Akademischer Aktivismus, der Antisemitismus schürt

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Gedenken am Gelände des Nova Festivals, Foto: haGalil

Immer dann, wenn man denkt, es kann nicht schlimmer kommen, findet sich ein offener Brief von sogenannten Experten oder „Nahostexperten“, von Forschenden aus verschiedenen Disziplinen, die ihrer „Sorge“ öffentlichkeitswirksam Ausdruck verleihen müssen. Am 7. Oktober 2025 jähren sich zum zweiten Mal die islamistisch-jihadistischen Massaker der Hamas und acht weiterer palästinensischer Terrororganisationen nach dem Vorbild des Islamischen Staates im Süden Israels.

Von Verena Buser

Die Massaker waren der Grund für den Krieg in Gaza, der bis heute fortdauert. Trotz eines angeblichen Völkermordes sind die verantwortlichen palästinensischen Akteure – die djihadistisch-islamistische Hamas, der Palästinensische Islamische Jihad und ihre Unterstützer – nicht bereit, ihre Waffen niederzulegen. Auf den „pro-palästinensischen“ Demos in Deutschland und weltweit gibt es keine Forderungen nach einer Kapitulation der Hamas und auch keine nach einer Freilassung der ausgehungerten Geiseln – mehr Ermordete, denn noch Lebende. Islamistisch-djihadistisch heißt im Klartext, der „Widerstand“ der palästinensischen Mujahideen (wie sie sich selbst nennen) wird nicht enden, sie kämpfen im Namen ihres Glaubens bis in den Tod und nehmen alle und alles mit, was ihnen im Wege steht, palästinensische Frauen, Kinder und Männer. Gerade haben diese Mujahideen einem Plan der Trump-Administration mit einem „ja, aber …“ zugestimmt zur Beendigung des Krieges, jedoch umfangreiche Forderung nach Änderungen angemeldet und betont, dass sie nicht bereit sind, die Waffen niederzulegen.

Der 7. Oktober 2025 ist auch Anlass für Akademiker, die sich als progressiv und Experten verstehen, Veranstaltungen zu initiieren oder zu unterstützen, die einen Hinweis auf ihre Einschätzung der Gründe geben, die zum 7. Oktober führten. Vor wenigen Tagen wurde die Initiative Jenseits der Staatsraison. Wie historische Verantwortung, strategische Interessen und Völkerrecht in Einklang gebracht werden können. Expertenpapier für eine nahostpolitische Wende veröffentlicht. Gemeint ist die von Angela Merkel in der israelischen Knesset formulierte Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsraison. Das ist immer wieder Grund für Empörung und Kritik und Aufregung. Auf den „pro-palästinensischen“ Demonstration lautet die schlicht formulierte Kritik daran „Free Gaza from German Guilt“ oder auch „Deutschland finanziert – Israel bombardiert“. Bei dem australischen Genozidforscher A. Dirk Moses ist der Anspruch auf „permanente Sicherheit“ illegitim – seiner Meinung nach hat kein Staat ein „Recht“ auf permanente Sicherheit. Sowohl während der antiisraelischen Demonstrationen weltweit als auch bei Dirk Moses, aber auch prominenten Antisemitismus-, Holocaust- und Genozidforschern, die nun auch einen „Scholastizid“ als bewiesen sehen, findet sich wiederholt eine ähnliche Argumentation, wenn auch gut verpackt und akademisch ausgedrückt.

