Das Netzwerk Schule ohne Rassismus ist ein Erfolgsmodell. Mehr als 4400 Schulen bekennen sich bundesweit zu den Grundlagen dieses Konzeptes. Kürzlich erschien ein neues Themenheft zu „Rechtsextremismus & Schule“. In ihrer Einleitung, welche wir nachfolgend veröffentlichen, verweisen Sanem Kleff und Eberhard Seidel darauf, dass zwar unermesslich viel wissenschaftliche Literatur zum Thema existiert, dass dieses Wissen jedoch in Schulen kaum präsent ist und demgemäß auch keine Wirkung entfalten kann. Rassismus, der auch in Schulen regelmäßig auftritt und SchülerInnen sehr konkret bedroht und herabsetzt, sei keine „Meinung“, sondern eine Grundrechtsverletzung, die niemals hingenommen werden dürfe: „Wir sind überparteilich, aber nicht wertneutral, denn unsere Haltung basiert auf Artikel 1 des Grundgesetzes: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar’“, heben sie deshalb hervor. (rk)
Das Themenheft „Rechtsextremismus und Schule“ kann bei der Initiative erworben werden:
https://www.schule-ohne-rassismus.org/produkt/themenheft-rechtsextremismus-schule/
Kostenloser Download (pdf):
https://www.schule-ohne-rassismus.org/wp-content/uploads/Themenheft-Rechtsextremismus-und-Schule.pdf
Das Feld Rechtsextremismus & Schule neu vermessen
In Zeiten, in denen die extreme Rechte Familien mit Einwanderungsgeschichte gern des Landes verweisen und Demokratieerziehung an Schulen abschaffen würde, ist das Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit so wichtig wie nie zuvor. Dieses Themenheft nimmt aktuelle Entwicklungen in den Blick und bietet Schulen Unterstützung.
Zum Thema Rechtsextremismus gibt es ganze Bibliotheken; eine Reihe von Instituten, Unis, Trägern und Projekten beschäftigen sich mit nichts anderem. Ihre Materialien behandeln wichtige Dimensionen des Rechtsextremismus – historisch, philosophisch, soziologisch. Doch in Schulen sind sie kaum präsent und entwickeln dort folglich kaum Wirkung. Und sie greifen die Probleme der Schulen in Zusammenhang mit Rechtsextremismus nur unzureichend auf.
Während wir an diesem Themenheft arbeiten, demonstrieren in Deutschland Millionen Kinder, Jugendliche und Erwachsene gegen rechtsextreme Parteien. Sie bekennen sich zu einer offenen Gesellschaft. Trotz dieser erfreulichen Entwicklung fehlt es an Materialien, die die Aktiven an Schulen unterstützen, bei Rechtsextremismus und -populismus nicht wegzuschauen. Das tun diese noch zu häufig, weil sie fürchten, das Thema nicht in den Griff zu bekommen. Manche sind auch verunsichert, weil die extreme Rechte versucht, politische Bildung und Demokratieerziehung zu diskreditieren und aus Schulen zu verbannen, weil diese angeblich gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Dagegen wehrt sich das Courage-Netzwerk seit Jahren. Schon 2018 gaben 150 Teilnehmer*innen des Bundeskongresses, überwiegend Vertreter*innen der Bundes- und der Landes- und Regionalkoordinationen, eine gemeinsame Erklärung ab, in der es heißt: „Wir sind überparteilich, aber nicht wertneutral, denn unsere Haltung basiert auf Artikel 1 des Grundgesetzes: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar.‘ Sie ist gegründet auf den allgemeinen Menschenrechten und den Schulgesetzen der Bundesländer. Dem Beutelsbacher Konsens entsprechend setzen wir uns für eine humane Bildung und für eine diskriminierungsfreie Schulkultur ein, die sich aktiv gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit wendet. Wir stehen gegen ein ‚anythinggoes‘. Deshalb sagen wir: #wirsindnichtneutral.“
Es hat aber noch mehr Gründe, dass Rechtsextremismus unter Jugendlichen aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit und der politischen Bildung geriet. Von den 1980ern- bis in die 2010er-Jahre übten rechte Hooligans, Skinheads und neonazistische Kameradschaften eine starke Faszination auf diese aus. In manchen Regionen dominierten sie die jugendlichen Subkulturen sogar. Musiklabels und Modemarken versorgten Jugendliche mit Soundtracks, Codes und Symbolen. Die NPD und rechte Kameradschaften agitierten und verteilten CDs und Materialien auf und vor Schulhöfen. In diesen Jahren schlossen sich viele Courage-Schulen lokalen Bündnissen gegen Rechtsextremismus an. Aktivengruppen klärten über rechtsextreme Strukturen auf, organisierten Konzerte und Demonstrationen, und gaben in der Netzwerkzeitung q.rage Tipps, wie man sich den Rechten erfolgreich in den Weg stellt.
