In der diesjährigen Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz feiert das Restaurant „SCHALOM“ gerade seinen 25. Geburtstag. Ein Gespräch mit Uwe Dziuballa, dessen Familie das ambitionierte Projekt anstieß und bis heute erfolgreich fortführt.
Herr Dziuballa, als Sie im März 2000 das jüdische Restaurant „SCHALOM“ eröffneten, gab es keinerlei Vorerfahrungen im Osten. War das Ganze erstmal ein „Experiment mit offenem Ausgang“, oder gab es schon konkrete Visionen?
Erfahrungen in der Gastronomie hatte ich lediglich aus meiner Kindheit, als ich meinen Vater auf zahlreichen Dienstreisen nach Tschechien, Ungarn und Jugoslawien begleitete. Damals verbrachte ich viel Zeit im Hotel – mal beim Concierge, mal beim Küchenchef. Später kamen Eindrücke als Gast hinzu, insbesondere bei Besuchen in koscheren Restaurants in Israel, Miami und New York. Diese Erlebnisse, kombiniert mit der Expertise meines Bruders Lars Ariel über die Kaschruth und den kulinarischen Fähigkeiten unserer Mutter, Dagmar, bildeten unser Fundament. Aber für uns stand fest: Bei allem „Neuland“, Scheitern ist keine Option!

Wenn Sie heute, 25 Jahre danach, auf die ersten Tage und Wochen des eigenen Restaurants zurückblicken: Wer waren die weiteren Protagonisten, neben den Brüdern Dziuballa?
An erster Stelle steht, wie schon erwähnt, unsere Mutter. Sie verlieh den gastronomisch-kulinarischen Inhalten den letzten Schliff. Eine weitere zentrale Figur ist unser Küchenchef, Ralf Tröger – ein wahrer Meister seines Fachs. Seit 2001 sorgt er nicht nur dafür, dass unsere Speisen kontinuierlich auf höchstem Niveau bereitet werden, sondern bringt auch seit Jahren kreative Ideen ein und interpretiert Gerichte mit uns neu. In den ersten ein bis zwei Jahren erhielten wir zudem wertvolle Unterstützung von Freunden. Dennoch mussten wir auch durch schmerzhafte Erfahrungen lernen und haben in dieser Zeit unsere Abläufe kontinuierlich optimiert.
In einem Interview vor Jahren haben Sie mal geäußert: „Interkulturelle Begegnung geht zuerst durch den Magen“. Ist es noch immer so, dass sich hier im „SCHALOM“ die unterschiedlichsten Kulturen, Religionen und Ethnien treffen?
Dieser Gedanke hat sich nicht nur bewahrt, sondern ist geradezu zum Wesenszug unseres ‘SCHALOM Restaurants’ geworden. Unsere Gäste repräsentieren ein breites gesellschaftliches Spektrum – natürlich mit Ausnahme der extremen Ränder. Viele Besucher sind neugierig auf die Vielfalt einer Küche, die durch die Kaschruth-Regeln besondere Einschränkungen und zugleich einzigartige Geschmackswelten bietet. Oft sind sie überrascht von der Qualität unserer Speisen. Wenn die erste Hürde – das Hereinkommen – genommen ist und die Mezze oder der Hauptgang probiert wurden, suchen viele Gäste aus Begeisterung das Gespräch mit meinem Bruder oder mir. Atmosphäre, Kulinarik und der persönliche Austausch begleiten sie schließlich zurück in ihren Alltag. Dass einige unserer Stammgäste uns seit fast 25 Jahren monatlich besuchen, spricht, denke ich, auch eine deutliche Sprache.
Gibt es denn Speisen und Getränke, die von Anfang an bis heute das Rennen unter den Feinschmeckern machen?
Oh ja, definitiv! Besonders beliebt sind seit jeher unsere vielfältigen Mezze – eine Spezialität, für die unsere Mutter, mittlerweile 84, von Anfang an verantwortlich zeichnet. Zu den Favoriten zählen Hummus auf Tahina, Falafel, Rote-Bete-Salat und Auberginenmus. Die jiddische Hühnersuppe mit Kneidlach ist unser Suppen-Star. Bei den Hauptgerichten sind es vor allem die Hühnerbrust auf Orangen-Trockenfrüchte-Soße mit Latkes, Latkes mit verschiedenem Gemüse und unser SCHALOM-Tscholent – Rinderragout mit Kartoffeln, Zwiebeln, und weißen Bohnen, eine Kreation unseres Küchenchefs Ralf Tröger, die sich als echter Dauerbrenner etabliert hat. Der unangefochtene Klassiker unter den Desserts ist die ‚Gitti’ – gebackene Apfelspalten auf Zimtjoghurt, parwe, eine weitere Kreation unserer Mutter. Ein zusätzliches Highlight ist zudem unser frisch gebackenes Pita, das mein Bruder seit Jahren bäckt. Auch bei den Getränken haben unsere Gäste ihre Favoriten: Eine erlesene Auswahl an Weiß- und Rotweinen aus Israel erfreut sich besonders großer Beliebtheit. Seit 2007 bieten wir zudem unser eigenes koscheres SIMCHA Pils an – ein echtes Markenzeichen unseres Hauses.
