Mazel tov zum 9.Mai: Schön, dass Ihr hier seid!

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500.000 Juden haben in der Roten Armee gekämpft. Sie wurden die höchstdekorierten Soldaten der Sowjetunion. Doch weil Stalin nicht sehen wollte, dass Juden Kämpfer und Helden sein können, weiss das niemand. Er löschte sie aus der Erinnerung, strich sie aus den Geschichtsbüchern. Doch jetzt waren wir in der Synagoge in Frankfurt. Der Saal brechend voll. 9. Mai, der Tag der Befreiung, Tag des Sieges. Und die Alten, übersät mit Orden der Roten Armee, erzählen vom Kampf gegen die Faschisten. Und die Jungen haben Tränen in den Augen. Und die Band spielt: „Mazel Tov“: Glückwunsch, dass Ihr gekämpft habt. Überlebt habt. Dass Ihr hier seid…

MAZEL TOV ist ein Film von Mischka Popp und Thomas Bergmann. Es geht um russische Juden in Deutschland und um Geschichten. Oder um die Menschen die sie erzählen oder erlebt haben.

Im Mittelpunkt stehen:

* Ein Schneider, der Gedichte liest und daraus Kleider macht.
* Eine alte Frau, die weinend von ihrem Leben erzählt und plötzlich Küchenlieder singt. Ein junger Hotelier, der sagt: „Erst in Deutschland habe ich gelernt, was es heißt, Jude zu sein.“
* Ordensgeschmückte Männer, die wie Steine in ihren Zimmern sitzen und vom Kampf erzählen gegen die Nazis.
* Eine junge Wissenschaftlerin, die Bilder macht aus dem Einwickelpapier von russischen Lebensmitteln.
* Ein Musiker, der sagt: „Man kann nicht suchen. Man kann zum Beispiel keine Frau suchen. Man muss finden.“
* Ein Mann, der von David und Goliath erzählt.
* Eine Frau, die viel über Russen und Juden und Deutsche weiß und daraus einen Beruf gemacht hat.
* Ein Paar, das hoch qualifiziert ist und kleine Brötchen verkauft. Und eine Frau, die ein kleines Wohnzimmer hat für Flüchtlinge. Ein Mann, der Scharfschütze war.
* Eine Frau, die sagt: „Meine Kinder sollten nie so allein sein, wie ich es war.“
* Und ein Mann, der von der Schwere des Lebens erzählt und sagt: „Ich bin immer Optimist. Und dass ich mich jetzt, mit 98 Jahren, hinlege und aufgebe: Daran denke ich nicht.“ Und lacht.

Zum Film und zu den Geschichten noch einige persönliche Anmerkungen der Filmemacher
Mischka Popp und Thomas Bergmann

Russische Juden, die nach Deutschland einwandern? Ausgerechnet Deutschland? Wir hatten höllischen Respekt vor diesem Thema. Angst, dem nicht gerecht zu werden. Zuviel geht einem im Kopf herum: die deutsche Geschichte, Nazi-Deutschland, der ultimative Zivilisationsbruch des Holocaust … Und dann waren wir in der Synagoge in Frankfurt. Der Saal brechend voll. 9. Mai, der Tag der Befreiung, Tag des Sieges. Und die Alten, übersät mit Orden der Roten Armee, erzählen vom Kampf gegen die Faschisten. Und die Jungen haben Tränen in den Augen. Und wir auch. Und die Band spielt ..Mazel Tov“: Glückwunsch, dass Ihr gekämpft habt. Überlebt habt. Dass Ihr hier seid. Und dann tanzen sie. mit überquellender Lebensfreude. Und wir stehen da. mit offenem Mund, und vergessen fast die Arbeit darüber. Es hat uns umgehauen.

