Ein persönlicher Bericht über die Tagung der deutsch—palästinensischen Gesellschaft (DPG) vom 14.- 16. Juni 2024 einschließlich Besprechung der Juni- Ausgabe des Palästina- Journals der DPG mit dem Schwerpunkt „Zerstörung von Gaza“ und Rundbriefen der Gesellschaft seit dem 7. Oktober 2023
Von Martin Klein
Vom 14. — 16. Juni 2024 habe ich an der Jahrestagung der Deutsch—Palästinensischen Gesellschaft in Höxter/Nordrhein Westfalen teilgenommen, weil ich es für ist sinnvoll halte, nicht immer nur im eigenen Saft zu schmoren, sondern sich auch mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen.
Der folgende Erlebnisbericht ist kein genaues Wortprotokoll der Veranstaltung; viele Aussagen, denen ich zustimmte, erwähne ich im Folgenden nicht unbedingt; außerdem habe ich nicht alle Vorträge gehört, wie zum Beispiel denjenigen über die Zerstörung des kulturellen Erbes in Gaza. Einige Tage vorher erhielt ich allerdings das aktuelle Palästina– Journal (1), in welchem der erste Teil eines Vortrags mit gleichlautendem Titel abgedruckt ist.
Da ich viele Aussagen in dieser Zeitschrift —ebenso wie in den Rundbriefen— für problematisch halte, wird deren Besprechung einen großen Teil dieses Textes einnehmen (s.u.).
Teilnehmer und Referenten
Die Tagung fand statt im koptischen Kloster in Höxter Brenkhausen. Referentinnen (mit der Endung „innen“ sind alle Geschlechter gemeint), teilweise per Zoom zugeschaltet, waren unter anderen Palästinenserinnen wie die Knesset-Abgeordnete Ayda Touma-Souleiman, sowie die aus Gaza stammende und nach Istanbul geflüchtete politische Analystin Reham Owda, aber auch Meron Mendel, Leiter der Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt, der Vorsitzende der DPG, Nazih Musharbash, und der Referent von medico-international Riad Othman, der im Wesentlichen über die rechtliche Situation auch mit Bezug auf die Klage Südafrikas gegen Israel referierte. Das Land hatte bekanntlich am 29. Dezember 2023 vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) ein Verfahren gegen Israel wegen angeblichen Verstoßes gegen die Genozid-Konvention eingereicht.
Nach meiner Schätzung nahmen etwa 80-100 Personen, überwiegend Deutsche im fortgeschrittenen Alter teil. Positiv anzumerken ist, dass kritische Fragen meinerseits zu den Vorträgen vom Vorsitzenden Nazih Musharbash zugelassen und auch im weiteren Verlauf nicht abgewürgt wurden. Auch hat mich niemand in ungebührlicher Weise bedrängt, beleidigt oder bedroht. Dass manchmal erregte Worte oder Unmutsäußerungen laut wurden, ist nicht der Rede wert. Ein Problem bei derartigen Vortragsveranstaltungen ist lediglich, dass man nach unbefriedigend empfundenen Antworten oft nicht mehr reagieren kann, aber das ist ebenfalls nichts Außergewöhnliches und auch bei anderen Veranstaltungen der Fall.
Das Publikum war mehrheitlich propalästinensisch eingestellt, was ich nicht anders erwartet hatte. Es gab einzelne Teilnehmer, die schlichtweg Vergewaltigungen und andere Gräueltaten am 7. Oktober verneinten oder behaupteten, es sei nicht bewiesen, dass diese stattgefunden hätten. Das ist natürlich nicht dem Veranstalter anzulasten, ebenso wie das Verhalten eines palästinensischen (oder anderweitig arabischen) Teilnehmers, der mir gegenüber mehr reden als zuhören wollte, und kontrafaktisch behauptete, Juden hätten in Arabien immer gut mit den Muslimen zusammengelebt, die „Nakba“ 1948 sei von langer Hand zionistischerseits geplant und vorbereitet worden und den Geiseln ginge es gut in Gaza.
