Gedenken an den Tag der Befreiung vor 75 Jahren – Für unsere Demokratie ist die Erinnerung unabdingbar

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Weltweit wird in diesen Tagen an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert, an die Befreiung vom Nationalsozialismus vor 75 Jahren. Für die jüdische Gemeinschaft steht das Gedenken an die sechs Millionen ermordeten jüdischen Männer, Frauen und Kinder im Mittelpunkt…

Dazu erklärt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster: „Bis heute, in allen nachfolgenden Generationen, ist dieses unfassbare Verbrechen und der nie wieder gut zu machende Verlust in unseren Familien präsent und wird es immer sein. Die Schoa-Überlebenden müssen noch immer ihre unerträglichen Erinnerungen aushalten. Die Schoa gehört zur jüdischen Identität.“

Zugleich sollte die Zäsur des 8. Mai 1945 in ihrer ganzen Komplexität wahrgenommen werden. Es gilt, der Millionen von Opfern zu gedenken und sich die allumfassende Zerstörung in Erinnerung zu rufen. „Auf blutgetränktem Boden entstand aus verfeindeten Staaten ein vereintes Europa“, sagte Dr. Schuster. „Vor dem historischen Hintergrund wird uns erst richtig bewusst, wie kostbar diese Errungenschaft ist und dass sie unbedingt bewahrt werden muss. Ebenso ist die gefestigte Demokratie in Deutschland keine Selbstverständlichkeit, sondern sollte als Errungenschaft empfunden werden.“

„Der 8. Mai 1945 war nicht nur ein Tag der Befreiung, sondern auch ein Tag der Befreier“, ergänzte Dr. Schuster. Mit tiefer Dankbarkeit erinnert die jüdische Gemeinschaft an die Soldaten in den alliierten Armeen, darunter auch viele jüdische Soldaten, die als Befreier nach Deutschland kamen. Auch ihre Geschichte spielt in der jüdischen Gemeinschaft eine wichtige Rolle für die nachfolgenden Generationen, was sich in der deutschen Erinnerungskultur stärker widerspiegeln sollte.“

Mit Sorge beobachtet die jüdische Gemeinschaft jedoch gerade angesichts der schwindenden Zahl der Zeitzeugen eine wachsende Geschichtsvergessenheit und einen Unwillen in Deutschland, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Auch die eigene Familiengeschichte wird unter nicht-jüdischen Deutschen immer weniger reflektiert. In die Verbrechen der Nationalsozialisten, einschließlich der Wehrmacht, waren jedoch Millionen von Menschen involviert. „Wer bereit ist, sich diesen Fakten zu stellen, wird sich auch heute engagiert für den Schutz von Minderheiten und die demokratischen Rechte einsetzen“, erklärte Dr. Schuster. „Für den Erhalt unserer Demokratie halte ich die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit für unabdingbar.“

Info: Ab Freitagmittag, 8. Mai 2020, zeigt der Zentralrat der Juden auf Facebook und Instagram in einem Video die Erinnerungen eines jungen Frankfurters an seinen Urgroßonkel Leonid Berenstein, der ein jüdischer Partisan im Zweiten Weltkrieg war.

Zentralrat der Juden in Deutschland, Berlin, 6. Mai 2020 / 12. Ijar 5780

Zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai erklärte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Dr. h.c. Charlotte Knobloch:

„Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des Zweiten Weltkrieges und des nationalsozialistischen Deutschlands, das ihn begonnen hatte. Wir erinnern an diesem 75. Jahrestag an das Ende der Kampfhandlungen ebenso wie an die endgültige und umfassende Niederlage des NS-Regimes – und wir erinnern an die Befreiung, die dieser Tag sehr wohl war.“

Knobloch erklärte weiter: „Viele Deutsche wurden seinerzeit nur unfreiwillig befreit. Sie hatten die NS-Herrschaft getragen oder zumindest toleriert, die Millionen Menschen in Europa den Tod brachte, darunter auch sechs Millionen Juden, die im Holocaust ermordet wurden.
Auf der Gewissheit, dass solche Schrecken sich niemals wiederholen durften, wurden nach dem Krieg neue Demokratien errichtet. Auch die Bundesrepublik war – und ist – ohne das Gedenken und das tätige ‚Nie wieder‘ nicht denkbar. Politische Gruppen, die sich gegen diesen Grundsatz wenden und die Verbrechen der NS-Zeit verharmlosen, sind mit dem Wesen unserer Nachkriegsdemokratie unvereinbar. Wer im 8. Mai vor allem die Niederlage erkennt, für den ist die Freiheit insgesamt eine Niederlage.“

Knobloch betonte abschließend: „Dieser Gedenktag sollte daher zu der Einsicht beitragen, dass Demokratie und Erinnerung nicht voneinander zu trennen sind. Wer demokratische Kultur will, der muss sie aktiv erhalten – heute mehr denn je.“

Bild oben: Nach der Eroberung Berlins durch die Rote Armee im Mai 1945 hissen sowjetische Soldaten die Sowjetflagge an einem Haus in der Straße Unter den Linden. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-R77767 / CC-BY-SA