Historische Chanukkageschichten I.: Der makkabaeische Freiheitskampf

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Zu Chanukka möchten wir unseren Lesern jeden Tag eine historische Chanukka-Geschichte vorstellen, die einerseits die Stimmung und Probleme der jeweiligen Zeit widerspiegeln und andererseits zeigen, dass viele Überlegungen und Probleme des deutschen Judentums von damals auch heute noch von erstaunlicher Aktualität sind. Die erste Geschichte ist eine Abhandlung von Nathan Birnbaum (veröffentlicht unter seinem Pseudonym) zu den Makkabäern, erschienen 1901 in der Zeitschrift „Ost und West“…

Die Bedeutung des makkabaeischen Freiheitskampfes

Von Mathias Acher
Ost und West, Heft 12, Dezember 1901

Soll ich die Wahrheit sagen, so bin ich kein Freund jährlich wiederkehrender Gedenktage. Ich glaube, dass durch jeden solchen Tag eine junge Lebenskraft geschwächt und ein neuer unfruchtbarer Schemen in die Welt gesetzt wird. Darum kann ich mich z. B. auch für die Arbeiter-Feier des 1. Mai nicht recht erwärmen, wiewohl mir ihr Ursprung und ihr Inhalt so sympathisch sind, und obgleich sie kaum erst den Mutterschoss heroischer Kämpfe verlassen hat. Und nun erst eine Feier, die Jahrtausende alt geworden ist. . .

Mit diesem Vorbehalte folge ich gerne der Aufforderung, etwas über die Bedeutung der makkabäischen Erhebung zu sagen. Denn wahrlich, es ist ein dankbarer Stoff, fesselnd, erwärmend, bis zu einem gewissen Grade ermutigend, und alles dies um so mehr, je weiter man von der Oberfläche der Ereignisse in die tieferen Zusammenhänge ihrer Ursachen und Nachwirkungen dringt. Erst, wer den Lebenslauf des hebräischen Volkes bis zu den Makkabäern und nach diesen bis zur Vernichtung des jüdischen Staatswesens durch die Römer begreift, kann auch die makk-bäische Freiheitsbewegung verstehen.

In den ersten Zeiten ihres Aufenthaltes auf palästinensischem Boden zeigen die Hebräer im ganzen dasselbe Gepräge, wie die anderen syrischen Stämme. Aus dem Buche der Richter gewinnt man das Bild eines urwüchsig rauhen und rohen, genussfrohen und gewaltthätigen Volkes. Doch, bei genauerem Hinsehen lässt sich schon damals eine ganz leise Abweichung konstatieren. Das Grelle ist um einen Schatten matter, das Wilde um einen Strich milder. Und was die Hauptsache ist, immer und immer wieder trifft man einzelne Gestalten von einer ganz ausnahmsweisen Gesinnungs- und Empfindungsart: Merkwürdige Neuerer, die ein Leben bloss um des Lebens willen verschmähen und nach dem Sinn des Lebens fragen, die auch gleich eine Antwort auf diese Frage haben: die einheitliche allgemeine Selbstzucht, den einig-einzigen Gott.

Das Volk geht anscheinend nicht den Weg dieser Männer. Doch allmählich stellt sich eine gewisse Uebereinstimmung heraus. Sie verrät sich zunächst in jener starken Beunruhigung, die das Volk nach einem Anwalt seiner sich empörenden Lebenstriebe, nach einem König rufen lässt. Die Monarchie wird aufgerichtet. Aber die Könige und die in ihrer erblichen Würde mit ihnen gleichstrebenden Priester nützen nichts. Der schicksalsvolle Keim entwickelt sich weiter. Im Reiche Israel, wo das Königtum in offenen Kampf gegen das neue Lebenssystem tritt, wird dadurch nur der geniale furor der gottesstreiterischen Propheten gesteigert. Im Reiche Juda, wo sich die Monarchie von vornherein mit der neuen Lehre abfinden und mit den dort weniger stürmischen, aber ebenso entschiedenen und zu höheren Gesichtspunkten emporgestiegenen Propheten sich vertragen muss, — erscheint das Volk selbst immer mehr und mehr von dem Geiste sittlicher Lebensregelung ergriffen. Zuletzt stirbt der israelitische Staat an den unausgesetzten inneren Kämpfen zwischen den beiden Seelen im Volke, die sich im Königtum und Prophetentum verkörpern, und der judäische daran, dass das Verständnis für die Machtinteressen der Nation von der Wucht der grossen Gottesfrage erdrückt worden war.

