Wer in den letzten Tagen komplett irre war, hat sich auf Diskussionen zum Thema Nahost eingelassen. So wie ich. Aber immerhin: man lernt dabei!
Von Ramona Ambs
Wenn man nämlich von der Selbstbeschädigung & Sinnlosigkeit dieses Unterfangens absieht, hilft es einem zumindest die Kommunikationsstrukturen der Kontrahenten, ja geradezu Kommunikationstypen erkennen und identifizieren zu können. Und das wiederum schärft das analytische Denken. Ich habe bisher folgende Kategorien gefunden:
Der Gute
Er ist so von sich und seiner Moral überzeugt, dass er es nur sporadisch schafft an der Diskussion teilzunehmen, weil er grade Mahnwache vor der Synagoge hält oder ein Friedensmeeting organisiert. Wenn er allerdings mal Zeit hat, dann wirft er sowas wie „Rache ist keine Politik“ oder „Beide Seiten haben ihre Wahrheit“ oder „Palästinenser sind auch in großer Mehrheit gegen Hamas“ als Statement in den Raum, ohne das jedoch konkreter zu erklären. Der Gute möchte vor allem von allen geliebt werden und möchte auch alle lieben. Details oder Genauigkeit stören da nur.
Die Engagierte
Sie ist die Kalaschnikow unter den Diskutanten. Kaum hat sie Dich als jüdisch identifiziert, postet sie im Sekundentakt Artikel, Memes und Stellungnahmen, vorzugsweise von irgendwelchen Intellektuellen, stets verbunden mit anklagenden Fragen im Verhörton. Auf Gegenfragen oder Argumente wird grundsätzlich nicht reagiert, allenfalls wird die Quelle bezweifelt. Wird im Laufe der Debatte immer lauter und aggressiver. Kommentare gibt es bei ihr nur als Salven.
Der Tiktoker
Der Tiktoker ist ganz und gar Emotion. Weil er Debatten intellektuell nicht gewachsen ist, schüttet er das Netz mit Videos aus Pallywood zu. Leider ist sein Mitgefühl ausschließlich für Gaza reserviert; alles andere wäre auch zu komplex. Will sich durch die Realität nicht in seinem Mitleid stören lassen und sieht jeden, der seine Postings infrage stellt als schlimmen herzlosen Feind.
Der Nudnik
ist irgendwo in der Spätpubertät hängen geblieben und hat aber gelernt, dass man in der nichtjüdischen Welt als Jude dann gut ankommt, wenn man entweder tot oder wenigstens israelkritisch ist. Taucht nur selten auf, inszeniert sich dann jedoch prominent als Opfer seiner Mitjuden.
Der Gewisse
Er ergeht sich stets nur in vorsichtigen Andeutungen, denn er hat uns alle durchschaut. Er weiß, dass es Eliten gibt, die die Strippen ziehen und dass man deshalb nicht sagen kann, was man sagen müsste und was doch eh jeder weiß, der es wissen will… Inhalte gibts bei ihm nur in homöopathischer Verdünnung.
Der Aberer (nicht Araber!)
Der Aberer beginnt seine Beiträge grundsätzlich mit Beileidsbekundungen für die Opfer des Massakers vom 7. Oktober, um dann allerdings weitschweifig und ohne Punkt und Komma über israelische Fehler zu reden. Diese würden natürlich das Grauen nicht rechtfertigen, ABER und so weiter. Er „abert“ allerdings nur im Zusammenhang mit Israel und Judentum. In anderen Zusammenhängen würde er sich das komplett verbeten.
Der Onkel
schreibt seine Kommentare stets „mit letzter Tinte“. Dabei beginnt er meist mit frei erfundenen Unterstellungen wie zum Beispiel „Warum darf man die toten Palästinenserkinder nicht betrauern?“ oder „Sie möchten wohl alle Palästinenser vertreiben?!“ und wird dann immer heroischer und ungeheuer ausschweifend, wenn man es wagt, ihn auf Denkfehler hinzuweisen. Fühlt sich im Abgangsmonolog grundsätzlich vorsätzlich missverstanden. Hält aber denn och weiterhin den bösen Juden stand, weil außer ihm niemand die berechtigten Interessen der Menschheit wahrnimmt. Er ist im Grunde der verkannte Retter der Welt.