Dann sind wir zu ihnen nach Hause gegangen, in enge Wohnungen, kleine Zimmer. Die aussehen wie ein Stück Russland mitten in Deutschland. Sie hatten sich vorbereitet. Auch sie waren ängstlich. Weil sie alles erzählen wollten. Überquollen von Geschichten. Jeder von ihnen ist eine Bibliothek für sich. Und wir merkten: Nie hat sie jemand gefragt, hier bei uns. Sie saßen da wie alte Steine, Männer und Frauen, und erzählten vom Leben, Kämpfen, Überleben. Mit Würde. Ohne Hass. Mit Weisheit.

500.000 Juden haben in der Roten Armee gekämpft. Sie wurden die höchstdekorierten Soldaten der Sowjetunion. Und niemand weiß das. Weil Stalin nicht wollte, dass Juden Kämpfer sind. Und Helden. Er löschte sie aus der Erinnerung, strich sie aus den Geschichtsbüchern.
Und die Jungen? Auch da haben wir unglaubliche Menschen getroffen. Ein Schneider, der Gedichte liest und daraus Kleider macht. Ein Musiker, der stille, intensive Geschichten erzählt, vom Wechsel der Welten, vom dreigespaltenen Lebensgefühl russisch – jüdisch – deutsch. Von der Annäherung und Neuentdeckung jüdischer Religion, Tradition und Kultur. Ein junger Hotelier, der den ungeheuren Satz sagt: „Erst in Deutschland habe ich gelernt, was es bedeutet, Jude zu sein.“
Und dann ist da noch Dalia Moneta, Chefin der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, lebendig, politisch ganz unkorrekt und wunderbar. Ihre Arbeit ist die Integration der „Russen“. Wir haben sie nach Israel begleitet, zu den Verwandten, und sie wurde zur Erzählerin im Film, zum roten Faden. Und tief beeindruckt hat uns Wolf Oulfski, der von der Schwere des Lebens erzählt, der Blockade in Leningrad, von den Erinnerungen, die ihn nie loslassen, und der am Schluss sagt: „Ich bin immer Optimist. Und dass ich mich jetzt, mit 98 Jahren hinlege und aufgebe: Daran denke ich nicht.“ Und lacht.
Ein jiddisches Sprichwort sagt: „Ibergekumene tsores iz gut tzu dertseyln.“ Überstandenes Leid ist gut zu erzählen.
Und Luis Bunuel hat gesagt: „Ohne Gedächtnis sind wir nichts.“ Wir sind froh, dass wir diesen Film gemacht haben.
Er war, wieder einmal, eine Expedition in das Fremde. Das Fremde, das uns nah ist.

Dokumentarfilm, für uns, läuft nicht ohne Sprache, wir setzen auf das gesprochene Wort. Die Lebendigkeit von Sprache sichtbar machen, dem Wort ein Bild geben, ein Gesicht, darum geht’s. Die Sprache bringt das Unsichtbare zum Blühen. Sie ist das Haus des Menschen, nicht die Schrankwand. Das Zusehen beim Verfassen der Gedanken. Die Magie der Geschichten. Für uns sind das Glücksmomente. Unterschiedliche Menschen mit ihren Geschichten als Mosaik, das ein Gesamtbild entstehen lässt. Wir behandeln Sprache wie Musik. Der Rhythmus ist wichtig, die Partitur, die wir für jeden Film neu schreiben, das vielstimmige Orchester, das wir aus dem Material schöpfen. Und damit einen Klang erzeugen. Das fasziniert uns, trotz des medialen Dauergeplappers auf allen Schirmen, das Sprache zum Geräusch erniedrigt, nach wie vor. Am Anfang war das Wort. Wir glauben daran.

