Die Schande von Köln

0
88
Foto: (c) Herby Sachs

Köln ließ das armenische Mahnmal abtransportieren

Von Claudia Müller

Noch am Vortag hatte Bundesernährungsminister Cem Özdemir gemeinsam mit der Grünen Landtagsabgeordneten Berivan Aymaz das armenische Mahnmal am Rheinufer besucht und Blumen niedergelegt.

Foto: Facebook Berivan Aymaz

Wegen ihres Mutes, ihrer Solidarität mit dem armenischen Schicksal werden die türkeistämmigen bzw. kurdischen Grünen Politiker seit Jahren massiv bedroht. Cem Özdemir kann schon seit Jahren in Berlin nicht mehr Taxi fahren. Zu häufig wurde er wegen seines Kampfes für die Anerkennung des türkischen Völkermordes an den Armeniern von türkeistämmigen Taxifahrern bedroht. Und Berivan Aymaz, die langjährige Vertraute des vor wenigen Monaten verstorbenen Kölner Schriftstellers Dogan Akhanli, ist seit Jahren gleichermaßen Attacken von erdogantreuen deutschen Türken sowie türkischen Medien wie auch von der AfD ausgesetzt. Im Geiste, in ihrer antidemokratischen Grundhaltung sind diese sich einig.

Aber es hat hat nicht geholfen: Keine zwei Tage später kamen Ordnungsamt, Polizei und ein Gabelstabler und transportierten das armenische Denkmal unweit des jüdischen Maaloth-Denkmals ab.

Das „Nie wieder“ muss jeden Tag erkennbar sein

Selbst die Anfänge der Räumung des Denkmals war gleichermaßen unangemessen wie peinlich – für die Stadt Köln: Übereifrige Mitarbeiter des Ordnungsamtes gerieten in eine gänzlich überflüssige Auseinandersetzung mit einem 66-jährigen, erkennbar hörbeeinträchtigten kurdischen Kölner. Schließlich lag dieser, der zum Kölner Freundeskreis Dogan Akhanlis gehörte, auf dem Boden. Erst als wenig später die Polizei erschien beruhigte sich die Situation. Die führenden Polizisten verhielten sich professionell und waren sogar an einer inhaltlichen Information interessiert.

Der armenischstämmige Kölner Rechtsanwalt Ilias Uyar, enger Weggefährte Dogan Akhanlis und seit Jahrzehnten gemeinsam mit Akhanli in Köln im Kampf um die Anerkennung des Völkermordes engagiert, erinnerte während des Abtransportes des Mahnmals in einer spontanen Videostellungnahme noch einmal an die lange Geschichte des Kölner Mahnmals: Seit Jahren sei er von den Verantwortlichen der Stadt vertröstet worden. Die Erinnerung und die Forderung des „Nie wieder“ sei keine Angelegenheit eines Tages. Dieses müsse an jedem Tag erkennbar, in die alltägliche Erinnerung eingebunden sein, um in eine gemeinsame, bessere Zukunft zu weisen. Nach vier Jahren vergeblichen Bemühens habe man das Mahnmal noch einmal am Fuße der Hohenzollernbrücke aufgebaut – und diesmal stehen gelassen.

Einhaltung der wegerechtlichen Vorschriften

Es gab juristisch einen negativen Bescheid, unter Verweis auf das Straßenrecht: Bei allem „Verständnis für das Anliegen“ habe „die Einhaltung der wegerechtlichen Vorschriften Vorrang“, hieß es wörtlich. Wer die Lage des Mahnmals kennt bzw. auf Fotos sieht kann bestenfalls amüsiert sein: Dort existiert kein Weg – dahinter befindet sich eine Brückenbrüstung, darunter befindet sich zehn Meter tiefer das Rheinufer Die Initiative Völkermord erinnern um Uyar legte umgehend Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein. Jeder Vernünftige, an der Sache Interessierte – es geht um die Anerkennung eines Völkermordes, der vom Bundestag bereits 2016 offiziell anerkannt worden ist! – hätte zumindest diese juristische Entscheidung abgewartet und mit den Initiatoren eine gütliche Einigung herbei geführt. Nicht jedoch in Köln – trotz der eindrücklichen Unterstützung der Mahnmalidee durch zahlreiche Gruppierungen in Köln, besonders auch von kirchlichen Gruppen. 

