Antisemitismusdebatte im Bundestag: Die Ahnungslosen

15
29

Die Debatte über den Antisemitismusbericht offenbart, dass zu wenige Abgeordnete die Brisanz des Themas verstehen…

von Julius H. Schoeps, Jüdische Allgemeine, 25.10.2012

Vor einer Woche hat der Bundestag über ein Papier debattiert, das ihm seit einem Jahr vorliegt. Es ist der Bericht »Antisemitismus in Deutschland«, den eine Expertenkommission erarbeitet hat, zu der auch ich gehörte. Warum sich der Bundestag nicht schon früher die Aufgabe stellte, politische Lehren aus einem Bericht zu ziehen, den er selbst angefordert hat und dessen Aktualität von niemandem bestritten werden kann, muss verwundern.

Vermutlich waren es der Überfall auf einen Rabbiner mitten in einem Berliner Wohnviertel, die Mordanschläge in Frankreich und auch die vermehrt gemeldeten Pöbeleien gegen Juden auf offener Straße, die die Bundestagsparteien veranlassten, Bericht und Thema endlich zu behandeln. Aber wer am Mittwoch vergangener Woche im Berliner Reichstagsgebäude war, wer die Debatte im Fernsehen verfolgt oder sie als Bundestagsdrucksache nachgelesen hat, muss sich ernsthaft fragen, zu welchem Zweck sie überhaupt angesetzt wurde.

Wille Ein seriöser Wille jedenfalls, die Arbeit der Expertenkommission in tragfähige Politik zu übersetzen, sprich: Judenhass wirklich und nachhaltig zu bekämpfen, ließ sich nur bei wenigen Abgeordneten erkennen. Bei sehr wenigen. Es scheint, als ob nur Wolfgang Thierse (SPD), Petra Pau (Linke) und Volker Beck (Grüne) die Brisanz des Themas erkannt hätten. Einzig sie argumentierten, dass es notwendig sei, zumindest einmal pro Legislaturperiode einen Bericht von einem unabhängigen Expertengremium erstellen zu lassen.

Diese Forderung, die darauf basiert, dass Antisemitismus ein wachsendes und sich auch stets veränderndes gesellschaftliches Phänomen ist, wurde nicht von allen Sprechern in der Debatte geteilt. Maria Flachsbarth, die für die größte Fraktion, die CDU/ CSU, sprach, plädierte dafür, was wohl auch Regierungsmeinung ist: dass nämlich künftig nicht ein unabhängiges Expertengremium den Bericht erarbeiten solle, sondern dass es genüge, wenn die Behörden regelmäßig berichteten.

Während man sich mit dieser Position noch ernsthaft auseinandersetzen kann, waren manche Äußerungen derart deplatziert, dass man als Zuhörer das Gefühl hatte, manche Redner wüssten gar nicht, worüber sie sprachen. Für Kopfschütteln sorgte beispielsweise der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl, der in der Debatte darauf verwies, dass doch in jüngster Zeit die Mittel des Zentralrats der Juden von fünf auf zehn Millionen Euro jährlich aufgestockt worden seien. Was diese Bemerkung mit dem Bericht des Expertengremiums zu tun hat, erschloss sich nicht. Sollte damit etwa zum Ausdruck gebracht werden, dass die Bekämpfung des Antisemitismus nicht Aufgabe der Politik sei, sondern des Zentralrats der Juden? Die Angegriffenen sollen selbst dafür sorgen, wenn sie künftig nicht mehr attackiert werden wollen? Und der Staat schaut desinteressiert zu? Das wäre ein starkes Stück!

Zweifel Als Hans-Peter Uhl auch noch erklärte, dem Bundesinnenministerium könnten keine Vorwürfe gemacht werden, dass es die Vorschläge des Expertengremiums nicht umgesetzt hat, da diese »etwas dünn« seien, meldeten sich schon fast überwunden geglaubte Zweifel wieder, ob es die Koalition wirklich ernst meint mit der Bekämpfung des Antisemitismus. Zumal Herr Uhl auch nicht die Spur eines Hinweises gab, was genau denn in dem Papier »etwas dünn« sei.

