Peter Finkelgruen mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet

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Das war eine doch etwas überraschende Auszeichnung: Der Landschaftsverband Rheinland hat den 1942 in Shanghai geborenen und seit einem halben Jahrhundert – mit Unterbrechungen – in Köln lebenden Journalisten und Schriftsteller Peter Finkelgruen am 1.10.2020 in einer kleinen Feier – coronabedingt „mit Abstand“ – mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet. Diesen erhält er für seine – wie es offiziell heißt – „Verdienste in der kulturellen Entwicklung und Bedeutung des Rheinlandes“, vor allem für seine Verdienste als Schriftsteller und Zeitzeuge zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen…

Von Roland Kaufhold 

Finkelgruen hat seit seiner „Rückkehr“ nach Deutschland – nach einer Kindheit in Shanghai, Prag und Israel – immer wieder über die Folgen der nationalsozialistischen Verbrechen geschrieben. Diese waren zugleich in seine Familienbiografie eingeschrieben: Sein Großvater Martin wurde von dem NS-Täter Malloth im kleinen Lager Theresienstadt totgetreten, sein Vater verstarb wenige Monate später unter den katastrophalen Verhältnissen in Shanghai an mangelnder medizinischer Versorgung. 

In seinen beiden autobiografischen Büchern – Erlkönigs Reich sowie Haus Deutschland – arbeitete Finkelgruen in den 1990er Jahren seine familiären Verfolgungserfahrungen auf, über die er zuvor nahezu nichts erfahren hatte. Hierdurch wuchs er, eher gegen seinen Willen, in die Rolle des Chronisten, Zeitzeugen und Brückenbauer zu der jungen, nicht mit der Nazizeit verbundenen deutschen Generation hinein.

Dies wird auch im Begründungstext zur Preisverleihung hervorgehoben:

Peter Finkelgruen habe sich „entgegen der weitverbreiteten gesellschaftlichen Ignoranz der nationalsozialistischen Verbrechen“ für eine „deutsch-jüdische Wiederannäherung“ eingesetzt. Er habe mittels seiner Bücher und zahlloser Zeitzeugenvorträge, vor allem ausgelöst durch den für Finkelgruen furchtbaren Prozess gegen den Mörder seines Großvaters – der Prozess dauerte von 1988 bis 2001 – „die brutale Verfolgung der Juden und die Möglichkeiten des Widerstandes sowie des Überlebens im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit“ in Köln sowie im gesamten Bundesgebiet maßgeblich voran getrieben.

Besonders hervorgehoben wird Finkelgruens Engagement für die Anerkennung der Kölner Edelweißpiraten ab dem Jahr 1978, die in seinem Buch „Soweit er Jude war…“ eine eindrucksvolle Dokumentation gefunden hat. Das Buch wurde 1981 von ihm abgeschlossen. Da er unmittelbar danach für sechs Jahre für die Naumann Stiftung nach Jerusalem ging blieb das Buch unveröffentlicht. Es erschien erst 2020 und wurde von Martin Stankowski im WDR unter dem Titel „Premiere nach 40 Jahren“ gefeiert.

Durch „sein Engagement“ habe Finkelgruen „einen Erinnerungsraum und zugleich ein Mahnmal für die Verbrechen des Nationalsozialismus“ geschaffen. Hierdurch habe er dabei geholfen, „das Vergangene lebendig zu halten und dem Antisemitismus entgegen zu wirken.“

In der kleinen Festveranstaltung am 1.10. hielten Jürgen Wilhelm vom Landschaftsverband Rheinland und die Kölner Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes die Laudatio, in der sie nachdrücklich Finkelgruens Lebenspartnerin und Begleiterin, die Schriftstellerin Gertrud Seehaus-Finkelgruen, einschlossen.

Von Gertrud Seehaus sind in den letzten Jahren noch einmal zwei ihrer Werke – Vatersprache (2017) sowie Wo denn und wie denn? neu aufgelegt worden.

(c) LVR/Aschoff

Elfi Scho-Antwerpes: „Ein kritischer, manchmal auch unbequemer, Geist“

Elfi Scho-Antwerpes bezeichnete in ihrer Laudatio Finkelgruen als einen „kritischen – manchmal auch unbequemen – Geist“, der mit „großem ehrenamtlichem Engagement für ein friedliches Zusammenleben in unserer multikulturellen Gesellschaft“ beigetragen habe.

