Kairo – Berlin: Einflusskampf am Nil

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Nach der Rückzugsankündigung des ägyptischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak und angesichts der eskalierenden Kämpfe zwischen seinen Anhängern und seinen Gegnern intensiviert Berlin seine Bemühungen um Einflussnahme auf das zukünftige Machtgefüge in Kairo. Noch hält das Militär dort die Kontrolle in der Hand…

German-Foreign-Policy.com

KAIRO/BERLIN – Eine neue Regierung, die diesen Zustand unter dem Schirm eines populäreren Präsidenten stabilisierte, käme der Bundesregierung entgegen: Die deutsche Kooperation mit den Repressionsapparaten Ägyptens ist erprobt; sie galt stets als verlässliches Mittel, um an der Seite der USA die westliche Hegemonie über die nah- und mittelöstlichen Ressourcengebiete zu bewahren. Wirtschaftsvertreter warnen, ein „Umsturz“ könne zudem zu millionenschwerem Verlust beim Export und in deutschen Fabriken in Ägypten führen. Sollte sich die Macht der Militärs in Kairo nicht mehr stabilisieren lassen, zieht Berlin eine enge Kooperation mit Führungsfiguren der bisherigen Opposition in Betracht, denen in der deutschen Hauptstadt zugetraut wird, die deutschen Interessen angemessen zu berücksichtigen. Entsprechende Kontakte haben in den vergangenen Jahren bereits parteinahe Stiftungen aufgebaut, insbesondere die Friedrich-Naumann-Stiftung, die zur Partei des deutschen Außenministers gehört.

Die Macht des Militärs

Nach der Ankündigung des ägyptischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak, bei den im September bevorstehenden Präsidentschaftswahlen nicht mehr zu kandidieren, verstärkt die Bundesregierung ihre Bemühungen um Einflussnahme auf das künftige Machtgefüge in Kairo. Dort hält weiterhin das Militär die Kontrolle in der Hand: Die bedeutendsten Minister entstammen den Streitkräften; Omar Suleiman, vor wenigen Tagen mit dem Amt des Vizepräsidenten betraut, ist seit beinahe 20 Jahren Geheimdienstchef und gilt ebenfalls als Mann der Armee. Eine Konstellation, durch die es gelänge, die tatsächliche Macht in Ägypten bei Suleiman und beim Militär zu belassen, käme den westlichen Staaten entgegen: Mit ihr könnte das labile Spannungsverhältnis in Nah- und Mittelost [1] aufrecht erhalten werden, das auf der Unterstützung Israels durch einige arabische Regime – darunter Ägypten – beruht und die westliche Kontrolle über die arabischen Ressourcen ermöglicht. Dies wird künftig allerdings nicht mehr mit Mubarak, sondern nur mit einem weitaus populäreren Staatspräsidenten möglich sein. Als Kandidaten werden derzeit der ehemalige Außenminister Amr Musa sowie der einstige IAEO-Generaldirektor Mohammed el-Baradei genannt. Musa gehört dem Establishment um Mubarak an und gilt im Westen als verlässlich. El-Baradei hat sich bereits vor einiger Zeit zum Gegner des Staatspräsidenten gewandelt und verhandelt jetzt mit dem Militär. Freilich muss auch die Opposition eingebunden und ruhiggestellt werden.

Repressionspartner

Eine Lösung in Kairo, die die Macht der Militärs wahrte, wird zwar von den Demonstranten abgelehnt, böte der Bundesrepublik, die enge Kontakte zu den ägyptischen Repressionsapparaten unterhält, allerdings auch gute Möglichkeiten zu direkter Einflussnahme. Deutschland ist nicht nur ein bedeutender Lieferant der ägyptischen Streitkräfte.[2] Die Bundeswehr unterhält außerdem ein Kooperationsprogramm mit dem ägyptischen Militär; zuletzt besuchte eine Delegation ägyptischer Soldaten im Herbst 2010 die Schule für Feldjäger und Stabsdienst der deutschen Armee.[3] Omar Suleiman ist in Berlin aus der nahöstlichen Geheimdienstkooperation gut bekannt; auch zur Polizei bestehen beste Beziehungen: Das Bundeskriminalamt hat in Kairo einen Verbindungsbeamten, die Bundespolizei sogar zwei Repräsentanten stationiert. Allein in den Jahren 1985 bis 1995 gewährte Bonn der Polizei Ägyptens Unterstützung mit Material und Training im Wert von mehr als einer Million Euro. Die ägyptische Polizei war bereits damals für ihre Folterpraktiken bekannt.

