Medialer Eiertanz

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Das Fussballfeld in Majdal Shams nach dem Einschlag der Hisbollah-Rakete, Foto: IDF

Medien in Deutschland kapitulieren oftmals vor der Komplexität der Ereignisse im Konflikt Israels mit der Hamas und der Hisbollah. Stattdessen bemühen sie sich in der Berichterstattung um eine Neutralität, die mitunter merkwürdige Blüten treibt. 

Von Ralf Balke

Totgesagte leben bekanntlich manchmal länger. Kaum gab es die Meldung, dass in der Nacht zum Mittwoch Israel den Hamas-Boss Ismail Haniyeh durch einen Präzisionsangriff in Teheran, wo er sich der anlässlich der Vereidigung des neuen iranischen Präsidenten Masoud Pezeshkian gerade aufhielt, ausgeschaltet hatte, da wartete Spiegel Online wenige Stunden später mit einem Text auf, der folgendermaßen überschrieben war: „Diese früheren Führungskader der Hamas wurden bereits getötet.“ Einer der Namen, die dabei genannt wurden, ist Khaled Meshaal, Ismail Haniyehs Vorgänger. „Der Hamas-Anführer wurde 1997 international bekannt, als ihm israelische Agenten auf einer Straße vor seinem Büro in der jordanischen Hauptstadt Amman Gift injizierten“, heißt es dort. Der Vorfall habe damals für einen Eklat zwischen Israel und Jordanien gesorgt. Jerusalem lieferte daraufhin das Gegenmittel und das langjährige Hamas-Politbüro-Mitglied überlebte. So weit, so korrekt. Aber das Kurzporträt des islamistischen Top-Kader passt einfach nicht zur Überschrift. Schließlich ist Khaled Meshaal eben nicht getötet worden, sondern quicklebendig und lässt es sich in Katar als Politrentner gutgehen. Was aber in dem Text auf der Strecke blieb, ist die journalistische Sorgfalt.

Denn wenn es um Israel geht, finden in Deutschland in den Medien auffällig oft verbale Verrenkungen statt oder es kommt zu Schlagzeilen, die die Chronik der Ereignisse mitunter auf den Kopf stellen. Oder sie verzerren – so wie die Nennung von Khaled Meshaal in einer Liste der von Israel bereits liquidierten Hamas-Anführer – die Realität. Entweder geschieht das alles aus Unwissenheit, einem merkwürdigen Verständnis von politischer Korrektheit oder aber, man möchte Leserinnen und Leser nicht mit komplexen Kontexten überfordern. Auch gibt es die Bemühungen, sich selbst als möglichst neutral zu inszenieren. Dafür gibt es gewiss gute Gründe: Als wenige Wochen nach dem 7. Oktober in den deutschen Medien gemeldet wurde, Israel hätte ein Krankenhaus im Gazastreifen angegriffen, wobei mehrere hundert Menschen zu Tode gekommen seien, hatte man ungeprüft eine Meldung der Hamas übernommen, die via „New York Times“ die Runde machen sollte, und das, obwohl sich der Vorfall ganz schnell als Propagandalüge der Hamas herausstellte.

Seither wurden Beiträgen zum Thema auch mit einem Zusatz versehen, der Assoziationen an die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln weckt, wie beispielsweise bei tagesschau.de, „Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Stellen der palästinensischen und der israelischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.“ Das klingt aber nur auf den ersten Blick nach Neutralität, weil Israel damit, wenn es um seine Informationspolitik geht, auf der gleichen Ebene wie die Terrororganisation verortet wird. Was als Äquidistanz gut gemeint ist, bekommt in der Berichterstattung so wieder einen merkwürdigen Beigeschmack. Absurd wird es dann, wenn zudem gegendert wird, so wie im November im Instagram-Auftritt der Tagesschau. „Nach Angaben des israelischen Militärs hatten Terrorist:innen versucht, über Tunnel von der Küste aus in den Süden des Landes zu gelangen.“ Weder ist die Hamas dafür bekannt, queerfeministisch zu sein, noch sind ihre Mörderbanden besonders genderfluid.

Doch was unmittelbar nach dem verheerenden Angriff der Hisbollah auf die Kleinstadt Majdal Shams am vergangenen Samstag, bei dem zwölf Kinder und Jugendliche auf einem Fußballplatz getötet wurden, zu lesen und zu hören war, zeugte von einer anderen Dimension in dem Narrativ über den Konflikt. Man berichtete darüber in einer Art und Weise, als ob eine Rakete auf ein von Israel besetztes Gebiet eingeschlagen war, wobei dabei der Eindruck erweckt wurde, die eigentlichen Urheber, und zwar Hisbollah und Iran, hätten irgendwie wenig damit zu tun. Und schon wenige Stunden später hieß es „Israel greift Hisbollah an“. Erst im Verlauf der Beiträge fand eine Kontextualisierung statt. Wer nur die Headlines las, musste den Eindruck haben, Israel sei gerade der Aggressor. Den Vogel schoss dabei die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) ab. Dort hieß es über den Angriff auf Majdal Shams anfangs: „Bei einem Feuergefecht zwischen Israel und der Hisbollah werden auf den von israelisch kontrollierten Golanhöhen drei militante Kämpfer getötet sowie elf weitere verwundet.“ Dieser AP-Tweet wurde 1,5 Millionen Mal aufgerufen und von vielen anderen Medien weltweit aufgegriffen.

