Am Ende des Regenbogens

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Schwule, Lesben oder Transsexuelle in Israel sehen ihre Rechte in Gefahr. Denn manche der Koalitionspartner in der neuen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sind nicht nur in der Vergangenheit durch ihre Homophobie aufgefallen. Die aktuelle Fixierung auf das Thema gleichgeschlechtliche Liebe trägt bei einigen ihrer Vertreter bereits obsessive Züge.

Von Ralf Balke

Ein Bild sagt mehr als Tausend Worte. Als Amir Ohana, Likud-Abgeordneter und Justizminister sowie Minister für öffentliche Sicherheit in zwei der früheren Kabinette von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, anlässlich seiner offiziellen Amtseinführung als Sprecher der Knesset die Antrittsrede hielt, sah man im Plenum einige Abgeordnete, wie sie demonstrativ in eine andere Richtung schauten oder den Kopf senkten. Der Grund: Der 46-jährige Politiker lebt offen schwul und sein Partner Alon Haddad saß mit den beiden gemeinsamen Kindern ebenfalls mit im Saal. Für einige Parlamentarier der Partei Vereintes Torah-Judentum war das ein klarer Affront. Denn mit dem Thema Homosexualität haben die Ultraorthodoxen, aber auch die allermeisten Repräsentanten der Religiösen Zionisten, ein handfestes Problem. Und mit Avi Maoz sitzt jetzt auch der Vorsitzende von Noam im Parlament. In dem Programm dieser ultrarechten Minipartei mit gerade einmal einem Vertreter in der Knesset – nämlich ihm selbst – wird nicht nur explizit die Rücknahme aller Gesetze gefordert, die eine rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Schwulen, Lesben oder Transsexuellen in Israel garantieren, sondern ebenfalls die Wiedereinführung der verbotenen und brandgefährlichen Konversionstherapien.

Ultraorthodoxe und Religiöse Zionisten sprechen in diesem Kontext gerne von „abnormalem Verhalten“, beleidigen alle, die nicht heterosexuell leben, als „Perverse“ oder „Kranke“ und werden auch schon mal handgreiflich. Traurigstes Beispiel dafür ist die Messerattacke eines ultraorthodoxen Mannes auf Teilnehmer der Pride-Parade in Jerusalem aus dem Jahr 2015. Die gerade einmal 16 Jahre alte Shira Banki wurde damals von Yishai Schlissel, einem homophoben Extremisten, der bereits zehn Jahre zuvor durch ähnliche Gewalttaten aufgefallen war, ermordet, fünf weitere Menschen verletzt. Und 2017 sah sich Yigal Guetta, ein Abgeordneter der sephardisch-ultraorthodoxen Shass, von seinen Parteigenossen dazu gezwungen, seinen Platz in der Knesset zu räumen, weil er zuvor an der Hochzeit eines schwulen Neffen teilgenommen hatte. Er habe dadurch, so hieß es in einer entsprechenden Petition, die von fünf Rabbinern initiiert wurde, „öffentlich den Willen Gottes entweiht“.

Dabei war Israel stets Vorreiter, wenn es um die Akzeptanz und rechtliche Gleichstellung von Schwulen, Lesben, Bi- oder Transsexuellen geht. In Tel Aviv wehen Regenbogenflaggen an jeder Ecke und die Gay Pride Parade in der Stadt zieht jedes Jahr Hunderttausende Menschen an. Männer, die mit Männern Hand in Hand durch die Straßen ziehen, sind ebenso im Alltag zu beobachten wie Frauen, die mit Frauen öffentlich Zärtlichkeiten austauschen. Und unvergessen ist der Jubel, der fast überall im Land ausbrach, als die transsexuelle Dana International mit ihrem Hit „Diva“ 1998 Israel im Eurovision Song Contest den Sieg brachte. Und im Vergleich zu den anderen Staaten der Region war man quasi die Insel, wenn es um die Akzeptanz einer LGBT-Community ging. Bereits wenige Kilometer von Tel Aviv entfernt, ist es bereits lebensgefährlich, schwul oder lesbisch zu sein. Palästinensischen Homosexuellen droht im Gazastreifen oder im Westjordanland schnell der Tod, wenn ihre sexuelle Orientierung bekannt wird.

