Kongress für französischsprachige Antisemiten und Holocaustleugner in Brüssel geplant

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Wer versammelt die einflussreichsten besessenen und paranoiden Antisemiten in einem Raum? Es gibt eine Reihe von Konkurrenten um diesen Titel, weshalb eine Antwort auf die Frage schwer fällt…

Von Bernard Schmid, Paris
Aktualisierter und überarbeiter Vorabdruck eines Artikels für die antifaschistische Zeitschrift ,Der Rechte Rand‘ (DRR)

Zumindest für den französischsprachigen Raum könnte der Pokal aber an den belgischen Parlamentsabgeordneten Laurent Louis gehen. Der 33jährige, der schon mehrere Parteien gründete, wieder verließ oder auflöste, führt derzeit eine eigene Splitterformation unter dem Namen Debout les Belges (ungefähr: „Aufrecht, Ihr Belgier!“) an. Ursprünglich war er 2010 für eine konservativ-wirtschaftsliberale Kleinpartei namens Parti populaire, die damals in ganz Belgien 1,3 Prozent der Stimmen erhielt, ins Bundesparlament gewählt worden.

Louis radikalisierte sich jedoch im Laufe der letzten Jahre zum rabiaten Antisemiten, unter dem Vorwand, angeblich „Antizionist“ und Gegner der israelischen Palästinapolitik zu sein. An diesem Sonntag, den 04. Mai 2014 plant er, einen „Europäischen Kongress der Dissidenz“ in Brüssel abzuhalten. Bis zur Stunde wird der Ort seines Stattfindens noch geheim gehalten. Nach ersten Protesten von antirassistischen und Menschenrechtsorganisationen soll er nun allerdings in eine private Veranstaltung für geladene Gäste umgewandelt werden, während am Samstag Abend eine Verbotsdrohung über der Veranstaltung schwebte ((vgl. http://actu.orange.fr/monde/congres-antisemite-a-bruxelles-les-autorites-belges-preparent-la-riposte-afp_CNT00000021OQM.html )).

Eingeladene Stargäste sind dabei der französische antisemitische Schriftsteller Alain Soral, der Ende 2013 in einem Buch klarstellte: „Ich bin nicht rechtsextrem, ich bin französischer Nationalsozialist“, sein Weggefährte Dieudonné M’bala M’bala ((vgl. http://www.lemonde.fr/europeennes-2014/article/2014/05/02/dieudonne-et-alain-soral-attendus-a-bruxelles-pour-un-meeting-d-extreme-droite_4410946_4350146.html )) oder der ebenfalls aus Frankreich kommende, vorbestrafte Neonazi-Autor und aus dem Schuldienst entlassene Ex-Geschichtslehrer Hervé Ryssen. Von Ryssen, Jahrgang 1967, stammt der Ausspruch: „Immer wenn Sie in einem Film eine blonde Frau zusammen mit einem Schwarzen sehen, wissen Sie, dass der Film von einem Juden gedreht wurde“.

Ebenfalls zu den prominenteren geladenen Gästen zählt Noël Gérard, der unter seinem Künstle- und Tarnnamen Joe le Corbeau – „Joe die Krähe“ – eine relative Bekanntheit im französischsprachigen Raum erlangte. Eine breitere Öffentlichkeit nahm den heute 32jährigen erst wahr, als er am 28. Januar dieses Jahres in der Nähe von Marseille vorübergehend festgenommen wurde. ((Vgl. http://www.directmatin.fr/france/2014-01-29/qui-est-joe-le-corbeau-le-dessinateur-proche-de-dieudonne-653162)) Aus diesem Anlass erst wurde die wahre Identität von Noël Gérard bekannt, der bis dahin mitunter gefälschte Führerscheinpapiere eingesetzt hatte, um seine wahre Identität zu verbergen. ((Vgl. http://elfassiscoopblog.com/noel-gerard-dit-joe-le-corbeau-le-dessinateur-nazi-de-dieudonne-defere-au-parquet-a-lissue-de-sa-garde-a-vue/))

