„Für Manfred Faber gibt es keinen Grabstein“

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In Köln-Riehl wurde das Manfred Faber Kunstwerk eingeweiht – mit israelischer Beteiligung

Von Roland Kaufhold

Über Jahrzehnte war der jüdische Kölner Architekt Manfred Faber (1879-1944) ein Vergessener (Kaufhold 2023a). Nun wurde in Köln-Riehl an sein Schicksal – Manfred Faber wurde am 16.5.1944 in Auschwitz ermordet – erinnert. Und es wurde  in Köln-Riehl ein Denkmal für Faber eingeweiht.

Die Idee der Erinnerung, das sei  auch angesichts der jüngsten Aiwanger-Debatte und zahlreicher Weiterer angemerkt, beinhaltet immer etwas Ambivalentes: Der Jude Manfred Faber, der nach allem was man weiß – und wir wissen nur sehr wenig – nicht sonderlich religiös war, war in Köln sieben Jahrzehnte lang vollständig vergessen. Ob er mit einer Erinnerung an einem der zentralen Orte seines Wirkens wirklich einverstanden gewesen wäre, im Anblick an die von Deutschen organisierten und betriebenen Verbrennungsöfen auch in Auschwitz, das wissen wir nicht.

Mit dem Erinnern ist zuerst einmal eine Selbsterhöhung verbunden: Die Enkelgeneration der Täter feiert sich zuerst einmal selbst. Mit der Geste der Betroffenheit erinnert sie etwas, mit dem sie persönlich nichts zu tun hatte. Und doch war es die Generation ihrer Eltern und Großeltern, es war die deutsche Mehrheitsgesellschaft, auch in Köln, die für das millionenfache Morden die Verantwortung trug und trägt. Man schlägt sich innerlich und medial mittels einer solchen Feier auf die Seiten der Guten. Das sei einmal so benannt…

An dem guten Willen der letztlich wenigen Beteiligten und ihrer Bereitschaft, die Verbrechen am Beispiel des Werkes des großen Kölner Architekten Manfred Faber zu erinnern, kann nicht gezweifelt werden.

In ihrer Ansprache erinnerte Bezirksbürgermeisterin Diana Siebert, selbst promovierte Historikerin mit Schwerpunkt Belarus sowie Shoah, dass es vor allem  Anwohner der Naumann-Siedlung wie Rob Herff waren, die vor wenigen Jahren den Wunsch äußerten, dass an Faber und dessen architektonisches Wirken in der Riehler Naumannsiedlung erinnert werde (vgl. Kaufhold 2021).

Um dies zu realisieren war Bezirksbürgermeisterin Siebert sehr rasch vorgegangen: Sie hatte mit einstimmigem Beschluss der Bezirksvertretung Nippes 50.000 Euro für ein Faber-Kunstwerk zur Verfügung gestellt und einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben.

Die Jury entschied sich für ein dreiteiliges Monument aus Naturstein des Künstlers David Semper, der bei der Einweihung sein Kunstwerk noch einmal vorstellte. Semper sei es gelungen, so Siebert in ihrer Rede, „den durchaus dissonanten Dreiklang zwischen Fabers jüdischem Erbe, seinem professionellen Wirken als Architekt und dessen Ermordung im Konzentrationslager Auschwitz“ künstlerisch abzubilden.

Das Kunstwerk steht nun im Zentrum des namenlosen Platzes inmitten der Riehler  Naumannsiedlung. Dieser war zuvor autofrei gemacht worden, und es wurden u.a. Sitzbänke und eine Boulebahn errichtet. Zusammen mit der bereits 2021 am gleichen Ort eingeweihten Faber-Gedenktafel ist es ein angemessener Ort geworden, der in der schönen Faber-GAG-Wohnsiedlung zum nachbarschaftlichen Treffen, aber auch zum  gelegentlichen Erinnern einlädt.