Aber auch nach diesem ergreifenden Staatentod bleibt noch ein Rest des naiv nach leiblicher und weltlicher Geltung ringenden Elementes in der jüdischen Seele zurück. Dies offenbart sich darin, dass 40 000 Personen von der Erlaubnis des Cyrus Gebrauch machen, ins Heimatland zurückkehren und den Grund zu einem neuen Gemeinwesen legen. Dieses steht nun freilich ganz im Zeichen der Lebenszügelung und Lebensausmessung. Die Verwaltung ist jetzt ganz in den Händen jener, welche wollen, dass das Leben nicht über strenge Schranken schreite, dass niemand zu viel lebe. Nur sind das jetzt nicht mehr Menschenveredler, sondern Menschendriller, nicht mehr schöpferische Himmelsstürmer, sondern fleissige Popularisierer, nicht mehr revolutionäre Geister, sondern tüchtige Köpfe, — mit einem Worte: nicht mehr die Propheten, sondern die Rabbiner. In ihre Gesetzgebungsarbeit vertieft, lassen sie Jahrhunderte vergehen, ohne an erhebliche politische Vorsorgemassnahmen zu denken. Sie züchten vielmehr, von den besten Absichten beseelt, ein wünsch- und wehrloses Volk heran, das, wenn nicht alles trügt, eine Beute des erstbesten Eroberers werden muss.

Da geschieht aber das Unerwartete. Der lang bezähmte Drang nach freier Weltlichkeit erwacht in einer Stärke, die man kaum mehr für möglich gehalten hätte. In zwei mächtigen Stürmen tobt er sich aus. Der eine erhebt sich in den Herzen der Mächtigen und Reichen, sowie sie die hellenische Herrlichkeit kennen lernen und mit der heimischen ewigen Regentagsstimmung vergleichen. Eine wilde Wut gegen das eigene Volkstum, das ihnen die kostbarsten Güter des Lebens, nein, das Leben selbst, vorenthält, überkommt sie. Nieder mit allem Jüdischen! — schreien sie -und rufen den äusseren Feind ins Land, der ihnen beim Vernichtungswerke helfen soll. Angesichts dieser Gefahr aber erhebt sich der zweite Sturm. Fern von der Hauptstadt, in einem Landstädtchen, wohin weder die hellenische Unbändigkeit noch die rabbinische Gebundenheit gedrungen ist, aus dem Kreise einer altvaterischen Priesterfamilie ertönen plötzlich Weckrufe ganz anderer Art: Heraus aus den Lehrsälen! Auf zu den Waffen! Machet euch frei und unabhängig! Lebt! . . . So schallt es bald durch das ganze jüdische Land. Die jüdischen Waffen siegen — über den äusseren Feind und die Verräter.

Verräter! — Ein hartes unerbittliches Wort, das wohl auf viele passen mag, die in der hellenistischen Bewegung standen, doch auf alle gewiss nicht. Der Mehrzahl nach waren es Leute, deren Makkabäertrieb sich infolge eines ungünstigen Milieus zum Hellenismus verirrte. Das begreifen, heisst ihnen verzeihen. Allerdings fällt dann auch das alte Märchen, dass der Makkabäer Kampf und Sieg einen Kampf und Sieg der geistlichen, sittengesetzlichen, sogenannt jüdischen Lebensauffassung bedeutet. Gerade das Gegenteil ist richtig. Die makkabäische Erhebung ist ein Spätlingstriumph des in der jüdischen Volksseele niedergehaltenen Freiheitsdranges. Das zeigt schon ein Blick auf Juda Makkabi selbst, diesen Kriegshelden mit der einfältigen Kinderseele; das geht aus jedem Worte seiner heiter-frommen und lebenatmenden Reden hervor; das folgt aus seiner viel angefeindeten Verfügung, die das religiöse Verbot der Verteidigung mit den Waffen am Sabbat aufhob; darauf deutet die Nachricht hin — mag sie auch bloss Sage sein —, dass er ein Bündnis mit Rom gesucht habe. Der überzeugendste Beweis aber ist das Ergebnis der Bewegung: Juda Makkabi erkämpft die Unabhängigkeit, seine Brüder sichern sie, deren Nachkommen setzen sich die Königskrone aufs Haupt. Ein neues jüdisches Reich entsteht, ein Reich von dieser Welt — in dem es ordnende Kräfte giebt und schäumende Thatenlust und flammenden Ehrgeiz.

Dass das Reich keinen langen Bestand hatte, kann unser Urteil nicht ändern. Der makkabäische oder hasmonäische Königsgedanke war gewiss nicht weniger stark als der davidische. Aber er konnte aus diesem mageren Rest thätigen Volkstums nicht mehr Leben herauspressen, als darin war. Nur für einen Augenblick vermochte er das Volk dem Hinübersterben ins Reich des Geistlichen zu entreissen. Nur für einen Augenblick. Dann kam das Ende um so rascher.

Diese zweite Staatskatastrophe kann aber nicht nur nicht die Bedeutung des makkabäischen Freiheitskrieges ändern, auch seine Vorbedeutung vermag sie nicht zu bestimmen.

Es ist überhaupt verfehlt, den Vergleich der Makkabäerzeit mit unseren Tagen zu übertreiben. Schon die beliebte Aehnlichkeit der damals und heute auftretenden Parteigruppen erscheint mir einigermassen bedenklich. Ich vermisse in den heutigen Assimilanten das Temperament und das Zielbewusstsein der Hellenisten, in den heutigen Nationalisten den Mut und die Naivetät der Makkabäer. Aber, ganz abgesehen davon, die Verhältnisse, damals und jetzt, sind zu wesensverschieden, als dass ein solcher Vergleich irgendwie fruchtbar wäre. Was fang‘ ich mit Makkabäern an, die nicht auf ihrem Boden sind, was mit Hellenisten, denen keine fremde Macht hilft, was mit beiden angesichts einer Menge neuer grosser Völker, angesichts des Grosskapitals und der sozialen Bewegung, angesichts der Entwicklungsleere und des technischen Fortschrittes?

