Lutz Pehnert begeistert mit Dokumentarfilm über Bettina Wegner
Von Miriam N. Reinhard
Körper, die sich rhythmisch bewegen, Ausgelassenheit, Szenen aus einem Sommer im Berliner Park. Körper, die sich produzieren, darstellen, den Raum erkunden und fordern, in dem sie stehen, ziellos: nur den Moment in sich aufnehmend, den Augenblick zelebrierend. Dazu hört man Bettina Wegner: „Wenn ich ein Vöglein wär“ singen. So beginnt Lutz Pehnerts Dokumentarfilm „Bettina“, der am 13.02. bei der Berlinale Premiere feierte – vor einem nach der Filmvorführung sichtlich begeisterten und berührten Publikum. Nun ist der von der Kritik durchweg positiv besprochene Film auch in den Kinos zu sehen.
Pehnert zeigt mit „Bettina“ ein eindrucksvolles, sensibles biographisches Portrait der Grande Dame der Liedermacherbewegung und hat zugleich auch ein musikästhetisches Werk, ein faszinierendes Dokument deutsch-deutscher Zeitgeschichte geschaffen.
Der Lebensweg der Sängerin wird als ein Prozess auf mehreren Ebenen skizziert: Wir erleben sie in und durch ihre Lieder, in für diesen Film gedrehten Interviewsequenzen, in ihrem Arbeits- und Produktionsprozess als Künstlerin – und nicht zuletzt wird die Lebensgeschichte in den Prozess der Geschichte gestellt, in dem ein Gerichtsprozess im Mittelpunkt steht.
Lebensgeschichte und Lebenswerk, Historie und Individuum können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Die in schwarz-weiß unterlegten Interviewsequenzen –in denen wir auch sehr private Geschichten von Bettina Wegner hören können, ohne dass der Film distanzlos dabei vorgeht – zeigen nicht nur die Vergänglichkeit einer gezeigten Gegenwart an, sondern machen auch deutlich, wie sehr Lebensgeschichte immer auf Geschichte bezogen bleibt. In Bettinas Wegners Leben verdichtet sich dies, als am 21. August 1968 die sowjetischen Panzer Prag überfallen; Pehnert zeigt diese Szenen des sowjetischen Überfalls ohne Ton – der Zuschauer aber wird die Gewalt, die in diesen Szenen liegt, dennoch innerlich hören können; gerade auch jetzt, wo die Gewalt wieder so nahe ist.
Bettina Wegner ist zu dem Zeitpunkt des sowjetischen Überfalls 20 Jahre alt und positioniert sich mit Flugblättern gegen die militärische Aggression, sie wird deswegen verhaftet, in Untersuchungshaft genommen und schließlich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung in der Produktion ausgesetzt wird, Pehnert spielt die die Originaltonaufnahmen aus dem Gerichtsprozess ein – ein wirklich erschütterndes Dokument aus einem Unrechtsstaat, Zeugnis einer ideologischen Justiz. Als Bettina Wegner dann als Liedermacherin in der DDR Bekanntheit erlangt, bringt sie mit kritischen Texten erneut die Regierung gegen sich auf, es folgen Auftrittsverbote, Drangsalierung und Bespitzelungen, sie gilt nun erneut als „Staatsfeindin“.
Der Konflikt zwischen Staat und Sängerin eskaliert weiter, bis 1983 ihre Ausbürgerung aus der DDR erfolgt – abgeschlossen ist für Bettina Wegner diese Geschichte damit aber nicht: Sie beschreibt das Gefühl einer Entwurzelung, der Heimatlosigkeit – einer Leerstelle, die sich nie wieder richtig füllen wird. „Ich habe mich nie wieder zugehörig gefühlt“, erzählt sie im Interview. Keine Zugehörigkeit, aber doch immer ein ganz klares ethisches Bewusstsein, das einen durch die Zeiten tragen kann: Ihr Lied „Gebote“ steht unter anderem dafür ein.
Der Arbeits- und Produktionsprozess, in dem Bettina Wegner sich als Sängerin befindet, wird im Film mit zwei größeren Strängen verfolgt: einen Probeprozess mit dem Musiktrio L’art de passage und einem anschließenden Konzert in Dresden aus dem vergangenen Jahr. Hier gewinnt man auch einen Eindruck von der Professionalität der Sängerin und ihren hohen Ansprüchen an sich selbst, sieht zudem auch, wie sie mit dem Publikum in Kontakt ist. Kunst ist Arbeitsprozess, der mit dem Werk nicht abgeschlossen ist. Eine Kunst, die sich der Not des Anderen nicht verweigert, ist nicht beendet mit der Aufführung: Sie bleibt Dialog, sie setzt sich dem Anderen aus.
Im Gegensatz zu vielen Dokumentarfilmen, die eine Person des öffentlichen Lebens ins Zentrum stellen und sie durch weitere Personen kommentieren lassen, wird in Pehnerts Film niemand um eine Stellungnahme zu Bettina Wegner gebeten. Der Film wird so ganz von ihrer und durch ihre Stimme getragen. So entsteht ein atmosphärisch ungemein dichter Film, der in seinem Umgang mit der gezeigten Poetin selbst schon poetisch ist. Die Szenen, mit denen verschiedene Lieder unterlegt werden, sind so gewählt, dass Liedtext und Bild in eine Beziehung treten, die Stimme der Sängerin und die Bewegungen der gezeigten Körper zu einer Choreographie verschmelzen. Es ist, als würden die Lieder genau diese Bilder, die teils melancholisch, teils witzig, teils das Singende unterstützend sind, herbeirufen, während die Bilder dann wiederrum mehrdeutige Perspektiven auf die Lieder eröffnen. Lieder können auch etwas hervorrufen, was nicht die unmittelbare Intention ihrer Verfasserin gewesen sein muss, was aber dennoch als lebensweltliches Potential in ihnen verborgen ist. Musik steht eben nicht nur in dem Raum ihrer unmittelbaren Performance, sondern ist selbst schon Möglichkeitsraum einer Zukunft, die nur anklingen kann. Damit geht die Poesie, gehen die Lieder, auch über die ganz konkret gezeigte Geschichte und Lebensgeschichte hinaus.
Bettina Wegners Stimme wird sich auch weiter behaupten: Zu anderen Zeiten, in anderen Lebenswelten, werden Menschen davon berührt werden, werden etwas verstehen und sich verstanden fühlen.
Menschen, die wissen, wie es sich anfühlt „Heimweh nach Heimat“ zu haben, „wo das auch sein mag“.
Kinospielzeiten:
https://www.filmstarts.de/kritiken/277284/kinoprogramm/in-und-um-583541/
Weitere Informationen zu Bettina Wegner:
http://www.bettinawegner.de/
Bild oben: © Lutz Pehnert / solo:film
Erstveröfft. hier 15.2.2022; geringfügige Nachbearbeitung u. Aktualisierung 19.5.2022