Keine Lösung in Sicht

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Jüdische Geschichte bleibt weiterhin unter „Verschluss“ – Deutsche Nationalbibliothek holt sich Rückendeckung beim Bundesjustizministerium…

Von Jim G. Tobias

Die Bestände „Exilpresse“ und „Jüdische Zeitschriften“, beides wichtige Quellen zur NS- und Exilforschung, werden für unbestimmte Zeit nicht online zugänglich sein. Im Juli hatte die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) die Sammlung klammheimlich vom Netz genommen (wir berichteten mehrfach). Weder wurden zuvor die Öffentlichkeit noch die zahlreichen Kooperationspartner, die wichtiges Material für die Digitalisierung zur Verfügung stellten, über das Abschalten der Seiten informiert. Zerknirscht musste DNB-Sprecher Stephan Jockel daher auf Nachfrage einräumen: „Kommunikativ haben wir nicht in angemessener Form gehandelt, das bedauern wir sehr, wir können uns nur entschuldigen.“


Logo der Sammlung Exilpresse digital, Sreenshot: www.dnb.de

Obwohl die Digitalisate jahrelang rechtlich unbeanstandet zur Verfügung standen und von der Forschung intensiv genutzt wurden, kam die DNB im Sommer 2012 zu dem überraschenden Schluss, die Präsentation der digitalen Quellen verstoße nun „gegen deutsches Urheberrecht“, wie Sprecher Jockel gegenüber Hagalil erklärte. Wie und warum die DNB nach rund zehn Jahren zu diesem plötzlichen Sinneswandel kam, konnte er allerdings nicht erklären, beteuerte jedoch, dass es „keine Anweisungen von Oben“ gegeben habe: „Wir hatte selbst die Erkenntnis!“ Ihre neue Rechtsauffassung ließ sich die DNB daher im Nachhinein vom Bundesministerium der Justiz (BMJ) bestätigen. „Das BMJ sieht keine Alternative zum Abschalten“, so Stephan Jockel. Erst wenn das nationale Urheberrecht entsprechend geändert werde, stünde die Sammlung wieder online zur Verfügung. „Wann das sein wird“, erklärte er „ist heute nicht absehbar.“

Absehbar ist jedoch, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die das Internet-Projekt seinerzeit mit Steuergeldern finanzierte, ihre Mittel nicht zurückfordern will, wenngleich die DNB eindeutig gegen die Förderrichtlinien verstoßen hat. Man habe das Gespräch gesucht und sich darauf geeinigt, so Pressesprecher Jockel, dass die Sammlung nur „vorübergehend nicht online“ sei.


Während die DNB die Ausgaben der „Palästina Nachrichten“ offline stellte, sind die Jahrgänge bei www.compactmemory.de weiterhin – unbeanstandet – zugänglich. Sreenshot: www.compactmemory.de

Noch immer löst das eigenwillige Vorgehen im In- und Ausland Kopfschütteln und Empörung bei vielen Wissenschaftlern aus. Auch die Mitglieder der internationalen Vereinigung „AG Jüdische Sammlungen, Synagogen, Gedenkstätten, Bibliotheken, Archive und Forschungsinstitute“ finden kein Verständnis für das Verhalten der DNB. Auf ihrer vom 11. bis 14. September in Wuppertal und Essen durchgeführten 37. Jahrestagung verabschiedeten die Teilnehmer eine Protestresolution, in der sie die DNB nachdrücklich auffordern, „die Zeitschriften umgehend wieder ins Netz zu stellen“.

Übrigens: Obwohl die DNB bislang regelmäßig an den Tagungen der „AG Jüdische Sammlungen“ teilgenommen hatte, schickte sie in diesem Jahr keinen Vertreter!

Resolution der „AG Jüdische Sammlungen“

Die Arbeitsgemeinschaft Jüdische Sammlungen vertritt zahlreiche Museen, Bibliotheken, Forschungseinrichtungen und Gedenkstätten. Die TeilnehmerInnen haben auf ihrer Jahrestagung auch über digitale Online–Angebote gesprochen. Dabei diskutierten sie über die Abschaltung der jüdischen und Exilzeitschriften, die mit öffentlichen Mitteln, u. a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, digitalisiert wurden.

Die TeilnehmerInnen schließen sich dem Protest nationaler und internationaler Institutionen und Organisationen an: Der Online–Zugang wird für die Forschung dringend gebraucht. Die TeilnehmerInnen fordern die Deutsche Nationalbibliothek auf, die Zeitschriften umgehend wieder ins Netz zu stellen.