In kleinen Gesprächsgruppen in Pausen konnte ich durchaus – manchmal in Ruhe, manchmal empörungsgesteuert und dann nicht sehr fruchtbar— mit vernünftigeren Menschen diskutieren. Eine Dame nannte mich – eher scherzhaft— „U- Boot“. Andere stimmten mir unter vier Augen in einzelnen Punkten— insbesondere sexuelle Verbrechen betreffend— zu. Der Sachverhalt ist auch schwerlich zu bestreiten, denn selbst die nicht gerade Israel- freundlichen Vereinten Nationen haben mitgeteilt, dass klare und überzeugende Informationen über schockierende Brutalität, einschließlich Vergewaltigung, sexualisierter Folter, grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung von gefangenen Geiseln vorlägen (2).
In einer Pause teilte mir die oben erwähnte Knesset-Abgeordnete, die über Diskriminierung von palästinensischen Israelis referierte, mit, dass sie prinzipiell die israelische Fluggesellschaft El Al wegen Schikanen bei der Einreise boykottiere: Ihrer Schilderung konnte ich allerdings nicht entnehmen, dass diese Grenzkontrollen im Vergleich zu anderen Reisenden übertrieben streng waren (ich selbst war fünf oder sechsmal in Israel). Sie berichtete über die häufig problematische Situation der palästinensischen Staatsbürger in Israel. Und ihr ist sicherlich in manchen Punkten zuzustimmen. Ihr wird allerdings auch klar sein, dass sie in Israel die staatliche Staatsbürgerschaft besitzt, was ihr in keinem arabischen Land außer Jordanien zugestanden würde. Soviel zum Thema Apartheid!
Sie erwähnte auch nicht, dass das Oberste Gericht in Israel 2011 unter Vorsitz eines arabischen Richters die Verurteilung eines ehemaligen Staatspräsidenten (Mosche Katzaw) zu sieben Jahren Gefängnis bestätigte. Solche Tatsachen – wie überhaupt Argumente zur Verteidigung Israels- stießen mehrheitlich auf Desinteresse oder heftigen Widerspruch – dies jedenfalls war mein Eindruck.
Der Bericht der nach Istanbul geflohenen Teilnehmerin Reham Owda war ergreifend. Zum Glück ist ihr nicht noch Schlimmeres widerfahren. Es ist ein großes Unglück aller Kriege, dass die Unschuldigen meist die Hauptlast tragen.
Besprechung der DPG- Veröffentlichungen
- Rundbriefe der DPG
Das Geschehen am 7. Oktober 2023 kam eindeutig zu kurz. Zwar wurde der Angriff der Hamas vom Vorsitzenden der DPG verurteilt; Stellungnahmen der DPG geben trotzdem Anlass zu Kritik, wie zum Beispiel der zweite und dritte Rundbrief vom 8. und 16. Oktober 2023 zeigen:
„Gewalt und Krieg führen nicht zum Frieden (Rundbrief 8.10.23)
Die neue militärische Auseinandersetzung zwischen Hamas und Israel wird in den meisten europäischen Medien unterschiedlich eingeschätzt. Während z.B. die deutschen Fernsehanstalten fast ausschließlich und gebetsmühlenartig von israelischen „Opfern“ und palästinensischen „Terroristen“ sprechen, bemühen sich etwa die BBC und SRG (Schweiz) um sachliche und objektive Berichterstattung. Auch wenn wir keine Partei für Hamas, radikalere Gruppierungen oder die Fatah ergreifen, da die DPG generell für das palästinensisches Volk, die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzung arbeitet, hindert uns das nicht daran festzustellen, dass für die neue Eskalation, auch wenn sie von Hamas angestoßen wurde, ursächlich Israel verantwortlich ist. Denn das brutale und zudem völkerrechtswidrige Vorgehen gegen die palästinensische Bevölkerung bereitete den Boden für die schlimme aktuelle Eskalation….“ (–> https://dpg-netz.de/wp-content/uploads/Rundbriefe/DPG-Rundbrief-Oktober-II-2023.pdf)
Hier werden eindeutig Opfer und Täter in einen Topf geworfen und so die Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober verniedlicht. Grotesk ist die Behauptung, die neue „Eskalation“ sei zwar von der Hamas „angestoßen“, aber ursächlich sei Israel dafür verantwortlich. Um es deutlich zu sagen: solche Argumentationen erinnern an die Verschwörungstheorien der Nazis aus den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.
