Städtepartnerschaft: Ökostadt Freiburg und das iranische Raketenzentrum

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Seit zehn Jahren gibt es eine Städtepartnerschaft zwischen Freiburg und der iranischen Atomstadt Isfahan. Sie muss dringend eingefroren werden…

von Matthias Küntzel

Die Weltgemeinschaft ist sich einiger denn je, dass Ahmadinedschads Regime keine Atombombe haben darf. Auf allen Kontinenten wird verstärkt nachgedacht, wie der Druck auf Teheran erhöht werden kann. Nicht so in Freiburg. Hier, im südwestlichen Zipfel der Bundesrepublik, wo einst die „Atomkraft? Nein, danke!“-Bewegung ihren Ausgang nahm, feiert diesen Sommer die Ökometropole den zehnten Jahrestag ihrer Städtepartnerschaft mit Isfahan, der drittgrößten Stadt des Iran. Gegensätzlicher könnte eine Städteverbindung nicht sein: Hier die atomwaffenfreie City, dort das Atomwaffen- und Raketenzentrum Isfahan. Hier Deutschlands Fahrradmetropole, dort das Fahrradverbot für Frauen. Hier die Musterstadt des Liberalismus, dort die ungezügelte Diktatur. Hier der grüne Bürgermeister, dort die Hinrichtungen „grüner“ Regimegegner.

Gleichwohl ist diese Städtepartnerschaft keine regionale Kuriosität. Der Stolz, mit dem die Umweltmetropole ihre Jumelage präsentiert, korrespondiert mit dem Wohlwollen, das dieses Projekt in Berlin genießt. Da ist zum Beispiel Gernot Erler, der langjährige Freiburger Bundestagsabgeordnete, der zwischen 2005 und 2009 als Staatsminister im Auswärtigen Amt die deutsche Iran-Politik auszuformulieren half. Erler hat sich, wie er sagt, „immer gegen eine Politik der Ausgrenzung und der Isolierung des Iran gewandt“ und die Städtepartnerschaft noch 2010 als „Glücksfall“ charakterisiert. Ebenso Erlers grüner Kollege Tom Koenigs, der den Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages leitet. „Man muss mit allen Mitteln und auch in den internationalen Institutionen versuchen, Iran nicht zu isolieren“, erklärte er im Juni 2010 in Freiburg. Deshalb sei er über die Städtepartnerschaft „sehr froh“. Man müsse das natürlich beibehalten. Tatsächlich?

Der eigentliche Anstoß war die Politik der Reformen

Im Juni 2000 hatten die Bürgermeister beider Städte den Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Nach längerem Zögern stimmte der Freiburger Gemeinderat zu und machte so den Weg für die Unterzeichnung eines Partnerschaftsvertrages am 27.Oktober 2000 frei. Damals wurde Isfahan von Anhängern des damaligen iranischen Präsidenten Mohammed Chatami, der als gemäßigt gilt, regiert. Freiburgs grüner Oberbürgermeister Dieter Salomon rief später die Motive in Erinnerung, aus denen heraus die Partnerschaft entstand: „Der eigentliche Anstoß war die Politik der Reformen.“ Isfahan sei „immer eine Vorreiterstadt für die Politik der Öffnung und des Dialogs (gewesen), eine Stadt mit einer selbstbewussten und gegenüber westlichen Werten und Demokratiemodellen sehr aufgeschlossenen Bürgerschaft“.

Mit dieser Reformhoffnung war es schon 2002 vorbei. In diesem Jahr eroberte der rechtskonservative Flügel des Islamismus das Rathaus von Isfahan. Seither regiert ein Klima der Angst. „Sie haben gesagt“, berichtet ein Freiburger Reisegruppenleiter über eine Isfahaner Lehrerfamilie, „sie würden ja furchtbar gerne auch mal nach Freiburg kommen. Aber sobald sie etwas in diese Richtung äußerten, wären sie in größter Gefahr.“ Spätestens seit 2002 war es mit der Möglichkeit des beidseitigen zivilgesellschaftlichen Austauschs vorbei. Doch erst 2005 geriet Freiburg in Verlegenheit. Im Oktober jenes Jahres, unmittelbar vor einem geplanten Besuch des Freiburger Oberbürgermeisters in Isfahan, hatte Ahmadinedschad zur Beseitigung Israels aufgerufen. Dieter Salomon sagte unter dem Eindruck dieser Rede seine Reise kurzfristig ab. Doch Isfahan spielte nicht mit und schlachtete auch den nicht stattgefundenen Besuch für sich aus: Die Isfahaner Regimepresse berichtete stolz über einen Empfang, den man dem Freiburger Oberbürgermeister und seiner Delegation angeblich bereitet habe.

