Work in Progress: Dritte Generation

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In einem „work in progress“ analysiert die israelische Autorin und Regisseurin Yael Ronen gemeinsam mit einer Gruppe von deutschen, palästinensischen und israelischen Schauspielern den Gordischen Knoten, der diese drei Nationen fesselt und bestimmt…

Die Beteiligten haben sehr unterschiedliche familiäre Hintergründe: Sie sind auf beiden Seiten des ehemals geteilten Deutschlands geboren, sind muslimische und christliche Palästinenser, die mit israelischem Pass in Haifa leben oder sie stammen aus jüdischen Familien unterschiedlicher Herkunft. Neben den gegenwärtigen Konflikten konzentriert sich die Auseinandersetzung auf die Jahre, in denen die Ursprünge für unser heutiges Selbstverständnis liegen.

Begriffe wie Erinnerung, Schuld, Täter und Opfer und ihre Bedeutung für uns heute werden hinterfragt. Dabei geht es um keine Konkurrenz der Gründungsmythen der drei Nationen, sondern um eine Annährung an die Grundlagen, auf denen unsere persönliche Identität im jeweiligen nationalen Kontext basiert.

Die erste Arbeitsphase des work in progress fand im Juni 2008 in Israel und Deutschland statt, eine erste Präsentation wurde beim Festival Theater der Welt 2008 in Halle gezeigt. Der zweite Schritt dieses Projekts ist eine weitere Arbeitsphase in Tel Aviv und Berlin, bei dem eine Aufführung entwickelt wird, die auf der Recherche der ersten Präsentation basiert.

In Jedioth achronoth zeigt sich Shay Bar Yakob eher begeistert (außergewöhnlicher Selbsthumor), während in haArez Michael Handelsaltz mit dem Stück wenig anfangen kann (dumm und lächerlich).

Und danke für den Selbsthumor

Shay Bar Yakob

Diese außergewöhnliche Aufführung ist als „Arbeit, die sich im Prozess befindet“ definiert, und der Prozess, den zehn Schauspieler durchmachen, drei jüdischisraelische, drei palästinensisch-israelische und vier deutsche, alle Angehörige der dritten Generation, dauert schon über ein Jahr.

Und was haben wir davon?

Die Regisseurin, Yael Ronen, schaffte in dieser Gruppendynamik eine leichte und humorvolle Aufführung, die die Verwirrung und den Schmerz der Teilnehmer widerspiegelt, wie auch die vielen Reibungspunkte zwischen ihnen. Der stärkste dieser Reibungspunkte ist das Verhältnis zum Holocaust. Orit Nachmias, eine der jüdischen Schauspielerinnen, hält ziemlich am Anfang des Abends einen langen und witzigen Monolog, der den israelischen Standpunkt zusammenfasst: „Man kann nicht vergleichen“.

Das heißt jedoch nicht, dass andere Stimmen nicht gehört werden, wie z.B. die der arabischen Schauspielerin, Rauda, die an die Naqba und den letzten Krieg in Gaza erinnert.
Die Deutschen beziehen sich auf andere Themen. Einer macht den verrückten Versuch, vom Holocaust der Hühner zu sprechen.

Die drei jüdischen Schauspieler versuchen immer wieder, den Staat Israel in Schutz zu nehmen, bringen jedoch auch eine nette Parodie über eine Gruppe israelischer Jugendlicher, die von einer Schülerfahrt in die Vernichtungslager in Polen zurückkommt. Hier, in Israel, ist das sehr amüsant. Im Ausland ist dies eine besonders gewagte Szene.

Ich habe nichts gegen dieses Spiel um die Holocaust-Erinnerung einzuwenden, und das Stück rutscht auch nicht in Eindimensionalität ab – dies vor allem dank der großen Mengen von Selbsthumor. Das größere Problem ist, dass die Regisseurin keinen Weg gefunden hat, das Material der kollidierenden Realitäten in eine bedeutende künstlerische Struktur zu verarbeiten.

Mit allem Respekt vor der Aufrichtigkeit und der menschlichen Wahrheit, die die Schauspieler ausstrahlen, und sie sind alle sehr überzeugend, hat es den Anschein, als gelinge es der Kunst hier nicht, komplizierte Identitätsprobleme zu lösen, oder sie zumindest in ein neues Licht zu rücken. Sie schafft es höchstens, sie wiederzugeben, ohne sie gar zu bedrohlich werden zu lassen, und auch das ist nicht wenig.

