Irans Finger am Abzug

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Die israelische Bodenoffensive im Gazastreifen steht unmittelbar bevor. Zugleich erhöhen sich an der Grenze zum Libanon die Spannungen. Doch Israel könnte vor weiteren Herausforderungen stehen.

Von Ralf Balke

Sderot gleicht einer Geisterstadt. Fast alle der 30.000 Einwohner der nur zwei Kilometer vom Gazastreifen entfernten Kleinstadt sind in den vergangenen Tagen evakuiert und in anderen Landesteilen untergebracht worden. Auch die rund 13.000 Menschen, die in den 25 Kibbuzim und Moschawim in einem Radius von vier Kilometer rund um den von der Hamas regierten Küstenstreifen leben und von den Massakern, die die Islamisten verursacht hatten, besonders betroffen waren, wurden anderenorts in Sicherheit gebracht. Der Grund: Angesichts der zu erwartenden Bodenoffensive der israelischen Armee im Gazastreifen rechnen die politisch und militärisch Verantwortlichen mit einer Intensivierung des Raketenterrors sowie einer erhöhten Gefahr des Eindringens weiterer Hamas-Kommandos in das israelische Staatsgebiet.

Aber auch im Norden hat Israel am Wochenende damit begonnen, sich auf den Fall der Fälle vorzubereiten. Denn mehrfach kam es in den Tagen seit dem Blutbad, das die Hamas am 7. Oktober in Israel verursacht hatte, zu Angriffen der schiitischen Hisbollah. Deshalb hat man nun einen vier Kilometer breiten Streifen an der Grenzen zum Libanon zur Sperrzone deklariert, die nur von der Armee betreten werden darf. 28 Kibbuzim und Moschawim, aber auch das Beduinendorf Arab-al Aramshe und Metulla, Israels am weitesten im Norden gelegene Ortschaft, sollen nun ebenfalls evakuiert werden, hieß es am Montagmorgen. Des weiteren wird die Nutzung von GPS-gestützten Navigationsgeräten im Grenzgebiet blockiert. Manche Bewohner im Norden hatten angesichts der zunehmenden Spannungen ihre Häuser ohnehin bereits in den vergangenen Tagen verlassen und sind Richtung Süden aufgebrochen.

Zugleich warnte Israel die Hisbollah vor weiteren Aggressionen gegen Israel. „Gaza ist unser primäres Schlachtfeld – und wir konzentrieren uns weiterhin auf dieses Gebiet“, erklärte jetzt Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Streitkräfte, auf einer Pressekonferenz. „Dort befinden sich unsere verschleppten israelischen Zivilisten. Wenn die Hisbollah aber jetzt einen Fehler macht, wird unsere Antwort tödlich sein.“ Die israelische Armee erhofft sich durch die Evakuierungsmaßnahmen an der Nordgrenze operative Freiheiten, um gegebenenfalls offensive Maßnahmen einzuleiten. Als eigentlichen Urheber der jüngsten Spannungen nennt Hagari den Iran, der ein großes Interesse daran hat, das Israel womöglich an einer zweiten Front kämpfen muss. „Wir haben unsere Streitkräfte an der Nordgrenze verstärkt und werden energisch auf jede Aktivität gegen uns reagieren“, sagte der Armeesprecher ferner. „Die Vereinigten Staaten geben uns dabei volle Rückendeckung.“ Das sind keine leeren Worte. In der Tat hatte Washington unmittelbar nach den blutigen Ereignissen vom 7. Oktober bereits einen Flugzeugträger ins östliche Mittelmeer entsandt, und zwar als klare Warnung an Teheran, sich nicht weiter in den Konflikt einzumischen. Am Wochenende sollten ein zweiter Flugzeugträger sowie mehrere Zerstörer, Lenkwaffenkreuzer und ein Luftwaffengeschwader hinzukommen – ein deutliches Signal, dass man es durchaus ernst meint.