Elias Canetti, wieder gelesen und wie neu entdeckt, hat „unser“ Prinzip wunderbar beschrieben: „Ein Satz allein ist sauber. Schon der nächste nimmt ihm etwas weg. – Pausen und Pausen, dazwischen quadratische Worte wie Festungen. – Nebeneinanderlegen darfst du die Sätze schon, sie mögen einander sehen, und wenn es sie reizt, dürfen sie einander berühren. Mehr nicht.“

Peter Przygodda, unser Lieblingscutter, sagt immer: „Das Material kommt auf uns zu.“
Aber: Man muss es sich einverleiben. Schauen, umwälzen, durchkneten, schauen. Bis man davon träumt. Die Texte mitsingen kann. Der Schnitt im Dokumentarfilm ist ein im Wortsinn zauberhafter Prozess.

Klar, und eigentlich nicht der Rede wert, weil selbstverständlich: unsere Pflicht, dem Thema und vor allem den Menschen, mit denen wir es zu tun haben, gerecht zu werden. Das kann man nicht abstrakt beschließen, das ist vielleicht mehr eine Frage der inneren Haltung. Gespräche auf Augenhöhe, das scheint uns die beste Grundlage. Und obwohl wir das schon so lange machen, haben wir immer noch, bei Gesprächen mit unseren Protagonisten, oft das Gefühl von neugierigen Kindern, die aufs offene Meer hinausfahren und die Welt neu entdecken. Das ist seltsam, und schön zugleich.

Jeder Mensch, jede Figur hat ihr inneres Gerüst, ihren Körper, ihren Sprach-Körper. Und es gilt, immer wieder neu herauszufinden, wie viel Nähe oder Distanz angebracht sind. Wie ist das Fremde zu entschlüsseln? Und wie der Begriff Respekt so zu interpretieren, wie er ihm zusteht? Merkwürdig ist auch: Man möchte im Gespräch die Partner einerseits schützen und zugleich das Intensivste von ihnen zeigen, etwas, das nur ihnen zu eigen ist, unverwechselbar wie ein Fingerabdruck. Wir glauben an das Ich. Auch wenn es ein Kinderglaube ist.
Und wie schön sind Pausen, wie schön ist es, jemanden beim Denken zu sehen, beim Sammeln der Worte! Oft sind es die Nuancen, die Kleinigkeiten, ein Atemholer, ein kurzer Blick, der Schatten eines Lächelns, oft sind es nicht die „großen“ Aussagen, sondern immer das Wie. Für uns. Im Spielfilm-Schnitt sind schon ganze Abhandlungen geschrieben worden über das Augenklimpern beim Dialog. Das verstehen wir gut.

Und das Bild? Was ist mit dem Bild?
Das Bild ist der Stoff der Träume.
Über Bilder kann man nicht reden. Man kann sie sehen.
In unseren Filmen.

7 Kommentare

  1. Zur Info: Ich habe auf der Webseite der Filmemacher (www.pilotfilm-gmbh.de/index_d.html) nachgefragt und heute Antwort bekommen: Der Film ist auf DVD erhältlich. 🙂
    Die DVD ist per Mail dort bestellbar.
    Kostet (wg. kleiner Auflage) € 40 plus MwSt.
    Bei Bestellung bitte Adresse u. Tel.Nr. angeben.

    LG, der Carsten

  2. Er lief gerade auf dem Jewish Film Festival in Berlin.
    Man konnte ihn, neben Berlin, in Heidelberg, Frankfurt und
    Saarbrücken sehen. Leider ist heute der letzte Tag.
    Vielleicht gibt es ihn bald auf DVD.

  3. Wo kann man den Film denn sehen oder ggf. ausleihen? Ich denke mal, nicht nur mich würde der Film sehr interessieren.
    Die Fotos sind z. T. sehr berührend.
    Ich hätte auch nicht gedacht, dass so viele sowjetische Juden in der Roten Armee gekämpft haben.

    P.S.: Und es bleibt dabei, der 8. Mai ist der Tag der Befreiung vom Faschismus. Nicht nur „Tag der Beendigung des 2. Weltkrieges“ (was übrigens noch nicht einmal vom Termin her korrekt ist…)

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