In einem weiteren Rundbrief ist folgendes zu lesen:
„Stellungnahme der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft zur aktuellen Lage in Gaza – Israel (Rundbrief 16.10.23)
Die DPG e.V. verurteilt die verbrecherischen Gewalttaten der Hamas und anderer Organisationen genauso wie die Kollektivstrafen der israelischen Armee gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen auf das Schärfste. Die DPG e.V. lehnt jegliche kriegerische Handlung ab und setzt sich für Frieden und Sicherheit durch Verhandlungen ein. Die DPG e.V. blickt mit Trauer und Entsetzen auf die Kriegsverbrechen sowohl der Hamas wie auch der israelischen Streitkräfte. Sie ruft alle Verantwortlichen sowie die Weltgemeinschaft auf, jede kriegerische Handlung mit sofortiger Wirkung einzustellen und sich für eine friedliche und gerechte Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes auf der Basis des Völkerrechtes und der UN Beschlüsse einzusetzen.“
Auch diese Stellungnahme ist völlig unzureichend. Zwar wurde die Hamas (aus taktischen Gründen?) verurteilt, anschließend aber ihr sadistisches Pogrom, welches einen ungeheuren Zivilisationsbruch darstellt, mit angeblichen israelischen „Kollektivstrafen“ nivelliert bzw. verrechnet, um anschließend einen Waffenstillstand zu fordern. Ein solcher zu diesem Zeitpunkt —einige Tage nach dem 7.Oktober 2023 hätte natürlich den Traum des Hamas- Anführers in Gaza —Yahya Sinwar— wahr werden lassen, nämlich die Leerung israelischer Gefängnisse von palästinensischen Gefangenen und Reorganisation der Terroristen um —wie mehrfach angekündigt— weitere Abenteuer nach Vorbild des 7. Oktobers in Szene zu setzen.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: die Ursache der „Zerstörung von Gaza“ und damit das schreckliche Schicksal seiner Kinder und seiner (unschuldigen) Frauen und Männer war der Raketenüberfall auf Israel und das sadistische Pogrom der Hamas am 7. Oktober an Kindern, Frauen und Männern, Juden, Drusen, palästinensischen Arabern und Ausländern. „Unschuldig“ steht in Klammern, weil daran erinnert werden muss, dass 2006 die Hamas gewählt worden ist, die Tunnel sicherlich nicht nur von Soldaten gebaut, Geiseln öffentlich vorgeführt und von der Menge schikaniert und misshandelt wurden und palästinensische Arbeiter in Israel, die dort freundlich behandelt wurden und viel Geld verdienten, ihre Gastgeber ausspioniert und verraten haben.
Daran ändert auch die bekannte und völlig überflüssige „Vakuum-Einlassung“ des UN – Generalsekretärs António Guterres nichts, denn erstens passiert ohnehin nichts in einem Vakuum und zweitens findet jedes menschliche Erleben im geschichtlichen Ablauf statt, ist deswegen aber nicht unbedingt das Ergebnis einer bestimmten Ursache.
Fest steht, dass die Hamas in Gaza nicht zum ersten Mal in schrecklicher Weise gegen die Interessen auch ihrer eigenen Bevölkerung verstoßen hat. Ich möchte dies im Folgenden darlegen, weil ich es für einen eminent wichtigen Punkt halte: Nehmen wir einmal kontrafaktisch an, die „Finkelstein-Hypothese“, (3), dass Gaza ein Konzentrationslager sei, aus dem sich „Sklaven befreit hätten, sei richtig: Der Angriff am 7. Oktober sei deswegen notwehrmäßig gerechtfertigt; das militärisch überlegene „zionistische, kolonialistische, rassistische und genozidale israelische Apartheidregime“ hat — wie nicht anders zu erwarten—mit erwartbarer Brutalität zurückgeschlagen. (Narrativ 1).
