Vor 80 Jahren wurden sie deportiert

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Foto: C. Wollmann-Fiedler

Das Bundesplatzkino drohte aus allen Nähten zu platzen. Filminteressierte standen Schlange, sehr viele mussten draußen bleiben, Plätze gab es keine mehr. Dr. Ingeborg Szöllösi, die Südosteuropa-Referentin im Deutschen Kulturzentrum östliches Europa e.V. in Potsdam, ist bekannt in diesem Kino und sehr gerne gesehen. Ausgesucht hat sie zwei Filme, die mit der Deportation von Männern und Frauen der deutschen Minderheit in Rumänien zu tun haben, die vor 80 Jahren, im Januar 1945, in die Sowjetunion ins Donezbecken/Donbas zur Schwerstarbeit deportiert wurden. In eine ungewisse Zukunft und ohne Ahnung wohin die Güterzüge sie in den zwei Wochen Fahrt bringen würden. Tiefster Winter soll es gewesen sein mit bitterer Kälte. Einige Menschen starben bereits auf dem Weg in die Sowjet-Ukraine.

Von Christel Wollmann-Fiedler

Ausgesucht hat Dr. Ingeborg Szöllösi den Dokufilm „Arbeitssklaven unter Hitler und Stalin“, aus dem Jahr 1993 von Günter Czernetzky und den Kurzfilm „Jenseits des Waldes“, von 2024, den der junge Filmemacher Max Kern gedreht hat.

Oskar Pastior aus Hermannstadt/Sibiu in Siebenbürgen, wurde ebenfalls als 17jähriger in ein Lager in die besagte Gegend, gebracht. Er überlebte und kam 1949 zurück nach Hause zu den Eltern nach Hermannstadt. Jahre später konnte er über einen längeren Aufenthalt in Bukarest 1968 nach Deutschland fliehen, über München kam er ein Jahr später in West-Berlin an. Herta Müller aus dem Banat, deren Mutter ebenfalls in einem der Lager Zwangsarbeit leisten musste, wohnt seit 1987 in West-Berlin. Sie unternahm im Jahr 2004 gemeinsam mit dem Lyriker Oskar Pastior eine Reise in diese Landschaft im Osten der Ukraine an der Grenze zu Russland. Pastior erzählt und beschreibt das Lagerdasein und zeigt die Baracken in denen sie gehaust haben, waren verlaust, verkommen, und verdreckt.

Als Faschisten wurden sie von der Bevölkerung bespuckt. Täglich schleppten sie Leichen heraus. Er spricht vom Hungerengel, über die extremen Hungerjahre, über das Heimweh und die schwere Arbeit. 2006 stirbt der Lyriker und Übersetzer Oskar Pastior während der Buchmesse in Frankfurt am Main. Herta Müller übernimmt die Erzählungen Pastiors und die Inhalte ihrer beider Unterhaltungen über seine Zeit in der Sowjetunion und sie schreibt in ihrem guten schriftstellerischen besonderen Stil die „Atemschaukel“, ein sehr wichtiges und hochinteressantes Buch. 2009 kommt es in die Buchhandlungen. Im gleichen Jahr wird der Schriftstellerin Herta Müller der Nobelpreis für Literatur in Oslo übergeben.

Durch dieses Buch kamen die Deportationen aus dem Jahr 1945 endlich an die Öffentlichkeit. Das Thema kannte zuvor kaum jemand in der alten Bundesrepublik, in der ehemaligen DDR durfte nicht darüber gesprochen werden. Wenigen Bundesbürgern ist dieses politische Vorgehen Stalins direkt nach dem grauenvollen 2. Weltkrieg an der deutschen Minderheit bekannt.

Etwa 70.000 Rumäniendeutsche – Männer zwischen 17 und 45, Frauen zwischen 18 und 30 Jahren, werden im Januar 1945 „Zur Reparation durch Arbeit“ deportiert. Mit langen Listen liefen die Russen und die rumänische Miliz ohne Voranmeldung von Haus zu Haus, um die Männer und Frauen auszuheben. Von 1946 bis 1949 werden noch Lebende aus der Sklavenarbeit im Donbas in ihre Heimat oder in die Sowjetisch Besetzte Zone (SBZ) entlassen.

Der bekannte Filmemacher Günter Czenetzky reist zu Beginn der 1990 Jahre zur Spurensuche in die Ukraine zum Recherchieren für den interessanten, teilweise sehr nachdenklich stimmenden Film, Arbeitssklaven unter Hitler und Stalin“, den wir heute im Bundesplatzkino sehen.

Czernetky kommt 1956 in Schäßburg/ Sighișoara, Siebenbürgen, zur Welt. An der Filmhochschule in Bukarest beginnt er zu studieren, später an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. In seiner Vita wird er beschrieben als Film- und Theaterregisseur, Autor, Produzent und Medienpädagoge. Viele Preise sind ebenfalls aufgeführt. Czernetzky erzählt, dass sein Vater ausgehoben werden sollte, sich aber versteckt hatte und somit nicht in der Sowjetunion war.

