In Köln bleibt das neue Denkmal an den Völkermord an den Armeniern vorerst auf dem Heinrich Böll Platz…
Von Roland Kaufhold
„Ich werde zur Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern ein Gedicht mitbringen“, hatte der Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli angekündigt. Das literarische Werk erwies sich als wuchtig: Ein 200 Kilogramm schweres, bronzenes, pyramidenförmiges Mahnmal. Auf seiner Spitze befindet sich ein eingekerbter Granatapfel. Diese Wunde symbolisiert die Erinnerung an den systematisch betriebenen Völkermord an den Armeniern. „Dieser Schmerz betrifft uns alle“, steht dreisprachig – auf deutsch, englisch, türkisch und armenisch – auf den drei Seiten der bronzenen Figur. Und in einem Begleittext werden die Verantwortlichen für den Mord an den über eine Millionen Armeniern in den Jahren 1915 bis 1918 benannt: „Das osmanische Reich und die beteiligten deutschen Offiziere unter Führung Kaiser Wilhelm II.“ Die Benennung der Täter ist der Kern der Kontroverse, allen Verleugnungen zum Trotz. Bei einer vergleichbaren, winzigen Kölner Initiative hatten massivste türkische Proteste 2017 verhindert, dass auf dem Mahnmal des armenischen Gräberfeldes in Köln die Anzahl der Opfer genannt wurde.
Zusammen mit dem jüdischen Schriftsteller Peter Finkelgruen und dem Namibia-Aktivisten Israel Kaunatjike enthüllte Dogan Akhanli am Sonntag auf der linksrheinischen Seite der Hohenzollernbrücke neben dem Heinrich Böll Platz, mit direktem Blick auf den Rhein, das Denkmal. Initiator war die seit Jahren in Köln aktive Initiative „Völkermord erinnern.“
Die Stadt Köln zeigte sich über die Schenkungsurkunde, die Oberbürgermeisterin Henriette Reker in ihrem Briefkasten vorfand, wenig begeistert. Wohlmeinend mag man verletzten Stolz als Motiv annehmen. Angst vor Pressionen der Erdogantreuen türkischen Gemeinschaft dürfte jedoch der eigentliche Grund für die Ablehnung sein, vermuten Insider. Wenn es um die Erinnerung an den türkischen Völkermord an den Armeniern geht, standen Dogan Akhanli und sein Freund Ilias Uyar in den zurückliegenden Jahren eher auf verlorenem Posten. Dennoch haben sie in ihrem Insistieren auf die heilbringende Wirkung der Erinnerung nie nachgelassen.
Man werde das erinnernde Kunstwerk „zeitnah“ entfernen, hieß es bereits einen Tag später aus Kreisen der Kölner Verwaltung. Die Initiative „Völkermord erinnern“ ließ verlauten, dass am Dienstagmorgen das Entfernen der ungeliebten Erinnerung zu erwarten sei.
So sah es denn auch aus. Bereits um 8 Uhr morgens hatten sich 30 Aktivisten eingefunden, um sich die Geschichtsverleugnung nicht bieten zu lassen, darunter auch Dogan Akhanli und zahlreiche Armenier und Deutsche. Die politische Dimension dieser Aktion benannte ein riesiger Spruchband: „Die Täter des armenischen Genozids benennen!“
In den folgenden vier Stunden entwickelte sich Erstaunliches: Ordnungsamt und Polizei waren zahlreich da, wie auch ein großer LKW. Die politisch Zuständigen ließen sich hingegen nicht blicken. Immerhin gab es Gesprächsangebote: Was die Initiative denn zu tun gedenke, wenn man mit dem Abtransport der ungeliebten Erinnerung beginnen werde? Die 30 Aktivisten ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie dabei nicht tatenlos zusehen würden: Dann müsse man sie eben wegtragen. Akhanli bemerkte lachend: „Nein, in Deutschland habe ich das noch nie gemacht, eine Sitzblockade.“ Aber auch er werde sich hieran beteiligen. Dazu sei ihm die Sache zu wichtig.
