Die letzten Marionetten der Mullahs?

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Vorbereitungen für den Angriff der israelischen Luftwaffe im Jemen, Foto: IDF Sprecher

Immer wieder greifen die Houthis Israel mit Raketen oder Drohnen an. Nun intensiviert das israelische Militär seine Gegenschläge im Jemen – angesichts der Entfernung eine enorme Herausforderung. Auch gibt es Diskussionen darüber, wie sich die jemenitischen Rebellen am besten bekämpfen lassen.

Von Ralf Balke

Die ganz frühen Morgenstunden scheinen ihre Zeit zu sein. Denn zumeist in der Nacht feuern die Houthis aus dem Jemen Raketen auf Israel und sorgen so dafür, dass in großen Teilen des Landes Luftalarm ausgelöst wird, oft auch in Tel Aviv. Oder sie schicken ihre Drohnen mit tödlicher Fracht auf die lange Reise, manchmal mit Umwegen über Ägypten, um dann entlang der Mittelmeerküste sich den urbanen Zentren zu nähern. Nicht immer gelingt es der israelischen Luftabwehr, die Geschosse oder unbemannten Flugzeuge rechtzeitig zu entdecken und unschädlich zu machen, und selbst wenn sie vom Himmel geholt werden, können die herabfallenden Teile noch viel Unheil anrichten und Menschen treffen. Laut israelischen Militärangaben haben die Houthis mittlerweile rund 400 Raketen und Drohnen auf Israel abgefeuert.

Dabei liegt der Jemen über 2.000 Kilometer von Tel Aviv entfernt und das Land ist eigentlich in keiner Weise von dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern betroffen – trotzdem haben die Houthis, die sich selbst Ansar Allah – zu Deutsch: Helfer Allahs – nennen und eine vom Iran unterstützte schiitische Rebellengruppe sind, unmittelbar nach den Ereignissen vom 7. Oktober Partei für die Palästinenser ergriffen. Sie begannen mit sporadischen Attacken auf Israel, die sich in den vergangenen Wochen aber intensiviert hatten. All das überraschte sogar Experten. Zwar kontrollieren die Houthis große Teile des Jemens, doch das Land selbst hatten sie zuvor in einen langjährigen Bürgerkrieg mit Hunderttausenden von Toten gestürzt. Auch heute leiden die meisten Menschen vor Ort an Unterversorgung und Hunger. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind etwa 80 Prozent der Jemeniten abhängig von internationalen Hilfslieferungen – und trotzdem nutzen die Houthis alle ihre vorhandenen Ressourcen, um den Schiffsverkehr im Roten Meer zu stören und Israel anzugreifen.

Für Israel ist die Distanz zum Jemen auf jeden Fall eine Herausforderung, wenn es um Vergeltungsschläge oder die Bekämpfung der Houthis geht. Bis dato reagierte man mit vier Luftangriffen auf die Infrastruktur der Houthis, zuletzt am Donnerstag, als israelische Kampfflugzeuge den Airport in der Hauptstadt Sana’a ins Visier nahmen sowie Kraftwerke und Hafenanlagen in Hudayah, Salif und Ras Kanatib bombardierten. UN-Generalsekretär António Guterres kritisierte umgehend das jüngste Vorgehen der Israelis und sprach von einer drohenden Eskalation: „Die heutigen israelischen Luftangriffe auf den internationalen Flughafen von Sana’a, die Häfen am Roten Meer und Kraftwerke im Jemen sind besonders alarmierend.“ Es war das erste Mal, das sich António Guterres zu dem Konflikt äußerte, zu den Raketen und Drohnen, die die Houthis zu Hunderten auf Israel abgefeuert hatten, gibt es bemerkenswerterweise keine Stellungnahmen des UN-Generalsekretärs.

Mit seinen Luftangriffen hofft Jerusalem ebenfalls die Lieferung von Waffen aus dem Iran zu erschweren. Damit wird zugleich der Kern des Konflikts angesprochen: Die Houthis gelten als Marionetten der Mullahs im Kampf gegen Israel, alle Raketen und Drohnen, die aus dem Jemen Richtung Israel abgefeuert werden, stammen aus dem Iran. Und nachdem Israel die Hamas weitestgehend ausgeschaltet hatte, die Hisbollah massiv schwächen konnte und auch das Regime von Baschar al-Assad in Syrien zusammengebrochen ist, stehen die Houthis im Ruf – neben einigen schiitischen Gruppierungen im Irak – die letzten Proxies zu sein, die Teheran noch aufzubieten vermag. Aber auch Russland scheint die Houthis zu unterstützen – zumindest indirekt. So meldete das „Wall Street Journal“ im Oktober, dass die iranischne Revolutionsgarden russische Satellitendaten über Schiffsbewegungen im Roten Meer an die schiitischen Rebellen weiterleiten würden.