Oder aber Israel führt einen gerechten Verteidigungskrieg und beantwortet die Gräueltaten an seinen Bürgerinnen berechtigterweise mit einem massiven Vergeltungsschlag (das denke ich), wobei leider — wie in jedem Krieg— viele Unschuldige, darunter auch Kinder, sterben müssen (Narrativ 2).
Aus beiden – obwohl gegensätzlichen— Annahmen folgt unbequemerweise, dass die Hamas in beiden Fällen für die Zerstörung Gazas mit all ihren fürchterlichen Folgen für völlig unschuldige Zivilisten, darunter viele Kinder, die conditio sine qua non war!
Nichts anderes hat Yahya Sinwar, der Hamas Anführer in Gaza, behauptet, als er Mitte Juni 2024 die toten palästinensischen Kinder, Frauen und Männer als notwendige Opfer bezeichnete (4); nichts anderes warf die ägyptische Journalistin Rasha Nabil in einem Interview dem früheren Hamas Anführer Khaled Mashal kurz nach dem 07: 10.23 vor; sie fügte noch hinzu, dass er seinen Kampf in Katar in einem klimatisierten Hotel sitzend führe und anderen den Dschihad predige (5).
Und sie war nicht die einzige Stimme aus dem arabischen Raum, denn andere Analysten baten, dass Allah die Hamas wegen ihrer sinnlosen Taten verfluchen möge (6).
Diese Menschen scheinen intelligenter zu sein und Folgen menschlichen Handelns besser beurteilen zu können als westliche „linke Intellektuelle“ wie Norman Finkelstein. Ich jedenfalls habe noch nichts davon gehört, dass Konzentrationslagerhäftlinge in Dachau oder Auschwitz in Massen ausgebrochen sind, um anschließend in naheliegenden Dörfern Kinder, Frauen oder Männer zu foltern, zu verstümmeln, zu vergewaltigen und zu töten. Die Insassen hatten auch nicht vorher Jahre- oder Jahrzehnte lang Terroranschläge gegen Nationalsozialisten verübt.
Zusammengefasst geht es der Hamas nicht um die Befreiung Palästinas, sondern um die Vernichtung der Juden. Denn diese handeln angeblich nazistisch [sic] auch gegen Frauen und Kinder, rauben den Lebensunterhalt, treten die Menschenwürde mit Füßen, haben den Völkerbund gegründet, um so die Welt zu beherrschen, stecken hinter der französischen und den kommunistischen Revolutionen sowie hinter dem ersten und dem zweiten Weltkrieg. Diese und viele andere Aussagen versuchen die Autoren der Hamas Charta 1988 mit den vom einstigen russischen Zarenregime erfundenen und in Umlauf gebrachten (geradezu lächerlichen) Protokollen der Weisen von Zion zu belegen (7).
- Das Palästina- Journal der DPG, Juni 2024
Weitere Beispiele für die moralisch meiner Ansicht nach problematische Auffassung der DPG möchte ich unter Hinzuziehung des Palästina-Journals mit Schwerpunkt Gaza, wie oben erwähnt, verdeutlichen, denn veröffentlichtes Schrifttum erfüllt naheliegenderweise diesen Zweck besser als mündliche Vorträge.
Die Zahlen in Klammern beziehen sich im Folgenden auf die jeweiligen Seiten des 30-seitigen Journals, die Quellenangabe: „1,S. 4“ bedeutet somit Palästina Journal, Seite 4.
