Bukowinisch-Galizische Literaturstraße

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Das Buchenland, die Bukowina klingt nach Lyrik, klingt nach schöner Landschaft. Zum Kronland der Donaumonarchie gehörte es bis 1918, wie Bessarabien, Galizien und Siebenbürgen und das Banat u.a.

Von Christel Wollmann-Fiedler

Die Bukowina wurde hin- und her geschubst, nach dem 1. Weltkrieg wurde sie ein Teil Großrumäniens, nach dem verheerenden 2. Weltkrieg verschlang den nördlichen Teil die Sowjetunion. Die Südbukowina blieb den Rumänen. 1989 kam wieder eine große europäische Veränderung, Grenzen wurden geöffnet, verschoben und die Nordbukowina östlich der Karpaten wird 1990 ukrainisch mit der wichtigen und „weltberühmten“ Metropole Czernowitz. Seit fast eineinhalb Jahren ist Krieg vor deren Tür. Fast 50.000 ukrainische Flüchtlinge wurden derzeit in der ehemaligen Vielvölkerstadt untergebracht. Aus ihren von den Russen bombardierten Städten und Dörfern sind sie hierher in die Westukraine geflohen, um Schutz zu suchen.

Damals in der Zwischenkriegszeit, als über 30% der Bewohner Juden waren, lebten die andern, die Nachbarn mit anderen Kulturen und anderem Glauben in der Stadt oder in den Dörfern zusammen. Die Welt schien noch in Ordnung zu sein. Berühmte deutschsprachige Lyriker wurden in der Bukowina und Galizien geboren oder besuchten in Czernowitz die Schule oder später die im Jahr 1875 von Kaiser Franz Joseph I. gegründete Universität in „Klein Wien“. Auch Wien an der Donau, Brünn und Prag waren Bildungsziele, der Thron des Kaisers stand in Wien bis 1918.

Skulptur von Rose Ausländer in Czernowitz

Wir alle kennen diese Namen, deren Lyrik, deren Prosa. Rose Ausländer und Paul Celan, Manfred  Winkler und Selma Meerbaum Eisinger,  und Gregor von Rezzori, der nichtjüdische Schriftsteller, einige Namen zum Erinnern.

1942 organisierte die Deutsche Hitleradministration Deportationen zur Hölle Transnistrien. Zuvor deportierten die Sowjets wohlhabende Bürger und Juden nach Sibirien. Nach Transnistrien und andere Lager wurden die jüdischen Bewohner, auch einige dieser Dichter deportiert, einige von ihnen , z.B. Alfred Kittner oder Immanuel Weißglas, überlebten, doch die jüngste Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger nicht. Sie starb an Typhus und Entkräftung im Jahr 1942. Andere retteten sich nach 1945 ins letzte Mutterland Rumänien, oder in die westliche Welt und nach Israel ins Hebräerland. Einige aber blieben in Czernowitz, schrieben in Jiddisch. Die deutsche Sprache wurde in der Sowjetzeit die Sprache des Feindes und aus unserem Weltbild verschwand peu à peu die Bukowina hinter dem Eisernen Vorhang. 1989 dann geschah das Wunder, der Eiserner Vorhang wurde langsam zusammengerollt und Osteuropa tauchte wieder auf, doch die deutsche Sprache gab es nicht mehr, auch das k. & k. Flair war verschwunden, doch die Wiener Architektur ist der Nachweis der Vergangenheit von Czernowitz und die Landschaft noch immer jenseits der Ostkarpaten wie eh und je,  traumhaft. Die kyrillischen Schriftzeichen bestimmen das heutige Czernowitz und  die Nordbukowina.

Vor Jahren haben Helga von Loewenich, die Künstlerin aus Berlin, und der Literaturprofessor Dr. Petro Rychlo aus Czernowitz /Tscherniwzi, ein Projekt ins Leben gerufen.

Petro Rychlo forscht seit Jahren über die deutschsprachigen jüdischen Poeten, hat sie aus dem absoluten Dunkel ans Tageslicht geholt und die Gedichte und Geschichten ins Ukrainische übersetzt. Bücher schrieb er, hielt Vorträge, Seminare und Vorlesungen, auch im Ausland. Mit Ehrenzeichen und Preisen für seine vielfältige Tätigkeit wurde er international ausgezeichnet. Den Czernowitzer Studenten seines Faches übermittelt er seit Jahren sein Wissen.