Diese simplizistische Argumentation, die deutsche Bundesregierung sei beteiligt an einem Völkermord in Gaza, beruht darauf, dass Deutschland den Staat Israel wegen der deutschen Schuld für den Holocaust unkritisch mit Waffen beliefere. Das „Expertenpapier“ sieht in der Existenz und der Gründung Israels ein Problem, der Staat habe sich (so die anmaßenden Ausführungen) zu entschuldigen, Begegnungen von Juden und Muslimen sollten gefördert werden, eine Idee, die gut klingt, aber bereits die Realität ist. Man lese selbst. Palästinenser kommen hier ausschließlich als Opfer vor, die Islamische Republik Iran, die Muslimbruderschaft als geistiger Bruder der Hamas – sie alle kommen da nicht vor. Die verengte Sichtweise fokussiert eben auf zwei Völker. Auch der Krieg der arabischen Nachbarstaaten gegen den neu gegründeten Staat Israel wird ausgespart und die nahezu vollständige Vertreibung von Juden aus arabischen Ländern im Zuge der Staatsgründung einfach aus der subjektiven Wahrnehmung der Verfasser gestrichen. Sie stellen heute etwa 60 Prozent der israelischen Gesellschaft.

Ahistorischer und einseitiger geht fast nicht mehr. Es findet sich neben vielen anderen fragwürdigen Aussagen auch ein Plädoyer dafür, dass Genozidvorwürfe eine Meinung seien.

Der Genozidvorwurf als Motor für antisemitischen Hass und Gewalt

Schaut man sich die Namensliste genauer an, so fällt auf: Es sind oftmals immer dieselben Wissenschaftler, die ihre Meinung öffentlich kundtun und sich in Initiativen oder Veranstaltungen und offenen Briefen anmaßen, aus „Sorge“ und in „historischer Verantwortung“ im Namen der Palästina-Solidarität oder in angeblicher Ausgewogenheit mit Blick auf „Israel/Palästina“ zu sprechen. Es sind seit nunmehr zwei Jahren immer dieselben Namen, die um sich selbst kreisen, miteinander debattieren, sich gegenseitig rezipieren und zitieren und die gerne untereinander bleiben, damit keine Kritik, kein gegenteiliger empirischer Beleg, keine andere Sichtweise ihr zutiefst einseitiges Bild stören. Bei einer solchen Argumentation muss man zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass Israel, die IDF etc. immer die „Schuld“ trägt. Schuld ist ein großes Thema in diesem Kreis.

Währenddessen steigen antisemitische Attacken in den sozialen Medien, auf den Straßen, im Alltag, an Universitäten. Nach den antisemitischen Morden in Manchester durch einen syrisch-britischen Islamisten wurde den Opfern in den sozialen Netzwerken noch am selben Tag „wegen dem Genozid in Gaza“ die Schuld zugeschoben und die Taten gerechtfertigt. Mittlerweile ist es normal Juden und Israelis, die nicht gerade der extremistisch-antizionistischen Vereinigung „Jewish Voice for Peace“ angehören, zu beschimpfen, als „Zionisten“ (nunmehr Chiffre für alles Böse schlechthin) zu verunglimpfen, ihnen Gewalt anzudrohen. Alle Juden, Israelis oder israelsolidarische Akteure, die nicht einseitig die Schuld für den Krieg in Gaza bei Israel sehen und die Verantwortung für die Massaker des 7. Oktober Palästinensern zuweisen, sind Ziel von Hasstiraden, sie werden boykottiert, ausgegrenzt, angegriffen. Und es ist scheinbar auch „normal“, auch Nicht-Juden, die für ein ausgewogenes Bild sorgen, mit Klarnamen zu diffamieren und mit dem Tode zu bedrohen. Gerade traf es die Betreiber der israelsolidarischen Kneipe „Bajszel“ in Neukölln. „Grund“ wie bei allen Gewalttaten, ist der angebliche Genozid in Gaza. Verstehen diese Wissenschaftler eigentlich noch, was in der Realität vor sich geht?