Bekannt ist ja, dass Mutter Dziuballa den besten Hummus in ganz Ostdeutschland macht. Was ist ihr Rezept-Geheimnis?
Neben den klassischen Zutaten sind es vor allem zwei Dinge: Zeit und Liebe. Das klingt vielleicht kitschig, aber genau so meine ich es. Ich bin immer wieder beeindruckt, mit welcher Hingabe und Freude unsere Mutter – auch nach 25 Jahren – die Zubereitung übernimmt, und das mit der Präzision eines Uhrwerks. Wenn sie dann doch mal verhindert ist und ein Mitarbeiter oder ich den Hummus zubereiten, merken unsere Stammgäste den Unterschied sofort – und fragen direkt nach, ob es unserer „Frau Mutter“ denn gut geht. Das fasziniert mich jedes Mal aufs Neue.
In 25 Jahren hat das „SCHALOM“ schon recht unterschiedliche Zeiten durchlebt, prosperierende und auch weniger erquickliche. Gab es schon mal eine absolute „Sternstunde“, und umgekehrt auch schon mal so was wie einen absoluten Tiefpunkt?
Bei all den Erlebnissen in den vergangenen 25 Jahren gab es einen absoluten Tiefpunkt: den 7. Oktober 2023 und die daraus resultierenden internationalen Folgen, die bis in unsere Heinrich-Zille-Straße spürbar waren. Die wenige Tage später einsetzende Dauerbewachung unseres Restaurants durch die Polizei war nicht nur eine organisatorische Herausforderung, um für unsere Gäste eine normale Atmosphäre zu bewahren – sie war auch ein ständiges, sichtbares Zeichen dafür, dass bei uns gesellschaftlich etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist. Natürlich sind wir allen Verantwortlichen sehr dankbar, die uns mit ihrer dauerhaften und mittlerweile punktuellen Präsenz ein Gefühl von Sicherheit geben. Aber trotz dieser Unterstützung bleibt punktuell ein seltsames Gefühl bei uns.
Ein besonderer Höhepunkt hingegen war gleich unser Eröffnungstag am 15. März 2000. Unser erster Gast war Justin Sonder, der mit seiner Frau und Familie zu uns kam. Justin war eine Persönlichkeit, die uns alle im SCHALOM nachhaltig inspirierte. Seine Menschlichkeit, die er sich trotz der unfassbaren Erlebnisse während des Nationalsozialismus und insbesondere im Konzentrationslager Auschwitz bewahrte, hat uns tief geprägt.
Bekanntlich ist Chemnitz in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt. Spürt man davon auch etwas im „SCHALOM“?
Ja natürlich, die Kulturhauptstadt macht sich bei uns durchaus bemerkbar. Auch wenn sich die Zahl internationaler Gäste im Moment noch in Grenzen hält, erleben wir täglich Besucher aus den unterschiedlichsten Regionen Deutschlands. Fast jeden Tag sind ein, zwei oder sogar drei Tische mit Gästen besetzt, die die Stadt erkunden. Bemerkenswert ist, dass fast alle von Chemnitz positiv überrascht oder sogar begeistert sind – aus ganz unterschiedlichen Gründen und Perspektiven. Was genau sie sich vorher vorgestellt haben, lässt sich schwer sagen, aber es scheint, als bekämen sie dann hier doch ein deutlich anderes Bild von der Stadt.
Was nehmen sich die Brüder Dziuballa denn für die nächsten 25 Jahre im „SCHALOM“ vor?
Danke der Nachfrage, aber bei aller Freude über das Erreichte blicken wir erstmal realistisch auf die nächsten fünf bis zehn Jahre. In diesem April feiere ich meinen 60. Geburtstag – und mein Körper signalisiert mir gelegentlich, dass es an der Zeit ist, in der Gastronomie etwas kürzer zu treten. Zudem gibt es zahlreiche gesellschaftliche Verpflichtungen im Verein SCHALOM e.V., die ebenfalls Aufmerksamkeit erfordern. Mein Bruder engagiert sich seit einigen Jahren intensiv im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Chemnitz – und auch hier gilt es, die eigenen Kräfte klug einzuteilen.
Solange wir – trotz mancher negativer Erlebnisse – weiterhin überwiegend positive Überraschungen und viel Freude mit unseren Gästen im SCHALOM teilen, möchten wir die kommenden Jahre bewusst genießen und unser Restaurant mit Herz und Leidenschaft weiterführen.
Das Gespräch führte Olaf Glöckner.