Die Vereinigten Staaten haben sich entschieden. Der neue Präsident wird ein alter Bekannter sein. Doch ob Donald Trump, wie manche glauben, für Israel wirklich die bessere Wahl sein wird, darf bezweifelt werden.
Von Ralf Balke
Einer wollte unbedingt der erste sein, und das war Benjamin Netanyahu. Noch war nichts offiziell, allenfalls der Trend absehbar, da hatte der israelische Ministerpräsident auch schon Donald Trump zum Wahlsieg beglückwünscht. „Gratulationen zum größten Comeback der Geschichte“, schrieb er auf X, vormals Twitter. „Ihre historische Rückkehr ins Weiße Haus bedeutet einen Neuanfang für Amerika und ein starkes Bekenntnis zum großen Bündnis zwischen Israel und Amerika. Dies ist ein großer Sieg!“ Noch am Mittwoch führten beide ein 20-minütiges Telefongespräch, das das Büro des Premierministers als „warm und herzlich“ bezeichnete. Warm und herzlich waren die Beziehungen, so jedenfalls in der Lesart der israelischen Regierung, in den Jahren der ersten Präsidentschaft von Donald Trump. Dafür sorgten die offizielle Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, der Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran, die Aussetzung der amerikanischen Unterstützungen für das sogenannte Palästinenserhilfswerk UNRWA sowie die Anerkennung der israelischen Souveränität über den Golan und das Abraham-Abkommen, das mithilfe Washingtons zustande kam – allesamt Schritte, die Jerusalem gewiss begrüßen konnte, bei genauerer Betrachtung die Vereinigten Staaten aber wenig kosteten und keinerlei amerikanische Ressourcen strapazierten.
Dann zogen aber erste Wolken auf in dieser Männerfreundschaft. Donald Trump reagierte verschnupft, weil Benjamin Netanyahu das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen von 2020 anerkannt hatte und damit Joe Biden als Sieger. Der Verlierer von 2020 revanchierte sich in der Form, dass er den israelischen Premierminister mehrfach als Hindernis für den Frieden mit den Palästinensern bezeichnete. Doch im Sommer kam es zu einer erneuten Annäherung. Donald Trump empfing im Juli Sara und Benjamin Netanyahu während ihres Aufenthalts in den Vereinigten Staaten in seinem privaten Anwesen Mar-a-Lago, mehrfach telefonierte man auch wieder. Nicht nur bei dieser Gelegenheit forderte er die Israelis auf, den Krieg im Gazastreifen möglichst schnell ein Ende zu bereiten. Auch in seiner Siegesrede am Dienstagabend wiederholte Trump diese Haltung und betonte: „Ich werde keine Kriege beginnen, ich werde Kriege beenden“.
Genau das aber dürfte Benjamin Netanyahu wenig gefallen. Zwar gab es mit der Regierung unter US-Präsident Joe Biden zahlreiche Differenzen aufgrund der Kriegsführung im Gazastreifen. Mehrfach war die US-Administration über das Vorgehen Israels verstimmt, weshalb Washington einige Male die Lieferung von Munition und anderer militärischer Ausrüstung ausgesetzt haben soll. Doch im Ernstfall sollte immer Verlass auf den Verbündeten sein. Unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 hatten die Vereinigten Staaten Flugzeugträger in die Region entsandt, um so dem Iran und der Hisbollah zu signalisieren, dass sie in dem Konflikt besser Zurückhaltung üben sollten. Und auch bei den iranischen Angriffen im April und im Oktober stand Washington fest an der Seite Israels und hatte einen großen Anteil daran, dass Raketen, Marschflugkörper und Drohnen rechtzeitig abgeschossen werden konnten. Dennoch setzte die Regierung in Jerusalem auf eine Wiederwahl von Donald Trump – wohl in der Hoffnung, dass es von ihm weniger Kritik an dem Vorgehen im Gazastreifen oder dem Libanon geben könnte und man deutlich mehr Spielraum erhält. Ganz offen hatten das einige der Kabinettsmitglieder – sehr zur Verärgerung des noch amtierenden Präsidenten Joe Biden – kommuniziert, beispielsweise Diasporaminister Amichai Chikli, der im April noch erklärt hatte, dass, wenn er amerikanischer Staatsbürger wäre, definitiv für Donald Trump stimmen würde. Und der rechtsextreme Minister Itamar Ben Gvir frohlockte nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses in der Knesset: „Dies ist die Zeit der nationalen Selbstbestimmung, dies ist die Zeit des totalen Sieges.“ Offensichtlich glaubt er, dass man nun problemlos das Westjordanland annektieren könnte – ein Schritt, den selbst ein Donald Trump nie akzeptiert hätte und den er in seiner ersten Amtszeit auch nicht befürchtet hatte.
Ob das Bündnis zwischen Israel und den Vereinigten Staaten unter Donald Trump ebenso funktionieren wird wie mit der jetzigen Administration ist alles andere als sicher. Denn der alte-neue Präsident war in seiner ersten Amtszeit auf geradezu notorische Art und Weise unberechenbar und scheute stets das Risiko. Benjamin Netanyahu dagegen setzt darauf, dass er mit Rückendeckung aus den USA seine Politik ungehinderter als vorher fortsetzen kann. Auch das könnte einer der Gründe sein, warum der Ministerpräsident gerade jetzt zu Beginn der Wahlen in den Vereinigten Staaten Verteidigungsminister Yoav Gallant feuerte und durch Israel Katz, einen loyalen Netanyahu-Gefolgsmann, der aber über so gut wie keine militärische Expertise verfügt, ersetzte. Dies war ein Schritt, vor dem Washington unter der noch amtierenden Administration, die einen hervorragenden Draht zu Yoav Gallant hatte, mehrfach gewarnt hatte. Nun hat man es einfach gemacht. Und dass Donald Trump diesen Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums mitten im Krieg als problematisch sieht, ist unwahrscheinlich. Er hatte Yoav Gallant in der Vergangenheit einen „Idioten“ genannt.
