‚…die in Sefarad leben‘: Das jüdische Spanien

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Noch in unserem Jahrhundert wunderte sich ein spanischer Historiker über die riesigen Schlüssel aus geschmiedetem Eisen, die ihm immer wieder an den Wänden vieler Häuser in Saloniki und auf Rhodos auffielen. Auf die neugierigen Fragen des Forschers antworten ihm die Besitzer in einem antiquierten Spanisch des 15. Jahrhunderts: „Dieser Schlüssel öffnet das Haus unserer Vorfahren in Toledo.“…

Selbst für den spanischen Gelehrten war es eine exotische Entdeckung, in Griechenland, auf dem Balkan oder in der Türkei auf Menschen zu treffen, deren Gelobtes Land , in dem Milch und Honig fließen, in Spanien liegt und dessen Sprache sie sich ebenso wie die rostigen Schlüssel fast 500 Jahre hinweg bewahrt haben.

Am 2. August 1492, ein Tag bevor sich Kolumbus von einem spanischen Hafen aus auf die Suche nach der Neuen Welt begab, trat jenes verhängnisvolle Edikt in Kraft, das den Exodus von 200.000 Sepharden, spanischen Juden, anordnete.

„Wir, seine Majestäten die katholischen Könige, stimmen dem Rat der Granden und kirchlichen Herren und anderer gelehrten Personen unserer Königreiche zu, daß alle Juden unserer Königreiche des Landes verwiesen seien. Es sei ihnen nicht erlaubt, jemals wieder zurückzukehren, weder zur Durchreise, noch um sich niederzulassen, noch auf sonst eine Art und Weise. Alle, die diesem Befehl nicht Folge leisten, seien mit dem Tode bestraft, ihre Güter sollen dem königlichen Staatsschatz zufallen“, so dekretierten es Ferdinand und Isabella, die Katholischen Könige.

Jetzt, da man sich endlich der letzten Araber auf spanischem Boden im selben Jahr entledigt hatte, wollte der neue Katholische Einheitsstaat auch keine andere religiöse Minderheit mehr dulden.

Die Legenden legen die Ankunft der Juden in Spanien in die Zeit Nebucadnedsars, nach der Zerstörung des ersten Tempels, im VI. Jahrhundert vor Chr. Der einzige Hinweis auf das Wort, das den Sepharden den Namen verlieh, ist im Alten Testament beim Propheten Obadja zu finden, wo es heißt: „…und die Weggeführten von Jerusalem, die in Sepharad leben, werden die Städte im Südland besitzen.“ Das Wort bedeutete im Hebräischen zunächst soviel wie zerstreuen oder Diaspora. Seit Beginn unserer Zeitrechnung pflegte man im Hebräischen mit „Sepharad“ das westlichste Extrem der damals bekannten Welt zu identifizieren: die iberische Halbinsel.

Konzil von 636 in Toledo

Bereits unter den Westgoten, die ab dem 5. Jahrhundert Spanien beherrschten, begannen die Schwierigkeiten im Zusammenleben mit dem christlichen Teil der iberischen Bevölkerung. Und die auf dem Konzil von 636 in Toledo beschlossene Zwangsmissionierung der Juden verbot ihnen zum erstenmal die Ausübung ihrer Religion. Wie eine Befreiung musste den gequälten Söhnen und Töchtern Israels dann die Invasion der Mauren im Jahre 711 erscheinen.

In der toleranten Atmosphäre der frühen arabisch-spanischen Hochkultur von Al-Andalus – die Duldung fremder Religionen ist im Koran verankert – erlebten die spanischen Juden in diesem Mekka des Okzidents ihr goldenes Zeitalter. Der Staatsmann in maurischen Diensten Ibn Shaprut, Dichter und Pilosophen wie Moses Ibn Ezra, Solomon Ibn Gabirol, der jüdische Platon Judah Halevi und allen voran der Arzt, Dichter, Astronom, Mathematiker und Philosoph Moses Maimónides, sind nur einige Namen der Hochblüte spanisch-jüdischer Kultur. Auch baugeschichtlich hinterließen die Sepharden einige der größten Kunstschätze des mittelalterlichen europäischen Judentums: die Synagogen „Santa María de la Blanca“, „Tránsito“ und „Kneseth Haguedola“ in Toledo (ab 1992 offiziell Hauptstadt von Sepharad), oder die noch vollständig erhaltene Synagoge von Córdoba.

