Als Rabbinerin bin ich entsetzt, dass der österreichische Staat die große Mehrheit der Juden in der Welt und ihre religiösen Gremien und Entscheidungsträger diskriminiert…
Rabbinerin Gesa S. Ederberg
Gemeinderabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin
Vizepräsidentin der Europäischen Konservativen Rabbinerkonferenz
Was ich und meine Kolleginnen und Kollegen tun, wird in der großen Mehrheit der jüdischen Gemeinden in der Welt anerkannt. Doch wenn wir jemanden als Jude oder Jüdin anerkennen oder verheiraten, kann es durchaus sein, dass die IKG Kindern den Besuch der jüdischen Schule verweigert und ihnen nicht einmal das Recht auf eine jüdische Beerdigung zugesteht. Will Österreich wirklich ein Land sein, in dem es heißt „nicht-orthodoxe Juden unerwünscht“?
Als Bürgerin eines Staates der Europäischen Union bin ich entsetzt darüber, dass 150 Jahren nach Einführung der Religionsfreiheit der österreichische Staat festlegen will, was Judentum sei. Der Staat hat seinen Bürgerinnen und Bürgern die freie Religionsausübung zu ermöglichen.
Dabei geht es auch anders, wie ich als Gemeinderabbinerin aus Berlin berichten kann. Unter dem Dach des Zentralrats finden sich die verschiedenen Strömungen gemeinsam. Und in manchen Gemeinden, so z.B. in Berlin, gibt es in echtem Pluralismus Synagogen unterschiedlichster Ausprägung, Rabbiner mit und ohne Bart wie auch eine Rabbinerin. In anderen Städten gibt es eine organisatorische Trennung der verschiedenen Richtungen – es ist Aufgabe des Staates, gleiche Behandlung der verschiedenen Strömungen sicherzustellen, und nicht von oben herab zu definieren, wer Jude sei und wie Judentum heute auszusehen hat.
Nun hat es während der letzten 20 Jahre einen Modus vivendi mit Or Chadash gegeben. Einige Mitglieder von Or Chadash gehören der IKG Wien an, andere nicht. Or Chadash sollte die gegen die Einheitsgemeinde gerichteten Aktionen einstellen, um bestehende gemeinsame Interessen nicht durch das Beharren auf unvereinbare Partikularinteressen zu gefährden. Es wurde ihnen in Aussicht gestellt die Möglichkeit auszuloten, jene Mitglieder von Or Chadash, die nicht die Voraussetzungen erfüllen, IKG-Mitglieder zu werden, an bestimmten sozialen und kulturellen Programmen der IKG teilhaben zu lassen. Wenn also die Forderung von Or Chadash gestellt wurde alle ihre Mitglieder den IKG-Mitgliedern gleichzustellen, so ist das für die Einheitsgemeinde nicht akzeptabel. Or Chadash hat alle Informationen der rechtsextremen FPÖ übersandt und sie damit zum Fürsprecher in der Parlamentsdebatte gemacht.
Die Novelle des Israelitengesetzes ist mit den Stimmen aller im Parlament vertretenen Parteien mit Ausnahme der rechtsextremen FPÖ beschlossen und am 24. Mai 2012 in Kraft getreten.
Or Chadash kann jederzeit entsprechend den Vorschriften des Rechts die Eintragung bzw. Anerkennung als eigenständige Religionsgemeinschaft beantragen.
Eine weitere Kampagne gegen die Einheitsgemeinde sollte Or Chadash meiner Meinung nach unterlassen. Sie hat ja die Wahl, zurückzukehren zum Modus vivendi oder aber eigenständige Religionsgemeinschaft zu werden.
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Um ein Beispiel aus dem Artikel zu bemühen:
wenn Kindern von Eltern mit von der Mehrheit abweichendem Religionsbewusstsein der Besuch der jüdischen Schule verweigert und ihnen nicht einmal das Recht auf eine jüdische Beerdigung zugestanden wird, sollten diese Leute eigene Schulen gründen dürfen, selbst wenn sie nicht die gleichen Ansichten wie die Mehrheit haben.
Ist das eine ernstgemeinte Frage?
In einer Demokratie sollten auch die Rechte von Minderheiten geschützt werden, auch wenn die Mehrheit der Bürger dies anders sieht.
Sollte aber eigentlich bekannt sein.
Inwiefern diskriminiert der österreichische Staat „die große Mehrheit der Juden in der Welt“?
Die Einheitsgemeinde in Österreich entspricht sicher dem Wunsch der Mehrheit der österreichischen Juden. Warum sollte dies geändert werden?
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