Ein unendlich schönes Buch flattert auf meinen Tisch und gleich frage ich die Künstlerin Helga von Loewenich, die Mitautorin, wie sie als Künstlerin zu diesem Projekt, so weit entfernt von der Bukowina, gekommen ist und frage nach ihren künstlerischen Ambitionen:

Helga von Loewenich: „Bild im Wort, das ist ein wichtiges Leitmotiv meines künstlerischen Schaffens. Übersetzen literarischer Worte in ein Bild ist eine dialogische Arbeit. Verschiedene Konstellationen haben sich hier ergeben, z. B. 1972 in Jerusalem während des einsemestrigen Kunststudiums, was damals sehr selten war. Ich hatte dort einen Lehrer Jona Mach, der aus Stuttgart kam und ein Schüler von Oskar Schlemmer war. Er gab mir Aquarellunterricht. Ich entschied mich, meine malerische Arbeit an Gedichten auszurichten, die Übertragung aus dem Poetischen ins Bildnerische muss leicht und transparent bleiben. Das waren sehr prägende Eindrücke. Ich habe schon in den 1970er Jahren Bilder zu Rose Ausländer und Paul Celan gemalt. 1980 erschienen die Selma Meerbaum-Eisinger Gedichte, dazu gibt es auch eine große Serie von bildnerischen Arbeiten. Profiliert und farbig habe ich die Gedichte der Bukowiner Dichter empfunden. In Deutschland habe ich ein nahes Verhältnis zu Rainer Kunze und Marie-Luise Kaschnitz, der ich sehr viel zu verdanken habe. Mit ihr hatte ich meine erste öffentliche Ausstellung im Schweizer Haus in München.

1973 traf ich Manes Sperber in München. Wir sprachen über die Landschaft Galiziens. Er war für mich ein lebendiger Zeuge der versunkenen jüdischen Welt. Ich habe in dieser Zeit mehrmals im Sowjetischen Konsulat Visa für die Bukowina beantragt. Zum ersten Mal war ich in Czernowitz mit einem Hilfskonvoi im März 1991.

Damals wohnte ich in Regensburg, die Grenzen gingen auf und die Bürgermeisterin fuhr mit dem Stadtrat nach Odessa, weil an eine Partnerschaft gedacht war. Ich erfuhr, wie es den Menschen nach der Auflösung der Sowjetunion dort sehr elend ging. Daraufhin gründete ich die Initiative Regensburg/Odessa mit der Oberbürgermeisterin. Zu Beginn bekamen die Veteranen Pakete. Ich fuhr mit dem Roten Kreuz und den Johannitern in die Ukraine und 1991 kam ich morgens um 5 Uhr alleine in Czernowitz an. Eine graue Stadt war sie damals. Das war meine erste Begegnung mit Czernowitz. Später war ich öfters dort. Zum 100. Geburtstag von Rose Ausländer gab es eine wunderbare Tagung, 1999 traf ich Frau Zuckermann, bevor sie durch den Film populär wurde. Mit Ilana Shmueli ergab sich eine sehr intensive Freundschaft in Israel. Sie war ja auch Czernowitzerin. Zum Ende ihres Lebens war sie sehr krank, doch hat sie noch viel von der Stadt und vom Pruth erzählt, wie sie mit der Kinderfrau dorthin ging und wie sie im Fluss geschwommen ist. Es war bewegend zum Abschluss des Lebens, wie diese Bilder bei ihr eine so große Rolle gespielt haben.

Petro Rychlo lernte ich in Czernowitz bereits 1999 kennen, und wir sind seitdem befreundet und arbeiten zusammen. Auch sprechen wir über schöpferische Kraft der Gedichte in ihrem Dialog mit den Bildern. Petro Rychlo hat die Bukowiner Dichtung zur ungefähr gleichen Zeit entdeckt, und so entstand unsere schöpferische Zusammenarbeit.

In Ihrem Kulturprojekt „Bukowinisch-Galizische Literaturstraße“ geht es hauptsächlich um Denkmäler, die in den Geburtsorten der Dichterinnen und Dichter aufgestellt wurden.