Im jahrhundertelangen Hin und Her der Reconquista, der Rückeroberung des arbischen Südens der spanischen Halbinsel, mußten die Juden abwechselnd vom christlichen Teil in den arabischen und umgekehrt fliehen. Beide der rivalisierenden Parteien wollten sich die organisatorischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten der Juden für ihre politischen Ziele nutzbar machen. Aber die Protektion der jeweiligen Macht schützte sie auf beiden Seiten nicht vor anti-jüdischen Ausschreitungen, die im Pogrom von 1391 ihren blutigen Höhepunkt erreichten. Als dann 1492 Granada, das letzte maurische Königreich, besiegt wurde, war auch die Vertreibung der Juden durch den neuen christlichen Zentralstaat beschlossen.

Vertreibung 1492

Mit dem Auszug der Juden aus Spanien stürzten die Brücken zwischen zwei Welten ein, zwischen dem Orient und dem Okzident. Zwei Kulturkreise, die sich hätten gegenseitig anregen und befruchten können. In der Vermittlung dieser beiden Kulturen lag die große schöpferische Leistung der Sefarden. 1492 war der Dialog zwischen dem Abend- und dem Morgenland verstummt – ein herber Verlust für Spanien, wahrscheinlich für das ganze Abendland.

Der Exodus aus Spanien verlief – manchmal nach einer nur kurzen Niederlassung in Portugal – in zwei Richtungen: in den Norden, nach Frankreich, Italien, den Niederlanden und Deutschland; der größere Teil jedoch setzte über die Meerenge von Gibraltar. Einige wollten im nahen Marokko Kontakt mit der alten Heimat halten, die Mehrheit der spanischen Juden aber fanden in Griechenland, den Balkanländern und in der Türkei eine neue Heimat. „Wie kann ich einen König intelligent nennen, der einem anderen Königreich so viel kluge Menschen zukommen läßt“, soll sich Bajasid II., Sultan des riesigen osmanischen Reiches, gewundert haben, als die Sepharden an seinen Grenzen um Asyl anfragten.
Neben Saloniki, Sofia und Bukarest waren die Aljamas, die Gemeinden von Istanbul und Izmir die glanzvollsten. Auch dort stiegen die jüdischen Intellektuellen und Experten in wirtschaftlichen Belangen in die Führungseliten auf. In den neuen Zentren überlebten auch das Judeo-español, die jüdisch-spanische Sprache, die alten Bräuche, Gebete und Liturgien.

Nach dem nationalsozialistischen Holocaust ist auch die sephardische Welt vom Untergang bedroht. Nur noch kleine Gemeinden existieren heute in den Exilländern. Die meisten der wenigen Überlebenden wanderten nach Israel aus, einige kehrten auch nach Spanien zurück.

Zwar wurde das Vertreibungsedikt formal erst 1968 aufgehoben, doch setzte sich das um internationale Achtung bemühte Franco-Regime schon früher für die jüdische Sache ein. Außerdem sagt man dem Diktator die Abstammung von französischen Sepharden nach, ein Grund auch für die Aufnahme europäischer Juden während des 2. Weltkrieges.

Der „Convenio de Cooperación„, den die heutigen Israelitischen Gemeinden Spaniens am 21.2.90 mit dem Staat abgeschlossen haben, gilt als das fortschrittlichste Abkommen zwischen in der Diaspora lebenden Juden und ihren nichtjüdischen Landsleuten. Und am 31.3.1992, exakt 500 Jahre nach Erlaß des Vertreibungsedikts, wird der spanische König in einem Staatsakt den historischen Irrtum der Vertreibung bedauern.

Werner Steinbeiß

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Abb. v. de.wikipedia.org/wiki/Mezquita_de_Córdoba