Die Meldung, dass die Hisbollah verlautbaren ließ, man habe nichts mit der Rakete auf Majdal Shams zu tun, wurde in den Medien hierzulande ebenfalls einfach nur parallel zu der Erklärung der israelischen Armee veröffentlicht, die auf die Urheberschaft der Schiitenmiliz verwies. Auch hier wieder diese merkwürdige Äquidistanz, die offen ließ, wer nun eigentlich Recht hat und wer nicht. Die Tatsache, dass es sich bei dem Geschoss um eine Rakete iranischer Bauart vom Typ Falaq-1 handelte, wie sie bereits seit Monaten zu Hunderten auf Israels Norden niedergehen, spielte dabei ebenso wenig eine Rolle wie der Charakter der Hisbollah als Marionette der Mullahs in Teheran. Überhaupt ist der Dauerbeschuss aus dem Libanon kaum ein Thema in den deutschen Medien – ebenso wenig wie die über 80.000 Israelis, die ihre Häuser in der Grenzregion vor Monaten schon verlassen mussten und seither Flüchtlinge im eigenen Land sind. Mediale Aufmerksamkeit erfährt der Konflikt mit der Schiitenmiliz immer erst dann, wenn Israel auf die ständigen Angriffe auf sein Territorium reagiert und Stellungen der Hisbollah angreift.

Auch entstand am Wochenende erneut der Eindruck, man möchte der Komplexität der Situation aus dem Weg gehen. Der ständige Verweis darauf, dass es sich bei dem Golan um ein seit 1967 besetztes Gebiet handelt, hinterlässt den Eindruck, dass die Situation der rund 20.000 Drusen, die dort leben, der der Palästinenser im Westjordanland gleicht. Genau das aber ist nicht der Fall. Weder stehen sie in einem Antagonismus zu den mehr als 20.000 Israelis, die sich seit 1967 auf dem Hochplateau niedergelassen hatten, noch ist der Golan Schauplatz ständiger militärischer Auseinandersetzungen gewesen, wie es ebenfalls in den Nachrichten hieß. Und die Israelis, die in den Kibbuzim und Moschawim vor Ort leben, haben ideologisch wenig mit den Siedlern im Westjordanland gemein. Auch eine andere Entwicklung hätte man zur Kenntnis nehmen müssen, und das ist die Tatsache, dass zwar über Jahrzehnte hinweg die Drusen das Angebot, die israelische Staatsbürgerschaft zu erhalten, abgelehnt hatten, weil es Furcht vor Repressalien gab für den Fall, der Golan könnte wieder unter syrische Kontrolle kommen, diese Haltung aber einem Wandel unterlag. Unter dem Eindruck des seit 2011 herrschenden Bürgerkriegs gingen viele Drusen auf Distanz zu dem Assad-Regime – nicht zuletzt deshalb, weil Syrien das Transitland für genau die Waffen aus dem Iran Richtung Libanon ist, mit dem die Hisbollah nun auch Drusen getötet hat. Seit Jahren ist deshalb ein anderer Trend zu beobachten. Über 200 Drusen nehmen jährlich inzwischen die israelische Staatsbürgerschaft an, Tendenz weiter steigend. Manche gehen sogar bereits zum israelischen Militär. Mehr als 20 Prozent der Drusen auf dem Golan sind mittlerweile israelische Staatsbürger, weshalb der Angriff der Hisbollah vom vergangenen Samstag eben doch Israelis galt und sie getroffen hat. Könnte man so vermelden, geschah aber nicht.

Die Tötung von Ismail Haniyeh in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch brachte ebenfalls einige Stilblüten zustande. Selbstverständlich ist es legitim, den Sinn einer solchen Aktion in Frage zu stellen, insbesondere vor dem Hintergrund der laufenden Verhandlungen um eine Freilassung der seit nunmehr über 300 Tagen sich in der Gewalt der Hamas befindenden israelischen Geiseln. Nur die Etikettierung des obersten Hamas-Anführers als „moderat“ oder „verhandlungsbereiten Pragmatiker“ geht angesichts der politischen Agenda der Hamas, deren Ziel nichts anderes als die Vernichtung Israels ist, an den Realitäten vorbei. Vielmehr lassen sich solche Bezeichnungen in den Beiträgen in Medien als Ausdruck eines Wunsches ihrer Autoren deuten, dass es solche „Moderaten“ in den Reihen der Terrororganisation auch gibt. Ismail Haniyeh war aber derjenige im Politbüro der Hamas, der die Annäherung der sunnitischen Terrororganisation an den schiitischen Iran vorangetrieben hatte. Immer wieder hat er in der Vergangenheit betont, dass man Israel niemals anerkennen würde. Und noch im Mai hatte Karim Khan, Chefankläger des Internationalen Gerichtshofes und alles andere als Israel freundlich gegenüber eingestellt, einen Haftbefehl gegen Ismail Haniyeh beantragt und ihm im Zusammenhang mit dem 7. Oktober Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen und Folter sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen – Details, die in den Beiträgen nach dem 31. Juli, eher unter den Tisch fielen.