Anlässlich der Debatte zum interfraktionellen Antrag von SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland erklärt Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des Bundesverbands RIAS:
„Ich begrüße den wichtigen und längst überfälligen interfraktionellen Antrag des Deutschen Bundestages in weiten Teilen. Er ist ein Zeichen der politischen Geschlossenheit gegen Antisemitismus. Der Antrag ist angesichts des alarmierenden Anstiegs antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober 2023 dringend notwendig. Wie auch Vertreter_innen jüdischer Organisationen stelle ich mir die Frage, was nun daraus folgt.
Die Aufforderung des Bundestages an die Bundesregierung sowie an Länder und Kommunen, die IHRA-Antisemitismusdefinition maßgeblich heranzuziehen befürworte ich. Diese ist ein praxisbewährtes Instrument, um antisemitische Narrative und Vorfälle zu erkennen und einzuordnen. Sie ist geeignet, um unter anderem israelbezogenem Antisemitismus im Sinne der aktuellen Forschung sowie unter Berücksichtigung des Kontexts zu erkennen. Auch der Bundesverband RIAS und die RIAS-Meldestellen dokumentieren auf ihrer Grundlage antisemitische Vorfälle. Die IHRA-Antisemitismusdefinition ist zudem unverzichtbar für die Sensibilisierung von Strafverfolgungsbehörden und Zivilgesellschaft im Umgang mit Antisemitismus. Für politische Entscheidungsträger_innen innerhalb der EU ist sie die maßgebliche Orientierung zur Entwicklung von Strategien zur Bekämpfung von Antisemitismus.
Die aufgeheizte Diskussion um die IHRA-Antisemitismusdefinition und deren starke Ablehnung sind daher irritierend. An ihrer Entwicklung waren Organisationen der jüdischen Zivilgesellschaft sowie demokratisch legitimierte Regierungsvertreter_innen beteiligt. Zahlreiche Staaten haben sie angenommen. Sie ist ein Kompromiss, der aus einem jahrelangen, in Teilen öffentlich und so breit wie kontrovers diskutierten Erarbeitungsprozess entstanden ist.
Die Debatte um die IHRA-Antisemitismusdefinition findet zunehmend losgelöst von ihren eigentlichen Inhalten statt. Wer die Bundestagsresolution zum Schutz jüdischen Lebens aufgrund dieser Debatte ablehnt, muss sich fragen lassen: Welchen Stellenwert haben die Positionen organisierter jüdischer Communities im Kampf gegen Antisemitismus für Sie? Die Debatte droht, die Isolation zu vertiefen, die Jüdinnen_Juden seit dem 7. Oktober zunehmend erleben. In der Konsequenz drängt sich das beklemmende Gefühl auf, dass Jüdinnen_Juden bei der Bekämpfung von Antisemitismus allein dastehen.“