Sie zeichnete Finkelgruens familiäre Biografie als jüdische Verfolgte nach:

„Ihre Großmutter überlebte die Konzentrations- und Vernichtungslager Ravensbrück, Auschwitz und Majdanek, Ihr Großvater starb in der „Kleinen Festung Theresienstadt“ durch die Misshandlungen des SS-Mannes Anton Malloth.“ Und doch, trotz aller Verluste und Zurückweisungen, sei Finkelgruen diesen langen, teils schwierigen Weg „bis heute unbeirrt gegangen“.

Ilias Uyar und Peter Finkelgruen am 24. April 2015 anlässlich des Gedenktages zum 100. Jahrestag des türkischen Völkermordes an den Armeniern auf der Kölner Domplatte, Foto: R. Kaufhold

Finkelgruen habe durch seine Veröffentlichungen und Bücher die deutsche Mehrheitsgesellschaft „an dieser verwirrenden jüdischen Identitätssuche teilhaben lassen. Damit haben Sie uns tiefe Einblicke vermittelt in die inneren Konflikte und die Zerrissenheit vieler jüdischer Re-Migranten in Deutschland.“

Ausdrücklich hob Scho-Antwerpes Finkelgruens Studien zu den Kölner Edelweißpiraten hervor, „womit Sie einen wichtigen Beitrag zum Thema des Widerstands gegen den Nationalsozialismus geleistet haben.“ Diese verspätete – staatliche – Anerkennung ist um so bemerkenswerter, als der ehemalige Kölner Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren nichts unversucht gelassen hatte, um die widerständigen Kölner Edelweißpiraten wie auch den Journalisten Finkelgruen selbst immer wieder als „Kriminelle“ zu attackieren. Finkelgruens „Soweit er Jude war…“ ist eine eindrückliche Dokumentation dieser offenkundig noch der Nazizeit geschuldeten Geschichtsblindheit und fortgesetzten Rücksichtslosigkeit gegenüber den jüdischen und widerständischen Opfern der Deutschen in der Zeit des Nationalsozialismus.

Finkelgruen, so Scho-Antwerpes in ihrer persönlich formulierten Laudatio, habe „Verständnis für die Schwierigkeiten und Bedürfnisse jüdischer Bürgerinnen und Bürger in der breiteren Gesellschaft geweckt“ und damit einen „wichtigen Beitrag für den jüdisch-nichtjüdischen Dialog in unserem Land“ geleistet.

Jürgen Wilhelm: „Sie waren der erste Journalist, der von Köln aus über die Biografien mehrerer Edelweißpiraten publizierte“

Jürgen Wilhelm hob in seiner Laudatio im Namen des Landschaftsverbandes hervor, dass Peter Finkelgruen mit seinen Schriften und Recherchen den „Widerstand der jungen Edelweißpiraten zurück in unser Bewusstsein gebracht und zu ihrer Rehabilitierung in der Öffentlichkeit maßgeblich beigetragen“ habe.

Auch er zeichnete Finkelgruens Lebensweg insbesondere in seiner Jugend in Israel – in den Jahren 1951 bis 1959 – in Israel in dem Kibbuz „Kfar Ha’makabi“, später dann in dem kleinen arabischen Dorf „Kfar Samir“ nahe der nordisraelischen Stadt Haifa nach.

„Gemeinsam mit Ihrer Frau, der Schriftstellerin Gertrud Seehaus, verfolgten Sie, lieber Herr Finkelgruen, 1979 und 1980 den Kölner Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Kurt Lischka“, hob er erinnernd hervor. „Gertud Seehaus fertigte damals Zeichnungen der Angeklagten. Dies war nicht das einzige Projekt, bei dem Sie, liebes Ehepaar Finkelgruen, sich gemeinsam mit der NS-Geschichte auseinandersetzten. Zusammen haben Sie 2007 das Kinderbuch „Opa und Oma hatten kein Fahrrad. Eine Geschichte, bei der die ganze Welt eine Rolle spielt“ verfasst; mit dem Buch hielten die Finkelgruens in einer Vielzahl von Schulen in erzählenden Erinnerungen die deutsche Geschichte wach, die immer noch unsere Gegenwart prägt.  

