTIVEN Mai 2011
Friedrich Ebert Stiftung, Israel

Das syrische Innenministerium stellte den Demonstranten, die an »unrechtmäßigen Handlungen« beteiligt gewesen seien, ein Ultimatum und forderte diese dazu auf, sich bis zum 15. Mai zu stellen und ihre Waffen abzugeben sowie Informationen über Saboteure, Terroristen und Waffenlager zu liefern, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Seitdem meldet die syrische Presse täglich die Anzahl derer, die sich »ergeben« haben und präsentiert die Geständnisse angeblicher Terroristen, die über das Töten von Sicherheitskräften sowie Waffenlieferungen und Unterstützung aus dem Ausland berichten. Zahlreiche Menschenrechtsaktivisten wurden gezwungen, ihre Positionen öffentlich zu revidieren. Ebenso machten der Mufti von Dara’a und einer der Parlamentsabgeordneten aus Dara‘a, die kürzlich aus Protest gegen die Gewalt der Sicherheitskräfte und Armee vom Amt zurückgetreten waren, ihren Rücktritt rückgängig und erklärten, sie seien von Islamisten unter Druck gesetzt worden.

Anhaltende Proteste

Zugleich ist inzwischen überall dort, wo in den letzten Wochen Proteste stattfanden, die Armee einmarschiert. Zahlreiche Regionen sind abgeriegelt, Telefon- und Internetverbindungen sind unterbrochen und der Strom ist abgestellt. Besonders betroffen ist nach wie vor die Stadt Dara’a im Süden des Landes mit ihren umliegenden Dörfern, die Küstenstadt Banias sowie mehrere Orte im Umkreis von Damaskus. Auch die Innenstadt von Homs befindet sich weiterhin im Belagerungszustand durch das Militär. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten haben die syrischen Sicherheitskräfte seit Beginn der Demonstrationen mindestens 800 Menschen getötet. Etwa 11.000 Menschen wurden mittlerweile verhaftet oder sind verschwunden. Jedes Wochenende bietet sich das gleiche Bild: Tausende von SyrerInnen gehen nach dem Freitagsgebet auf die Straßen, demonstrieren in friedlicher Weise und werden von den Sicherheitskräften mit scharfer Munition beschossen und es sind Todesopfer zu beklagen.

Regionale Schwerpunkte der Auseinandersetzungen der letzten Wochen lagen in den Städten Homs und Hama, in Vororten und im Umland von Damaskus und in vielen anderen Orten in den Regionen. Immer häufiger greift die syrische Armee in die Auseinandersetzungen ein. So war es der Fall in der Stadt Hama, so geschah es kurz darauf in der Kleinstadt Kafr Schams, 60 Kilometer südlich von Damaskus, wo die Stadt komplett von der Außenwelt abgeriegelt wurde.

In der besetzten Stadt Tell Kalakh nahe der libanesischen Grenze haben syrische Sicherheitskräfte nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten mindestens 34 Menschen getötet und Hunderte verhaftet. Etwa 500 Menschen suchten Zuflucht im Libanon; in den vergangenen Wochen sollen insgesamt 5.000 Syrer in den Libanon geflohen sein.

Zu den zahlreichen Verhafteten gehört auch der prominente Oppositionsführer Riad al-Seif, der nach dem Freitagsgebet in dem Damaszener Stadtteil Midan festgenommen wurde und eine Woche in Haft verbringen musste, bevor er auf Kaution bis zu seiner Verhandlung freigelassen wurde. Ihm wird ein Verstoß gegen das Demonstrationsgesetz vorgeworfen. Laut Informationen von Menschenrechtsaktivisten verhafteten Sicherheitskräfte am Freitag auch den Damaszener Prediger Moaz al-Khatib. Dieser hatte in Anwesenheit der prominenten Oppositionellen Aref Dalilah (einem Alawiten) und Michel Kilo (einem Christen) versichert, im Falle eines Sturzes des Assad-Regimes würden alle religiösen Strömungen und Gruppierungen anerkannt und respektiert werden.

Die Kampagne »Bashar al-Assad oder das Chaos«

Seit Anfang Mai sind in Syrien alle mobilen Internetverbindungen unterbrochen. Da auch der Zugang übers Festnetz nur eingeschränkt funktioniert und die Internetcafés einer starken Kontrolle unterliegen, ist es für die syrische Bevölkerung zunehmend schwierig, dieses Medium zu nutzen, um sich über aktuelle Ereignisse zu informieren und auszutauschen. Gleichzeitig werden nicht nur die Medien, sondern auch fast alle Werbeflächen des Landes zu einer Kampagne genutzt, die zur Schaffung einer nationalen Einheit unter Bashar al-Assad aufruft und vor den Folgen von Unruhen und interkonfessionellen Konflikten warnt, die an die Stelle der von Bashar al-Assad garantierten Stabilität und Sicherheit treten werden.