Nein, mit relativen Werten lässt sich da nicht rechnen, sondern nur mit absoluten. Sowie die Grösse der Makkabäer und die Kurzlebigkeit ihrer Staatsgründung nur aus den damaligen Zeitverhältnissen zu erklären sind, so erwachsen auch unsere zeitgenössischen Kräfte und Schwächen nur aus dem Ganzen unserer Zeit.

Es ist verkehrt, die kulturelle Uneinheitlichkeit und leiblich-seelische Degeneration des jüdischen Stammes von heute auf die leichte Achsel zu nehmen und sorglos darauf loszugründen —, ja sich überhaupt einzubilden, dass es einem zersplitterten und verhassten Volke mitten in unserer grossen, umwertenden, mit gewaltigen Aufgaben überbürdeten Epoche bloss durch allerlei Kniffe, im Handumdrehen gelingen werde, die Makkabäergründung zu wiederholen.

Aber ebenso lächerlich ist, sich davon einschüchtern zu lassen, dass die Juden vor zwei Jahrtausenden nicht genug weltlich, oder sagen wir hier, politisch begabt waren, um den ihnen von den Makkabäern eingerichteten Staat länger als zwei Jahrhunderte zu halten. Was soll daraus für heute folgen? Für heute, wo es eine universelle Civilisation giebt, die jedes Volk, das in sie eintritt, vor Weltscheu schützt, wo das jüdische Volk in seinen Intellektuellen und seinenProletariern dieser allgemeinen Civilisation sich anzuschliessen begonnen hat; wo die Völker immer weniger und weniger des Königsgedankens, des Staates à la Prusse, des Krieges bedürfen, um sich auf den vereinigten naturgemässen Grundlagen der Nationalität und der Wirtschaft zu organisieren;  wo endlich eine neue Aera internationaler Beziehungen wenigstens im Anzuge ist, in der auch weniger massive Nationen in Ruhe werden leben können . . . ?

Ich meine also, man thut gut daran, nicht nach Vorbedeutungen zu fahnden, sondern sich mit dem erfreuenden Bewusstsein zu begnügen, dass heute sowie zur Makkabäerzeit noch Leben und Lebensdrang im jüdischen Volke vorhanden ist. Nur so sichert man sich Verständnis für die Aufgaben der Gegenwart und Sinn für die geschichtliche Bedeutung und Grösse der Makkabäer.

Bild oben: Juda Makkabi, Darstellung an der Or Torah Synagoge Akko, Foto. (c) Dr. Avishai Teicher Pikiwiki Israel

Anmerkung (Leserbrief):

Oj wa-voj!!!!!!!!!!
Zur Zeit der Makkabäer dachte noch niemand auch nur im Traum an „palästinensischen Boden“ oder „Palästinenser„!!!!!!!!!!
Was für ein Fehlgriff, den sich eine jüdische Zeitung nie erlauben sollte!!!!!!!!!!!!!!!!!
Mll aus Berlin.

Anm. Red.: Natürlich gingen wir davon aus, dass der Hinweis auf Quelle und Autor (Link s.o.) eine entsprechende Zuordnung des Hintergrunds ermöglichen würde. Schliesslich geht es um den Sprachgebrauch von vor über 100 Jahren, in einem historischen zionistischen Text.  Eben, wie oben erwähnt, um eine Abhandlung von Nathan Birnbaum, veröffentlicht unter seinem Pseudonym, erschienen 1901 in der Zeitschrift “Ost und West”…

Das Motto des Festes lautet aber: „Banu Choschekh legaresch!“ (Wir sind gekommen Dunkel zu vertreiben), deshalb noch der weitere Hinweis (weiterer Leserbrief): „Zufällig beschäftige ich mich sehr eingehend mit Geschichte und Kultur dieses Landstrichs und habe etwas dagegen, wenn man ihn Palästina tauft zu einer Zeit, als niemand von diesem Namen träumte. Erst seit dem Jahr 135 d.Z. heißt die Gegend „Provincia syria palaestina“. Bis dahin immer Judaea = Judäa, davor Juda, davor die persische Provinz Jehud, davor Kanaan und noch davor die ägyptische Provinz Retenu.“…

Chag Urim sameach!

2 Kommentare

  1. Palästina finde ich auch problematisch. Der Name kommt ja aus dem Willen das jüdische Volk zu vernichten, das Wort wurde von den Römern erfunden. Die dachten damals schon an die Endlösung.

  2. Es entsteht leider den Verdacht, Herr Acher Birnbaum hat nicht begriffen die grosse Nationale Bedeutung der Erhebung der Helden von Makkabi und ihre Nachfolger Armee Zahal IDF!!!
    AM YISRAEL CHAY!!!!
    MIT G’TT!!!

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