In den 2010er-Jahren gerieten dann andere Themen und Jugendbewegungen in den Fokus.
Spätestens mit dem Erstarken des Islamischen Staats in Syrien und dem Irak ab 2014 wurden Salafismus und Islamismus auch in Deutschland für viele Jugendliche mit einer Sehnsucht nach Führung und einer einfachen, klaren Weltsicht attraktiv. Weil das Thema Rechtsextremismus für die Bundeskoordination in einen breiten Ansatz der Bekämpfung von Ideologien der Ungleichwertigkeit eingebettet ist, haben wir früh auf diese Entwicklung hingewiesen und folgende Themenhefte, Handbücher und Bausteine veröffentlicht: Jugendkulturen zwischen Islam & Islamismus (2008), Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft (2012), Fatma ist emanzipiert, Michael ein Macho (2012), Handbuch Islam & Schule (2014), Antisemitismus und Migration (2016).
Zugleich hat die Bundeskoordination den Rechtspopulismus in der Mehrheitsgesellschaft, der sich ab 2013 mit der Gründung der AfD und Pegida und dem Erstarken der Identitären Bewegung formierte, im Blick behalten. Mit dieser Entwicklung beschäftigen sich die Publikationen Rechtspopulismus (2016), Antimuslimischer Populismus (2018), neuer deutscher extremismus* (2019) und Rassismus (2023).
Allerdings gab es bis Herbst 2023 die begründete Hoffnung, heutige Jugendliche seien resilienter gegenüber Rechtsextremismus und Rechtspopulismus als vorangegangene Generationen. Über Jahre hatten Analysen von – an Schulen stattfindenden – Juniorwahlen sowie das Wahlverhalten von Erstwähler*innen gezeigt, dass junge Menschen weniger anfällig für rechte Parteien und ihre Parolen sind als ältere. In der Geschichte Deutschlands, in der sich in den zurückliegenden 100 Jahren vor allem die junge Generation für rechtsextreme Bewegungen begeistert hatte, war das ein Novum. War die positive Entwicklung ein Ergebnis der Anstrengungen von Zivilgesellschaft, Schule und Jugendarbeit? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur: Geschichte verläuft nicht linear. Fortschritte müssen nicht von Dauer sein. Und bisweilen kommt es aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen zu Rückschlägen.
Heute gehen die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien mit einem deutlichen Rechtsruck in Deutschland wie in ganz Europa einher. Dieser hat, wie die Landtagswahlen in Bayern und Hessen im Oktober 2023 deutlich machten, auch die Jüngeren erfasst: In keiner Altersgruppe stieg der Anteil der AfD-Wähler*innen im Vergleich zu den vorigen Wahlen so stark wie unter den Erstwähler*innen. Zugleich geht in Zeiten, in denen die Europäische Union eine immer restriktivere Asylpolitik verfolgt, die Solidarität mit Geflüchteten aus dem Globalen Süden zurück; auch an Courage-Schulen, von denen sich viele 2015/16 noch an der Willkommenskultur beteiligt hatten. Und es kommt wieder verstärkt zu rechtsextremen Vorfällen an Schulen.
Was unterscheidet die Situation heute von der vor 20 Jahren? Kinder und Jugendliche wachsen in einem Umfeld auf, in dem Rechtspopulismus und -extremismus parlamentarisch verankert sind und rechtsextreme Diskurse tief in ihre Lebenswelten eindringen. Damit verbunden sind eine Banalisierung sowie Normalisierung des Rechtsextremismus. Es ist davon auszugehen, dass auch viele Vorbilder der Jugendlichen – Eltern, Lehrer*innen, Pfarrer*innen, Sozialarbeiter*innen, Trainer*innen – rechtspopulistische Positionen vertreten.
Für die Bundeskoordination ist dies Anlass genug, das Feld des Rechtsextremismus an Schulen neu zu vermessen und die aktuellen Entwicklungen in den Blick zu nehmen.
Sanem Kleff, Eberhard Seidel
Das Themenheft „Rechtsextremismus und Schule“ kann bei der Initiative erworben werden:
https://www.schule-ohne-rassismus.org/produkt/themenheft-rechtsextremismus-schule/
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