Wenn der Mob aus dem Ruder läuft

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Siedlerprosteste in der Westbank, Quelle: Israeli Defense Forces

In Israel haben Siedleraktivisten in der Westbank nun auch gezielt Soldaten angegriffen und ihr Mütchen nicht mehr nur an Palästinensern gekühlt.

Von Thomas von der Osten-Sacken
Zuerst erschienen bei: Von Tunis nach Teheran, 02.07.2025

Längst ist ein wenig in Vergessenheit geraten, was den frühen Zionisten vorschwebte und warum es es tat.

Um es ganz kurz zusammenzufassen: Sie stammten aus einem Umfeld, das fest an die individuelle Emanzipation der Juden in Europa geglaubt hatten und sahen dann sich eines wachsenden Antisemitismus gegenüber, der genau diese Emanzipation konterkarierte.

Also kamen sie, in Zeiten in denen eh jeder glaubte die nationale Befreiung sei die Ultima Ratio, auf die naheliegende Idee, dass statt quasi in ihren europäischen „Gast“-staaten aufzugehen, auch die Juden eine Nation bräuchten. Zur Nation gehören neben Briefmarken, Uniformen, Flaggen auch – zumindest war man im 19. Jahrhundert, das ja das der Industrialisierung war – auch Arbeiter und Bauern.

Wenn man, so die große Hoffnung, nun also einen jüdischen Nationalstaat mit Fabriken, Landwirtschaft, Briefmarken, Fahnen und allem drumherum errichten würde, würden andere Völker, die einen in ihrer Mitte nicht dulden, ihre Meinung ändern und man als Nation unter Nationen so anerkannt würde, wie es als Individuum unter Individuen nicht klappte: Also in ganz normaler Teil der Menschheit werden, eben nur als Nation in dem, man was man im Deutschen so gruselig Völkerfamilie nennt.

Bekanntermaßen entpuppte sich das als Illusion, Israel ist aus verschiedenen Gründen heute ebenso wenig ein „normaler“ Staat wie Juden „normale“ Bürger in europäischen Nationalstaaten wurden, sondern stattdessen in den meisten Fällen sogar vernichtet.

In Israel selbst dagegen funktionierte die Normalisierung oft besser als gedacht: Es gibt inzwischen nicht nur jüdische Arbeiter, Bauern und Busfahrer, sondern sogar, das hätten die alten Zionisten sich so wohl nicht vorgestellt, jüdische Faschisten, die sich von ihren Gesinnungsgenossen anderswo nur dadurch unterscheiden, dass sie herkunfsbedingt es mit Antisemitismus nicht so haben.

Dafür führen sie sich genau so auf, wie sie auch anderswo tun. Der Unterschied ist: Seit 2022 sitzen sie in Israel auch noch in der Regierung und das Land befindet sich im Ausnahmezustand. Das sind überall immer ganz ideale Bedingungen für Faschisten, denn nun können sie diese von ihnen so geliebte Arbeitsteilung vornehmen: Der Teil in der Regierung sorgt, sekundiert durch eine Armada von Medien und religiösen Führern, propagandistisch dafür, dass die Ideen der Faschisten als halbwegs akzeptabel anerkannt werden und treibt den Rest der politischen Klasse vor sich her. Zugleich sorgt er dafür, dass Sicherheitskräfte von seinen Leuten durchsetzt werden und, wo immer irgend möglich, Straftaten, die vom Fußvolk begangen werden, nicht ahndet.

Dann gibt es den dazugehörigen Mob, der brandschatzt, randaliert und zur Verfolgung freigegebene Gruppen und Menschen jagd – in diesem Fall Bewohnerinnen und Bewohner palästinensischer Dörfer in der Westbank. All dies wird und muss natürlich mit einem höheren Zweck geadelt werden, in diesem Fall irgendwas mit jüdischem Boden und biblischem Recht.

Wenn Faschisten mit an der Regierung sind, sie nicht ganz stellen, können sie in der Regel mit einem gewissen Einverständnis des Rests rechnen, solange sich der Mob nur an diesen Gruppen schadlos hält.

Da Problem bei jedem Mob, der sich von oben gestärkt fühlt ist nur, es kann alles ganz schnell auch aus dem Ruder laufen und sich gegen den Staat selbst richten.

Genau das geschieht gerade in Israel, wie Ralf Balke beschreibt:

„Militärangehörige berichteten gegenüber der Presse, die Siedler hätten etwa fünf Stunden bei Kafr Malik lang randaliert. All das habe sich in der Nähe eines neu errichteten Außenpostens in der Region Tall Asur, Ba’al Hatzor, nördlich von Ramallah ereignet. Die Armee geht deshalb davon aus, dass die Randalierer, die an dem Angriff auf Kafr Malik am Mittwoch beteiligt waren, ebenfalls aus dem Außenposten stammen, der nach den ersten Übergriffen von Sicherheitskräften geräumt wurde. Am Freitagabend bemerkten Soldaten, dass einige Siedler versuchten, in diesen Außenposten zurückzukehren. Etwa drei Soldaten, darunter der Bataillonskommandeur, trafen am Tatort ein. Bald schon waren es rund 70 Personen, die daraufhin die Armeeangehörigen attackierten, wobei einige auch versucht hätten, sie mit ihren Fahrzeugen zu überfahren. Vertreter der Siedler dagegen behaupteten, die Soldaten hätten auf sie geschossen, wobei ein Vierzehnjähriger verletzt worden sei. Dabei handelte es sich aber um einen anderen Übergriff auf Soldaten, der zeitgleich stattgefunden hatte. In den Auseinandersetzungen nahe Kafr Malik sei nicht auf israelische Zivilisten geschossen worden, so das Ergebnis einer ersten Untersuchung der Armee zu dem Vorfall.“

Wenn es soweit ist, und diese Entwicklung liegt eigentlich in der Logik des Ganzen begründet, ist klar: Eine Regierung, die es soweit kommen lässt, befindet sich in einer Staatskrise, Denn entweder entscheidet sie, dass nun Schluss mit lustig ist und geht mit ihrem Gewaltmonopol gegen den Mob vor oder sie lässt ihn gewähren und stellt damit dieses Gewaltmonopol in Frage.

Gelingt dann nicht, was vermutlich gerade in Israel der Fall ist, dass nämlich die Faschisten aus der Regierung die Führer des Mobs anflehen, doch bitte fortan ihre Finger von den Uniformierten zu lassen, so dass das Ganze dann als bedauerlicher Zwischenfall ad acta gelegt werden kann, wird es nämlich haarig.

Denn, es soweit kommt, dass sich solche Vorfälle häufen, steht ein Staat nämlich vor einer ganz existentiellen Krise, die bislang nur auf zwei Wegen gelöst werden könnte. Der eine ist, den Mob in Uniformen zu stecken und sein Wüten als staatliches zu verkaufen, dann ist das Gewaltmonopol wieder hergestellt oder ihm gewaltsam das Handwerk zu legen.

In ersterem Fall transformiert sich ein Staat, in dem Faschisten mitregieren, dann in einen de facto faschistischem, in zweiterem stellt sich die große Frage, ob, wenn es schon so weit gekommen ist, es dem Staat gelingt, das Ruder rumzureißen oder gar eine Art Bürgerkrieg droht.

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