Ein super Anti-Projekt

Michael Handelsaltz

Das Habima Theater weist eine ruhmvolle Geschichte auf, und auch die Berliner Schaubühne blickt auf eine beeindruckende Tradition zurück. Yael Ronen leitete einige erfolgreiche israelische Projekte („Plonter“) und inszenierte ein Bühnenstück mit großem Erfolg („Rosenkranz und Güldenstern sind tot“). Ich nehme außerdem an, dass die drei arabischen, die drei israelischen und die vier deutschen Schauspieler sehr begabt sind.

Jetzt stellt euch aber vor, dass sich all das zusammengetan hat, um eine Aufführung auf die Bühne zu bringen, bei der sich israelisch-jüdische, arabisch-palästinensisch-israelischmuslimisch- christliche und ost- und westdeutsche Schauspieler treffen. Und alle zusammen machen ein Projekt über Holocaust-Besatzung-Schuld-Zahlungen- Jugendfahrten in Lager- Großeltern, die Nazis waren, Großeltern, die im Holocaust waren, und dazu noch ein bisschen Naqba. Alle nur denkbaren Klischees und auch die Parodien darüber, sowie die Tatsache, dass dies ein Stück ist, das als „Projekt“ mit politischem Potenzial gedacht ist, und das jede Gesellschaft, die nach internationaler Verständigung strebt, unbedingt finanzieren möchte.

Jetzt multipliziert bitte dieses ganze Potenzial mit hundert, und ihr erreicht trotzdem nicht das Ausmaß der Dummheit und Lächerlichkeit dieses internationalen „Projekts“. Wie schön, dass sie Gruppendynamik betreiben wollen und jemanden gefunden haben, der sie finanziert, und dass man das ganze dann in der aufgeklärten Welt als theatralischen Versuch vermarkten kann, sich mit der Erinnerung der Realität „auseinanderzusetzen“. Wie die Handys, machen auch die dritten Generationen des Holocaust und der Naqba Musik, klingeln und unterhalten. So wie es hier dargestellt wird, waren der Holocaust und die Naqba wahrscheinlich auch im Original super Projekte.

Ich habe einen Vorschlag für das nächste „Projekt“: Dasselbe, plus Amerikaner und Indianer, und vielleicht ein bisschen Ferner Osten, mit Juden-Deutschen- Palästinensern-Japanern-Chinesen (oder Inder und Pakistaner, je nach Geschmack). Das ist ein geiles Start-Up Projekt. Theater ist es jedenfalls nicht. Nicht mal ein entfernter Verwandter.

In Jedioth berichtet Yoav Birnberg unter dem Titel „Die nächste Generation“, dass das Theaterprojekt auch beim internationalen Theaterfestival in Prag gezeigt werden wird: An dem Festival nehmen die zehn auffallendsten Stücke teil, die dieses Jahr in deutschsprachigen Ländern gezeigt wurden, darunter „Woyzeck“ von Georg Büchner und „Der Prozess“ von Franz Kafka, beide in einer Darbietung des Münchner Theaters, sowie „Ein Mond für die Beladenen“ von Eugene O’Neill (dargeboten vom Nationaltheater Luxemburg). Weiterhin nehmen auch die Berliner Volksbühne, das Wiener Schauspielhaus und das Dresdner Staatstheater an dem Festival teil.
Nach dem großen Erfolg der „Dritten Generation“ in Israel beschlossen die Direktoren von Habima und der Schaubühne, einer weitere Reihe von Aufführungen in Israel zu zeigen, im kommenden Februar, unmittelbar nach der Serie von Aufführungen, die gerade in Deutschland beginnt. Die Initiatoren des Projekts beabsichtigen, das Stück auch in arabischen Orten zu zeigen, wie auch in anderen Städten in Israel außer Tel Aviv.
Die Berliner Schaubühne plant eine weitere Koproduktion mit dem Habima Theater und unter der Regieführung von Yael Ronen, die sich mit dem Einfluss der verschiedenen Religionen auf die Gesellschaft befassen wird.

Regie: Yael Ronen
Dramaturgie: Irina Szodruch, Amit Epstein

Eine Koproduktion der Schaubühne Berlin mit dem Habima National Theatre of Israel und der Ruhrtriennale 2009 im Auftrag von Theater der Welt 2008 Halle, mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes und des Goethe-Instituts.