Die israelische Politik und die politische Rechte – egal ob unter Netanyahu, Sharon oder Olmert – scheuen eine offene Konfrontation mit den Vereinigten Staaten, »dem besten Freund Israels«, auch wenn die USA sich schon 1967, und noch deutlicher unter Bush, seit 1993, konsequent gegen die Siedlungspolitik ausgesprochen haben…
Moshe Zimmermann (p.88 ff in „Die Angst vor dem Frieden„)
Angeblich gibt jede israelische Regierung ein bisschen nach, versucht jedoch nur, den Druck von außen abzublocken. Man gründet keine neue Siedlungen, dafür dehnen sich bereits existierende aus. Man schafft »Außenposten« oder »Stützpunkte«, um den Begriff »Siedlung« zu umgehen.
Nicht nur die Clinton-Administration, sondern sogar George W Bushs Regierung bestand auf einem Baustopp der Siedlungen und war über den schleichend stattfindenden Siedlungsprozess zunehmend ungehalten. Sowohl die amerikanische Regierung als auch die israelische Friedensgruppe Peace Now sammeln systematisch Daten über Ausdehnung und Ausbau der Siedlungen. Doch zu einer praktischen Gegenmaßnahme führte diese Arbeit nur 2003, als die Bush-Regierung die Summe der israelischen Investitionen in den Siedlungen von der jährlichen finanziellen Zuwendung der USA (etwa eine Milliarde Dollar) an Israel konsequent abzog.
Die Erpresser, die Siedler und Siedlungen selbst, hat das nicht tangiert, während die erpresste Mehrheit der israelischen Bevölkerung als die Geisel bereit ist, diesen Preis – wenn er denn überhaupt als solcher wahrgenommen wird – und einen hohen Preis für den Zustand des Unfriedens für die innerisraelische Ruhe zu bezahlen. Im Jahr hat 2005 musste sogar Ariel Sharon dem Druck von außen und innen nachgeben und eine Kommission bilden, die sich mit den »Außenposten« befasst. Diese Kommission, mit Anwältin Talia Sasson als Vorsitzender, zog eine verheerende Bilanz: Dass die etwa 105 »Außenposten« entstehen und gedeihen konnten, ist nicht nur der kriminellen Energie der fanatischen Siedler zu verdanken, sondern vornehmlich den Behörden und Ministerien (Verteidigungs- und Wohnungsbaubauministerium an erster Stelle), die das Unternehmen unterstützten und eine gesetzwidrige Handlungsweise zuließen oder gar initiierten. Doch der Bericht wurde ad acta gelegt, und die »Außenposten«, obwohl zum Teil auf privatem palästinensischem, das heißt gestohlenem Boden gegründet, dehnten sich bis auf wenige weiter aus.
Ironie und Zynismus ließen sich noch steigern: Die Bauarbeiter in den Siedlungen sind meist Palästinenser; denn in einer armen Gesellschaft, in der eine Arbeitslosenquote von nahezu 50 Prozent herrscht, kann sich der kleine Mann keine Prinzipienreiterei leisten. Seit die El-Aksa-Intifada zu äußerst effektiven Repressalien durch Israel führte, nämlich zum nahezu totalen Arbeitsverbot für Palästinenser im Kernland Israel, ist für sie eine Tätigkeit in den jüdischen Siedlungen auf der palästinensischen Seite der Mauer oft eine der wenigen Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. So trifft die Entscheidung über den Baustopp in den Siedlungen die Palästinenser mehr als die Israelis. Die palästinensische Parole der Rechtfertigung »Später werden wir selbst einmal diese Häuser bewohnen« ist ein schwacher Trost, weil sie einfach unrealistisch ist.