Marc Schroeder aus Luxemburg kennt inzwischen Siebenbürgen und das Banat wie seine Westentasche. Nachdem er vor fünfzehn Jahren von dem Schicksal der Rumäniendeutschen im Jahr 1945 erfuhr, ließ ihn das Thema nicht mehr los. Überlebende fotografierte er in Ihren Dörfern und ließ diese Menschen über die damalige Zeit erzählen. Stalins Order 7161, ein exzellentes Buch von ihm mit Fotos, deutschen und englischen Texten, erschien vor fünf Jahren in einem sehr eigenwilligen überlegten Buchkonzept. Die Goldmedaille des Deutschen Fotobuchpreises bekommt er im Jahr 2023 in Regensburg für dieses ausgezeichnete Werk.

Nun zum Anfangsthema des Films „Arbeitssklaven unter Hitler und Stalin“. Im September 1939 beginnt der von den Nazis gewollte 2. Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen, bereits zwei Jahre später, am 22. Juni 1941, überfallen die Nazideutschen die Sowjetunion gegen sämtliche völkerrechtliche Konventionen. Das Unternehmen „Barbarossa“ startet. Ein Vernichtungskrieg soll es werden und wird es! Ein deutsches „Kolonialreich“ will Hitler und seine hörigen Offiziere im Osten errichten, die „arische Herrenrasse“ soll Wohnraum im Osten bekommen. Den „Jüdischen Bolschewismus“ wollen sie in der Sowjetunion ausmerzen.

Zur Sklaverei ins Deutsche Reich werden Zwangsarbeiter geholt aus den von Hitler besetzten Gebieten im Osten. Zu Beginn werden Freiwillige angeworben, ungefähr 200 sollen gekommen sein. Dann wird es Ernst und die Nazis werden ungefragt einige Millionen Menschen ins Deutsche Reich, von Ost nach West, verschleppen.

Günter Czernetzky hat sich zu Beginn der 1990er Jahre in die ehemalige Sowjetunion begeben, ist Menschen begegnet, die über ihre Sklavenzeit im Deutschen Reich bis 1945 erzählten. In Baracken wohnten sie, wie Untermenschen behandelte man sie, als minderwertig wurden sie bezeichnet. In der Rüstungsindustrie, in der Landwirtschaft, in Handwerksbetrieben, auch in privaten Haushalten zwang man sie zur Schwerstarbeit. Sie alle forderten Ostarbeiter an. Die meisten von ihnen kamen aus Polen, der Ukraine, aus Belarus und der Sowjetunion. Zwangsarbeit zur physischen Vernichtung!

Der junge Filmemacher Max Kern hingegen hat zu den Aushebungen der Rumäniendeutschen 1945 einen 35minütigen Kurzfilm „Jenseits des Waldes“ gedreht. Ein großartiges Drehbuch, ein großartiger informativer Film wurde daraus. Der Film war sein Vordiplom-Projekt.

Die Vita von dem dreiunddreißigjährigen Max Kern ist enorm. In Dornbirn in Österreich studiert er Interdisziplinäre Medien, weiter geht es für ein Semester nach Edinburgh in Schottland. Als freier Kameramann und Editor arbeitet er und als Regieassistent in Österreich und Deutschland. Mehrere Kurzfilme und Dokumentationen entstehen unter seiner Regie während des Studiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin, die zum Teil bei Filmwettbewerben zu sehen waren, z.B. Hofer Filmtage. Seit 2020 ist Max Kern Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes.

Max Kern wird 1992 in Saarbrücken geboren. Die Wurzeln seiner Familie liegen in Siebenbürgen, doch über dieses schlimme Thema wurde in der Familie geschwiegen. Der Großvater Karl Weindel war ein Siebenbürger Sachse aus Hermannstadt und hat das Thema gemieden bis der Enkelsohn Max ihn im hohen Alter von 93 Jahren zum Erzählen bringt und so über das persönliche Schicksal des Großvaters im Januar 1945 erfährt. Dieses Erzählen wird Stoff für seinen Film.

Karl und sein Bruder Walle versteckten sich in einer Hütte in den verschneiten Karpaten und wollen der Deportation entgehen. Die Angst entdeckt zu werden nimmt täglich zu, das Zittern ist bis in den Zuschauerraum zu spüren. Sie stehen beide auf der Liste und sollen unten im Ort abgeholt werden. Doch sind sie nicht zu finden, verschwunden. Der Vater schickt ihnen einen Brief und bittet sie zurückzukommen. Das schlechte Gewissen und die Angst werden grösser und grösser. Mutter und Vater sollen mitgenommen werden, falls sie nicht zurückkommen. Ja, wir oder die Eltern? Der eine Bruder hält die Angst nicht mehr aus und stapft im tiefen Schnee bei Dunkelheit herunter in den Ort.

Ein Film, der geradezu unter die Haut geht. Kaum zu glauben, wie die psychische Spannung und die Angst in diesem kurzen, dreißigminütigen Film die damalige Situation dem Publikum vermittelt.