H. v. L.: Das Projekt kam nur zustande, weil wir uns vorher lange ausgetauscht haben. So etwas fällt nicht vom Himmel. Bei einem der vielen Gespräche kamen wir darauf. In Buczacz ist Samuel Joseph Agnon geboren, der zusammen mit Nelly Sachs 1966 den Nobelpreis erhielt. Es gab bis dahin in dieser Kulturlandschaft keine Denkmäler deutschjüdischer Autoren. Freunde aus Regensburg stifteten das erste Denkmal. Dann haben wir unsere genaue Landkarte der Ukraine zur Hand genommen und festgestellt, dass diese Orte, wo die meisten Dichter und Schriftsteller in Galizien und in der Bukowina geboren und aufgewachsen sind, nicht so weit voneinander lebten und haben eine verbindende rote Linie gezogen. Dann nahm ich Kontakt zum Auswärtigen Amt auf, richtig begeistert. Wir konnten dann bei dem heutigen Antisemitismusbeautftragten für die Bundesrepublik Deutschland Dr. Felix Klein einen Antrag stellen der bald positiv bewertet wurde.

Die ukrainischen Menschen, die ukrainischen Städtchen und Dörfer sollen über ihr kulturelles Vermächtnis durch die neu entdeckten Biographien und literarische Werke mehr erfahren. Oft war es schwierig die Bürgermeister von der Bedeutung dieses  kulturellen Erbes zu überzeugen.

Bildhauerwerke mit Konterfeis der dort geborenen Künstler sind in den Geburtsorten aufgestellt worden. Die Menschen in den Ortschaften erfuhren nun durch die Idee von Helga von Loewenich und Petro Rychlo, welche literarischen Größen in ihrem Dorf oder ihrer Stadt geboren wurden. Sie werden sich in die ins Ukrainische übersetzten Texte einlesen, über das Leben der Dichter, deren Lyrik oder Prosatexte mehr erfahren, auch wohin sie aus ihrem Dorf in andere Landschaften oder gar andere Länder geflüchtet sind und nie mehr heimkehrten. Doch die geschriebenen Verse und Geschichten sind geblieben.

In der Carmerstraße in Berlin – Charlottenburg stellen  Helga von Loewenich und  Dr. Petro Rychlo an einem Abend am 18. Juli 2023 die im Buch beschriebenen Schriftstellerinnen und Schriftsteller und die Orte ihrer Geburt oder ihres Lebens in der Bukowina und nördlicher bis Galizien vor. Auch über Schwierigkeiten vor Ort, Diskussionen und/oder Fürsprache von dort zuständigen Personen erzählen sie, lassen uns teilhaben an ihrem großartigen Projekt. Wir hörten über Paul Celan, Rose Ausländer, Gregor von Rezzori und Selma Meerbaum-Eisinger aus Czernowitz. Weiter ging es mit Aharon Appelfeld aus Stara Jadova und Manes Sperber aus Zablotow, mit Alexander Granach aus Werbiwci und Samuel (Schmuel) Josef Agnon aus Butschatsch, und weiter mit Karl Emil Franzos aus Czortkow. Dann wurde über Soma Morgenstern aus Budaniw erzählt und Hermann Kesten aus Podwolotschysk, über Salcia Landmann aus Schowkwa und am Ende über Joseph Roth aus Brody.

Das Vorwort in diesem informativen, sehr schön gestalteten literarischen Reiseführer, schrieb begeistert Dr. Frank-Walter Steinmeier, der Präsident der Bundesrepublik Deutschland, auch finanzierte das Auswärtige Amt dieses Projekt und den Druck des Buches.

Nehmen Sie das Buch unter den Arm und nehmen Sie es mit in den Osten Europas, würde ich vorschlagen. In diesen Kriegszeiten eine kaum  vorstellbare Reise. Doch kaufen sollten Sie dieses Buch auf jeden Fall, die Landkarte der Ukraine aufschlagen und die beschriebenen Städte und Dörfer suchen und die ganz besonderen Texte der Poeten lesen. Eine Reise mit dem Finger auf der Landkarte wird ein Erlebnis für Sie werden.

Helga von Loewenich/Petro Rychlo: Bukowinisch-Galizische Literaturstraße. Dokumentation zu einem deutsch-ukrainischen Kulturprojekt, ISBN 978-617-614-389-5, 2022 Printed in Ukraine, Euro 20,00.
Bestellungen: Literarische Buchhandlung  Der Zauberberg, Bundesallee 133, 12161 Berlin, Tel. +49 30 56739091 – info@der-zauberberg.eu

Alle Fotos: (c) C. Wollmann-Fiedler