Essen, 14. September 2012

6 Kommentare

  1. Na, das ist ja ein tolles Argument! Schön, dass Sie in der Germanica Judaica sitzen! Was machen alle die, die nicht in Köln oder Jerusalem sein können?? Wegen jedem Artikel extra eine Reise antreten? Das ist nicht für eine Minderheit, sondern für alle, die sich in irgendeiner Form mit jüdischer Geschichte beschäftigen interessant… In Deutschland, in Israel, im Rest der Welt!
    Viel Spaß weiterhin in Köln!

  2. natürlich ist das ganze ärgerlich und dumm. aber zu suggerieren damit würden recherchen unmöglich gemacht ist bisschen zu dick aufgetragen. ich sitze relativ oft in der germania judaica köln, der dortige readerprinter wird nicht besonders oft genutzt, wobei sich eine umfangreiche Mikrofilmsammlung jüdischer periodika dort befindet. ähnliches hab ich auch im leo baeck institut jerusalem erlebt.aber seiten wie compactmemory erleichtern natürlich schon das arbeiten. auch wenn es nur für eine minderheit wirklich interessant ist

  3. Sorry, da sind leider die Anführungszeichen verloren gegangen. Die Sammlung ist natürlich nicht wirklich unter Verschluss – gleichwohl ist die Nutzung nur mit großen Schwierigkeiten möglich und daher de facto unter „Verschluss“ .
    Jim G. Tobias

  4. Ja richtig, das Material ist (nach vorheriger Anmeldung) in der DNB in Leipzig und Frankfurt einsehbar. An ein oder zwei (?) Leseplätzen. Zudem muss man eben dorthin reisen. Dies ist für die Wissenschaftler, insbesondere Studenten, mit sehr hohen Kosten und einem entsprechenden Zeitaufwand verbunden. Damit ist der Bestand mehr oder weniger nun unzugänglich!

    Und: Überschriften müssen doch ein wenig pointiert sein, oder nicht?

    Wir leben im 21. Jahrhundert und verfügen über entsprechende Technik – diese sollten wir nutzen! Oder wollen wir wieder mit der Postkutsche fahren und dem Federkiel schreiben?

    Bezüglich der juristischen Frage: Wo kein Kläger, da kein Richter. Andere Bibliotheken verfahren nach diesem „Rechtsgrundsatz“ – und fahren gut damit!

  5. BILD lässt grüßen:

    „Jüdische Geschichte bleibt weiterhin unter Verschluss “

    Sorry, aber das ist unzutreffend. Das genannte Material,
    vor Ort problemlos einsehbar. Es ist zudem nur ein Bruchteil jüdischer Geschichte. Außerdem wird sich das Institut bei nicht speziell Jüdischem genauso verhalten.

    Das Problem von online-Verfügbarkeit personenbezogener Texte ist juristischer Natur. HistorikerInnen, als Nicht-JuristInnen, sind nicht in der Lage, eine Lösung anzubieten. Es sei denn, es würde Klage erhoben – von wem? -, wobei der Ausgang ungewiss ist, von den Kosten ganz zu schweigen, denn es müssten alle in den Blättern gensnnten Personen bzw. ihre Erben und deren Erben, und so fort, gefragt werden, ob sie mit einer online-Veröffentlichung einverstanden sind. Widerspricht nur eine/r, ist sie unmöglich für das betreffende Blatt.

    Unbeschadet der Tatsache, dass alles ja schon mal veröffentlicht war – z.T. aber beschränkt auf einen bestimmten Personenkreis. Und „da liegt der Hase im Pfeffer“. Das Institut könnte sich wegen des bereits online-Gestellten und dann wieder aus dem Internet Genommenen, falls es deswegen angegriffen werden sollte, vielleicht, vielleicht mit Unkenntnis der Rechtslage herausreden, aber nun nicht mehr.

    Wir sollten lieber froh sein, dass Geistiges Eigentum, mit den vielfältigen Persönlichkeitsrechten, die damit zusammenhängen, geschützt wird.

    Stünden die Sachen online, könnte das nicht nur, evtl., zu Klagen gegen die Veröffentlichung samt Anspruch auf unabsehbaren Schadensersatz führen, es könnte auch, genauso BILD-Stil, getitelt werden:

    „Skandal! Personenbezogene Schriften online gestellt!“

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