Akademische Genozidvorwürfe

Die Hamas-geführten Massaker waren der Auslöser für den Krieg in Gaza, der bereits sechs Tage nach dem 7. Oktober in wissenschaftlich fragwürdiger Form als „textbook genocide“ durch den israelischen Holocaustforscher Raz Segal geframt wurden. Es dauerte zwar fast ein Jahr bis der israelische Holocaustforscher Omer Bartov von der Brown University „als ehemaliger IDF-Soldat“ zu dem gleichen Schluss kam, bis dahin hatte er aber in verleumderischer Form Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit attestiert und die „Schuld“ für den 7. Oktober einseitig der Regierung Netanjahu zugewiesen. Mangels inhaltlicher Aussagen nutzte er wiederholt Forschung zum Holocaust, um den Krieg in Gaza zu framen und zählte zu denjenigen Forschern, die den deutschen Genozid an den Herero und Nama permanent falsch anwendete, um den „Genozid“ in Gaza in Form einer Analogie zu „erklären, eine Gemeinsamkeit mit der „UN-Sonderberichterstatterin“ Francesca Albanese. Und er schuf gemeinsam mit Forschenden aus dem Kreis des „Journal of Genocide Research“ ein neues Phänomen: Genozid Inversion. Chief Editor ist A. Dirk Moses. Der Beitrag einer französischen Forscherin zum Thema „Holocaust Distortion in den Holocaust Studies“ steht kurz vor der Veröffentlichung.

Mittlerweile ist ein intellektueller Tiefpunkt erreicht, während dem es reicht zu sagen, es ist ein Genozid, weil Omer Bartov es sagt. Andere Sichtweisen, wie die des Historikers Jeffrey Herf oder des Holocaustforschers Norman W. Goda werden schlichtweg nicht publiziert sowie Gegenargumente wie die des Antisemitismusforschers Balázs Berkovits ausgeblendet. Daher kursiert nun die Falschbehauptung, es gäbe eine „Konsens“ darüber, dass es sich in Gaza um einen Völkermord handele.

Dies ist absolut nicht der Fall, sondern es handelt sich um eine kleine, selbsternannte und sich als progressiv wahrnehmende Gruppe von Holocaust-, Genozid- und Antisemitismusforschern, aber auch Vertretern anderer Disziplinen, die von der Realität entkoppelt und wissenschaftlich fragwürdig mangels Quellenkritik sich dieser Interpretation angeschlossen hat. Mehr als 500 Holocaust-, Antisemitismusforscher und Wissenschaftler haben sich erst jüngst gegen eine Erklärung der International Association of Genocide Scholars gestellt. Die israelischen Forscher Danny Orbach, Yagil Henkin, Jonathan Boxman und Jonathan Braverman haben jeden einzelnen der Vorwürfe gegen den Staat Israel geprüft und mit Fakten widerlegt. Aber auch sie werden schlichtweg ignoriert, obwohl sie zum Beispiel auch das gezielte Töten von Zivilisten widerlegen konnten.

Wider besseren Wissens wird also bis zum heutigen Tag unter Akademikern behauptet, der Genozidvorwurf sei „Konsens“. Das ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch verleumderisch und schürt Antisemitismus. Um es deutlich zu sagen: Der Genozidvorwurf liefert Antisemiten von links und in muslimischen communities die Legitimation, gewalttätig gegen all diejenigen vorzugehen, die sich dieser Sichtweise verweigern. Rechte Antisemiten gehen anders vor, mobilisieren sich nicht weniger hasserfüllt, bedienen sich aber in der Regel nicht des Genozidvorwurfs. Antisemitismus ist mehr als eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, er radikalisiert sich stetig, weil er scheinbar Juden und Israelis oder IDF-Soldaten angreift, um eigenmächtig die angeblich genozidalen Verbrechen in Gaza zu ahnden. Und er funktioniert auch nicht wie Rassismus, was nun unschwer zu erkennen ist – wenn weltweit Antisemitismus auf dem höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg ist und alles, was jüdisch oder israelisch assoziiert ist, Ziel von Attacken ist, inklusive Denkmälern, Restaurants, Publikationen etc.. Die „Brandmauer“ gegen Antisemitismus gibt es nicht. Wenn in Deutschland also permanent diejenigen zu Wort kommen, die einen Genozid in Gaza behaupten, dann ist das gefährlich. Das sollte nicht schwer zu verstehen sein. Doch die akademische Realität ist eine andere, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Das Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main hat für den 6. Oktober 2025 den Historiker Omer Bartov eingeladen, am Vorabend des zweiten Jahrestages der Massaker, um über sein neues Buch unter dem Titel „Genocide, the Holocaust, and Israel-Palestine. History, the present, and what went wrong“ zu sprechen. Ein Korrektiv zu seinen einseitigen Thesen, die immer palästinensische Verantwortung für die eigene Geschichte ausspart, ist nicht vorgesehen. Seit zwei Jahren ist Bartov unermüdlich damit beschäftigt, dem Staat Israel und der IDF die Schuld für die 7. Oktober-Massaker zuzuweisen. Hierbei macht er massive Fehler, wie etwa auch Raz Segal, A. Dirk Moses und andere, indem er behauptet, die Internationale Gerichtshof in Den Haag habe die „Plausibilität“ einen Genozids im Januar 2024 attestiert. Nein, Bartov ist keine zuverlässige Quelle. Einen Faktencheck hat er nicht vorgenommen, sondern verbreitet sogar Desinformation, wenn er den Missbrauch von Zivilsten in Gaza als menschliche Schutzschilde als „israelische Propaganda“ bezeichnet. Aus dem ursprünglichen Text in der ZEIT wurde diese Formulierung mittlerweile gestrichen, die ursprüngliche Version liegt vor.