Es beginnt mit Anschuldigungen in Überschriften oder Textstellen wie „1. Aggressionen gegen Kinder in Palästina/2. unter Gazas Kriegstoten 61% Zivilisten- bisher 13800 Kinder getötet /3. offizielle israelische Erklärungen, die zum Völkermord aufrufen/4. wahllose Angriffe auf 2,3 Millionen Einwohner im Rahmen einer totalen Kriegsführung“ / 5. sie haben das Gebiet abgeriegelt“ / (1,S.2-3)
Kommentar: 1. Die „Aggressionen gegen Kinder“ sind nicht absichtlich, sondern vielmehr unvermeidlich angesichts eines skrupellosen Feindes erfolgt, der sich hinter Kindern verbirgt, seine Bevölkerung schutzlos lässt, um selbst bewaffnet und verschanzt in einer unterirdischen – und leider auch vom Westen indirekt finanzierten Festung auszuharren, in der —voreiligen — Annahme, Israel könne es sich nicht leisten, zurückzuschlagen, sondern müsse im Austausch seine Gefängnisse leeren (8).
Würde man wirklich fordern, dass in einem Verteidigungskrieg der Verteidiger niemals unabsichtlich Kinder töten darf, so könnte jeder kriegslüsterne Tyrann Kampfpiloten mit einigen Kindern an Bord ein friedliches Land ungestraft mit dem Hinweis auf diese Kinder bombardieren lassen.
Absichtliche Aggression gegen Zivilisten war zum Beispiel der Feuersturm, den die Alliierten in Dresden erzeugt haben, damit möglichst viele Menschen sterben (9), sowie natürlich das Geschehen am 7. Oktober. Aber um es klar zu sagen: falls auch nur ein palästinensisches Kind direkt und absichtlich von einem israelischen Zivilisten oder Soldaten misshandelt oder getötet würde, müsste dieser unerbittlich verfolgt und bestraft werden.
- Während pseudoantiimperialistische Aktivisten sich abmühen, die Gräueltaten der Hamas zu verniedlichen, werden Zahlen über tote palästinensische Zivilisten aufgebauscht, wobei oft nicht erwähnt wird, dass diese keineswegs von einer unabhängigen Gesundheitsbehörde veröffentlicht, sondern erst durch den Hamas- Filter optimiert wurden. Trotzdem sind die angegebenen Zahlen getöteter Zivilisten – erst recht unter diesen beispiellos schwierigen Bedingungen für eine angreifende Armee – im Vergleich mit anderen kriegerischen Auseinandersetzungen deutlich niedriger (9 ).
Dass auf palästinensischer Seite manipuliert wird, zeigen unter vielen anderen Beispielen die Vorkommnisse um das Al-Ahli Krankenhaus am 17. Oktober 2023, als manche westliche Journalisten „angesehener“ Zeitungen glaubten, schnell die Zahl von 500 durch Israel umgebrachte Zivilisten ausrufen zu müssen, nur um dies einige Tage später, als der propagandistische Schaden angerichtet war, lauwarm zu widerrufen.
Denn selbst human rights watch, nicht gerade für besondere Israelfreundlichkeit bekannt, teilte mit, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine meist von palästinensischen bewaffneten Gruppen benutzte Rakete gehandelt hatte. Dazu passt, dass Hamas versprach, dass deren Überreste „bald der Welt gezeigt“ würden. Im anderen Falle hätte man wohl auch sofort die Toten präsentiert. Mehr als einen Monat nach der Explosion war im Übrigen die Präsentation der „Überreste“ noch nicht geschehen. Wir warten immer noch (10)! Mit der Angabe der 61% toten Zivilisten gibt es ein weiteres Problem – hier wird zwar eine Quelle genannt, was sonst nicht der Fall ist – nämlich die israelische Zeitung Haaretz. Viele Israel-Kritiker glauben nämlich, big points zu erzielen, wenn man eine jüdische Quelle vorweisen kann, um vermeintliche „jüdische“ Verbrechen zu entlarven.
Die Geschichte hat allerdings einen Schönheitsfehler: Haaretz, früher ein angesehenes Publikationsorgan, ist heute Liebling der „Antizionisten“ und wird von Kritikern zu Recht als Bestandteil der Lügenindustrie gegen Israel bezeichnet (11) 3. Es besteht kein Zweifel, dass offizielle israelische Erklärungen zwei Tage nach dem Massaker im Eifer des Gefechts missverständlich waren. Dies kann man kritisieren. Es hat aber nichts mit einem geplanten Völkermord zu tun, denn ein solcher wurde weder geplant noch ist er erfolgt. Eins ist aber klar: der israelische Verteidigungsminister hat die Hamas — nicht die gesamte palästinensische Bevölkerung— gemeint, als er sagte, dass man es mit menschlichen Tieren zu tun habe. Er sollte sich trotzdem entschuldigen— bei den Tieren!