Die Staatsanwaltschaft von Toulouse, an welche er übergeben wurde, wirft ihm die Aufnahme und Verbreitung eines Fotos vor, das im Herbst 2013 vor der jüdischen Schule Ohr-Torah in der südwestfranzösischen Stadt aufgenommen wurde. Darauf zeigt ein nicht näher identifizierter Mann den so genannten salut de la quenelle oder „Knödel-Gruß“. Es handelt sich dabei um eine Geste, die in den letzten Jahren durch den französischen schwarzen Theatermacher und mittlerweile bekannten Antisemiten sowie Soral-Weggefährten Dieudonné M’bala M’bala ((Vgl. zu ihm, mit weiteren Quellen: https://www.hagalil.com/2014/01/05/dieudonne-5/)) – sein Vorname dient ihm als Künstlername – popularisiert wurde. Die ursprüngliche Bedeutung des „Grußes“, der mit erhobenem Arm und dabei am Schulteransatz angelegter Hand des entgegensetzten Arms erhoben wird, ist eine Art von „Stinkefinger“. Er symbolisiert dabei so viel wie die Absicht, der vorgestellten Gegenseite „einen Knödel tief in den Hintern zu schieben“. Aufgrund der Örtlichkeiten, an denen die Geste oft gezeigt wurde, dazu zählt u.a. das Mahnmal für die Shoah in Berlin – wobei Alain Soral persönlich in Erscheinung trat -, kommt ihm jedoch oft eine offen antisemitische Bedeutung zu. ((Vgl. http://k00ls.overblog.com/2013/12/pour-ceux-qui-prétendent-que-la-quenelle-n-est-pas-un-geste-antisémite.html))

In diesem Fall war dies ebenfalls unzweifelhaft. Die jüdische Schule Ohr-Torah ist jener Ort, an dem der von jihadistischen Ideen beeinflusste Terrorist Mohammed Merah im März 2012 drei Kinder sowie einen Lehrer erschoss. Der Mann auf dem Foto trug dazu ein T-Shirt mit dem Konterfei des 2004 verstorbenen Yasser Arafat. Dafür konnte zwar der frühere PLO-Vorsitzende selbst nichts. Doch im Geiste des auf dem Bild posierten Mannes sowie von Joe le Corbeau – der es verbreitete – handelte es sich eindeutig um eine symbolische Kampfansage an Juden und Jüdinnen. Die Betrachterin musste Schadenfreude über die getöteten jüdischen Kinder vermuten.

Joe Le Corbeau selbst stellte es im Nachhinein anders dar. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Dieudonné am 02. Februar 14 in Marseille ((Vgl. dazu ihr Video: https://www.youtube.com/watch?v=Hr6GsHsaXrI&feature=em-subs_digest-ctrl-vrecs)) behauptete er, vielmehr habe er eine „False Flag-Operation“ anprangern wollen. Ähnlich, wie VerschwörungstheoretikerInnen etwa behaupten, die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA seien in Wirklichkeit ein „Inside job“ gewesen, wandte er dasselbe Schema auch auf die Morde von Toulouse an. Diese hat angeblich „das System“ in Szene gesetzt. Dieudonné präzisierte dazu ((Vgl. Minute 27 des oben zitierten Videos.)), dieses System werde „durch eine kleine Zahl von Leuten“ angeführt: „die wahren Herren Frankreichs“, die alle „sehr stark mit dem Staat Israel (…) und mit dem Geld verbunden“ seien. Stattdessen wolle man den sozialen Unterklassen jedoch einreden, ihr Feind sei der Front National. – Einige Wochen später würde Dieudonné Mitte März d.J. dazu aufrufen, bei den französischen Kommunalwahlen entweder Stimmenthaltung zu üben oder den Front National zu wählen.

Am 27. März 14 beantragte die Staatsanwaltschaft eine gerichtliche Einstweilige Verfügung, um die Schließung der Webseite von Joe Le Corbeau zu erreichen. ((Vgl. http://www.leparisien.fr/faits-divers/haine-raciale-le-parquet-assigne-joe-le-corbeau-pour-faire-fermer-son-site-26-03-2014-3711287.php)) Nach seinem polizeilichen Gewahrsam von Ende Januar war ihm bei der Freilassung bereits zur Auflage gemacht worden, diese Webseite nicht zu benutzen. Über diese verbreitete er Fotos wie dasjenige, das ihm ein Strafverfahren (vgl. oben) eintrug, aber auch die von ihm verfassten und im Antisemitenmilieu beliebten Comicbände. Deren Strickmuster besteht in der Regel daraus, die Titelseiten oder ausgewählte Zeichnungen der populären Bände von Tim und Struppi – dem Werk des belgischen Zeichners Hergé – zur Kenntlichkeit zu entfremden, aber mit einer antisemitischen Aussage zu verbinden. Letztere soll also mit Mitteln der Populärkultur verbreitet werden.