„Wenn beide Kriege [im Gazastreifen und im Libanon] weiterhin andauern und auch die unmittelbare Bedrohung durch den Iran fortbesteht, dann würde ich davon ausgehen, dass Donald Trump Netanyahu viel Spielraum einräumt, diesen Konflikt auf Grundlage seines Zeitplans und seiner Prioritäten auf unbestimmte Zeit fortzusetzen“, lautet dazu die Einschätzung von Khaled Elgindy, einem Analysten am Middle East Institute, einem Thinktank in Washington. Anders dagegen dürfte es aussehen, wenn die Gefahr realistischer werden sollte, dass die Vereinigten Staaten in eine offene Auseinandersetzung mit Teheran hineingezogen werden könnten. Donald Trump hat erklärt, dass er nicht bereit sei, kostspielige Kriege irgendwo in der Welt zugunsten anderer mitzutragen. „Wird er dann ein Machtwort sprechen?“, fragt Elgindy, der glaubt, dass die einzige Möglichkeit, die Spannungen mit dem Iran vorläufig zu glätten darin besteht, die Kämpfe im Gazastreifen und im Libanon irgendwie mit einer Waffenruhe zu beenden. „Wird er sagen, genug ist genug?“ Genau diese Frage ist derzeit schwer zu beantworten. Doch manche in der Regierung von Benjamin Netanyahu glauben nun, eine Carte Blanche in der Hand zu haben und ihre Politik ungehinderter in die Realität umsetzen zu können. Das könnte sich als Fehleinschätzung erweisen. So hatte der künftige US-Vizepräsident JD Vance vergangene Woche erklärt, dass sich amerikanische und israelische Interessen nicht immer überlappen würden und „unser Interesse ist es sehr, keinen Krieg mit dem Iran zu haben“.
Andererseits haben sich einige Parameter in den vergangenen drei Monaten verschoben. Sollte Donald Trump in der Tat Druck ausüben, den Krieg mit der Hamas und der Hisbollah zu beenden, dann würde das zu einem Zeitpunkt geschehen, an dem Israel viele seiner militärischen Ziele erreicht hat. Als Organisation ist die Hamas geschlagen und die Hisbollah massiv geschwächt und quasi kopflos. Auch dürften Benjamin Netanyahu und Donald Trump in der Frage, wie es im Gazastreifen nach einer Waffenruhe weitergehen könnte, eher einer Meinung sein. Wäre Kamala Harris als Siegerin aus dem Rennen hervorgegangen, hätte sie im Rahmen eines Wiederaufbaus darauf bestanden, die Palästinensische Autonomiebehörde einzubinden und eine palästinensische Eigenstaatlichkeit als Zielvorgabe zu nennen. Genau das ist ein No-go für die aktuelle Regierung in Jerusalem, interessiert einen Präsidenten Donald Trump aber deutlich weniger. Und es gibt noch einen Punkt, der für Benjamin Netanyahu von Relevanz ist: Anders als von der Biden-Administration wird er von einem künftigen US-Präsidenten Donald Trump kein kritisches Wort über den geplanten Umbau des Justizwesens und die Entmachtung des Obersten Gerichtshofs hören – solche Maßnahmen sind ohnehin ganz nach seinem Geschmack.
Offen ist zurzeit ebenfalls, welche Personen Donald Trump in sein Team bestellt, das ihn in außenpolitischen Fragen berät. Für Israel könnte es von entscheidender Bedeutung sein, mit diesen Beratern und Entscheidern schnellstmöglich in Kontakt zu treten, betonen mehrere Analysten des Institute for National Security Studies an der Universität Tel Aviv. „Denn in den ersten Tagen nach der Amtseinführung wird man sich auf den Aufbau und die Festlegung seiner politischen Prioritäten konzentrieren.“ Aktuell sähe es so aus, als ob es einen Kampf zwischen zwei konkurrierenden Flügeln innerhalb der republikanischen Partei über die Ausrichtung der Außenpolitik geben würde, und zwar auf der einen Seite diejenigen, die für eine Unterstützung von Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus sowie dessen Unterstützer ist. Auf der anderen Seite ist eine wieder erstarkende isolationistische Fraktion zu beobachten, die so gut wie jedes militärische oder finanzielle Engagement im Ausland als Verschwendung von Ressourcen betrachtet, die besser im eigenen Land ausgegeben werden sollten. Welche Gruppe nun in der Außenpolitik mehr Gewicht erhält, ist aktuell unklar, für Israel aber von existentieller Relevanz.
Aber noch dauert es rund zweieinhalb Monate bis zur Übergabe der Amtsgeschäfte in Washington an den neuen Präsidenten. In dieser Zeit kann noch einiges geschehen. So hat Washington am Donnerstag beschlossen, eine Staffel amerikanischer F-15 Kampfflugzeuge nach Israel zu verlegen, um den Iran davon zu überzeugen, von einem weiteren Angriff auf das Land besser abzusehen. Ob ein Präsident Donald Trump solche Maßnahmen im Ernstfall befehlen würde, darauf sollte man in Jerusalem vielleicht besser nicht wetten.