Der syrische Informationsminister Adnan Hassan Mahmud erklärte, die Regierung wolle einen »nationalen Dialog in allen Bezirken des Landes« führen. Die Führung arbeite an einem »umfassenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformprogramm«.

Regimegegner bezweifeln jedoch die Ernsthaftigkeit dieser Ankündigung. Der syrische Geschäftsmann Rami Makhlouf, Cousin und enger Vertrauter des syrischen Präsidenten, erklärte in einem Interview mit der New York Times, das Regime sei bereit, bis zum Letzten zu kämpfen. Ohne Stabilität in Syrien könne es auch keine Stabilität in Israel geben, erklärte er, und die Konsequenzen wären nicht absehbar, wenn diesem Regime etwas zustoßen sollte.

Anlässlich des 63. Jahrestages der Vertreibung der Palästinenser fanden am 15. Mai Demonstrationen an der syrischen Grenze zu Israel auf den Golanhöhen statt. Als Gruppen von Demonstranten die israelische Grenze überquerten, eröffnete die israelische Armee das Feuer und tötete vier in Damaskus ansässige Palästinenser und verletzte viele andere. Die Tatsache, dass dies das erste Ereignis dieser Art seit 1974 ist und nur wenige Tage nach den drohenden Äußerungen Rami Makhloufs stattfindet, lässt viele Syrer die Spontaneität der Demonstrationen in Zweifel ziehen. Die Provokation eines Konflikts mit Israel soll zum einen die nationale Einheit fördern, indem – wie in den letzten Jahrzehnten üblich – Fragen der Stabilität und Sicherheit Vorrang vor internen Veränderungen eingeräumt wird. Zum anderen soll sie aber auch die Ängste des Auslandes vor dem Ausbruch von Unruhen in Syrien schüren. Die Kampagne »Bashar al-Assad oder das Chaos« hat hier so seine Fortsetzung gefunden.

Am 17. Mai verhängten die USA Sanktionen gegen Präsident Assad und sechs weitere Regierungsvertreter, darunter Vizepräsident Al Shar‘a, Premierminister Adel Safar, Innenminister Mohammad Ibrahim al-Shaar, Verteidigungsminister Ali Habib und die Chefs des Militärgeheimdienstes, Abdul Fatah Qudsiya, und der politischen Staatssicherheit, Mohammed Dib Zaitoun. In seiner Rede forderte der amerikanische Präsident Barack Obama Präsident Assad dazu auf, entweder einen Übergang zu leiten oder zurückzutreten.

Ausblick: Fehlende Perspektive?

Trotz der brutalen Gewaltanwendung seitens des Regimes gehen die Proteste nicht nur weiter, sondern weiten sich auch regional aus. Die Äußerung von Bouthaina Shaaban, der Medienberaterin Präsident Assads, es sei dem Regime gelungen, die Ordnung im Lande wieder herzustellen, wird jeden Freitag aufs Neue ad absurdum geführt. Wenn es auch schwierig bleibt, von außen das Ausmaß der Proteste einzuschätzen, ist doch klar, dass sich diese Bewegung durch staatliche Gewalt nicht aufhalten lässt.

Dabei ist es der Bewegung bis jetzt nur in Grenzen gelungen, in den beiden größten Städten des Landes, Damaskus und Aleppo, Fuß zu fassen. Der Großteil der Auseinandersetzungen spielt sich in den übrigen Städten Syriens und in der Provinz ab. Darüber hinaus fehlt in Syrien, im Gegensatz zu Ägypten und Tunesien, bisher eine einigende nationale Kraft, die diese regional verschiedenen Protestbewegungen miteinander verbindet.

Den Protestierenden ist die Wut auf das Regime gemein, doch es fehlt (bisher) eine Perspektive, wie es in Syrien nach dem Sturz des Regimes von Assad weitergehen könnte. Andererseits spielt das Regime geschickt mit den Ängsten vieler Syrer – besonders denen der Mittelklasse – vor einem sektiererischen Konflikt à la Irak, dessen Auswirkungen in Syrien nur allzu präsent sind. Angesichts der großen ethnischen und religiösen Vielfalt, die in Syrien herrscht, ist dies ein schlagkräftiges Argument. Wie lange dem Regime dieses Spiel noch gelingen wird, bleibt abzuwarten.

Friedrich-Ebert-Stiftung | Referat Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika (MONA). Die hier zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
www.fes.de/international/nahost