Am 19. August 1943 war es nach Jahren der Angst so weit: Der 1908 geborene Jude Karl Kaufhold wurde in seiner Wohnung am Kölner Eigelstein 54 festgenommen und drei Monate lang im EL DE Haus verhört. Danach wurde er in das KZ Buchenwald verbracht, als „Mischling ersten Grades“, wie sich die Nationalsozialisten auszudrücken pflegten. Karl musste dort Zwangsarbeit verrichten, wurde körperlich schwer geschädigt. Die Befreiung Buchenwalds durch die Amerikaner erlebte er noch.
Bei der Befragung durch die amerikanischen Befreier am 7.5.1945 sagte er den vier höheren Kommandanten: „I was leader of an industrial firm. I am half-jew. My brothers and I had been in concentration camps“.
Einer dieser zwei Brüder hieß Anton. Der 1914 Geborene wurde 1942 in Köln festgenommen. Man beschuldigte ihn als Homosexuellen sowie als „Mischling 1. Grades“. 1943 wurde er in das KZ Natzweiler, dann in das KZ Ravensbrück verbracht. Par. 175 stand auf der Karteikarte von Ravensbrück. Auch Anton Kaufhold überlebte, am 7.4.1945 wurde er befreit. Par. 175 hieß in der Bundesrepublik: Lebenslang „kriminell“, kein Anspruch auf „Wiedergutmachung“.
Der dritte Bruder hieß Johann. Der 1902 Geborene wurde schon 1933 aus rassistischen Gründen aus seinem Beruf bei der Post hinaus geworfen. 1939 floh er nach Holland. Die Gestapo beschuldigte ihn bei den Prozessen gegen seine Brüder, Juden nach Holland geschmuggelt zu haben. 1940 kam er in das holländische Konzentrationslager Westerbork. 1942 kam er wieder frei und kehrte Ende 1945 nach Essen zurück, wo er wieder bei der Post arbeitete.
Drei Schwestern überlebten versteckt in Klöstern.
In den Gestapo-Akten über die Brüder wurde mehrfach auf deren, wie es in den Akten wörtlich und fett unterstrichen triumphierend hieß, Mutter, die „Volljüdin“ Karoline Sanders, verwiesen. Diese war bereits 1936 verstorben.
–> Mehr zu den Biografien der Brüder (pdf)
Am Mo. 16. Juni wurden auf Einladung des Bürgervereins Kölner Eigelstein sowie von Reinhold Goss am Eigelstein 54 zwei Stolpersteine für Karl und Anton Kaufhold verlegt. Die Veranstaltung wurde durch Beiträge von „Retrogott“ Kurt Tallert, der Künstlerin und Schriftstellerin Mona Yahia, Peter Finkelgruen sowie durch israelsolidarische Kurzberichte von Rafi Rothenberg (über die jüdische Kölner Streuobswiese), von Axel Busch und Anna Sodki (über Nir Oz) sowie von Julia Goldberg-Katz (über den Kölner run4Their Lives) ergänzt.
Voraussichtlich in einem Jahr wird am gleichen Ort noch ein dritter Stolperstein hinzu gefügt, für Johann Kaufhold. Der 1902 Geborene wurde schon 1933 aus rassistischen Gründen aus seinem Beruf bei der Post hinausgeworfen. 1939 floh er in die Niederlande. Die Gestapo beschuldigte ihn bei den Prozessen gegen seine Brüder, Juden nach Holland geschmuggelt zu haben. 1940 kam er in das Durchgangslager Westerkork. 1942 kam er frei und kehrte Ende 1945 nach Essen zurück.
Wenn eine wohnortnahe Kölner Schule ein Interesse an einer Partnerschaft für die Stolpersteine hat so sollte sie sich an den Bürgerverein Kölner Eigelstein wenden. Dieser hat die Schirmherrschaft über die Stolpersteine am Eigelstein 54 übernommen.
Stolpersteine
Redebeitrag von Julia Goldberg-Katz
Steine, über die man stolpert
Sie lassen einen im gleichmäßigen Trott des Ganges aufblicken. Es ist wie ein Herzschlag, der kurz aussetzt. In diesem Fall zwei Leben, die aus ihrer Bahn gerissen wurden. Gewaltsam!
Kurz hält man inne, kurz erschrickt man, kurz wird man aufmerksam. Und dann setzt der Herzschlag wieder normal ein, der Gang wird wieder regelmäßig- bis zum nächsten Stein.
So ging es uns auch am 07.10.23: der Herzschlag setzte aus. Und für einige ging er nach einer Weile seinem gewohnten Rhythmus nach. Für einige nicht.
Run for their lives ist unser Stolperstein. Run for their lives reißt uns aus unserem , sofern vorhandenem, Trott heraus.
Kurz nach dem 07.10.2023, nachdem 250 Geiseln von der Hamas am schwarzen Shabbat entführt worden sind, ist die unpolitische Bewegung von einer Gruppe von Israelis in der Bay Area in Kalifornien in Zusammenarbeit mit dem Hostage and Missing Families Forum ins Leben gerufen worden. Insgesamt sind in etwa 270 Gruppen aktiv, die in der ganzen Welt verstreut sind. So gibt es Gruppen in Australien, Österreich, Belgien, Brasilien, Canada, Finnland, Frankreich, Deutschland, Indien, Israel, Italien, Litauen, Mauritius, Mexico Niederlanden, Neuseeland, Panama, Polen, Rumänien, Südafrika, Spanien, Schweiz, Großbritannien und vielen US-Staaten.
Einmal in der Woche stolpern wir aus unserem Alltag an einen bestimmten Ort, in Köln ist es der Grüngürtel, um einen kleinen Spaziergang von 18 Minuten zu machen. Dieser Spaziergang dauert 18 Minuten, da im Hebräischen die Zahl 18 auch Leben bedeutet. Es sind also Chai Dakot- 18 Minuten, die unser Leben zum Stolpern bringen. Wir tragen meist etwas rotes. Oft ein T-shirt mit der Aufschrift Run for their Lives. Wir laufen mit Flaggen der Länder, deren Bürger unter den Geiseln sind. Hauptsächlich finden sich bei uns israelische Fahnen, da die meisten Geiseln Israelis sind.
Um Roland zu zitieren: „Was die weltweite humanitäre Bewegung zur Freilassung der israelischen Geiseln durch die Terrororganisation Hamas eint, ist ein Anliegen: die unschuldigen israelischen Geiseln dürfen nicht vergessen werden. Sie müssen unverzüglich freigelassen werden.“ (Hagalil, 24.01.2025)
Seit dem 14.04.2024 halten wir die Bilder der Geiseln in die Höhe, um sie nicht vergessen zu lassen. Seitdem sind wir ihre Stolpersteine, die andere zum Hingucken bringen. Die die anderen Menschen kurz aufhorchen lassen, wenn wir Habaita, nach Hause singen, laut und fordernd.
Wir gedenken jeden Sonntag um 15.30 Uhr im Grüngürtel aller Geiseln, die noch verblieben sind – 53 an der Zahl. Wir lassen andere an sie denken, wenn sie uns sehen, uns hören.
Wir stolpern selber jeden Sonntag und lassen andere über unser Anliegen stolpern. Somit schließt sich der heutige Kreis
Wir Gedenken Karl und Toni Kaufholds, wir gedenken aller Geiseln und wir lassen durch besondere Taten an diese besondere Menschen denken.