Gerade jährte sich der Mord an Itzhak Rabin zum dreißigsten Mal. Bei der staatlichen Gedenkfeier warnte Präsident Herzog eindringlich davor, dass das Land erneut am Rande eines Abgrunds stehe. Der jüdische demokratische Staat Israel müsse null Toleranz in Bezug auf Gewalt gelten lassen. Zuhause werde nicht geschossen: „Nicht mit Waffen, nicht mit Worten, nicht mit Drohungen, nicht mit Äußerungen und nicht einmal mit Andeutungen.“
30 Jahre nach dieser unvorstellbaren Tat, nachdem ein Jude einen Juden erschossen hat, weil er seine politische Auffassung ablehnte, 30 Jahre nach dem 4. November 1995 ist der öffentliche Diskurs in Israel erneut sehr aggressiv, spaltend, unversöhnlich.
Vor 30 Jahren schrieb David Gall seine Bestürzung über den Mord an Rabin nieder und legte damit den Grundstein für haGalil. Dass wir 30 Jahre später diese Zeilen formulieren würden, hätte er sich wahrscheinlich nicht vorstellen können. Dass die rechtsextremistischen Hetzer gegen Rabin heute in der Regierung sitzen, ganz sicher nicht.

Viel hat sich verändert in diesen 30 Jahren. Damals, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, war haGalil eine der ganz wenigen jüdischen Plattformen in Deutschland. Heute haben alle jüdischen Gemeinden und Organisationen eine Internetpräsenz, und das ist gut so. Jüdisches Leben ist einerseits selbstverständlicher geworden, andererseits durch aggressiven Antisemitismus deutlich mehr bedroht.
David Gall verstarb 2014. haGalil führen wir weiter, versuchen uns an sein Motto zu halten: haGalil soll wie ein offenes Buch sein.
Es hagelt immer wieder Beschimpfungen, wir seien zu rechts, zu links, Netanyahu-Sprachrohr, linksversifft. Damit können wir gut leben, denn das heißt wohl, dass wir das schaffen, was wir uns vorgenommen haben: Verschiedene Perspektiven aufzeigen, das Judentum, aber auch Israel in seiner Pluralität vermitteln.
haGalil wäre nichts ohne unsere wunderbaren Autorinnen und Autoren, die ihre Texte ehrenamtlich beisteuern. Viele von ihnen sind uns seit Jahrzehnten treu. Ihnen allen gebührt unser aufrichtiger Dank! Ohne Euch kein haGalil! Ein riesiges Danke auch an unseren Techniker, der immer alles wieder gut macht, und unseren Grafiker, der immer alles schön macht. Auch ohne Euch gäbe es kein haGalil mehr!
Bleiben Sie, liebe Leserinnen und Leser, uns auch weiter gewogen. Auch wenn Sie nicht mit jedem einzelnen Artikel einverstanden sind. Wir sind für konstruktive Kritik immer offen, lassen Sie uns im Gespräch bleiben und versuchen, gemeinsam den Hass zu verdrängen und das Internet als Lernort zu erhalten.
Andrea Livnat und Eva Ehrlich
Zum Jubiläum haben wir einige der für uns wichtigsten Beiträge herausgesucht und möchten Sie hier erneut zum Lesen einladen. Sie spiegeln die Entwicklung von haGalil, aber auch die Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte wieder:
Israel ohne Jitzhak Rabin
„ASHMA ALENU! Wir haben gesehen und nicht verstanden, wir haben verstanden und sind erschrocken, wir sind erschrocken und haben geschwiegen… Ich schäme mich!“
„Der schöne Toni“ – SS-Mörder Malloth
„Der Mann muß nicht nur gute, sondern auch einflussreiche Freunde und Gönner haben“
Finstere Drohungen aus dem NeoNazi-Gruselkabinett: Lüge und Hass – auch zu Purim
„Wehe! Mordechai ist übermütig geworden und von seinem Sieg geblendet. Er übersieht die Zeichen der Zeit“… Mit dieser „Warnung“ ist ein Vortrag des NPD-Anwalts Horst Mahler überschrieben, den er auf einer Konferenz revisionistischer Historiker in Beirut halten wollte.