Wirtschaftsinteressen

Druck auf Berlin, einen „Umsturz“ in Ägypten zu verhindern, kommt inzwischen auch aus der deutschen Industrie. Dominierte die Sympathie für die nordafrikanischen Demokratiebewegungen bisher die mediale Berichterstattung in Deutschland, ist es Wirtschaftskreisen jetzt gelungen, eher kritische Einschätzungen zu lancieren. So heißt es seit gestern, die Aufstände beeinträchtigten die deutsche Industrie gleich mehrfach: Zum einen stehe die Produktion in den deutschen Fabriken in Ägypten still, in die zahlreiche Unternehmen – darunter Großkonzerne wie etwa Siemens, Daimler und BASF – insgesamt mehr als eine halbe Milliarde Euro investiert hätten. Zum anderen seien die deutschen Ausfuhren nach Ägypten gefährdet, die im vergangenen Jahr einen Wert von über 2,66 Milliarden Euro erreicht hätten. In der Boulevardpresse heißt es, allein bei den staatlichen Hermes-Bürgschaften drohten im Falle fortgesetzter Unruhen am Nil Verpflichtungen in Höhe von fast 190 Millionen Euro. Die Kosten der ägyptischen Demokratiebewegung müsse also der deutsche Steuerzahler tragen.[4]

Möllemanns Erben: FDP-Netzwerk

Für den Fall, dass sich die Kontrolle der Militärs in Ägypten nicht stabilisieren lassen sollte, hält Berlin auch zu Oppositionellen Kontakt. Mittel sind unter anderem die parteinahen Stiftungen wie die Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP. Die Naumann-Stiftung unterstützt in Ägypten nicht nur staatliche Organisationen wie die Egyptian Radio and Television Union (ERTU) und den National Youth Council (NYC), sondern auch oppositionelle Vereinigungen wie die Egyptian Organization for Human Rights (EOHR), die 1985 von Ayman Nour gegründet wurde. Nour ist der Vorsitzende der Oppositionspartei el-Ghad, in deren Hauptquartier sich am gestrigen Mittwoch die wichtigsten Verbände der ägyptischen Opposition trafen, um über ihr künftiges Vorgehen zu beratschlagen.[5] Nours el-Ghad-Partei ist Gründungsmitglied des Network of Arab Liberals (NAL). Das Netzwerk wurde im Jahr 2006 als Netzwerk liberaler Parteien aus arabischsprachigen Staaten gegründet und ist der engste Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung dort. Es sieht sich als Entsprechung zu dem lateinamerikanischen Parteienbündnis RELIAL, das in Südamerika der Unterstützung subversiver sezessionistischer Kräfte beschuldigt worden ist (german-foreign-policy.com berichtete [6]).

Frankreich verliert

Unabhängig davon, ob die ägyptische Demokratiebewegung Erfolg haben wird, verzeichnet Berlin durch die Umbrüche in Nordafrika neue Erfolge in der innereuropäischen Konkurrenz. Beobachter stellen fest, dass die EU-Mittelmeerunion [7] jetzt womöglich endgültig zum Stillstand gekommen ist. Die EU-Mittelmeerunion galt in Berlin als Projekt des französischen Staatspräsidenten NicolasSarkozy, der mit ihr ein Gegengewicht gegen die besonders für Deutschland nützlichen Aktivitäten der EU in Osteuropa schaffen wollte. Sarkozy stützte sich beim Aufbau der Mittelmeerunion vor allem auf die Staatspräsidenten Ägyptens und Tunesiens, die jetzt am Ende ihrer Amtszeit stehen bzw. geflohen sind. In der vergangenen Woche ist der Generalsekretär der Mittelmeerunion, der dem Projekt keinerlei Chancen mehr einräumt, entnervt zurückgetreten. Scheitert das Vorhaben, erleidet Paris eine neue Niederlage gegen Berlin, dem sich neue Spielräume öffnen – auch in Nordafrika.

[1] s. dazu Gleichgewicht der Schwäche und Gleichgewicht der Schwäche (II)
[2] s. dazu Nutznießer der Repression
[3] Besuch aus Ägypten; www.feldjaeger-stabsdienstschule.bundeswehr.de 01.11.2010
[4] Steuerzahler haften für Ägypten-Exporte! www.bild.de 02.02.2011
[5] Egypt’s Leaders „Disappointed“ by Mubarak, Welcome Change; www.cbsnews.com 01.02.2010
[6] s. dazu Neoliberale Netze
[7] s. dazu Im Schatten und Kein Gegenpol

Quelle: german-foreign-policy.com/de/fulltext/57999, 03/02/2011

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