Nun spricht er an einem Institut, das für die Lebensleistung Fritz Bauers steht, maßgeblich verantwortlich für den Frankfurter Auschwitz-Prozess, in dem die deutschen Täter verurteilt wurden. Und Bartov ist einer der Experten für die Verbrechen der genozidalen Deutschen Wehrmacht und deren Beteiligung am Holocaust. Während eines Gesprächs von Omer Bartov mit Soldaten an der Ben Gurion University of the Negev in Beer Sheva im Juni 2024 nutzte er Erkenntnisse aus seiner Forschung über die Wehrmacht und zeichnete Ähnlichkeiten in der Denkweise israelischer Soldatinnen und Soldaten sowie deutscher Wehrmachtssoldaten nach. Ist also die IDF wie die Wehrmacht? Es gilt die Unschuldsvermutung, denn die „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ erlaubt solche Analogien und Vergleiche. Man erinnere sich auch an den 27. Januar 2025, den internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, achtzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. Der Spiegel veröffentlichte ein Interview mit Omer Bartov übertitelt mit der ahistorischen Frage „Gaza gleich Auschwitz?“. Es folgte das Zitat Bartovs „Der Holocaust dient Israel als Lehre der Unmenschlichkeit“. Bereits kurz darauf wurde zwar, ähnlich wie in der ZEIT die Ausführungen zur „israelischen Propaganda“, diese Überschrift geändert, doch bleibt der Beitrag ein einseitiger, diffamierender Angriff auf den Staat Israel. Vielleicht ist er gerade deswegen so gerne geladen in Deutschland?