Semper lade, so Siebert in ihrer Eröffnungsrede, mittels seiner „nur scheinbar klaren geometrischen Formensprache“ zum Perspektivwechsel ein: „Man könnte meinen, hier liege Fabers nur kurz abgesetzter Zeichenstift und warte auf weitere Verwendung.“

Das Faber-Werk solle „durchaus für Beklemmung sorgen, aber nicht für so viel Beklemmung, dass die Menschen den Platz nicht benutzen“, so Diana Sieberts Hoffnung.

Mehrere örtliche Initiativen, Vertreter der politischen Parteien sowie 200 Gäste hatten sich bei regnerischem Wetter eingefunden, darunter auch der Vorsitzende der Jüdischen Liberalen Gemeinde, Rafi Rothenberg sowie Miguel Freund von der Synagogengemeinde Roonstraße. Damit war der Bogen hin zu Manfred Fabers jüdischer Familienbiografie, die in seiner Ermordung in Auschwitz endete, geschlagen.

Der Ehrengast Gidon Lev

Das Bemühen um eine Erinnerung an den bewusst-unbewusst Vergessenen in Riehl sowie in der Köln-Holweider Märchensiedlung (vgl. Kaufhold, Herff & Seifer-Rüttgen 2022) hat sehr überraschende und erfreuliche Folgen gehabt: Ein in Israel lebender ferner Verwandter von Manfred Faber, Gidon Lev, wurde durch die Bibliothekarin M. Looft, die bereits Fabers Schrift Billige Kleinwohnungen sowie das einzig überlieferte (anzunehmende) Manfred Faber Foto entdeckt hatte, auf seine eigene, ihm bisher vollständig ungekannte Familiengeschichte aufmerksam – und begann vor drei Jahren mit eigenen familiären Nachforschungen. Nacheinander fand er hierbei heraus, dass seine eigene Familie insgesamt 42 Shoahopfer zu beklagen hat.

Der ursprünglich aus der Schweiz stammende Gidon Lev war gemeinsam mit seiner Ehefrau Mira sowie einer weiteren fernen Verwandten aus der Schweiz, Susanne Lindtberg, extra nach Köln gereist, um der Denkmaleinweihung beizuwohnen. Er hielt, mit schweizerdeutschem Akzent, auch eine eigene Ansprache, in der er seine eigene israelische Spurensuche an Manfred Faber erinnerte.

Gidon Lev (l.) und Rafi Rothenberg, Jüdische Liberale Gemeinde Köln/Gescher LaMassoret e.V. 

Gidon Lev hat diese Spurensuche im August 2023 auch auf mehreren Facebook-Postings beschrieben, was nachfolgend dokumentiert wird. Wir danken für das Überlassen der deutschen Übersetzung.

„Vor einigen Jahren entdeckte man in Köln, dass viele Gebäude und Quartiere vom jüdischen Architekten Manfred Faber geplant wurden. Er wurde in Karlsruhe geboren und fand 1944 in Auschwitz seinen Tod. Sie beschlossen, ihn auf verschiedene Weise in Erinnerung zu halten. In Köln gibt es eine Manfred-Faber-Straße und verschiedene Arten von Gedenktafeln wurden an von ihm geschaffenen Gebäuden und Vierteln angebracht (auch außerhalb von Köln).

Eine Tante von Manfred war Marie Palm-Faber. Sie und ihr Mann hatten vier alleinstehende Kinder. Ein Sohn kam als Soldat der deutschen Wehrmacht im Ersten Weltkrieg ums Leben, ein weiterer Sohn starb 1938, während ihre beiden Töchter Sidonie und Thekla am 20. Oktober 1940 in das Internierungslager Gurs in Südfrankreich deportiert wurden. Sidonie starb Ende 1942 in Toulouse, ihre Schwester Thekla eineinhalb Jahre zuvor in Gurs.