Die Rolle des Hauptprotagonisten Tintin („Tim“) wird dabei regelmäßig von Dieudonné übernommen: Er ermittelt und kommt, so die Darstellung, von offizieller Seite verbreiteten „Geschichtslügen“ auf die Spur. Und der „Kapitän Haddock“ aus dem Comic trägt nunmehr die Züge des 47jährigen rechtsextremen Schriftsteller Paul-Eric Blanrue.

Das Cover von Objectif six millions („Ziel sechs Millionen“) etwa zeigt den Comichelden Tim als Dieudonné und seinen ewigen Begleiter Kapitän Haddock als Blanrue, sowie – statt der Comicfigur „Professor Bienlein“ – den Professor Robert Faurisson. Der pensionierte Literaturprofessor ist seit 1979 der wohl bekannteste Holocaustleugner in Frankreich; Dieudonné holte ihn bei Theaterauftritten im Dezember 2006 und im Dezember 2008 neben sich auf die Bühne. Für diesen Band wurde Hergés Originaltitel On a marché sur la lune (deutsch: „Reiseziel Mond“) abgewandelt. Statt auf die Raketenabschussrampe, die im Originalcomic zu sehen ist, fahren Tim/Dieudonné, Haddock/Blanrue sowie Faurisson auf eine gigantische Baustelle zu. Auf ihr wird eine Riesenfigur gefertigt, unter deren Konturen man den jährlich von Alain Soral und Dieudonné für „Leistungen“ in Sachen Geschichtsrevisionismus verliehenen Pokal der „Quenelle d’Or“ (Goldener Knödel) erkennt. Aus „Die Juwelen der Sängerin“, dem Titel eines anderen Bands von Hergé, wurden „Die Juwelen von Tel Aviv“. Und die Titelseite von Noël Gérards L’étoile mystérieuse („Der geheimnisvolle Stern“) – dieselbe Überschrift trägt einer der Comicbände von Hergé – ziert eine Globuskugel, an der sich eine männliche Figur mit hässlicher Fratze und überdimensionierter Nase festkrallt. Davor bleiben Dieudonné und eine Ziege, die Tim und seinen Hund Struppi ersetzen, verängstigt stehend. Die furchteinflößende Figur im Zentrum der Zeichnung ist identisch mit jener auf dem Plakat, das in Frankreich unter der Nazibesatzung für den Film Le péril juif („Die jüdische Gefahr“) warb: Eine hässlich gezeichnete Judenfigur krallt sich mit spitzen Fingernägeln in einer Weltkugel fest. Bei letztgenanntem Film handelte sich um die Übersetzung des NS-Propagandafilms „Jud Süß “.

Inzwischen lebt Noël Gérard, der infolge der Einleitung des Strafverfahrens gegen ihn und der Aufdeckung seiner Identität von seinem früheren Arbeitgeber gefeuert wurde – er war bis dahin als Informatiker im Rathaus von Aix-en-Provence tätig -, überwiegend von seiner so genannten Kunst. Bis dahin hatte er anscheinend eifrig die Computer seines früheren Arbeitgebers für seine Aktivitäten benutzt: 2012 hatte das Rathaus wegen auffallend häufigen Aufrufens der Webseite von Joe le Corbeau eine interne Ermittlung eingeleitet. Dass ihm die Geldquelle durch den Verkauf antisemitischer Machwerke versiegt, ist jedoch so schnell nicht zu erwarten: Schon Anfang Februar verkündete er bei seiner Pressekonferenz, er werde eine neue Webseite einrichten, unter dem Namen Croah.fr. Ihr Name bedeutet so viel wie „Krächz“, spielt also auf den Ruflaut von Krähen an. Inzwischen existiert diese neue Webseite, über die auch sein Online-Geschäft unter dem Namen Boutiquenelle – zusammengesetzt aus boutique und quenelle – zu erreichen ist. Nur eine Haftstrafe würde diesem Treiben wohl vorläufig ein Ende setzen.