Austausch auf Bürgermeisterebene liegt auf Eis

Seit den antiisraelischen Attacken Ahmadinedschads liegt der Austausch auf Bürgermeisterebene zwar auf Eis, zwischen den beiden Stadtverwaltungen läuft aber alles so weiter wie bisher. So sandte die Stadt Freiburg im März 2009 Emissäre in die iranische Metropole, um neue Kooperationsfelder zu erschließen. „Kultur, Theater, Sport und die Nutzung regenerativer Energien“ seien die Themenfelder, auf denen man die „deutsch-iranische Städtepartnerschaft vertiefen und mit neuen Inhalten füllen“ wolle, verkündet die Homepage der Stadt. Und doch möchte die grüne Metropole mit der Regierung in Teheran ungern in Verbindung gebracht werden. „Wir haben die Partnerschaft mit Isfahan, wir haben keine Partnerschaft mit Iran“, betont Günter Burger, der die Städtepartnerschaft für das Freiburger Rathaus betreut. Burger verschweigt, was er eigentlich besser weiß: dass die städtische Politik Isfahans mit der staatlichen Politik Teherans deckungsgleich ist.

Erstens gehört der Bürgermeister, der Isfahan seit sieben Jahren regiert, zum engsten Freundeskreis des iranischen Präsidenten. Morteza Saghaian-Nedschad ist nicht nur Vorsitzender der konservativen Islamic Society of Engineers in Isfahan Province, einer Vereinigung, der auch Ahmadinedschad angehört. Sein Name stand 2005 zudem auf Ahmadinedschads Vorschlagsliste für dessen neues Kabinett. Er sollte dieser Liste zufolge Energieminister werden. Zweitens war es der Städtebeauftragte Günter Burger selbst, der im Mai 2003 den iranischen Generalkonsul als Vertreter Teherans im Freiburger Rathaus willkommen hieß. Weitere Gespräche zwischen Burger und dem iranischen Generalkonsul fanden in den Jahren 2005 und 2007 statt. Drittens aber ist die Millionenstadt Isfahan als Zentrale des Atomprogramms viel zu wichtig, um nicht unter ständiger Aufsicht Teherans zu sein. Hier errichtete das Regime 1984 mit dem Isfahan Nuclear Technology Center (INTC) das größte Atomforschungszentrum des Iran, das zeitweise bis zu 3000 Wissenschaftler beschäftigte und bis heute mit der Universität Isfahan kooperiert. Hier wird das Uranhexafluorid hergestellt, das anschließend in der nahe gelegenen Urananreicherungsanlage Natans verarbeitet wird. Hier soll derzeit Meldungen zufolge eine Plutoniumproduktionsanlage entstehen.

Familienangehörige von in Freiburg lebenden Iranern verprügelt

Besonders deutlich trat die Übereinstimmung zwischen dem Großregime in Teheran und dem Kleinregime in Isfahan nach den Auseinandersetzungen um die gefälschte Wahl von Juni 2009 zutage. Man habe auch in Freiburg erfahren, „dass in Isfahan Studenten windelweich geprügelt worden sind, dass es dort auch Tote gegeben habe“, erinnert sich Gernot Erler. Dabei seien auch Familienangehörige und Freunde von in Freiburg lebenden Iranern verprügelt worden, berichtete der „Südkurier“. Im Dezember 2009 setzte sich der Terror der Isfahaner Spezialeinheiten fort. In diesem Monat ließ die Stadtverwaltung die Trauerfeier für den verstorbenen Großayatollah Hossein Ali Montaseri, einen der prominentesten Kritiker des Regimes, verbieten. „Ordnungskräfte und Basidschi-Milizen hatten in den frühen Morgenstunden die Türen der Moschee abgeriegelt und die umliegenden Straßen gesperrt“, berichtete Baham Nirumand. Bei dem Versuch von Tausenden Gläubigen, die Sperren zu durchbrechen, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. „Nieder mit der Diktatur“, „Montaseri lebt“, skandierten Anhänger der oppositionellen „Grünen Bewegung der Hoffung“. Die Polizei setzte Tränengas und Knüppel ein.

Der Gottesstaat

Spätestens jetzt konnte von „den“ Isfahanern keine Rede mehr sein, spätestens jetzt hätte Freiburg Partei ergreifen müssen: entweder für die „selbstbewusste und gegenüber westlichen Werten sehr aufgeschlossene Bürgerschaft“, die Freiburgs Bürgermeister einst so in den Himmel hob, oder für die Stadtverwaltung, die jene Bürgerschaft gewaltsam unterdrückt. Die Ökostadt ergriff Partei: Im März 2010 empfing sie einen der Verantwortlichen für die Repression, den Direktor für internationale Angelegenheiten der Stadt Isfahan, Ezzatollah Roustazadeh, der unter anderen mit Freiburgs Oberbürgmeister sprach.