Vor diesem Hintergrund gibt es in Israel unterschiedliche Meinungen, wie man gegen die Bedrohung aus dem Jemen weiter vorgehen sollte. So erklärte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Donnerstagabend, dass sein Land „Ziele der Houthi-Terrororganisation angegriffen“ habe, was er zugleich als Teil eines „Erlösungskampfes“ bezeichnete. „Wir sind fest entschlossen, diesen terroristischen Arm der iranischen Achse des Bösen vollständig unschädlich zu machen. Wir werden nicht locker lassen, bis wir unser Ziel erreicht haben.“ Und Verteidigungsminister Israel Katz ergänzte, dass man „alle Houthi-Führer zur Strecke bringen“ werde, und zwar so, wie es bei der Hamas und der Hisbollah der Fall war. Kurzum, nach bewährtem Muster würde Israel alles unternehmen, die Führung der Houthis auszuschalten und ihren Strukturen eine empfindliche Niederlage zu bereiten. Die Frage ist nur, ob man es auch kann. Wie in den vergangenen Wochen bekannt wurde, gab es gerade im Kontext der Bekämpfung der Hisbollah eine über zehn Jahre andauernde und intensive nachrichtendienstliche Beschäftigung mit der Schiitenmiliz, weshalb man genau wusste, wer aus der Führungsriege sich wann und wo aufhielt und entsprechend agieren konnte. Ob es ein ähnliches Vorgehen ebenfalls im Kontext der Houthis gab, die rein geografisch schon 2.000 Kilometer weit entfernt sind und für Israel lange Zeit keine richtige Bedrohung darstellten, darf bezweifelt werden.

Mossad-Chef David Barnea vertritt vielleicht auch deshalb einen anderen Ansatz. „Wir müssen frontal gegen den Iran vorgehen“, soll er laut dem TV-Kanal 13 gegenüber Sicherheitsbeamten gesagt haben. „Wenn wir ausschließlich die Houthis angreifen, ist es keinesfalls sicher, dass wir in der Lage sein werden, sie zu stoppen.“ Benjamin Netanyahu scheint, so heißt es in einigen israelischen Medienberichten, David Barneas Einschätzung nicht zu teilen. Der Ministerpräsident habe erklärt, dass der Iran „ein anderes Thema ist, mit dem wir uns zu gegebener Zeit befassen werden“. Dabei gibt es laut der Tageszeitung „Yediot Aharonot“ in israelischen Sicherheitskreisen durchaus Bedenken gegen den Ansatz, dass gezielte Schläge gegen die Houthis-Führung zu einem Ende des Beschusses Israels mit Raketen und Drohnen aus dem Jemen führen würden.

Die Houthis lassen sich von all dem jedenfalls kaum beeindrucken und geben sich weiterhin selbstbewusst. So erklärte am Freitag Mohammed al Bukhaiti, ein hochrangiges Mitglied ihres Politbüros, in der BBC-Sendung „Newshour“, dass man nun wohl „auf eine direkte Konfrontation“ mit den USA, dem Vereinigten Königreich und Israel zusteuern würde, nachdem man jahrzehntelang im jemenitischen Bürgerkrieg nur gegen deren „Handlanger“ gekämpft habe, womit wohl Saudi-Arabien gemeint ist, das eine Koalition zugunsten der alten Regierung im Jemen im Kampf gegen die Houthis angeführt hatte. „Wir haben genug Kapazitäten, und zwar militärisch, wirtschaftlich und sogar was die Unterstützung der Bevölkerung angeht, um in diesem Kampf bestehen zu können, auch wenn wir auf uns allein gestellt sind.“

In Israel sehen daher einige Experten die Strategie der Regierung als problematisch. „Ironischerweise findet Israel keinen Weg, die Houthis wirklich abzuschrecken, obwohl Israel ihnen immensen Schaden zufügen kann“, schreibt beispielsweise Amos Harel in „Haaretz“. „Die Rebellen im Jemen, die mit der alten Regierung, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten bereits fertig wurden, lassen sich so nicht beeindrucken. Es ist schwierig, damit zu drohen, ein Regime in die Steinzeit zurückzuschicken, das sich mit Ausnahme seiner Waffentechnologien mehr oder weniger bereits dort befindet.“

Überhaupt sei das mit der Wahrnehmung der Houthis als Marionetten der Mullahs so eine Sache, heißt es immer wieder in Analysen. Zwar stammt die militärische Hardware in der Tat zum allergrößten Teil aus dem Iran, aber die Führungsriege der Houthis betreibe eine eigenständige Politik und agiere nicht auf Befehl Teheran. Sehr wohl aber gebe es zahlreiche Interessenkonvergenzen, weshalb man die Houthis vielmehr als „Terror-Franchisenehmer“ verstehen muss und nicht als ein dem Iran untergeordneten Akteur.

Die Houthis kontrollieren ungefähr 40 Prozent des Jemens, einem Land mit 37 Millionen Einwohnern, das rund zweieinhalbmal so groß ist wie Großbritannien und rund 2.000 Kilometer entfernt von Israel liegt – eine islamistische Sekte wie die Houthis es nun einmal sind, in Gänze auszuschalten, wird da schwierig, erst recht im Alleingang. Zugleich könnte darin auch ein Teil der Lösung liegen. Denn die Houthis haben sich aufgrund ihrer vielen Attacken auf Handelsschiffe zu einer ganz realen Gefahr für den Welthandel entwickelt, weshalb auch die Vereinigten Staaten und Großbritannien bereits mehrfach die Infrastruktur der Houthis angegriffen haben. „Aber das hatte keinen großen Einfluss auf ihre Fähigkeiten oder die Absichten dieser Gruppe, Raketen auf Israel abzuschießen“, so Alon Pinkas, ebenfalls in der Tageszeitung „Haaretz“. „All das erfordert eine gemeinsame, internationale Zusammenarbeit – so wie es auch im Fall des Umgangs mit dem Iran sein sollte. Und das ist es, woran Israel sich beteiligen muss, statt immer wieder laut darüber nachzudenken, wen es wann und wo angreifen sollte.“