Die vergangenen Wochen waren schwer für Israel. Das liegt nicht nur an den zurückkehrenden Geiseln und ihren Berichten über die Bedingungen der Gefangenschaft, nicht nur an den zurückkehrenden Särgen und den Beerdigungen, es liegt auch an den Untersuchungsberichten der Armee, die derzeit vorgestellt werden. Die Ergebnisse wurden zunächst den Bewohnern der betroffenen Kibbutzim, bisher Nahal Oz und Kfar Aza, bzw. den Familien der Gefallenen des Stützpunktes Nahal Oz dargelegt, im Anschluss dann der Presse.
Gestern hat auch der Shin Bet, Israels Inlandsgeheimdienst, seinen Untersuchungsbericht zum 7. Oktober vorgelegt. Als zentrale Gründe für das Ausbleiben einer Warnung in der Nacht vor dem Angriff wird zunächst die falsche Einschätzung über den sog. „Jericho-Mauer“-Plan genannt. Schon bald nach dem 7. Oktober wurde durch Berichte in der New York Times bekannt, dass der Angriffsplan der Hamas in Israel sehr wohl vorlag. Das etwa 40 Seiten umfassende Dokument, das den Codenamen „Jericho-Mauer“ erhielt, beschrieb Punkt für Punkt genau die Art der verheerenden Invasion, die am 7. Oktober zum Tod von etwa 1.200 Menschen führte. Militär und Geheimdienst hielten den Plan aber für undurchführbar.
Falsch war auch die Kompetenzaufteilung zwischen Shin Bet und Militär in Bezug auf Warnungen vor Übergriffen. In der Nacht vor dem Angriff selbst wurden Warnungen und konkrete Hinweise nicht sachgemäß behandelt und weitergegeben, obwohl um 4 Uhr morgens nach einer Lagebesprechung, die das mögliche Eindringen einzelner Terroristen aufwarf, ein sog. Tequila-Team in das Gazaumland entsandt wurde. Auf das Eindringen von 5000 Terroristen war der Shin Bet nicht vorbereitet.
Falsch war auch die Annahme, dass Hamas die Situation in der Westbank eskalieren wollte und nicht zu einem direkten Angriff aus Gaza übergehen würde. Es wurde nicht genug unternommen, um die Pläne der Hamas genauer zu verstehen, so heißt es im Bericht des Shin Bet. Falsch eingeschätzt wurde auch die Sperranlage an der Grenze und die Einsatzbereitschaft der Armee.
Scharfe Kritik formuliert der Bericht an den politischen Entscheidungsträgern. Die „Politik der Ruhe“, die Israel betrieb, habe es Hamas ermöglicht, massiv aufzurüsten. Israel habe dazu auch Millionen aus Katar in den Gazastreifen fließen lassen. Der Shin Bet habe den politischen Entscheidungsträgern empfohlen, gegen Terrorziele im Gazastreifen vorzugehen, was abgelehnt wurde.
Der Untersuchungsbericht geht damit einerseits mit den eigenen Entscheidungsträgern und Führungspersonen hart ins Gericht. Zusammenfassend gesagt urteilt der Shin Bet: „Hätte Shin Bet in den Jahren vor und in der Nacht der Attacke selbst anders gehandelt, wäre das Massaker verhindert worden.“ Andererseits weist der Bericht große Verantwortung am 7. Oktober an die Politik. Und mehr noch, eine wirkliche Untersuchung der Versäumnisse erfordere auch die umfassende Untersuchung der Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden und der politischen Führungsebene. Nur eine Veränderung an der Schnittstelle zwischen Politik und Sicherheit könne eine Wiederkehr der Versäumnisse in der Zukunft verhindern, so Ronen Bar, Leiter des Shin Bet, in einem Begleitschreiben.
Eine Reaktion lies nicht lange auf sich warten, aus dem Büro von Premier Netanyahu hieß es kurz nach Vorstellung des Berichts, dass er keine Fragen beantworte und die Schuld auf andere abschiebe.
Überhaupt ist Ronen Bar der Regierung ein Dorn im Auge. Einen Rücktritt sieht er selbst jedoch erst vor, wenn alle Geiseln aus Gaza zurück sind. Der Inlandsgeheimdienst habe den 7. Oktober nicht verhindert, schrieb Ronen Bar, als Leiter der Organisation werde er diese schwere Last für den Rest des Lebens auf seinen Schultern tragen.