„Die Jüdische Fischerschule wurde im März 1946 durch eine Gruppe der Poale Zion (Arbeiter Zions) in Hamburg-Blankenese gegründet“, notierte Norbert Wollheim, Mitglied des Zentralkomitees der befreiten Juden in der britischen Besatzungszone in einem zeitgenössischen Report. Bis zu 80 Shoa-Überlebende aus Osteuropa sollten in dieser als Kibbuz organisierten Einrichtung für die Schifffahrt und die Fischerei tauglich gemacht werden.
Von Jim G. Tobias, after-the-shoah.org
Kurz nach der Niederschlagung des NS-Regimes entstanden auch in der britischen Besatzungszone Auffanglager für die befreiten Juden. Das größte dieser Displaced Persons Centers genannte Camp befand sich in unmittelbarer Nähe des ehemaligen KZ Bergen-Belsen. Auf diesem Kasernengelände waren Tausende von Shoa-Überlebenden untergebracht. Auch in Hamburg entstanden zwei solcher Unterkünfte: in der Warburg-Villa in Blankenese ein jüdisches Kinderheim und am Ufer der Elbe der Fischereikibbuz Serubavel, benannt nach dem Linkszionisten Jaakov Serubavel, einem Vertrauten von David Ben Gurion.
„Um produktive und nützliche Bürger eines freien Israels zu werden, bereiten sich die Kibbuz-Bewohner, mit schwerer Arbeit auf dem unruhigen Meer, auf ihre Emigration vor“, berichtete die jiddische Zeitung Undzer Sztyme, das Organ des Zentralkomitees. Ziel der Umschüler war es, sich später einem Kibbuz an der Mittelmeerküste in Erez Israel anzuschließen. Dazu wurden vier Fischerboote angemietet und einige deutsche Lehrer engagiert, die eine gründliche theoretische und praktische Ausbildung in allen Wissensgebieten der Navigation und der Fangtechnik garantierten. Die Finanzierung erfolgte durch die US-amerikanische Hilfsorganisation Joint und der Jewish Agency. Die Boote waren mit den Umschülern bis zu vier Tage auf der Elbe unterwegs. Da die kleinen Schiffe jedoch nicht hochseetüchtig waren, wurde nur im Mündungsgebiet des Flusses gefischt. Die Besatzung bestand offensichtlich ausschließlich aus Männern, die Frauen blieben an Land und kümmerten sich um die Ausbesserung der Fischernetze und arbeiteten in der Küche. Sämtliche Fänge, zirka 150 Kilogramm pro Woche, wurden an jüdische Einrichtungen in Hamburg verteilt, wie etwa an das Krankenhaus und das Kinder- oder Altersheim in der Stadt.
Der Fischerei-Kibbuz war im Elbkurhaus untergebracht, das von den zuständigen deutschen Behörden auf Anweisung der britischen Militärregierung den Kibbuzniks zur Verfügung gestellt wurde. Da das Gebäude durch Kriegseinwirkungen stark beschädigt war, mussten erst umfangreiche Renovierungsarbeiten durchgeführt werden, bis zunächst 70 Personen dort einquartiert werden konnten. Neben der berufskundlichen Ausbildung erhielten die Schüler auch hebräischen Sprachunterricht und wurden – so weit es ging – konkret auf die Bedürfnisse und Gegebenheiten an der Mittelmeerküste in Palästina vorbereitet.
Die Briten werteten diese Aktivitäten der Kibbuzniks als Vorbereitung für die illegale Auswanderung nach Erez Israel, die sie als damalige Mandatsmacht unter allen Umständen verhindern wollten. Insbesondere die nautische Ausbildung sah die Besatzungsmacht kritisch, da sie befürchtete, diese Kenntnisse würden bei den zahlreichen Versuchen mit Schiffen illegal an die Küsten von Palästina anzulanden, eingesetzt. Sie betrachteten daher die Fischereischule als Deckmantel für eine „Bande jüdischer Propagandisten, die eine wichtige Zwischenstation auf der jüdischen Untergrundroute nach Palästina bildete“, wie in einem Bericht des Daily Telegraph aus dem November 1946 nachzulesen ist.
„Am 6. November 1946 erschien bei der Jüdischen Fischerschule ein Offizier vom Military Government“, so berichtete Norbert Wollheim, und „eröffnete dem Leiter der Schule, dass aufgrund einer Armeeorder die Schule sofort geschlossen werden muss.“ Die Schüler sollten in das DP-Camp in Neustadt/Holstein übergesiedelt werden. Obwohl die Kibbuzniks und auch das Zentralkomitee gegen diese Maßnahme scharf protestierten, stürmte am 21. November die britische Militärpolizei das Gebäude. Doch ein Großteil der Bewohner hatte die Unterkunft bereits verlassen und im DP-Camp Bergen Belsen Unterschlupf gefunden. „19 Männer und sieben Frauen wurden wegen des Verdachts Juden nach Palästina zu schmuggeln festgenommen, mit „Gewalt auf englische Autos verladen und aus Blankenese fortgebracht“, so meldeten Daily Express und Undzer Sztyme. Doch die angehenden Fischer ließen sich nicht einschüchtern und stimmten „Freiheitslieder“ an. Die Räumung wurde hingegen mit einem „zufriedenen Lächeln der Deutschen in Blankenese begleitet, die mit Hilfe der Engländer die Juden nun losgeworden waren“, so die sarkastische Anmerkung des jiddischen Blattes. „Und die Engländer müssen keine Angst haben, dass von Blankenese ein Schiff mit illegalen Einwanderern nach Erez Israel abfährt.“
Mit der Eröffnung der Schifffahrtsschule in Neustadt/Holstein eröffnete im Spätherbst 1947 eine ähnliche Ausbildungsstätte – mit Erlaubnis der britischen Militärregierung.
Einige Mitglieder des Kibbuz Serubavel schlossen sich, nachdem sie endlich in Erez Israel angekommen waren, der Kollektivsiedlung En Gev am See Genezareth an und konnten dort ihre an der Elbe erlernten Kenntnisse im Fischfang sinnvoll einsetzen.