Bartov steht paradigmatisch für eine deutsche Wissenschaft, die im Namen der Palästina-Solidarität insbesondere diejenigen Israelis oder ganz allgemein Juden protegiert, die ins eigene Weltbild passen. In diesem Sinne ist auch die Veranstaltung am 9. Oktober 2025 im Hebbel am Ufer (HAU) in Berlin zu verstehen. Moderiert durch die Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, die zunehmend ahistorische Debatten aufmacht und gleichzeitig unkritisch palästinensische Narrative unterstützt, die Antisemitismus schüren und den Staat delegitimieren. Zur Erinnerung, das ZfA war auch maßgeblich an der Initiierung der „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ beteiligt, die Antizionismus und NS-Vergleich per se vom Antisemitismus freispricht, aber hinter den aktuellen Stand der Antisemitismusforschung zurückfällt. Geladen in das HAU ist auch der palästinensische Rechtsanwalt Ahmed Abofoul, der auch auf der antisemitischen Plattform „Electronic Intifada“ publiziert und als Vertreter von Al Haq Europe vor Ort ist, einer Organisation, die unter dem Titel Menschenrechte operiert und den Hamas-Angriff auf Israel als „als Reaktion auf die eskalierenden israelischen Verbrechen gegen das palästinensische Volk“ eingeordnet hat. Al Haq Europe steht nicht für Normalisierung zwischen Palästinensern und Israelis, sondern für „lawfare“, eine Methode, die westliche Rechtssysteme im Namen der Palästina-Solidarität nutzt, um den Staat Israel zu diffamieren. Die Dachorganisation Al Haq konfinanziert auch Forensic Architecture, ein Projekt unter Leitung des britischen Architekten Eyal Weizman, das seit zwei Jahren den Genozid in Gaza behauptet und in seiner Methodik derart vorgeht, als gäbe es in Gaza keine Hamas, keinen Islamischen Djihad und als morde die IDF gezielt Zivilisten. „Forensic Architecture“ war auch an vorderster Stelle, wenn es darum ging, im Nachgang einer „propalästinensischen“ Demonstration Staatsgewalt zu behaupten, unkritisch verbreitet in der Süddeutschen Zeitung. Es ist auch der Architekt Eyal Weizman, der überzeugt ist, es gäbe drei Genozide unter deutscher Verantwortung. Dies ist absolut richtig für Deutsch Südwestafrika und den Holocaust. Gaza sei dann ebenfalls ein deutscher Völkermord, weil „Deutschland finanziert und Israel bombardiert“.

Den „Völkermord in Gaza“ als den dritten in dieser Reihe zu behaupten, ist einerseits eine Folge des Einzugs postkolonialer Theorie in die Holocaustforschung, die oftmals ohne empirische Belege eine Kontinuität zwischen dem Völkermord im heutigen Namibia und dem Holocaust insinuiert. Der Sozialwissenschaftler Ingo Elbe bezeichnet diese Art von Geschichtsbetrachtung zu Recht als „progressiven Angriff“ und kann dies umfassend empirisch belegen. Andererseits ist die „Drei Völkermorde“- Theorie auch Konsequenz der „Opfer der Opfer“-These, auch vorangetrieben durch Bartov und andere und nun jüngst wieder einmal inszeniert durch die Initiative „Jenseits der Staatsraison“. Palästinenser sind in dieser Weltsicht nie Täter und immer Opfer. Das nennt sich auch Rassismus der niedrigen Erwartungen oder „Palästinensismus“, eine Überidentifikation mit palästinensischen Narrativen. Der Historiker und Soziologe Günther Jikeli erklärt dazu in seiner Studie zu Antisemitismus unter syrischen Geflüchteten: „Bei einigen Befragten zeigte sich eine Art ´Palästinensismus´. Die Überidentifikation mit ´den Palästinenser:innen´ als Opfern erlaubt keine Differenzierung und verbindet sich mit einer automatischen Feindschaft gegenüber ,den Juden´ und Israel. Dies fanden wir vor allem bei Interviewten mit palästinensischem Hintergrund. Yanes, 32, ein arabisch-palästinensisch-muslimischer Mann aus Damaskus, brachte es so auf den Punkt: ´[A]ls Palästinenser denke ich, dass beide [Juden und Israelis] meine Feinde sind.´“

Und um ein letztes Beispiel für intellektuelle Fragwürdigkeit zu zeigen, wie man sich in Deutschland jüdische und/oder israelische Vortragende gezielt auswählt, die offenbar die eigene Sichtweise spiegeln, sei hier der Think Tank der Bundesregierung, der „Rat für Migration“, genannt. Dessen Vorstand scheut sich nicht Judith Butler, zentrale Figur des Queerfeminismus, für einen Vortrag einzuladen. Butler ließ es sich nicht nehmen, Hamas oder Hisbollah als antiimperiale Kräfte zu feiern, oder ähnlich wie Omer Bartov Hamas positive Absichten mit dem 7. Oktober zu attestieren: „Der verabscheuungswürdige Angriff der Hamas muss als Versuch gewertet werden, die Aufmerksamkeit auf die Notlage der Palästinenser zu lenken“. Eine eklatante Fehleinschätzung, die die Verbrechen der Hamas an der palästinensischen Zivilbevölkerung konsequent verschweigt.