- Der Begriff „totale“ Kriegsführung hat erkennbar den Sinn, den israelischen Verteidigungskrieg in Goebbels- Nähe zu verorten. Tatsächlich haben die Nationalsozialisten nach meiner Kenntnis weder einen Verteidigungskrieg geführt, noch vor Beginn ihrer Bombenangriffe mit Telefonanrufen oder Flugblättern die Bevölkerung gewarnt und in die von ihnen überfallenen Länder Nahrungsmittel geliefert. Stattdessen haben sie neben allen anderen Verbrechen 6 Millionen Juden, die ihnen nichts getan hatten, auf grausamste Weise umgebracht, was im Übrigen— gelinde gesagt—in den arabischen Staaten nicht unbedingt auf vernichtende Kritik gestoßen ist. Im Gegenteil hat Mohammed Amin al-Husseini, der seinerzeitige religiöse Führer der Palästinenser, als Gefolgsmann Hitlers die Nazis in ihrem Bestreben, alle Juden zu vernichten, tatkräftig unterstützt! Selbst SS – Mitglied, rekrutierte er Muslime für die Waffen-SS und machte seinen Einfluss auf die nationalsozialistischen Führer geltend, um die Rettung tausender jüdischer Kinder zu verhindern, deren Leben anschließend im Holocaust ausgelöscht wurde. Er wird heute noch von der palästinensischen Autonomiebehörde als großer Führer und Vorbild des palästinensischen Volkes verehrt (12).
- Israel konnte den Gazastreifen nicht abriegeln, denn Ägypten hat eine ca. 11 km lange Grenze mit Gaza. Ich möchte nicht auf die eigentlich spannende Frage eingehen, warum die Ägypter die Geflüchteten ihres arabischen Brudervolkes nicht vorübergehend bis zum Ende des Krieges aufgenommen haben; bzw. warum die Hamas nicht aus diesem Grunde auch Ägypten bekämpft; denn die Antwort liegt auf der Hand.
Weiteres Material aus dem Palästina-Journal: 1. Misshandlung und Folter von palästinensischen Gefangenen/2. 22 Patienten des Al-Shifa Krankenhauses in Ihren Betten erschossen/ 3. Liste möglicher Kriegsverbrechen wird länger“ 4. ethnische Säuberung 1948, (1,S.4-7).
Mein Kommentar: 1. Über Misshandlung und Folter palästinensischer Gefangenen haben auch der Spiegel am 7.6.24 und nbcnews berichtet (13): Es ist völlig klar, dass solche Vorgänge genauestens geprüft und im Falle des Nachweises Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden müssen! 2. Für die Behauptung, 22 Patienten im Al-Shifa-Krankenhaus seien in ihren Betten erschossen worden, fehlt—wie zumeist im Palästina Journal— jegliche Quellenangabe. Ich habe für diese Behauptung keinen Beleg gefunden. Klar ist jedoch, dass auch völkerrechtlich militärische Strukturen in einem Krankenhaus legitime Ziele sind; dies würde ebenso für eine Moschee gelten, in der Waffen gelagert werden. 3. Auf das Thema „Kriegsverbrechen, ethnische Säuberung“ usw. wurde schon eingegangen, s.o.
Zwischenbilanz: Bisher wurde das Pogrom vom 7. Oktober im Palästina-Journal mit keinem Wort erwähnt! Auf den Seiten 5-11 ist fünfmal die Rede vom Genozid mit Bezug auf Israel, aber auch von Völkerrechts- oder Menschenrechtsverbrechen; ganz am Schluss der Seite 11 werden zum ersten Mal etwas verschämt auch von Hamas begangene Völkerrechtsverletzungen erwähnt, wobei Verletzungen natürlich Lappalien im Vergleich zu Verbrechen sind. Eine Seite später ist auch endlich die Erwähnung des Massakers der Hamas vom 7.Oktober zu verzeichnen, allerdings ohne dass es ausdrücklich kritisiert oder verurteilt wird.
