Zur Zeit muss ich öfter an Franz Kafka denken: „Im Frieden kommst du nicht vorwärts, im Krieg verblutest du“ notierte der sich im September 1917 in sein Tagebuch. So ähnlich fühlt sich das Leben derzeit an. Jedenfalls für mich, – wohl für die meisten Juden.
Von Ramona Ambs
Dieses Gefühl: es war vorher schon nicht gut- aber nun gehn wir endgültig zugrunde. Die meisten schlafen schlecht oder gleich gar nicht, um nicht von schlimmen Träumen heimgesucht zu werden. Die Hoffnungslosigkeit wohnt in der Zahnpasta, sie versteckt sich im Frühstück, sie sitzt neben Dir in der Straßenbahn, sie drückt Dich im Schuh,- und wenn Du eine Runde joggen gehst, dann rennt sie neben Dir her. Die Hoffnungslosigkeit ist der Igel und Du bist der Hase. Sie ist immer schon da. Diese beschissene Resignation ist allgegenwärtig.
Man versucht sich auf den Alltag zu konzentrieren, aber es gelingt kaum. Man weiß, die Nachrichten tun einem nicht gut, und dennoch kann man nicht von ihnen lassen, teils aus Angst, eine wichtige Information und mögliche Gefährdung nicht rechtzeitig mitzubekommen, teils auch, weil man sich so sehr danach sehnt, es möge Neuigkeiten geben, die vielleicht doch endlich Hoffnung und Erleichterung bringen könnten.
Wer Pech hat, wird hier oder dort mit grauenhaften Bildern und Videos konfrontiert, in denen ältere Menschen gefoltert, Frauen brutal vergewaltigt oder einer Schwangeren der Bauch aufgeschnitten und ihr Fötus herausgerissen wird, die in ihrer Brutalität so bestialisch sind, dass man den Rest seines Lebens innerlich frieren wird. Und- um bei Kafka zu bleiben- es war doch vorher schon bitterkalt…
Und dann kocht man sich einen Tee, weil man auf ein bisschen Wärme hofft und man setzt sich an den großen Holztisch und gegenüber sitzt dann die uralte Frage: Was haben wir ihnen getan? Warum hasst man uns so?…
Über diese Frage hat man schon hunderte Sachbücher geschrieben- aber geholfen hat keins. Nicht die historischen Einordnungen und nicht die psychologischen Analysen. Es ist nämlich keine Frage mangelnder Bildung oder sozialer Umstände- ja, das alles kann dazu führen, dass Antisemitismus lauter wird. Aber es kann nur etwas laut werden, was vorher schon da war. Der Judenhass, der- wie die Hoffnungslosigkeit, die grad mit mir am Schreibtisch sitzt und mir zwischendrin in die Tasten greift,- schon immer da war und niemals weggehen wird…
Und man schleppt sich also durch die Tage. Wird man gefragt, wie es einem geht, dann sagt man: ich bin ok und das Gegenüber ist froh, wenn es sonst nichts hört. Dabei ist man innerlich zerbrochen. Ab und an begegnet man jemandem, der einen fragt, ob man denn nicht Mitleid habe, mit den armen palästinensischen Kindern. Und dann sage ich „ja“, und das ist auch nicht gelogen, weil mir die Kinder dort tatsächlich von Herzen leid tun. Die sind nämlich auch völlig unverschuldet in einer beschissenen Situation. Allerdings haben sie mir vor dem 7. Oktober auch schon leid getan. Aufwachsen in einer brutalen Gesellschaft, in der zum Hass erzogen wird, in der Homosexuelle und Oppositionelle von Häuserdächern gestoßen werden, in einem Landstreifen, in dem Wasserleitungen, die zum Aufbau eines Abwassersystems geliefert werden, zum Raketenbau mißbraucht werden und wo Kinder nur dann wichtig sind, wenn sie möglichst blutüberströmt einer Kamera präsentiert werden können,- ja, das ist der Horror pur.
Wer da kein Mitleid hat, hat kein Herz.
Mit den Erwachsenen dort ist mein Mitleid allerdings tatsächlich geringer. Man ist nun mal mit verantwortlich für das Land und die Gesellschaft, in der man lebt. Man kann sich wehren, man kann versuchen wegzulaufen oder zumindest nicht mitmachen bei alldem. Man ist nicht nur verantwortlich für das, was man tut, sondern auch für das, was man widerspruchslos hinnimmt, hat schon Kant gesagt und man darf nicht immer nur andere für sein eigenes Leid verantwortlich machen. Dass, was man tun kann, um sich selbst zu helfen,- das muss man tun.
Und dann denke ich, dass diese Forderung auch für mich gilt. Im hier und jetzt. Und dass ich der Hoffnungslosigkeit nicht das Feld überlassen darf. Weil sie mich lähmt, weil ich sonst nämlich stumm werde. Weil die Resignation dann die Regie meines Lebens übernimmt. Und weil ich mich dann damit abfinden würde, was an Unrecht geschieht. Und dann denke ich, dass die Lage zwar schrecklich, aber nicht aussichtslos ist. Und dass man, als Realist!, sowieso immer mit Wundern rechnen soll.
Im Moment sind wir, die das lesen, noch am Leben. Und noch können wir also etwas tun. Nicht viel vielleicht, aber wir können zum Beispiel freundlich sein. Freundlich zu uns und freundlich zu anderen. Wir können versuchen aufzuklären. Und auch, wenn wir bei unserem Gegenüber nichts bewirken, so haben wir wenigstens etwas gesagt. Wenigstens widersprochen. Wenigstens versucht, was zu retten. „Wer ein Leben hat, der darf es nicht verschwenden. Der muss zumindest versuchen, glücklich zu sein!“ sagte Alfred Kerr zu seiner Tochter Judith, die ihr rosa Kaninchen vermisste. Beherzigt das bitte. Sorgt für mehr Glück. Seid anderen ein rosa Kaninchen!
Zum einen: Wieviel ausgelassene Fröhlichkeit, Verschmitztheit und Czupe haben die Nazis durch Auschwitz aus der deutschen Kultur verb(r)annt. Das wird mir wieder an der Reaktion mancher Jüdinnen und Juden bewusst, die auch in tiefster Trauer gut, gültig und mutig sein können. Und: Wikipedia hat Recht, wenn es definiert: „Ramona ist die weibliche Form des spanischen Namens Ramón, welcher vom deutschen Vornamen Raimund abgeleitet ist. Dieser setzt sich aus dem germanischen Wort für „Rat, Beschluss“ (ragin) und dem althochdeutschen Wort für „Schutz“ (munt) zusammen.“
„Im Moment sind wir, die das lesen, noch am Leben. Und noch können wir also etwas tun. Nicht viel vielleicht, aber …“
Wunderbar, Deine Worte, liebe Ramona, sie können helfen, nicht viel vielleicht, aber …
Ich habe mir erlaubt, die beiden letzten Beiträge in meinem Blog zu verlinken.
Danke.
Für mich ist es wichtig, das Lebensgefühl ein wenig einzuatmen.
Es ist gut, nicht aufzugeben, auch wenn es keine erkennbare Lösung gibt.
Herzlicher Gruss
Andreas