Ja, man sucht sich seine Juden und Israelis in Deutschland gezielt aus und lässt Antizionisten oder mit Vorliebe linksextreme Israelis zu Wort kommen. Man versteht sich damit als progressiv, denn – so wird gemunkelt – „Israelkritik“ ist ja nicht erlaubt und man wird viel zu oft und zu Unrecht mit Antisemitismusvorwürfen behelligt. Linke Israelis, die Palästinenser Jahre unterstützt und Koexistenz gefördert haben und nach dem 7. Oktober die Hoffnung auf Frieden verloren haben, finden sich da nicht. Und man beschäftigt sich auch nicht mit Palästinensern, die unter Polizeischutz leben und zwar genau deswegen, weil sie gegen die Hamas und für Frieden und einen echten Dialog sind. Erst jüngst wurde der in den USA lebende Ahmed Alkhatib von der New York Times abgelehnt, weil seine Sichtweise – pragmatischer Frieden, Abkehr vom Terror und dem gewalttätigen Widerstandsnarrativ – nicht derjenigen der Mehrheit der Palästinenser entspräche. Das stimmt sogar, denn es gibt ein hegemonialen Diskurs in palästinensischen communities, der gegen jede Normalisierung mit Israel steht. Und der besagt, weitgehend für innerpalästinensische Probleme verantwortlich sei „die Besatzung“ bzw. „die zionistische Entität“.

Da stellt sich dann die Frage, warum sich die deutsche Intellektuellen als progressiv darstellen, wenn sie sich genau diesen Diskurs aneignen und somit den Nahostkonflikt manifestieren? Vielleicht geht es auch gar nicht um Palästina oder Gaza oder nur an zweiter Stelle, vielleicht geht es um die eigene Bedeutsamkeit? Immer wieder werden ganz klar akademische Positionen genutzt, um Meinungen als politische Handlungskonzepte darzustellen. Es gibt genügend Akademiker, die sich nicht ständig in den Vordergrund drängen, offenen Briefe an den Bundeskanzler und andere schicken, in dem sie einseitig Israel anprangern. Und somit zu einer Diskursverengung beitragen indem sie Konsens behaupten.

Diskursverengung in Deutschland

Wir erleben gerade eine Diskursverengung, in der es keine wissenschaftlichen Debatten mehr gibt, auch wenn diese insinuiert werden. Denn es sind genau diejenigen Forscher, deren Namen sich auf unzähligen offenen Briefen wiederfinden, die alle ausgrenzen, die nicht ihrer Meinung sind, teils andere Forscher diffamieren (zum Beispiel als „Rassisten“) oder sie blockieren (selbst erlebt anlässlich der Frage, warum die Verbrechen der Hamas an der Zivilbevölkerung in Gaza verschwiegen werden). Es sind diejenigen, die keine andere Meinung zulassen, da kann auch ein Forscher zur DDR-Geschichte zum Nahostexperten mutieren, andere beschimpfen und beleidigte Kommentare abgeben. Und auch die tatsächlich genozidalen Massaker der Hamas sind bei den progressiven deutschen Intellektuellen zwei Jahre später offenbar kein Thema mehr. Und ja, dann wird schnell beleidigt der Antisemitismusvorwurf instrumentalisiert, wenn man mit seiner eigenen Perspektive nicht weiterkommt. So etwa der Chefredakteur des Deutschlandfunk Stephan Detjen, der kürzlich den Genozidforscher A. Dirk Moses interviewte. In diesem Interview geht es auch um Dresden und die Angriffe der Alliierten. Zwei Tage nach den Verhaftungen von Hamas-Angehörigen in Berlin durfte Moses insinuieren, Hamas sei keine Bedrohung. Alles im Namen der Palästinasolidarität. In diesem Interview ist bereits abzusehen, wie die Zukunft aussieht: Es seien „Haarspaltereien“, wenn man überlegt, ob es sich um einen Genozid in Gaza handele. Viel wichtiger ist es, die Massengewalt gegen Zivilisten beim Namen zu nennen. Aber: Krieg ist immer Massengewalt, es sterben immer Unschuldige. Das muss sofort aufhören. Die Forderungen an die Hamas sind aber hier gleich null. Derweil gibt es Palästinenser in Gaza, die schon fast darum bettelten, das Angebot von Trump für ein Ende des Krieges anzunehmen, aber auch sie werden nicht gehört, geschweige denn breit diskutiert, bis auf wenige Ausnahmen. Und sie kommen auch nicht bei den Progressiven zu Wort, obwohl sie progressiv im eigentlichen Sinne des Wortes sind. Sie gebrauchen auch nicht den Genozidvorwurf oder instrumentalisieren nicht das Leid der Bevölkerung in Gaza gegen Israel.