Mit den Begriffen Völkermord, Bombardierung von Krankenhäusern, ethnischer Säuberungen und Ausführungen von Zivilisten als Kriegswaffen geht es – man ist geneigt, zu sagen: erwartbar — weiter. Auch ist die Rede von „Feindseligkeiten“, die 1948 zur Gründung des Staates Israel und zur „ Nakba“ geführt hätten, nicht aber davon, dass einen Tag nach der Proklamation Israels (14.05.1948) das Land von den fünf arabischen Staaten (Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und dem Irak) mit der erklärten Absicht, den Judenstaat zu vernichten, völkerrechtswidrig überfallen wurde. Auf der Seite 13 des Palästina- Journals ist wiederum ohne jeden Beleg von einem Aushungern von Zivilisten als Kriegswaffe – eine Propaganda-Lüge—die Rede. Noch einmal: Würde Israel einen Völkermord begehen wollen, so könnte es diesen viel einfacher erzielen, müsste keine Bodentruppen einsetzen und könnte somit die eigenen Soldaten schonen.
Niemand hat sich wohl so sehr mit Kriegs-Völkerrecht beschäftigt wie der Moralphilosoph Michael Walzer (14). Er kritisiert durchaus Israel für politische, strategische und ethische Fehler! Aber er betont auch, dass die Opferzahlen in Gaza höher wären, wenn die Israelis absichtlich Zivilisten töten wollten (9).
Skurrile Äußerungen wie die einer „Historikerin“, die von einem „Vorwand“ des Hamas- Vernichtungsfeldzuges spricht und die viermal auf 2 Seiten nicht auf das Adjektiv „zionistisch“ als Beigabe zu „Israel“ zu verzichten in der Lage ist, sind ebenso eines Kommentars nicht wert, wie die Aussage, es sei naiv zu glauben, dass Israels Krieg in Gaza mit dem 7. Oktober, der Zerschlagung der Hamas, der Befreiung der Geiseln oder mit Selbstverteidigung zu tun habe (1,S. 20-24). Es fehlt bei dieser Posse noch die sensationelle Mitteilung, dass man in den persönlichen Papieren des israelischen Premierministers einen Hamas—Ausweis gefunden habe.
Voreilige Verurteilungen eines von Israel begangenen Genozids sind nicht nur falsch und voreilig, sondern auch antisemitisch. Wäre es das Ziel der Israelis gewesen wäre, Zivilisten zu töten, wären die Opferzahlen wie gesagt aus naheliegenden Gründen geschätzt um das Zehnfache höher. Es ist deswegen kaum damit zu rechnen, dass der Internationale Gerichtshof Israel wegen Genozids verurteilen wird! Allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass die Mitglieder dieses Gerichtshofes von der Generalversammlung der Vereinten Nationen gewählt werden. Und hier sollte man wissen, dass es 22 arabische Mitgliedsnationen gibt und —diese mitgezählt—, etwa 55 muslimische Staaten (die Zahl der Juden auf der Welt im Vergleich zu Muslimen lautet übrigens 1 zu etwa 100).
Schlussbemerkung:
Die einst hoffnungsvoll verhandelte Zwei- Staaten -Lösung, die nach meiner unmaßgeblichen Meinung eine vernünftige gewesen wäre, um den Konflikt zu beenden, ist nach meiner unmaßgeblichen Meinung am 7. Oktober 2023 auf nicht absehbare Zeit wohl pulverisiert worden. Das Leben geht aber weiter. Der erste Schritt müssen Verhandlungen zwischen wem auch immer auf palästinensischer und israelischer Seite – unter Ausschluss von Fanatikern – sein.
