Ich arbeite zur Zeit, zusammen mit anderen, an einem neuen Gebetbuch für Beerdigungen und andere ‚Friedhofs- und Trauergelegenheiten‘. Die Arbeit ist kompliziert, weil nicht jeder das gleiche glaubt. Und hier möchte ich nur eine der Fragen schnell und kurz beschreiben…
Landesrabbiner Dr. Walter Rothschild
Nach Flavius Josephus (der im ersten christlichen Jahrhundert lebte und schrieb) glaubten die Pharisäer an ein Leben nach dem Tod, die Sadduzäer dagegen nicht. Beide Gruppen waren jüdisch! Das ist aber wirklich ein sehr wichtiger Unterschied.
Wie wir wissen, sind die Sadduzäer untergegangen (ob total, oder ob sie doch weiter existierten, können nur sie beantworten) und das rabbinische Judentum, basierend auf den Pharisäern, entwickelte sich weiter. Und deswegen haben wir in der Amidah, zweiter Absatz, Gott als ‚Mechajeh haMejtim‘ mehrmals beschrieben – der Gott, der die Toten wieder belebt.
Im ‚Jigdal‘ singen wir auch ‚Mejtim mechajeh El b‘row Chasdo.‘ – Die Toten wird Gott wieder zum Leben erwecken, in seinen grosser Liebe.‘
In der Heiligen Schrift wird nicht viel darüber gesagt. Enosch (Gen. 5:24) und Eliahu ‚sterben nicht‘ (II Könige 2:11) sondern gehen lebendig irgendwohin weiter.
Abraham wurde ‚zu seinen Vorfahren gesammelt‘ (Gen. 25:8). Als Mose stirbt (Deut. 34:5), wird von ‚Scheol‘ gesprochen (Numeri 16:433, Psalm 6:6 usw.). König Schaul ruft die Seele von Samuel in ‚Ejn-Dor‘ (I Samuel 28:12 ff.).
Nichtdestotrotz ist es in der Mischnah und später im Talmud (siehe u.a Sanhedrin 90b und 91a) selbstverständlich, dass die Seele weiterlebt, vom Körper (oder Leichnam) getrennt.
Es gibt ein ‚Olam haBa‘, eine kommende Welt, und alle, die es verdient haben, kommen in dieses Olam haBa hinein. Wir haben unterschiedliche Konzepte – ob es ein ‚Gehinnom‘ sei für die Bösen oder ein ‚Gan Eden‘ für die Gerechten – aber immerhin: Der letzte Atemzug heißt, dass nur das Leben hier auf Erden vorbei ist, nicht das Leben überhaupt.
‚Mechajeh haMejtim‘ wird also sehr vage beschrieben und gehalten. Wir wollen nicht zu spezifisch werden, wir wollen keinen Stadtplan vom Jenseits veröffentlichen oder einen Fahrplan für irgendeine Fähre über den Strom. Wir glauben einfach, dass es ‚etwas‘ gibt – irgendeine Zukunft – und das soll, das muss genug sein.
Es gibt aber Stimmen die sagen: „Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod“ und verlangen stattdessen den Wortlaut „Mechajeh haKol“ – der allen Leben gibt.“ Persönlich sehe ich hier einen gravierenden Unterschied. Dass alles, was lebt, lebt – keine Frage. Sowohl Menschen als auch Tiere, Fische, Insekten, Bakterien und mehr. ‚Mechajeh haKol‘ heißt aber, in der Gegenwart, nicht in der Zukunft. ‚Es lebt‘, aber nicht ‚es wird weiter leben.‘ Und daher plädiere ich für den traditionellen Wortlaut, zumindest als Hauptversion.
Ich denke, bei einer Beerdigung geht es nicht darum, Abschied zu nehmen, sondern die Hoffnung auf ein Wiedersehen zu formulieren.
Natürlich reden wir hier von Glauben, nicht von Wissen und sicher nicht von Wissenschaft. Wir reden nicht von ‚Beweisen‘ und auch nicht von ‚Spukgeschichten‘. Wir reden von Hoffnung und Trost. Und wer sich darüber äußern möchte ist gern eingeladen, entweder einen Leserbrief an die UPJ (Union progressiver Juden) zu schreiben, oder an einem Dialog/Diskussion während unserer Jahrestagung teilzunehmen.
Die Arbeit geht weiter…
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