Die Initiative hinterließ einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht. Die Polizei stellte Sperrgitter auf, die Situation schien sich zuzuspitzen. Der ortsansässige Kölner Stadtanzeiger brachte auf seiner Internetseite die Eilmeldung, dass die Stadt nun räumen ließe. Spezialeinsatzkräfte erschienen, bei strahlendem Sonnenschein. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vermochten jedoch selbst die Beamten nicht zu benennen. Offenkundig war es den Verantwortlichen irgendwann doch zu peinlich, dem zu erwartenden Druck der türkischen Geschichtsleugner offenkundig nachzugeben: Nach vier Stunden Wartens, an dem sich 40 Ordnungsamtsmitarbeiter und Polizisten beteiligt hatten, ließ man mitteilen, dass man das armenische Erinnerungsdenkmal mit dem „verletzten“ bronzenen Granatapfel an der Spitze vorerst einmal stehen lassen werde. Das Verwaltungsgericht billigte den Antrag auf aufschiebende Wirkung.
Dass die Stadt Köln ihr Begehren, das Erinnerungskunstwerk zu entfernen, nicht aufgegeben hat, ist jedoch zu vermuten.
Keine 100 Meter entfernt stand für Jahre übrigens eine riesige bronzene Figur auf einem Ausläufer der Hohenzollernbrücke. Auch deren Aufstellung war nie beantragt worden. Der Künstler war hingegen bekannt. Am Rheinufer finden sich weitere vergleichbare Kunstwerke. Auch daran hat sich noch nie jemand gestört. Und das Kölner EL-DE Haus wäre ohne den „illegalen“ erinnernden Protest, die Besetzung dieses früheren Kölner Gestapogebäudes, niemals entstanden. Aber eine Erinnerung an den 103 Jahre zurückliegenden Völkermord an den Armeniern ist dann doch etwas anderes. Heinrich Böll wäre allerdings gewiss stolz auf das Kunstwerk gewesen.
Matinee-Rede von Peter Finkelgruen
Ein aktueller Nachtrag:
Das am Sonntag enthüllte Mahnmal zum Genozid an den Armeniern erhält weitere Unterstützung. Nachfolgend das lesenswerte Schreiben des EL-DE-Haus (Förderverein des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln) an die Oberbürgermeisterin Kölns, Frau Henriette Reker.
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„Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
Der Vorstand des Vereins EL DE Haus, Förderverein des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, hat sich auf seiner gestrigen Vorstandssitzung mit der Entscheidung der Stadt befasst, das von der Initiative „Völkermord erinnern“ errichtete Mahnmal für den Völkermord an den Armeniern entfernen zu lassen. Diese formal begründete Entscheidung widerspricht der in unserer Stadt seit mehreren Jahren geübten Tradition, Denkmäler, die durch bürgerschaftliches Engagement in der Kölner Stadtgesellschaft errichtet wurden, um an die Verbrechen des Nationalsozialismus oder an Verbrechen gegen die Menschlichkeit erinnern sollen, nicht zu entfernen und im Dialog mit den Initiatorinnen und Initiatoren Lösungen zu finden, die dem Wert dieser Mahnmale und dem Anliegen der Initiatoren gerecht werden. Ohne dieses bürgerschaftliche Engagement, das anfangs immer wieder strittig war, gäbe es weder die Gedenkstätte Gestapogefängnis noch die Stolpersteine und auch das Denkmal für die hingerichteten Jugendlichen und Zwangsarbeiter an der Hüttenstraße in Ehrenfeld nicht.
In diesem Sinne erwarten wir von Ihnen eine Entscheidung, das Mahnmal zu erhalten und dem Anliegen der Initiatorinnen und Initiatoren zu entsprechen.
Mit freundlichen Grüßen
– Dr. Wolfgang Uellenberg-van Dawen (Vorsitzender)
– Hajo Leib (Stv. Vors.)
– Ciler Firtina“
+++ EILMELDUNG +++
Überfallartige Abrissaktion der Stadt Köln gegen Kölner Mahnmal zum Genozid an den Armeniern an der Hohenzollernbrücke. Das Mahnmal wurde heute, 5 Tage vor dem internationalen Genozid-Gedenktag, entfernt!
Die Initiative »Völkermord erinnern« wird morgen eine Stellungnahme zu den Umständen wie es dazu gekommen ist sowie zu den nächsten Schritten veröffentlichen.
WICHTIG: Die für den 24. April geplante Blumenniederlegung-Aktion ab 18 Uhr am Ort des Mahnmals bleibt bestehen!