Der Genozid ist bewiesen? Nein, das ist er nicht.

Es gibt kein Urteil des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag. Es wurde nie gesagt, Genozid sei „plausibel“. Genozid ist keine Meinung. Aber das Konzept ist zu debattieren. Dann können auch Amnesty International oder A. Dirk Moses die Absicht als Voraussetzung für Völkermord verzerren, umdefinieren oder infrage stellen. Das ist wissenschaftlich legitim, aber unter dem Strich geht es IMMER darum, Israel als Täter darzustellen, aus unterschiedlichen Motivationen heraus. Stephan Detjens Ausführungen dazu sind erhellend. Nachdem er Kritik von der Jüdischen Allgemeinen einstecken musste, weil er den Staat Israel analog mit NS-Deutschland charakterisierte, sieht er sich nun als Opfer des Zentralrats und attestiert in Deutschland eine „Verblendung“ und ein Nichtsehenwollen dessen, was in Gaza „eigentlich“ zugeht. Das Wort Genozid fällt hier nicht, aber man kann es ahnen. Die Verblendung liegt vermutlich in dem, was A. Dirk Moses in o. a. Interview kundtut, das auch die Argumentation Bartovs wiedergibt. „Nur weil der Völkermord in Gaza nicht wie der Holocaust ist, heißt es nicht, es ist kein Genozid“. Da muss man erstmal draufkommen, dass dies der Grund ist! Detjens Ausführungen sollen Klarheit bringen, deuten aber an, um was es bei dieser Obsession auch geht, mit aller Macht einen Genozid feststellen zu wollen. „Auch“ der Staat Israel – in Deutschland angeblich einseitig wahrgenommen als Opferland – ist nun „Täter“. Das „auch“ ist hier bezeichnend und die Betonung, dass es keine Gleichsetzung mit Nazi-Deutschland ist. Sondern eben eine „Tatsache“. „Schlussstrichdebatte von links“, so Ingo Elbe. Nochmal: es gibt keinen „Konsens“! Es ist schon grenzwertig, diese „Auch“-Äußerungen von einem Chefredakteur eines Massenmediums zu hören, das nicht indoktrinieren, sondern informieren soll.

Man sucht sich seine Juden und Israelis nicht zufällig aus

Es kann aber auch sein, dass man endlich als Deutscher auch Opfer sein will. Endlich. Ja, Deutschland war Täter am Ende des Zweiten Weltkrieges, aber auch Opfer. Welcher Deutsche hat sich nach Kriegsende als Täter betrachtet, nach der bedingungslosen Kapitulation, zerbombten Städten, vergewaltigten Frauen, eine ganzen Generation von Kindern, die in den Bombenkellern ausharren mussten? Niemand. Stephan Detjen zeigt es uns mit Unterstützung von A. Dirk Moses: Ja, die Deutschen waren Täter, aber „auch“ Opfer. Das wird dann auf Israel projiziert. „Das Land der Opfer, das nun auch Täter ist.“ Und deswegen feiert man eben auch Omer Bartov. Denn der bedient sich der gewünschten Analogien von IDF und Wehrmacht. Da wundert es nicht, dass er am Fritz Bauer Institut eingeladen ist, aber niemand, der diesem Narrativ widerspricht. „Gaza gleich Auschwitz“, so der SPIEGEL am 27. Januar 2025 (auch hier wurde, wie gesagt, schnell geändert). Ist das Antisemitismus? Manchmal ist das gar nicht so einfach zu beantworten. Aber es trägt definitiv dazu bei die Gewaltbereitschaft von Antisemiten zu schüren.