Isfahan sei „für uns Freiburger auch ein Stück Zuhause“

Kritik bleibt bei so viel „Partnerschaft“ auf der Strecke. „Der Lebensstandard und das kulturelle Angebot Isfahans liegen weit über dem Landesdurchschnitt“, freut man sich auf der Homepage der Freiburger Stadtverwaltung und schwärmt von den „zahlreichen Parkanlagen und Grünflächen“ und davon, dass die Universität von Isfahan „ein breites Spektrum von Fächern der Natur- und Geisteswissenschaften“ anbiete. Isfahan sei „für uns Freiburgerinnen und Freiburger auch ein Stück Zuhause“. Hätte es die iranische Botschaft in Deutschland schöner formulieren können? Eine Botschaft muss sich den Interessen des Regimes unterwerfen, Freiburg nicht. Es gäbe also eigentlich für das Rathaus und für die zivilgesellschaftlichen Vereine, die diese Partnerschaft protegieren, keinen Grund, die Wirklichkeit zu beschönigen. Es sei denn, man sorgte sich um bestimmte weltanschauliche Prämissen, die man gegen die Wirklichkeit zu verteidigen sucht.

Stichwort Antiimperialismus. Wer der Überzeugung anhängt, dass der Iran wie alle Länder der Dritten Welt gegen den Westen in Schutz zu nehmen sei, wird wenig Interesse daran haben, genau hinzuschauen. Dann nämlich müsste man die proamerikanische Stimmung vieler Iranerinnen und Iraner zur Kenntnis nehmen und die Tatsache, dass sie ihr Regime hassen. Stichwort Paternalismus. „Wenn Freiburg jetzt den Dialog abbricht, schadet dies den Reformkräften mehr als den Machthabern.“ So lautet die magische Formel der Anhänger dieser Städtepartnerschaft. Hängt also das Wohl der iranischen Reformer vom guten Willen der Freiburger ab? Zumindest scheint man das zu glauben. Vielleicht weigert man sich deshalb, die zehnjährige Partnerschaft einer nüchternen Bestandsaufnahme zu unterziehen. Stichwort Kultur. Wenn die Wirklichkeit wenig Anlass zur Freude bietet, tröstet immer noch das Gefilde des Wahren, Edlen und Schönen, die Kultur.

Iranische Ministerium entscheidet, welche Künstler nach Freiburg dürfen

Nicht nur dem Oberbürgermeister von Isfahan liegt „vor allem der Kulturaustausch sehr am Herzen“. Auch sein Freiburger Kollege hebt den „kulturellen Austausch“ hervor. Als irrelevant gilt, dass das iranische „Ministerium für islamische Kulturwegweisung“ entscheidet, welche Künstler nach Freiburg dürfen und welche nicht. Und so kam es, dass auf dem Freiburger Rathausmarkt ein gewisser Morteza Sanayei die iranische Holzflöte blies und Hossein Ghorbani Shahkouchaki auf die Rahmentrommel schlug, um des zehnjährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft zu gedenken. Neben diesen Musikern hatte Isfahans Oberbürgermeister einen Spezialisten für Holzintarsien mit Elfenbein und Kupfer, einen Fachmann für Türkis-Arbeiten in Kupfer sowie einen Teppichknüpfer nach Freiburg geschickt. Das Jubiläumskonzert, ein „Persischer Liederabend“, trug den poetischen Titel „Träume aus 1001 Nacht“ und fand im Kaisersaal des Freiburger Historischen Kaufhauses statt. Wer wird bei so viel Glanz und Idylle schon an die Gesichter der fünf Isfahaner denken, die wegen ihrer Proteste zum Tode verurteilt worden sind?

Freiburg führt vor Augen, wie dicht gute Gesinnung und Gleichgültigkeit beisammenliegen können. Zum Glück gibt es Stimmen wie die von Henning Wellbrock, einem Freiburger Kommunalpolitiker der SPD. „Ich war lange im Gemeinderat und habe damals der Städtepartnerschaft zugestimmt. Aber ich würde inzwischen nicht noch einmal zustimmen … Ich würde die Städtepartnerschaft heute total einfrieren, weil wir ansonsten wirklich auf der Seite eines Regimes sind, das so zutiefst unmoralisch ist, dass zumindest meine Wenigkeit und meine Freunde das heute nicht mehr fertigbrächten.“

Der Autor ist Politikwissenschaftler und Publizist („Die Deutschen und der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft“, WJS Verlag).
Der Artikel erschien zuerst in der WELT, am 28-07-2010.