Es ist sehr selten, dass wir überhaupt ein Denkmal für die Verstorbenen des Holocaust finden. Für Thekla Palm gibt es einen Grabstein auf dem Friedhof in Gurs.
Aber für Manfred Faber gibt es keinen Grabstein. Er wurde am 16. Mai 1944, dem Tag seiner Ankunft in Auschwitz, getötet. Aber er hat viele Gebäude, Quartiere in Köln und Umgebung hinterlassen, die noch existieren, viele wurden renoviert und werden genutzt. Seit über hundert Jahren leben und arbeiten Menschen an diesen Orten und genießen das Konzept von Manfreds Planung.
Vor etwa drei Jahren begann ich von Grund auf, den Stammbaum meiner Karlsruher Urgroßmutter Fanny Loew-Faber zu erforschen. Ich bin bis zu meinen Urururgroßeltern zurückgekehrt. Bis vor etwa vier Jahren wusste ich nichts von Holocaust-Opfern in meiner Familie. Heute weiß ich, dass 23 Familienmitglieder auf der Löw- und 19 auf der Faber-Seite Opfer der Shoah wurden.

Eines der 19 Opfer der Familie Faber war Manfred Faber. Er war ein direkter Cousin meines Großvaters sowie der oben genannten Schwestern Sidonie und Thekla Palm.

Vor über zwei Jahren habe ich Kontakt zu den Kölner Initiatoren aufgenommen, die sich um das Andenken von Manfred Faber kümmern. Sie luden mich ein, in einer Woche an der Einweihungsfeier eines Denkmals zum Gedenken an Manfred Faber am zentralen Platz im Neumannviertel teilzunehmen. Dabei werde ich auch eine Cousine dritten Grades, die ich durch die Familienrecherche gefunden und noch nie zuvor gesehen habe, an dieser Feier treffen. (…)

Der Tag, den wir gestern in Köln verbracht haben, bewegt mich immer noch sehr. Wir wurden zur Einweihungsfeier des Denkmals von Manfred Faber, einem direkten Cousin meines Großvaters Jakob Löw-Heymann, eingeladen, wie ich dies bereits vor einer Woche berichtete.
Eigentlich fing es vorgestern an, als wir Susanne Lindtberg, eine Cousine dritten Grades von mir, zum ersten Mal trafen, deren Verwandtschaftsgrad zu Manfred gleich wie meiner ist. Danach wurden wir von den Veranstaltern zum Abendessen eingeladen.
Gestern begannen wir mit einem Rundgang durch das Märchenviertel, eine von mehreren Umgebungen, die Manfred geplant hatte. Eine große Überraschung war für uns, dass uns an einem ganz gewöhnlichen Freitag etwa 15 Einwohner begrüßten und uns durch diesen einzigartigen Teil der Stadt begleiteten. Etwa sechs Gedenktafeln, finanziert von den Bewohnern selbst, von denen viele aktiv am Gedenkprozess beteiligt sind, erzählen über das Wirken des Architekten. Die Einwohner waren so erfreut, Nachkommen von Manfred Faber zu sehen von dessen Familie sie kaum wussten. Dies kam auch dadurch zum Ausdruck, dass ein Paar Susan Lindtberg und mich aufforderte, ein Bild von Manfred zu signieren (als ob wir Berühmtheiten wären).
Ich erklärte ihnen über die Familie Faber und die Tatsache, dass 19 Familienmitglieder während der Shoah umgekommen sind.
Die besondere Umgebung der „Märchensiedlung“ schafft eine Atmosphäre, in der die Bewohner zusammenhalten und gemeinsame Aktivitäten in der Nachbarschaft unternehmen, was der zukunftsorientierten kreativen Planung von Manfred zu verdanken ist. Die Häuser sehen wirklich aus wie im Märchen. Am Ende wurden wir zu einer Familie eingeladen, wo uns ein leckerer Snack angeboten wurde und wir ein nettes Gespräch mit der Familie und Nachbarn führten.
Die große Überraschung war, als der Sänger Peter Mehlfeld ein Lied über Manfed Faber spielte, für das er den Text schrieb und die Melodie komponierte. Hier der Link zur You Tube-Version:
https://www.youtube.com/watch?v=j4QvzW8giOw
Über die sehr beeindruckende Einweihungsfeier des Denkmals in der Neumannsiedlung mit über 200 Teilnehmern werde ich in einem zusätzlichen Beitrag berichten.