Das Osloer Abkommen von 1993 kam nicht nur wegen der globalen Lage nach Ende des Kalten Krieges zustande, sondern auch, weil die PLO sehr nüchtern einschätzte, dass die Siedlungen mit damals etwa 150.000 Siedlern Tatsachen vor Ort schaffen, die bald nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Der Ausbruch der Intifada im Jahr 2000 war ein Ausdruck der Frustration darüber, dass die palästinensische Bereitschaft, seit 1993 in Friedensverhandlungen einzutreten, den Siedlungsbau nicht bremsen konnte. Eher umgekehrt – die Zahl der Siedler wuchs ständig, und diese Tendenz war trotz El-Aksa-Intifada nicht mehr aufzuhalten. Da sich der palästinensische Terror während der Intifada vornehmlich gegen das Kernland Israel richtete, schien das Leben in den Siedlungen keine besonderen Sicherheitsrisiken mit sich zu bringen, und sie blieben für Interessenten aus der »Lebensqualitätskategorie« weiterhin attraktiv.
Heute, also Anfang 2010, leben mehr als 4 Prozent der Israelis in Siedlungen. Nur etwa ein Prozent der Siedler kann als fanatisch und gewaltbereit gelten, aber nahezu 40 Prozent werden als ideologisch motiviert eingestuft. Die Mehrheit der nichtideologischen Siedler, nahezu 90.000 Personen, gehört zu den Pragmatikern, zu den »Lebensqualitätssiedlern«; es sind Israelis, die für wenig Geld und viel staatliche Unterstützung eine größere Wohnung in einer gesünderen Umgebung auf dem Land, eine bessere Erziehung für die Kinder und ähnliche Vergünstigungen suchen und erhalten sowie zusätzliche Steuerermäßigungen genießen.
Die Gruppe der ultraorthodoxen Siedler ist etwa ebenso groß wie die der »Pragmatiker«. Relativ mittellos, weil sich die meisten Männer lebenslang dem (vom Staat oder privaten Stiftungen subventionierten) Studium der heiligen Schriften widmen (»Die Thora sei ihre Arbeit«) und es den Frauen bzw. der Gesellschaft überlassen, für den Unterhalt der Familie zu sorgen, ziehen sie in die besetzten Gebiete, wo sie eine subventionierte billige Wohnung finden. Während es im Kernland Israel außer der Stadt Bnei-Brak keine rein ultraorthodoxen Ortschaften gibt, sind die größten Siedlungen – Modi’in Illit mit 42.000 und Betar Illit mit 35.000 Einwohnern – ultraorthodox.
Zum Vergleich: Die großen Siedlungsvororte (nicht ultraorthodox) von Jerusalem wie Ma’ale Adumim und Givat Ze’ev haben 34.000 bzw. 11.000 Einwohner; in Ariel, der größten Siedlerstadt in der Nähe von Tel Aviv, leben 17.000 Menschen. Die Ultraorthodoxen waren, wie bereits erwähnt, traditionell nicht nur gegen eine nationalistische Politik, sondern sogar antizionistisch eingestellt, das heißt, sie haben den Staat Israel nicht anerkannt und als Ketzerstaat verachtet. Zu diesem paradoxen Wandel von Einstellung und Praxis trugen mehrere Faktoren bei: Im Zuge der Wende der Staatsideologie zum eigentlichen Postzionismus bildete sich eine neue Gruppe von orientalischen (sephardischen) Ultraorthodoxen heraus, die die antizionistische Tradition ihrer osteuropäischen Brüder übernahm, während der Staat und die Gesellschaft in ihrem Fundament immer religiöser wurden. Die sich schneller als der Durchschnitt vermehrende ultraorthodoxe Gruppe, die sich keine Wohnungen zum normalen Marktpreis in den Städten Israels leisten kann, begrüßt selbstverständlich die Möglichkeit, eine vom Staat subventionierte Unterkunft zu erhalten. Die ultraorthodoxen Parteien im Parlament sind also hartnäckige Verfechter der Siedlungspolitik geworden, teils aus ideologischen und religiösen Gründen, teils aber auch aus Opportunismus.
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Moshe Zimmermann
Die Angst vor dem Frieden: Das israelische Dilemma