Anatomie eines Völkermordvorwurfs

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FU Berlin, Foto: Fridolin freudenfett (Peter Kuley) - CC BY-SA 3.0

Francesca Albanese, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die besetzten palästinensischen Gebiete, soll am 19. Februar an der Freien Universität einen Vortrag halten unter dem Titel „Conditions of Life Calculated to Destroy. Legal and Forensic Perspectives on the Ongoing Gaza Genocide“, unterstützt durch mehrere Professuren an der FU. Dies ist gleich aus mehreren Gründen ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit und ein Belge dafür, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung missbraucht wird, um anti-Israel-Propaganda zu betreiben.

Von Verena Buser

Ähnlich wie Aktivisten aus der Holocaust- und Genozidforschung versucht Francesca Albanese wiederholt in ihren Reporten für die UN, unter dem Titel „Anatomie eines Genozids“ (Anatomy of a Genocide, 2024) und „Völkermord als koloniale Auslöschung“ (Genocide as Colonial Erasure, Oktober 2024), sowie auf ihrem Account auf X die Behauptung zu verbreiten, es handele sich um einen Völkermord bzw. das „Risiko“ glaubhaft zu machen, die Gefahr des Genozids breite sich nun auch auf die West Bank und Ost-Jerusalem aus bzw. finde dort bereits statt. Auf X verbreitet sie exzessiv Propaganda, so sah sie in der Geiselbefreiung im Juni 2024 den „Beweise“ für den Völkermord, da dort während des Einsatzes des israelischen Militärs auch Zivilbevölkerung getötet wurde. Die Hamas hatte Noa Argamani und die beiden Männer im dicht bevölkerten Jabalia untergebracht. Zudem greift sie immer wieder auf Verschwörungstheorien zurück, so etwa im Zusammenhang mit den Bränden in Los Angeles, so der Präsident der Deutsch-Israelische Gesellschaft Berlin und Brandenburg e.V. Volker Beck in einer Presseerklärung: Albanese ließ verlauten: „Auf unserem kleinen Planeten sind alle Ungerechtigkeiten miteinander verbunden“ und retweetete die Aussage: „Die Brände, die heute in Palästina und Los Angeles lodern, sind Symptome derselben Krankheit: eines Systems, das Eroberung über Bewahrung, Profit über Menschen und Expansion über Existenz stellt.“

Ihre Berichte sind eine Art Gutachten für die UN, deren bias gegen Israel nicht nur Expertinnen und Experten bekannt, sondern an vielen Stellen auch ganz offensichtlich ist. In der Regel nimmt Albanese darin für sich in Anspruch, ein objektives und kohärentes Bild zur Situation der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza sowie zum „Muster der Gewalt“ der israelischen Armee (IDF) zu zeichnen. Dabei helfen ihr postkoloniale Geschichtsbilder. Im Report von März 2024 heißt es zum Beispiel: „Völkermörderische Absichten und Praktiken sind integraler Bestandteil der Ideologie und der Prozesse des Siedlerkolonialismus, wie die Erfahrungen der amerikanischen Ureinwohner in den Vereinigten Staaten von Amerika, der First Nations in Australien und der Herero in Namibia.“ Die Hamas-Massaker des 7. Oktober werden folglich aus dieser Argumentation als Widerstand – „indigener Aufstand“ – analog des Aufstands der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialmacht betrachtet. Der erste deutsche Genozid, der Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (heute: Namibia), gilt als ein sogenannter „Gegen-Genozid“, d. h. die Aufstände der indigenen Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialmacht waren Auslöser für den ersten deutschen Völkermord der Geschichte. Diese historisch belegten Fakten sollen nun auch an der FU Berlin unkritisch auf die Situation in Gaza übertragen werden.

Aus historischer Sicht ist diese Entwicklung nicht überraschend, denn speziell in der Holocaust- und  Genozidforschung versucht sich mittlerweile ein Geschichtsbild durchzusetzen, das eine Kontinuität „Von Windhoek nach Auschwitz“ bewiesen sehen will und in einem aus wissenschaftlicher Sicht nicht überzeugenden Zirkelschluss, das zeigt zum Beispiel die Studie des Antisemitismusforschers Steffen Klävers, Antisemitismus als Unterform von Rassismus definiert sehen möchte.