Die Studien, die von uns in der Expertenkommission ausgewertet wurden, zeigen fast übereinstimmend, dass etwa 15 Prozent der Bevölkerung offen antisemitisch eingestellt sind. Bei weiteren 20 Prozent der Bundesbürger ist Antisemitismus in Latenz feststellbar. Wir haben es also nicht mit einem Randgruppenphänomen zu tun, das nur Neonazis und ein paar Muslime betreffen würde. Antisemitismus findet sich im Zentrum der Gesellschaft.

Beschneidung Logischerweise stellt sich – nicht erst seit vergangenem Mittwoch – die Frage, warum es ausgerechnet unter den Abgeordneten keine Antisemiten geben sollte. Es gibt sie. Und ab und zu können wir Kostproben aus Parlamentariermündern hören – wie etwa jüngst in der Beschneidungsdebatte. Diese Wortmeldungen lassen einen zusammenzucken. Charlotte Knobloch, die einstige Präsidentin des Zentralrats der Juden, war über manche Äußerungen derart empört, dass sie öffentlich die Frage stellte: »Wollt ihr uns Juden eigentlich noch?«

Regelmäßig vorgelegte Berichte zum Antisemitismus in Deutschland, seinem Umfang, seiner Entwicklung und wie man ihn bekämpfen kann, sind weiterhin wichtig. Das gilt auch dann, wenn sie nicht jeder versteht. Nicht zuletzt sind es Dokumente, auf die man sich berufen kann. Niemand kann dann sagen: Oh Gott, oh Gott, das habe ich nicht gewusst.

Aus den jüngsten, sehr ernüchternden Erfahrungen, wie der Bundestag mit dem von ihm selbst angeforderten Expertenbericht umgegangen ist, lässt sich aber zumindest die Frage ableiten, ob unbedingt Vertreter des Judentums an diesen Berichten mitwirken sollen. Ich bin mir da nicht sicher. Es sind schließlich die Nichtjuden, die sich um die Bekämpfung des Antisemitismus zu kümmern haben. Die Aufgabe der Juden sollte das nicht sein.

Der Autor ist Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam und (Noch-)Mitglied der Antisemitismus-Expertenkommission des Bundestags.
juedische-allgemeine.de/article/view/id/14291

15 Kommentare

  1. Der Bericht ist eine Schaubude für die historisch, sozial, ökonomisch, politisch und kulturell höchste Konzentration von Pseudo-Wissenschaftlichkeit, Ein Machwerk, das sich als Ziel gesetzt hat, was alles uns, Juden und INSBESONDERE Zionisten nicht passt zum Antisemitismus zu erklären.
    Ich habe sehr aufmerksam die Arbeit der sogenannten „Experten“ verfolgt und auch das Ergebnis detailliert durchgeforstet. Mehr als aus Feigheit staatlich gestützter Mühl ist es nicht. Ich werde im frühjahr mal das Ganze öffentlich auseinandernehmen, auf einem wissenschaftlich sauberem Niveau.

  2. Wieso? Wurde der Rabbi jetzt zusammengeschlagen oder nicht? Gibt es neue Erkenntnisse?
    Gibt es Zweifel an seiner Version? Gibt es einen Anlass für die Formulierung „Unbestätigtes Ereignis“

    • pmn, das Körnchen Wahrheit liegt nicht in Poznanskis verleumderischen Unterstellungen gegen Rabbi Alter — dem tatsächlich von Jugendlichen mit gewissem Migrationshintergrund das Jochbein gebrochen wurde — sondern darin, dass er fragt, wer und wieviele warum in Deutschland zum Judentum übertreten und ob diese Ãœbertritte aus Sicht von gebürtigen Juden, die die Juden in erster Linie als ein Volk sehen, eine gute Sache sind oder nicht.