Harte, auf Fakten beruhende Kritik ist gefordert, aber sprachliche Abrüstung ist ebenfalls notwendig: wer wie Itamar Ben Gvir die Palästinenser aus dem Gazastreifen vertreiben will (Journal S. 22), hat sich meiner Ansicht nach selbst disqualifiziert. Auf der gleichen Seite ist zu lesen, dass er in der Tradition der 1994 verbotenen faschistischen Kach-Partei gestanden habe, weil diese Attentate gegen Palästinenserinnen plante.
Als ich dies las, kam mir gleich der Gedanke: Die Hamas hat keine Attentate nur geplant und ist nicht verboten. Sie wurde wie geschildert einst von der Mehrheit ihrer Bevölkerung in Gaza gewählt.
Vielleicht sollten auch die als eher gemäßigt geltenden palästinensischen Führer ihre Formulierungen anders wählen. Wer will schon mit einem Verhandlungspartner reden, der kindermordende Terroristen als Märtyrer, aber den Widersacher immer wieder als rassistisches, kolonialistisches und genozidales Apartheidregime tituliert. Zwar tun dies regelhaft auch sogenannte „linke“ Aktivisten im Westen — auf wirklich widerliche Art Norman Finkelstein— (3), aber deshalb muss dieses Vorgehen nicht richtig sein und ich bezweifle, dass es dem palästinensischen Volk in irgendeiner Weise zählbar nutzt.
Anmerkungen:
- Palästina Journal, Juni 2024, Ausgabe 21, Titel: Zerstörung von Gaza
- https://press.un.org/en/2024/sc15621.doc.htm, Zugriff 12.04.24
- “For the past 20 years the people of Gaza, half of whom are children, have been immured in a concentration camp. Today they breached the camp’s walls. If we honor John Brown’s armed resistance to slavery; if we honor the Jews who revolted in the Warsaw Ghetto—then moral consistency commands that we honor the heroic resistance in Gaza. I, for one, will never begrudge—on the contrary, it warms every fiber of my soul—the scenes of Gaza’s smiling children as their arrogant Jewish supremacist oppressors have, finally, been humbled” The stars above in heaven are looking kindly down. Glory, glory, hallelujah. The souls of Gaza go marching on!. https://www.normanfinkelstein.com/john-browns-body-in-gaza/
- Hamas’s Sinwar said to laud high civilian death toll in Gaza as ‘necessary sacrifice’ Times of Israel 11.06.24, Zugriff 11.06.24
- Rasha Nabil interviews former Hamas chief Khaled Mashal on Al Arabiyawww.youtube.com/watch?v=OYsy3O0wLU0.
- London-Based Iraqi Shi’ite Scholar Sheikh Amir Al-Quraishi Criticizes The Palestinians For Their Reaction To Hamas’s Attack On Israel: Only Idiots Would Be Happy Without Realizing That They Themselves Will Pay The Price 16.10.23 (www.memri.org/tv/london-based-iraqi-shiite-sheikh-amir-al-quraishi-palestinians-paying-price-sunnis-iraq-gulf-like, Zugriff 22.11.23) www.memri.org/reports/palestinian-writer-hamas-invested-all-its-resources-hopeless-war-against-israel-and-brought February 6, 2024, Zugriff 27.02.24
- www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf
- www.aljazeera.com/news/2023/10/7/hamas-says-it-has-enough-israeli-captives-to-free-all-palestinian-prisoners. Zugriff 15.10.24
- Walzer M: Führt Israel einen gerechten Krieg? Zeit Magazin 18.4.2024.
- www.hrw.org/de/news/2023/11/26/gaza-erkenntnisse-zur-explosion-am-al-Ahli-krankenhaus, Zugriff 28.11.23
- Yemini Ben-Dror Industry of Lies. Media, Academia, and the Israeli- Arab Conflict Industry, 2017, S. 281
- Abbas’ advisor praises former Grand Mufti Haj Amin Al Husseini, Nazi collaborator palwatch.org/page/15896 04.07.2019 Zugriff 21.11.21
- www.nbcnews.com/news/world/israel-hamas-war-prisoners-allegations-abuse-beatings-torture-rcna134280
- Walzer M. Just and unjust wars, New York, 2000