Die Kontinuität „Von Windhoek nach Auschwitz nach Gaza“ ist schon fast logische Konsequenz dieser Denkweise. Allerdings basiert sie maßgeblich auf einer Holocaust- und Genozidinversion, wobei der Staat Israel immer Täter und Palästinenser immer unschuldige Opfer sind. Zum anderen werden historische Kontinuitäten konstruiert, die palästinensische Führungen nicht als Akteure der Geschichte wahrnehmen. Einer quellenkritischen Überprüfung an einer Universität würden weder diese These noch Albaneses Berichte standhalten. Und dies nicht nur vor dem Hintergrund der Geiselfreilassung am 8. Februar, während derer drei ausgehungerte Israelis der Welt präsentiert wurden. Die United Nations, das Rote Kreuz, Amnesty International und Deutschland – Schweigen im Walde zu dieser Folter.

Francesca Albanese hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München aus guten Gründen keine Plattform erhalten, was Kritik auslöste. Dabei ist das Muster von Albanese und Co. fast immer dasselbe: Wenn sie keine Propaganda verbreiten dürfen, stilisieren sie sich als Opfer, zeigen sich „besorgt“ und wiederholen den Mythos der „unterdrückten pro-palästinensischen Stimmen“, da (ein weiterer Mythos) Kritik an Israel in Deutschland „nicht erlaubt“ ist. Diese „unterdrückten“ Stimmen sind jedoch besonders still, wenn es um die Verbrechen der Hamas gegen Israelis und Palästinenser geht. „Palästinakritik“ analog zu „Israelkritik“ gibt es nicht. Palästinensische Aktivistinnen und Aktivisten, die anstelle des „Widerstands-Narrativ“ einen dritten Weg jenseits altbekannter, polarisierender Narrative einschlagen, werden schlichtweg ignoriert. Sie üben permanent Israelkritik ohne den Weg der Dämonisierung und Verleumdung einzuschlagen, zeigen ein differenziertes Bild einer Zweiklassengesellschaft in Gaza (für uns gegen Hamas) und lehnen das „Widerstands“-Narrativ vehement ab. Im Übrigen lehnen sie auch die überwältigende Mehrheit der selbsternannten pro-palästinensischen Demonstrationen weltweit ab, da diese Judenhass verbreiten und sich nicht von der islamistischen Terrororganisation Hamas und ihren Unterstützern distanzieren. Dies tut auch Francesca Albanese nicht. Auch sie beschweigt die Verbrechen der Hamas an der Zivilbevölkerung in Gaza, deren Missbrauch als menschliche Schutzschilde und die Nutzung ziviler Infrastruktur zum Raketenabschuss (auf Zivilisten in Israel), obwohl die Hamas selbst eingeräumt hat, dies ist nur ein Beispiel, dass sich Mohammad Deif in einer „safe zone“ versteckt hielt. Auch der Einsatz von Kinderterroristen scheint wenig Aufmerksamkeit bei ihr zu finden.

Die Hochschulleitung an der Freien Universität Berlin muss Haltung zeigen. An der Ludwig-Maximilians-Universität München wird Albanese aus guten Gründen keine Plattform geboten. Nun sollten auch in Berlin an der FU Konsequenzen gezogen werden, dies auch vor dem Hintergrund der Absage an die Ausstellung „The Vicious Circle“, die antijüdische Pogrome im November 1938 in Berlin 1938, in Bagdad im Irak 1941, im polnischen Kielce der Nachkriegszeit 1946 in Aden im Jemen 1947 und im Kibbuz Be’eri am 7. Oktober 2023 thematisiert. Die Ausstellung wird nun an drei anderen Orten in Berlin gezeigt.

Albanese und die fragwürdige, einseitige Veranstaltung an der FU Berlin tragen nicht zu einem akademische Diskurs bei. Vielmehr manifestieren sie rückwärtsgewandte Geschichtsbilder, in denen es immer nur einen Aggressor gibt, nämlich den Staat Israel. Es ist Zeit, diese Geschichtsbetrachtung nicht weiter zu unterstützen.

Dr. Verena Buser ist assoziierte Forscherin des Holocaust Studies Program am Western Galilee College, Israel und lebt in Berlin.

Zum Thema:
Offener Brief der WerteInitiative e.V. jüdisch-deutsche Positionen an den Präsidenten der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. Günter M. Ziegler