      Auf seiner Webseite findet sich unter all den Verrücktheiten, justiziablen Beleidigungen und Formatierungsverbrechen sogar eine schöne Formulierung, nämlich, „Die Religion ist eine Tradition und ein Anker – nicht das Schiff!“ So denke auch ich und so denken viele andere Juden.

      In Amerika gibt es das Phänomen, dass sich „Weiße“, also Nachfahren europäischer Einwanderer, plötzlich indianische Vorfahren in ihrem Stammbaum zulegen, weil sie so in den Genuss von Vergünstigungen (als Angehörige einstmals verfolgter Minderheiten) kommen oder einfach weil es als schick gilt. Nachdem der Ururgroßvater mit der Winchester Rifle Jagd auf Rothäute machte, erfindet man heute eine Ururoma aus dem Stamme der Cherokee. Die Cherokee können sich nicht wehren, es gibt nur noch so wenige „reinblütige“, dass schon Menschen mit nur 1/64-Anteil Cherokee im Stammbaum sich so nennen dürfen.

      Poznanski, und nicht nur er, will nicht, dass es hier auch so weit kommt. Weil die meisten Juden Angst haben, das laut zu sagen, denn es könnte den Zorn der Mehrheitsgesellschaft erregen — „Wie kommen die Juden dazu, unter sich bleiben zu wollen?!?“ — ist er momentan der einzige, der immer wieder laut auf diese Pauke haut.

      Trotzdem ist der „Tourette-Doc“ aufgrund seiner paranoid-aggressiven Art und seinem Hang zur Mythomanie gänzlich ungeeignet, irgendeine Rolle in der Öffentlichkeit zu spielen. Bisher ist er noch überall im Internet, wo er sich geäußert hat, früher oder später geblockt worden.

    • Als würden tausende in Dtl. zum Judentum übertreten. Es sind nicht mal 70 pro Jahr.

      “Wie kommen die Juden dazu, unter sich bleiben zu wollen?!?”

      Unter sich bleiben? Konvertiten sind genauso Juden wie geborene Juden. Legt man so die Halacha mal eben beseite? Unter sich bleiben ist daher eher Quatsch. Gerim legen sich ja keine jüdischen Vorfahren zu und wissen sehr wohl, dass sie nicht einer Religion, sondern einem Volk beitreten.
      Daher ist der Vergleich mit den Idianern keiner. Ich kann das Gerimbashing nicht nachvollziehen, denn es unterstellt anderen aus üblen Gründen Juden werden zu wollen.
      Man sollte da schon mal auf dem Teppich bleiben.

    • Okay. Ich würde gerne das „viele andere Juden“ zurücknehmen. Denn ich kann nicht über die Meinung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland Auskunft geben. Lediglich über die meiner Familie und Freunde. Und da wird über das Thema selten gesprochen, und wenn, dann ist das Sentiment nicht „erbitterte Ablehnung“ sondern „leichtes Unbehagen“.

    • Die meisten, vor allem religiöse Juden, sind immer sehr glücklich, dass es Gerim gibt. Da erlebt man eher das Gegenteil als eine Ablehnung.
      Aber der Kontext war ja, dass man für 25 Euro im Jahr Jude werden kann. Ich wusste gar nicht, dass das so billig ist. 😀
      Das ist natürlich gelogen, aber manche glauben auch jeden Scheiß.
      Apropos: Wer stellt diesen denn eine Giururkunde (die diesem Fall muss es eine gefälschte sein) aus? Die muss man vorzeigen, wenn man Mitglied der jüdischen Gemeinde werden will und das weltweit. 😉

  3. „“Vermutlich waren es der Ãœberfall auf einen Rabbiner mitten in einem Berliner Wohnviertel, die Mordanschläge in Frankreich…“