Wilhelm fügte hinzu: „Sie waren der erste Journalist, der von Köln aus ab Ende der 1970er Jahre über die Biografien mehrerer Edelweißpiraten publizierte, unter anderem in der Frankfurter Rundschau und in der Zeitschrift „Freie jüdische Stimme“, die Sie gemeinsam mit Henryk Broder herausgaben. Sie waren einer der Ersten, der mit ehemaligen Edelweißpiraten sprach und sie zum Sprechen ermutigte. Und diese Ermutigung war nötig, denn dieser jugendliche Widerstand in der NS-Zeit wurde von Behörden und politischen Parteien noch bis in die siebziger Jahre kriminalisiert.“

Als Folge dieses Engagements und der von Finkelgruen Yad Vashem zur Verfügung gestellten Dokumente zeichnete die Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem 1984 „die jugendlichen Widerständler Jean Jülich, Michael Jovy und Bartholomäus Schink als „Gerechte unter den Völkern“ aus. Dort in Jerusalem wurden in der „Allee der Gerechten“ Bäume für sie gepflanzt.“

„Sie, lieber Peter Finkelgruen“, betonte Wilhelm, „kennen öffentliche Diffamierung und Verständnislosigkeit aus eigener Erfahrung, das hat Sie jedoch nicht entmutigt. Sie haben mit Ihrer Arbeit zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen und zur Rehabilitierung nichtjüdischer und jüdischer Opfer des Nationalsozialismus und deren Angehörigen maßgeblich beigetragen. Dass dieses Engagement weiter nötig ist, zeigt ein bitteres Ereignis hier in Köln. 2012 wurde anlässlich des 70. Geburtstages von Peter Finkelgruen für seinen Großvater Martin in Köln-Sülz ein Baum gepflanzt und ein Gedenkstein enthüllt. Die hier eingelassene Inschrift erinnert an Martin Finkelgruen und seine Ermordung. Vier Jahre später wurde die Plakette mit weißer Farbe überschmiert und unleserlich gemacht.“

haGalil hatte im Sommer 2016 als Erste über diese antisemitische Tat berichtet; eine Köln-Zollstocker Neonazigruppe wurde von Insidern als anzunehmende Täter bezeichnet.

Wilhelm, zugleich langjähriger Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, schlug auch den Bogen zur Gegenwart, für die Finkelgruens unermüdliches Engagement weiterhin wegweisend sei. Er bezeichnete die AfD-Abgeordneten im Landtag von NRW als „Neonazis im AfD-Gewand“; diese Entwicklung habe er sich vor zehn Jahren nicht vorstellen können.

Abschließend hob Wilhelm in seiner Laudatio hervor, er freue sich, „Ihnen heute für Ihr mutiges politisches wie kulturelles Engagement, für Ihr gesellschaftliches Wirken im Rheinland und über seine Grenzen hinaus, den Rheinlandtaler des Landschaftsverbandes als besondere Auszeichnung zu verleihen.“

Finkelgruens Dankesrede: „Als der Gedenkbaum für meinen Großvater gepflanzt wurde hatte ich das Bewusstsein dass ich sicher bin“

Der 78-jährige Finkelgruen ging auf die beiden Preisreden ein und erinnerte an die Lage in Deutschland, als er 1959 aus Israel in das Land der Täter zog, um zu studieren. Er habe damals immer wieder antisemitische Äußerungen gehört, wie auch in den Jahrzehnten danach. Im Wohnungsflur in seiner ersten Wohnung, in Freiburg, sei ihm als 18-Jährigem zugerufen worden: „Euch haben sie vergessen zu vergasen!“ In den Jahren danach erreichten ihn regelmäßig telefonische Drohanrufe, sowie insbesondere in den 1990er Jahren, nach dem Erscheinen seiner Familienerzählung Haus Deutschland (1993), wüste antisemitische Drohschreiben.

Drohschreiben, das Peter Finkelgruen damals erreichte, (c) Roland Kaufhold & Peter Finkelgruen

Er erinnerte jedoch auch an die Baumpflanzung und Gedenksteinlegung auf dem Sülzgürtel von Freunden sowie der Bezirksvertretung Köln-Sülz anlässlich seines 70. Geburtstages: „Als der Gedenkbaum für meinen Großvater gepflanzt wurde hatte ich das Bewusstsein, dass ich mich in einer Stadt befinde, in der ich sicher bin“, benannte er Gründe für seinen Optimismus. „In Sülz-Klettenberg, wo ich wohne, habe ich immer noch ein sicheres Gefühl.“

Bild oben: LVR/Aschoff