Denn vor dem Hintergrund des israelischen Aufmarschs am Gazastreifen waren am Sonntag wieder sechs Panzerabwehrraketen auf eine israelische Stadt und militärische Stellungen an der Grenze zum Libanon abgeschossen worden. Offiziell übernahm die Hamas, die ebenfalls vom Südlibanon aus operiert, diesmal die Verantwortung. Weil dort aber allein die Hisbollah das Sagen hat, hätte dies nicht ohne ihre Zustimmung geschehen können. Und inwieweit die Hisbollah in das Geschehen eingreift, darüber bestimmt letztendlich der Iran. Insgesamt starben bei den Gefechten der vergangenen Tage fünf israelische Soldaten, vier Hisbollah-Kämpfer sowie fünf palästinensische Terroristen, ferner wurden drei Zivilisten Opfer der Kampfhandlungen auf kleiner Flamme, ein Israeli sowie zwei Libanesen. Auch ein Journalist wurde getötet.

Aus Teheran unternimmt man wenig, um die eigene Rolle als Unterstützer von Hamas & Co. zu camouflieren. So sagte am Wochenende Hossein Amirabdollahian, Irans Außenminister, gegenüber der Nachrichtenagentur Fars: „Wenn die zionistischen Aggressionen nicht aufhören, haben alle Parteien in der Region die Finger am Abzug.“ Das klingt nach einer Drohung, die Situation weiter eskalieren zu lassen. Zudem traf sich Hossein Amirabdollahian gerade in Qatar mit dem Ismail Haniyeh, dem obersten Chef des Politbüros der Hamas, der dort seit Jahren im Luxus-Exil lebt, um gemeinsam über die Möglichkeiten zu sprechen, wie man die „Achse des Widerstands“ gegen Israel, so Irans staatliche Nachrichtenagentur IRNA, voranbringen könnte. Wer nun mit „allen Parteien“ und „Achse des Widerstands“ gemeint war, ist eigentlich unmissverständlich, und zwar die Hamas und die Hisbollah, beide logistisch, finanziell und auch ansonsten in jeder Hinsicht abhängig von dem Iran.

Aber die Mullah verfügen über weitere Marionetten, die für Ungemach sorgen könnten. So haben die von Teheran unterstützten Huti – ihre Kampfparole lautet: „Gott ist groß! Tod den USA! Tod Israel! Verdammt seien die Juden! Sieg dem Islam!“ – mit Drohnen und Raketen Militärbasen der Vereinigten Staaten anzugreifen, wenn diese aktiv auf Seiten Israels im Konflikt intervenieren würden. Von den diversen Schiiten-Milizen im Irak war Ähnliches zu hören. „Während Israel seinen Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen führt, besteht für die Vereinigten Staaten eine große Herausforderung darin, eine Eskalation durch die Beteiligung der Hisbollah, iranfreundlicher irakischer Milizen in Syrien oder im Irak selbst, der Huthis im Jemen und vielleicht sogar des Iran zu verhindern“, heißt es deshalb in einer aktuellen Analyse des Washington Institute for Near East Policy. „Eine solche Ausweitung des Konflikts könnte katastrophale Folgen für die Sicherheit Israels sowie anderer Partner der USA, für die regionale Stabilität und für die amerikanischen Interessen im Nahen Osten insgesamt und darüber hinaus haben.“

Mitunter übernimmt Teheran aber auch die Rolle des Sprechers der im Gazastreifen herrschenden Islamisten. So erklärte Nasser Kanaani, Sprecher des iranischen Außenministeriums, am Montagmittag, dass die Hamas bereit wäre, die 199 Geiseln, die sie verschleppte hatte, möglicherweise gegen Tausende von in Israel in Haft sitzender Palästinenser auszutauschen, wenn denn Israel seine Luftangriffe einstellt. So sollen Hamas-Vertreter erklärt haben, „dass man bereit sei, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die von den Widerstandsgruppen festgehaltenen Bürger und Zivilisten freizulassen. Zugleich hätten sie darauf hingewiesen, dass ein solcher Schritt aber Vorbereitungen erfordere, die unter dem täglichen Bombardement der Zionisten auf verschiedene Teile des Gazastreifens unmöglich sind“, so Kanaani weiter. „Wir haben vom Widerstand gehört, dass sie auch kein Problem damit haben, den Kampf noch lange Zeit fortzusetzen.“ Kurzum, der Iran spielt das zynische Spiel der Hamas mit den Geiseln, das nun begonnen hat, mit.

Bild oben: Immer wieder auch Alarm an Israels Nordgrenze, Bild: Screenshot Twitter Zofar