Doch nun, so befürchten viele, könnte sich in Israel der Wind drehen. Das Wahlergebnis vom 1. November und die Übernahme der Amtsgeschäft durch eine vom Likud angeführte Koalition mit den beiden ultraorthodoxen Parteien sowie den Religiösen Zionisten hat ihren Vertretern nicht nur wichtige Posten in den Ministerien verschafft. Die neue Macht scheint sie zu motivieren, ihrer Homophobie freien Lauf zu lassen. Die verbalen Entgleisungen rund um den Auftritt von Amir Ohana sind dafür beispielhaft. So sagte am Sonntag der sephardische Oberrabbiner von Jerusalem, Shlomo Amar, es sei „unerträglich“, dass ein offen schwuler Mann zum Sprecher der Knesset ernannt wurde, und kritisierte scharf alle religiösen Parlamentarier, die seine Ernennung mit abgesegnet hätten. Tags zuvor bereit wetterte Meir Mazuz, ebenfalls ein einflussreicher Haredi-Rabbiner mit engen Kontakten zu mehreren hochrangigen Mitgliedern in der neuen Regierung, Amir Ohana sei „mit einer Krankheit infiziert“ – gemeint ist seine Homosexualität. Ferner behauptete er, die tödliche Katastrophe am Berg Meron im Jahr 2021 sei auf Ohanas sexuelle Orientierung zurückzuführen. Wie das zusammenhängen soll, blieb sein stilles Geheimnis. Und am Montag äußerte Aryeh Deri, der Vorsitzende von Shass, Vorwürfe gegen Benjamin Netanyahu. Der Ministerpräsident hätte ihn mit der überraschenden Ernennung von Amir Ohana „ausgetrickst“. Die Haredi-Nachrichtenplattform Kikar Hashabbat zitierte Aryeh Deri, der in einer geschlossenen Fraktionssitzung seiner Partei die anderen ultraorthodoxen Parlamentarier dafür kritisiert hatte, dass sie ihrer Verachtung gegenüber Amir Ohana nicht stärker Ausdruck verliehen hätten. Das Absurde: Aryeh Deri selbst hatte Amir Ohana umarmt, jedoch etwas später im Verlauf der Zeremonie, und zwar erst, nachdem er als Innenminister vereidigt worden war.

Andere waren ebenfalls in der Vergangenheit durch unzählige LGBT-feindliche Kommentare aufgefallen. Bezalel Smotrich, nun Minister im Verteidigungsministerium sowie Finanzminister, hatte sich selbst einmal als einen „stolzen Homophoben“ bezeichnet und auch Itamar Ben Gvir gilt ebenfalls als jemand, der einen Rollback in Sachen LGBT-Rechte fordert. Aktuell halten sie sich verbal jedoch etwas zurück. Dafür treten andere Parlamentarier aus dem Lager der Religiösen Zionisten mit Vorschlägen in Erscheinung. So hatte Orit Struck in einem Interview erklärt, dass ihre Partei einige Änderungen bei den Anti-Diskriminierungsgesetzen plant. So wolle man Ärzten und Gesundheitsdiensten erlauben, die Behandlung von Homosexuellen zu verweigern, wenn eine solche ihre religiösen Gefühle verletzen würde. Und ihr Parteikollege Simcha Rotman möchte es gerne Hotelbetreibern ermöglichen, schwule oder lesbische Hotelgäste Zimmer zu verweigern. Bemerkenswerterweise erhielten sie aus den Reihen der ultraorthodoxen Parteien für diese Initiativen kaum Rückhalt. Eher das Gegenteil war der Fall. Denn dort man weiß ganz genau, dass solche Gesetze dann auch die Plattform für die Diskriminierung von Personen aus ihrer Community werden können, kurzum einen Bumerangeffekt hätten.

