Jüdische Geschichte in Vorpommern

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Der Friedhof Niederhof, der älteste jüdische Friedhof Vorpommerns, ist erstmals vollständig erschlossen worden. In einem Buch werden die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung und Dokumentation zusammengefasst und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Der Arzt Klaus-Dieter L. Ehmke entdeckte 1979 den Friedhof Niederhof, gelegen in Brandshagen, Gemeinde Sundhagen, an der Küste zwischen Stralsund und Greifswald, und weckte ihn aus seinem Dornröschenschlaf. Seitdem wurde die Anlage gepflegt und instand gehalten. Eine vollständige wissenschaftliche Dokumentation und Untersuchung blieb jedoch viele Jahre lang aus. Der Theologe und Hebraist Dr. Andreas Ruwe schließt mit der von ihm herausgegebenen Publikation diese Lücke innerhalb der jüdischen Geschichte Vorpommerns.

Ruwe transkribierte und übersetzte sämtliche Grabsteine und Fragmente. Unterstützt wurde er von Nathanja Hüttenmeister, Expertin für jüdische Friedhöfe, und Historiker Dr. Joachim Krüger, der für das Buch einen detaillierten Überblick über die Geschichte der Juden und Jüdinnen in Vorpommern lieferte. Die jüdische Gemeinde entstand etwa mit der Gründung der königlich-schwedischen Münzstätte in Stralsund im Vorfeld des Siebenjährigen Krieges. Juden, die Metalle verarbeiten konnten und mit ihnen handelten, durften sich fortan in Stralsund niederlassen. Das Buch dokumentiert nicht nur, was heute noch auf dem Friedhof zu sehen ist und macht die Inschriften der Grabsteine auch für Nicht-Hebraisten lesbar, sondern zeigt auch, wie eng die Biografien der dort Bestatteten mit der politischen und wirtschaftlichen Geschichte Vorpommerns verwoben waren.

Gefördert wurde das Buch durch den Fonds des Landes Mecklenburg-Vorpommern für Vorpommern und das östliche Mecklenburg.

Andreas Ruwe (Hg.): Der Friedhof von Niederhof. Der älteste jüdische Friedhof in Vorpommern als Spiegel jüdischen Lebens. Rekonstruiert, transkribiert, übersetzt und kommentiert. Unter Mitwirkung von Nathanja Hüttenmeister und Joachim Krüger. Solivagus Praeteritum, Kiel 2025. ca. 280 S., inkl. Lageplan, Stammbäume, Fotografien aller Grabsteine und Fragmente, weitere Abbildungen, farbig, BESTELLEN?

Auszug aus dem Vorwort von Andreas Ruwe (Hg.)

Der Friedhof in Niederhof bei Brandshagen ist der älteste jüdische Friedhof in Vorpommern. In einem alten Schlosspark, der heute unter Naturschutz steht, am südlichen Rand des Strelasunds in Ufernähe gelegen, wurde er für Bestattungen ab dem letzten Viertel des 18. Jh.s bis zur Mitte des 19. Jh.s genutzt. Nach einem Augenzeugenbericht wurden die Toten mit Booten an den Niederhofer Strand gebracht und anschließend auf dem umzäunten Friedhofsareal beigesetzt. Der Friedhof gehört in die Vor- und Nachgeschichte der Französischen Revolution, in die Zeit von Caspar David Friedrich und Ernst Moritz Arndt. Er wurde von der jüdischen Gemeinde in Stralsund betrieben, die sich ab dem Siebenjährigen Krieg (1757 – 1763) im Umfeld eines von der schwedischen Regierung initierten Münzprägebetriebs bildete. Wegen seiner abgelegenen Lage, ca. 15 km von der Altstadt Stralsunds entfernt, ist diese Begräbnisstätte ein beredtes Zeugnis dafür, wie sehr Jüdinnen und Juden in Deutschland bis weit ins 19. Jh. hinein in den bürgerlichen Rechten eingeschränkt leben mussten. Anfänglich war der sich bildenden jüdischen Gemeinschaft in Stralsund gar ein Platz für Bestattungen in der Nähe eines Schindangers, d.h. eines Ackers zur Entsorgung von Tierkadavern, angewiesen worden.

Ein Sterberegister des Niederhofer Friedhofs ist nicht (mehr?) vorhanden. Er ist bislang nur ansatzweise erforscht worden. Das vorliegende Buch will diese Lücke schließen. Alle noch vorhandenen Niederhofer Grabsteine sind hier dokumentiert, alle hebräischen Inschriften transkribiert und übersetzt. Die Duisburger Spezialistin für jüdische Grabstein-Epigraphik, Nathanja Hütenmeister, hat die hebraistischen Teile dieses Buches mehrfach gegengelesen, initiale Übersetzungsvorschläge für schwierige Passagen und substanzielle Verbesserungsvorschläge gemacht. Sie gab den für die literarische Einordnung dieser Inschriften entscheidenden Hinweis, dass eine Reihe von Niederhofer Texten Mustergrabinschriften folgen, indem sie die Paralleltexte aus dem Cheleq rischon mi-Sefer Hachajim von Seckel ben Aharon (Sulzbach 1790/91) beisteuerte.

Daneben hat der Greifswalder Historiker PD Dr. Joachim Krüger die Geschichte des Niederhofer Friedhofs in einem eigenen Text beschrieben. Anknüpfend an seine münz- und geldgeschichtlichen Forschungen seit 2006 beleuchtet sein Beitrag, in welch hohem Maße die Anfänge der Stralsunder jüdischen Gemeinde und der Niederhofer Friedhof mit der Stralsunder Münze während des Siebenjährigen Kriegs zusammenhängen. Zudem hat er vier, für die Geschichte dieses Friedhofs wichtige handschriftliche Dokumente transkribiert, die als Anhänge seiner Untersuchung beigefügt sind. …

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