Als der Attentäter am 2. Oktober 2025 die Synagoge in Manchester an Jom Kippur angriff, tat er das im Wissen, dass es sich um den höchsten jüdischen Feiertag handelte. Sein Vater hatte den 7. Oktober gepriesen.  Die Mehrheit der Palästina-Solidarität sieht dies ganz ähnlich. Es fehlt eine klare Distanz zum Terror, der Tagesspiegel-Journalist Sebastian Leber attestierte ihr ein „totales Versagen“. Die Palästina-Solidarität positioniert sich in der überwältigenden Mehrheit der Fälle in der Form einseitiger Schuldzuweisungen für den Krieg in Gaza und den gesamten Nahostkonflikt gegen Israel. Allein die Existenz des Staates ist hierbei angeblich das Kernproblem. Auch, wenn etwa der marokkanische Forscher Amine Ayoub das anders sieht. Auch er wird als „Zionist“ diffaiert, als sei dies ein Schimpfwort.

Der Genozidvorwurf gegen den Staat Israel ist nicht per se antisemitisch, wenn er aber immer noch – im Oktober 2025 – unkritisch verbreitet wird, trotz widersprechender Quellen, sollte eine Diskussion darüber erfolgen, in welcher Form Antisemitismusforscher antisemitische Narrative promoten und ob nicht auch israelische Holocaustforscher Antisemitismus schüren unter dem Namen der Wissenschafts- oder Meinungsfreiheit. Antisemitische Rhetorik hat antisemitische Konsequenzen, so der britische Forscher David Hirsh auf Facebook. Wenn also die Palästina-Solidarität keine Verantwortung übernimmt – sie hat nicht nur ein Recht auf „Widerstand“, sondern auch die Pflicht, verantwortungsvoll für Frieden zu sein – dann hat sie den Namen nicht verdient. Denn sie manifestiert den Konflikt und ist nicht progressiv. Sie ist nicht ausgewogen und ihre Aussagen beruhen nicht auf Empirie, sondern auf Meinungen bei denen ganz klar ist, dass keine Quellenkritik stattgefunden hat. Es gibt Falschbehauptungen, so etwas bei der Initiative „Jenseits der Staatsraison“, die nach wie vor eine gezielte Hungerkampagne Israels behauptet, längst widerlegt durch die Studie von Danny Orbach et. al., und man denkt nicht etwas zusammen, nur wenn man „Israel/Palästina“ schreibt, aber nur Israel kritisiert und diffamiert. Dann ist man auch nicht „multidirektional“, sondern eindimensional. Und ist auch kein Experte für den Nahen Osten. Und auch nicht für Antisemitismus. Antisemitismus als Ideologie und als Verschmelzung von NS-Antisemitismus und islamischen, antijüdischen Weltbildern spielen bei Bartov, Butler und Co. keine Rolle für die Massaker des 7. Oktober, und in der „Debatte“ wird er noch nicht einmal als Möglichkeitsrahmen diskutiert. Der 7. Oktober allein aus dem Motiv der Unterdrückung „erklärt“. Der US-amerikanische Forscher David H. Stone aber betrachtet Antisemitismus sogar als Motor für den gesamten Konflikt.

Fazit: Wenn die Suche nach Wahrheit keine Rolle mehr spielt, sondern das, was wahr zu sein scheint, als Wahrheit inszeniert wird, dann hat die Wissenschaft verloren.

Dr. Verena Buser ist assoziierte Forscherin des Holocaust Studies Program am Western Galilee College, Israel.