Und obwohl prominente ultraorthodoxe Rabbiner immer wieder durch Verbalinjurien gegenüber Schwulen, Lesben oder Transsexuellen in Erscheinung getreten sind, wäre es ihnen lieber, wenn über das Thema Homosexualität der Mantel des Schweigens ausgebreitet würde. Denn die religiösen Autoritäten wissen selbst nur zu gut, dass es ebenfalls in ihren Reihen zahlreiche Homosexuelle gibt. Oftmals herrscht deshalb die Einstellung vor, besser nicht darüber zu sprechen, so dass die haredische Jugend keinesfalls mit Fragen der sexuellen Identität konfrontiert wird oder Yeshiva-Studenten auf – ihrer Meinung nach – dumme Gedanken kommen. Und einer der Gründe, warum Ultraorthodoxe seit Jahren gegen die Pride-Parade in Jerusalem zu Felde ziehen, ist die Sichtbarkeit von Homosexuellen. Allein das stellt für die Rabbiner aus diesen Milieus eine Gefahr dar. Aus ähnlichen Gründen lehnen sie gleichfalls den Wehrdienst ab – schließlich könnte man in der israelischen Armee ja mit fremden Frauen in Kontakt kommen.

Bei den Religiösen Zionisten sieht das Ganze etwas anders aus. Sie repräsentieren den am stärksten ideologisierten Sektor der israelischen Gesellschaft. Und so sehen Politiker wie Bezalel Smotrich oder Itamar Ben Gvir ihre Rolle vor allem darin, den Prozess einer Rückkehr des jüdischen Volks in ihr Heimatland voranzutreiben. In diesem Kontext sind westliche Vorstellungen von individueller Freiheit oder gleichen Rechten für alle entweder irrelevant, einfach nur störend oder eben „krank“ und „pervers“. Und weil die Existenz unterschiedlicher sexueller Identitäten in ihrer Wahrnehmung mit zu den Kernen genau dieses Gesellschaftsmodells gehört, das sie überwinden wollen, nimmt die Beschäftigung mit dem Thema Homosexualität in ihren Reihen geradezu obsessive Züge an. Die Motive für die Aversion der Religiösen Zionisten gegen das Reformjudentum, die ebenfalls Formen einer Dämonisierung zeigt, sind übrigens ähnlich gelagert

Ein Interview mit Bezalel Smotrich, vor wenigen Tagen in der den Ultraorthodoxen nahe stehenden Wochenzeitung Mishpacha erschienen, zeigt exemplarisch, welche Vorstellungen dominieren – auch wenn es dabei nicht um das Thema Homosexualität geht. Gefragt, was er als Finanzminister anders als der säkulare Avigdor Lieberman machen wird, lautet die Antwort von Bezalel Smotrich: „Sie haben viele verschiedene Wirtschaftssysteme ausprobiert, richtig? Sie haben den Kapitalismus und den Neo-Sozialismus ausprobiert, aber eines haben sie nicht versucht, und zwar einen wirtschaftlichen Ansatz, der >Wenn ihr also treu gehorcht< heißt.“ Daraufhin zitiert er den entsprechenden Bibelvers und erklärt: „Wenn wir die Torah befolgen, werden wir mit finanziellem Überfluss und großem Segen belohnt werden. Das wird mein wirtschaftlicher Ansatz sein.“

Dass unmittelbar nach der Vereidigung der neuen Ministerriege vor allem Schwule, Lesben oder auch Transsexuelle auf die Straßen gingen, um ihre Sorge vor einem Umschwung im gesellschaftlichen Klima auszudrücken, dann ist das keine Überraschung. Und offensichtlich sind es nicht nur Vertreter der LGBT-Community, die die Freiheiten in Gefahr sehen. Laut einer aktuellen Umfrage des Israel Democracy Institutes haben 70 Prozent aller säkularen Israelis die Befürchtung, dass ihr Art und Weise zu leben, gerade durch bestimmte Gruppen in der neuen Regierung gefährdet wird. 46,5 Prozent der traditionell eingestellten Israelis sehen das genauso. Inwieweit das Versprechen von Benjamin Netanyahu gehalten wird, dass niemand in Israel um seine Rechte fürchten muss, wobei er explizit Homosexuelle miteinbezog, Substanz hat oder einem Koalitionsfrieden geopfert wird, das werden die kommenden Monate zeigen.

Bild oben: Knessetsprecher Amir Ohana (Mitte) mit seinem Lebensgefährten und den gemeinsamen Kindern nach der Amtseinführung, Screenshot Arutz haKnesset