MdB Martin Hohmann zum Nationalfeiertag: „Gerechtigkeit für Deutschland“
„So richtig ausgeteilt hat Martin Hohmann erst wieder vor Kurzem, in einer Rede zum deutschen Nationalfeiertag, also am 3. Oktober 2003, bei der Neuhofer CDU. Eine Rede in bester antisemitischer Tradition, die da ganz unbescholten auf der Seite der Neuhofer CDU verlinkt ist.“
Antisemitismus und neue Medien
„Über antisemitische Hetze in den mittlerweile nicht mehr ganz so „neuen Medien“ wurde im Laufe der letzten 10 Jahre viel geschrieben, viel diskutiert, viel lamentiert. Viele Gründe wurden dafür angeführt, weshalb man so wenig gegen diese Flut der Hetze unternehmen könne.“
haGalil bald wieder komplett online
„Wie Sie vielleicht auf hagalil.com bzw. aus der Presse erfahren haben, wurden durch einen sog. Hackerangriff am vergangenen Donnerstag (020206, 06h) fast alle Daten am Server von „haGalil“ gelöscht.“
Immer wieder zu Ostern: Ritualmordlegenden und Talmudlügen
„Ostern steht vor der Tür – seit eh und je keine gute Zeit für uns Juden, denn es ist die Hochzeit des christlichen Judenhasses, der sich seit Jahrhunderten in Pogromen gegen Juden äußert. Vor allem Ritualmordlegenden waren oft Vorwand für Übergriffe…“
David Gall s“l (1956-2014)
„Am 29. Juli 2014 ist David Gall verstorben. Noch immer ist es ganz unfassbar, dass David nicht mehr bei uns ist. Noch immer können wir nicht verstehen, dass er so früh gehen musste…“
Erlaubt das Judentum die Sterbehilfe?
„Obwohl sich einige Interpretationen der erwähnten Midraschim und zeitgenössische jüdische Stimmen für den assisistierten Suizid (Beihilfe zur Selbsttötung) oder sogar für die aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) aussprechen, finden sie dafür in dem bisherigen halachischen Diskurs keine Unterstützung. Mit der passiven Sterbehilfe (Nichteinleitung oder Nichtfortführung lebenserhaltenden Maßnahmen) sieht es differenzierter aus.“
„Helfen ist eine Mizwa“
„Eva Ehrlich nutzt den Ruhestand für ehrenamtliches Engagement…“
„Soweit er Jude war…“
„Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944. Vor 40 Jahren verfasste Peter Finkelgruen ein Buch über die Edelweißpiraten. Nun wird es erstmals auf haGalil veröffentlicht.“
Im Elternheim zu Corona-Zeiten
Gertrud verbringt ihren Lebensabend im Elternheim Pinkhas Rozen in Ramat Gan, einer Seniorenresidenz, der eine Abteilung für betreutes Wohnen und eine Pflegestation angeschlossen ist. Die Bewohner des Heims sind Mitbegründer des Staates Israel und haben maßgeblich an seinem Aufbau mitgewirkt. Der Spätherbst ihres Lebens wird von Corona getrübt. Die zur Eindämmung des Virus ergriffenen Maßnahmen setzen sie fest und isolieren sie von ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln.
Altneuland
„Differenziertere Positionen können auch durch die Kenntnis von Quellentexten entstehen. Theodor Herzls Altneuland gehört zu den Grundlagentexten, um den Zionismus in seiner historischen Entwicklung zu verstehen. Schon Herzl habe die arabische Bevölkerung aus Palästina vertreiben wollen, ist beispielsweise ein oft wiederholtes antizionistisches Mantra. Die Lektüre von Altneuland beweist das Gegenteil.“
Der neue Alltag
„Knapp drei Wochen sind vergangen seit dem präzedenzlosem mörderischen Überfall der Hamas auf Israel, auf die Menschen in Israel. Es hat einige Tage gedauert, bis wir das Ausmaß der Katastrophe, das Ausmaß des Hasses verstanden haben. Damit zu leben, ist der neue Alltag.“
Ein neues J’accuse!
„J’accuse! – Ich klage an. Aufs Neue. Ganz anders als Onkel Émile und dennoch in gleicher Sache. Auch ich möchte die Werte der Demokratie und Gerechtigkeit gegen eine unheilvolle Mélange von pseudomoralischem Gebaren, Unaufrichtigkeit und antisemitischen Ressentiments verteidigen.“
Medialer Eiertanz
„Medien in Deutschland kapitulieren oftmals vor der Komplexität der Ereignisse im Konflikt Israels mit der Hamas und der Hisbollah. Stattdessen bemühen sie sich in der Berichterstattung um eine Neutralität, die mitunter merkwürdige Blüten treibt.“
Eine großartige Stimme ist verstummt
„Am Freitag starb völlig unerwartet Kantor Nikola David. Wir sind über dieses große Unglück fassungslos, unsere Gedanken sind bei seiner Familie. Baruch dajan haEmet.“
Sind wir schockiert?
„Ja, wie geht es den jüdischen Gemeinden in München? Nach diesem schrecklichen Vorfall da in der Innenstadt.. Was genau wollen Sie denn hören? Dass wir alle ganz schockiert sind? Da müssen wir Sie enttäuschen, sind wir nicht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wiederum ein solcher Vorfall in Deutschland passiert. Diesmal war es eben München. Schockierend daran ist eher, dass es nicht schockierend ist.“
Mister Integrität
„Der Jahrestag des Mordes an Ministerpräsident Yitzhak Rabin jährt sich nun zum 30. Mal. Mit ihm verschwand ein Politiker, der einen Politikstil pflege, den man aus heutiger Perspektive schmerzlich vermisst: Glaubwürdigkeit und eine Abneigung, die echte und vermeintliche Erfolge prahlerisch zu feiern, sowie die Fähigkeit, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.“