In der von der Stadt Köln angeführten und von OB Reker somit zu verantwortenden Stellungnahme wurde wenig verklausuliert mitgeteilt, wie auch der KStA soeben berichtet, dass das Thema „auch angesichts der Vielzahl türkischer Mitbürger“ brisant sei. Bereits 2012 hatten türkische Gruppierungen sogar gegen eine winzige armenische Erinnerung auf einem armenischen Gräberfeld auf einem Friedhof in Köln-Brück drohend polemisiert. „Auf eine Aufstellung im öffentlichen Straßenland war aufgrund des hohen Konfliktpotenzials bewusst verzichtet worden“ teilte die Stadt Köln selbst mit. Mit anderen Worten: Geschichtsaufarbeitung, Erinnerung an Völkermorde, das ist für die Stadt Köln letztlich völlig irrelevant. Diese gehört in ein abseitiges Museum, das ist etwas für Feierreden an Gedenktagen – aber dies darf auf keinen Fall etwas mit der gesellschaftlichen Realität zu tun haben. Solange sich extremistische, den Völkermord weiterhin verleugnende Gruppen gestört fühlen könnten kuscht die Stadt Köln. Selbst der Beschluss des Bundestages im Jahr 2016, selbst der Besuch des Bundesministers Cem Özdemir – das alles ist für die selbsterklärt „liberale“ Millionenstadt Köln irrelevant. Peinlicher, so muss man konstatieren, geht es kaum noch. Ein absoluter kultureller und politischer Tiefpunkt. Als Bundesminister Cem Özdemir von der Räumung erfuhr war er empört – und erkennbar innerlich erschüttert. „Das Zurückweichen der liberalen Demokratien, aus Angst vor den großen und kleinen Diktatoren und ihren hiesigen VertreterInnen“ müsse „endlich ein Ende haben“, schrieb er auf Twitter.

„Dass das Mahnmal zunächst stehen blieben könne…“

Aber das Verhalten der Stadt Köln war noch ärger, wenn wir Uyars Darstellungen folgen: Noch am Fr., 6.4. um 10 Uhr informierte das Rechtsamt der Stadt den Anwalt der Initiative „Völkermord erinnern“ darüber, „dass das Mahnmal zunächst stehen blieben“ könne, führte Uyar in seiner Videostellungnahme aus, und dass die Initiative es selbst abbauen könne. Dafür räumte die Stadt der Initiative mehr als drei Tage ein, es würde eine „schriftliche Aufforderung“ kommen. Zwei Stunden später galt diese Zusage nicht mehr. Die Räumung wurde in die Wege gesetzt, Ordnungsamt und Polizei erschienen. Auf diesem Wege werde, so Ilias Uyar, das erste deutsche Mahnmal, das die Mitverantwortung des Deutschen Reiches und Kaiser Wilhelm II. – dessen Reiterdenkmal 30 Meter neben dem Mahnmal steht – betont, einfach abtransportiert. Das sei zynisch, das sei eine Schande. Dafür müsse sich die Stadt eigentlich schämen. Vier Jahre lang habe man das Gespräch mit der Stadt Köln gesucht – vergeblich.

Hiervon werde sich die Mahnmal-Initiative jedoch nicht unterkriegen lassen, betonte Uyar. Man werde nicht aufgeben, werde weiterhin für die Erinnerung kämpfen. Kölner Bürger, denen an der Erinnerungsarbeit liegt, sollten weiterhin die Stadt Köln und die politischen Parteien anschreiben, sollten weiterhin gegen den Abtransport der Erinnerung protestieren.

Dies beschreibt Uyar auch noch in einer weiteren spontanen filmischen Stellungnahme:

Auch die Grüne Landtagsabgeordnete Aymaz reagierte erschüttert auf den Abtransport des armenischen Mahnmals: Dieser sei „verstörend“ und für die „Angehörigen der armenischen Community sicherlich zudem ganz besonders verletzend.“ Sie vermöge nicht nachzuvollziehen, dass die Verantwortlichen der Stadt Köln in vier Jahren nicht fähig waren, eine „Lösung mit den Initiatoren“ zu finden, betonte sie.