    DAS ist erbärmlich! Die Reihenfolge und Vermengung dieser zwei Ereignisse ist sehr bezeichnend.
    Der echte Jude Alter führt eine Gemeinde von Fakejuden, in welcher sich hochstapelnde Goym für 25 €/Jahr den Titel „Jude“ kaufen, hatte trotz angeblichem Jochbeinbruch nicht mal ein Monokelhämatom und ist als Verräter am Judentum einzustufen. Dieses unbestätigte Ereignis, welches genauso dem „Investiturstreit“ der Fakejudengemeinden in Berlin geschuldet sein könnte VOR und im gleichen Satz mit den bestialischen Morden von Toulouse zu nennen, ist schlöicht kriminell und zeigt. dass Hagalil eine „breite “ Leserschaft wichtiger ist, als der Erhalt des Judentums. Schande auf Euch!!!

    • Für die, welche Poznanski noch nicht kennen, der Hinweis: Alles, was er schreibt, muss durch zehn geteilt werden, dann findet man das Körnchen Wahrheit darin. Schade, dass der Mann so gigantobombastisch übertreiben muss, er hätte nämlich etwas interessantes zu sagen, worüber zuwenig gesprochen wird.
      Vielleicht kommt mal jemand, der den wahren Kern in seinen Suaden erkennt und als Anlass für eine eigene journalistische Recherche nimmt?

  4. Fast 15% sind antisemitisch – oder besser antijüdisch – eingestellt; wieviel Moslems haben wir im Land? Wenn 5%, dann kann man diese Prozentzahl schon mal von den 15 abziehen, wenn man „die Deutschen“ meint. Macht doch mal eine Umfrage unter ihnen, aber bitte diskret.

    • Sie meinen, in Deutschland leben 5% Muslime und diese 5% sind Antisemiten. Ergo: Sind alle hier lebenden Moslems Antisemiten oder wie soll man das verstehen??

      Es ist nichts neues, dass es unter Muslimen Antisemiten gibt, zumindest für die, die sich damit schon lange beschäftigen, aber die leben auch hier und sind somit auch ein deutsches Problem. Abgesehen davon, dass immer der Hinweis auf antisemitische Muslime den ureigenen Judenhass nicht besser machen. Aus diesen beiden Gründen hat der BT sehr wohl auch damit zu tun, wie auch der Rest der Gesellschaft. Den Finger immer auf die anderen zu zeigen, löst das Problem aber nicht. Judenhasser leben unter uns, sie sind da!

  5. „Vermutlich waren es der Ãœberfall auf einen Rabbiner mitten in einem Berliner Wohnviertel, die Mordanschläge in Frankreich und auch die vermehrt gemeldeten Pöbeleien gegen Juden auf offener Straße, die die Bundestagsparteien veranlassten, Bericht und Thema endlich zu behandeln. Aber wer am Mittwoch vergangener Woche im Berliner Reichstagsgebäude war, wer die Debatte im Fernsehen verfolgt oder sie als Bundestagsdrucksache nachgelesen hat, muss sich ernsthaft fragen, zu welchem Zweck sie überhaupt angesetzt wurde.“
    Angsichts der erwähnten Beispiele stellt sich natürlich schon die Frage, ob der Deutsche Bundestag die richtige Adresse für Ihre Sorgen ist. Vielleicht sollte besser bei den diversen Moslemorganisationen im In- und Ausland nachgefragt werden, wie es um exterminatorischen Antisemitismus in Europa bestellt ist?

    • Aus dem obigen Text:

      „Bei weiteren 20 Prozent der Bundesbürger ist Antisemitismus in Latenz feststellbar. Wir haben es also nicht mit einem Randgruppenphänomen zu tun, das nur Neonazis und ein paar Muslime betreffen würde. Antisemitismus findet sich im Zentrum der Gesellschaft.“

      Damit wird Ihre Frage eigentlich schon beantwortet.

Kommentarfunktion ist geschlossen.