Das Hauptereignis unserer Reise nach Köln war die Teilnahme am letzten Freitag (1.9.2023) an der Einweihungsfeier des Denkmals zum Gedenken an Manfred Faber auf dem Naumannplatz. Dies ist das Zentrum eines von ihm geschaffenen riesigen Quartiers mit zunächst 450 Wohnungen, das heute unter Denkmalschutz steht.
Über 200 Personen nahmen an der eindrucksvollen Feier teil, an welcher unter anderem die Bezirksbürgermeisterin Diane Siebert, der Leiter der Liberalen Jüdischen Gemeinde Rafi Rothenberg und eine der Initiatorinnen, Ingrid Blom-Boeer, sprachen. Auch mir wurde die Gelegenheit gegeben die Familiengeschichte, in der 19 Familienmitglieder Opfer der Shoah wurden, darunter Manfred und zwei seiner Schwestern, zu erzählen. Andererseits betonte ich, dass es noch zwei Zweige gibt, Nachkommen von Manfreds Großeltern, die dank Familienforschung wieder vereint wurden.“

Alle Fotos: (c) Kirsten Reinhardt

Literatur

Hagspiel, W. (2010): Köln und seine jüdischen Architekten. J. P. Bachem, Köln 2010.
Herff, R. (O. J.): Spurensuche Manfred Faber: https://naumann-nachbarn-riehl.de/spurensuche-manfred-faber/ 
Kaufhold, R. (2021) Gesicht zurück geben. Herbst des Gedenkens an den jüdischen Architekten Manfred (Manuel) Faber in der Naumannsiedlung in Köln-Riehl, haGalil 10/2021: https://www.hagalil.com/2021/10/manfred-faber/ 
Kaufhold, R. (2022): Denkmaleinweihung für Manfred Faber in der Kölner Märchensiedlung, in: haGalil, 17.5.2022: https://www.hagalil.com/2022/05/maerchensiedlung/
Kaufhold, Herff & Seifer-Rüttgen (2022): „Jedes Haus soll durch Anpflanzungen ein freundliches Aussehen erhalten.“ In Köln wird das Wirken des jüdischen Architekten Manfred Faber wiederentdeckt, haGalil, 5/2022: https://www.hagalil.com/2022/05/manfred-faber-2/ 
Kaufhold, R. (2023a): Bescheidene Häuschen für Kriegsheimkehrer und ihre Familien. In Köln wird am 25.8. an den vergessenen jüdischen Architekten Manfred Faber erinnert, haGalil 21.8.2023: https://www.hagalil.com/2023/08/faber-3/
Kaufhold, R. (2023b): Ein Interview mit der Köln-Nippeser Bezirksbürgermeisterin Diana Siebert über das Riehler Manfred Faber Kunstwerk, haGalil 8/2023: https://www.hagalil.com/2023/08/faber-3/
NS-DOK Köln (2023):  Die „wartende Säule“ (Manfred Faber Kunstwerk): https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/default.aspx?s=3577
Siebert, D. (2023): Faber-Kunstwerk in der Riehler Naumannsiedlung: Prozess über zwei Jahre, http://bezirksbuergermeisterin-diana-siebert.de/2023/01/faber-kunstwerk-in-der-riehler-naumannsiedlung-ein-prozess-ueber-zwei-jahre/
Infos zu Fabers Märchensiedlung: http://maerchensiedlung-koeln.de/