Das „ermahnende Erinnern an den Genozid an den Armeniern“ brauche „einen dauerhaften Platz in unserer Erinnerungskultur, und auch in unserer Stadt“, so Aymaz.

„Das hochbrisante Thema der Aufstellung eines Mahnmals“

Die Stadt Köln in Person von Frieder Wolf (der kürzlich verstorben ist) hatte bereits 2018 – so lange wurde auf haGalil regelmäßig hierüber informiert – zugesagt, einen gemeinsamen Antrag in den Kölner Stadtrat einzubringen. Geschehen ist seitdem städtischerseits nichts. Noch 2021 informierte die Initiative in einem allen Parteien und der Stadt zugeschickten Brief über die zahlreichen vergeblichen Versuche, einen dauerhaften Ort für das armenische Mahnmal zu finden. Dieses Anliegen wurde von einer großen Anzahl Kölner Persönlichkeiten und Gruppierungen ausdrücklich unterstützt. Alles vergeblich.

In einem an das Verwaltungsgericht gerichteten Schriftsatz der Stadt Köln vom 2.5.2022 hat diese aus ihren politischen Motiven für die andauernde verweigerte Erinnerung an den türkischen Völkermord, in dem das Kaiserreich involviert war, kein Geheimnis gemacht: „Die politischen Fraktionen der Antragsgegnerin [Stadt Köln] haben im Jahre 2017 intensiv und kontrovers über das hochbrisante Thema der Aufstellung eines Mahnmals zur Erinnerung an die Opfer des Völkermordes an den Armeniern diskutiert. Nach langer Auseinandersetzung dieses auch angesichts der Vielzahl türkischer Mitbürger in Köln sehr sensiblen Themas…. Auf eine Aufstellung im öffentlichen Straßenland war aufgrund des hohen Konfliktpotentials bewusst verzichtet worden.“ (Quelle: Uyar auf der FB-Seite von Aymaz)

Die Stadt Köln verweigert weiterhin, so muss man inzwischen nüchtern konstatieren, offenkundig aus Angst vor den Völkermord leugnenden türkeistämmigen Kölner Gruppierungen jeden Dialog – und lässt nun Ordnungsamt und Polizei auflaufen.

„Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“

Politisch betrachtet ist dieser erneute Abtransport der Erinnerung eine schlichte Bankrotterklärung. Und es ist ein Verrat an dem ausdrücklich letzten Wunsch des prominenten Kölner Schriftstellers und Menschenrechtlers Dogan Akhanli: Dass das armenische Mahnmal einen festen, zentralen Platz in Köln erhält.

Die Stadt Köln und die Kölner Oberbürgermeisterin Reker sollten sich schämen. Diesem Eindruck vermag man sich nicht mehr zu entziehen – sofern man die erinnerungspolitischen Kategorien der Erinnerung an die Shoah und an den Völkermord an den Armeniern als zentrale gedächtnispolitische, auch den Alltag berührende Orientierungsgrößen betrachtet. 

„Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“ hatte Adolf Hitler am 22.8.1939 auf seiner zweiten Rede vor den Oberkommandierenden auf dem Obelsalzberg prognosiziert. 83 Jahre später könnte man zu dem Eindruck gelangen, dass Hitlers machtpolitische Prognose zutreffend war. Das Mantra geschichtsleugnender türkeistämmiger Kreise, die teils gezielt in die demokratischen Parteien, insbesondere in die SPD, eingetreten sind, hat sich scheinbar machtpolitisch durchgesetzt. Erinnerung an den Völkermord wird bestenfalls einmal alle paar Jahre an Feiertagen als Formel vorgetragen. Solche Form von verbal postulierter „Erinnerung“ könnte als die höchste Form des Vergessens interpretiert werden. 

Die „Erinnerungspolitik“ in Köln muss, auf das armenische Schicksal bezogen, als gescheitert betrachtet werden. Da helfen Feiertagsbekundungen nicht mehr weiter.

Foto oben: (c) Herby Sachs