Eingeständnis: Das Rückkehrrecht

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„Wie kann ich mich frei und sicher fühlen, wenn die palästinensischen Flüchtlinge zurückkehren?“ fragte mich Jasmin nach einem Artikel, den ich in Hagada Hasmalit auf Hebräisch schrieb. Sie fragte auch, wie ich mir die Fortdauer Israels als unabhängigen jüdischen Staat nach der Erfüllung des Rückkehrrechtes vorstellen würde. Und sie wollte sofort eine Antwort. Hier ist sie…

Shmuel Amir

Wir können nicht so tun, als gäbe es unsere Geschichte nicht. Im Krieg von 1948 vertrieben wir 2/3 der lokalen arabischen Bevölkerung, das waren etwa 700.000 – 800.000. Diese Zahlen (wie alle hier vorkommenden Zahlen) sind geschätzte Zahlen aus verschiedenen Quellen. Ihre Zahl und die ihrer Nachkommen sind mehr geworden und haben etwa 4 Millionen erreicht. Man erinnere sich daran, dass die UN ihr Recht der Rückkehr anerkennt oder das Recht auf Kompensation (UN-Res. 194). Das Rückkehrrecht von Menschen, die von ihrem Land vertrieben wurden, ist im Völkerrecht verankert und steht im Einklang mit den Prinzipien der universalen Ethik.

Die Palästinenser selbst waren nie damit einverstanden, auf ihr Rückkehrrecht zu verzichten. Und wir Israelis haben einfach die Flüchtlinge und ihre Forderungen ignoriert. In der Begeisterung, die dem Krieg und der Errichtung des Staates folgte, war das allgemeine Gefühl: „Was geschehen ist, ist geschehen.“ Und jetzt Schluss damit. Die Evakuierung der arabischen Bevölkerung aus den Städten Jaffa, Haifa, Safed, Lod und Ramle wurde mit einem Seufzer der Erleichterung vom jüdischen Yishuf (Gemeinschaft) aufgenommen.
Nur später wurde klar, dass die Dinge nicht so einfach liegen, wie es schien – und dass wir die „Angelegenheit“ noch lange nicht beendet haben.

Wir schlugen sogar vor – auf internationalen Druck hin – 100.000 Flüchtlingen die Rückkehr zu gestatten (vorgeschlagen vom damaligen Minister für ausländische Angelegenheiten Moshe Sharett). Man sollte daran denken, dass diese Zahl vorgeschlagen wurde, als der ganze Jishuv aus weniger als 1 Million Juden bestand. Wenn wir das in die heutige Realität umsetzen würden, dann wäre es so, als würden wir 600.000 – 700.000 palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr erlauben. 1949 waren es nur 160.000 Araber, die die Nakba überstanden hatten und in Israel blieben. In andern Worten: wäre es den 100.000 Flüchtlingen damals erlaubt worden, zurückzukehren, dann stellten die Araber heute ein Drittel der Bevölkerung Israels dar.

Man sollte sich also daran erinnern, dass die historische UN-Resolution von 1947 zur Schaffung eines jüdischen Staates aufrief – oder um genauer zu sein – zur Teilung des Landes in zwei Teile – eine Resolution, die begeistert vom Yishuf aufgenommen worden war – die Araber wären dann 40% der Bevölkerung des jüdischen Staates gewesen.

Heute bin ich davon überzeugt, dass wir das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge anerkennen sollten und damit einverstanden sein (im Rahmen eines umfassenden Friedensabkommens), dass zwischen 50 – 10.000 Flüchtlinge pro Jahr in den nächsten zehn Jahren zurückkehren dürfen. Der Rest wird eine faire Kompensation erhalten, an der sich Israel beteiligt. Ich habe in verschiedenen Quellen darüber gelesen, dass solch ein Vorschlag auch für die Palästinenser annehmbar sei. Dann würde ein Situation geschaffen, in der die Palästinenser 25 % der Bevölkerung darstellen. Heute sind sie 19%.

Man muss betonen, dass das Rückkehrrecht nicht nur eine Frage der physischen Rückkehr der Flüchtlinge ins Land ist. Es ist auch – vielleicht vorrangig – das Eingeständnis der Schuld Israels (und des Zionismus), ein anderes Volk entwurzelt zu haben.

Was die Möglichkeit betrifft, dass Israel auch weiterhin ein unabhängiger Staat ist, in dem sich seine Bürger auch nach der Rückkehr der Flüchtlinge sicher fühlen, so vermute ich, dass die teilweise Rückkehr der Flüchtlinge die Grundlage für einen wirklichen Frieden und für Versöhnung mit den Palästinensern darstellt. Außerdem würde es Israel in die Lage setzen, normale und friedliche Beziehungen mit seinen arabischen Nachbarn aufzubauen.

Ein Friedensabkommen unter diesen Bedingungen ist der realistischste Weg, die Existenz und Unabhängigkeit Israels zu garantieren. Sonst wären wir dazu verurteilt, weiter inmitten eines endlosen Krieges zu leben. Es ist ein bittere Wahrheit, dass auf Dauer, angesichts der Machtbalance im Nahen Osten, unsere Existenz in keiner Weise abgesichert ist. Wir leben unter hundert Millionen Arabern und Muslimen mit einem tiefen Nationalbewusstsein, in ihrem erbitterten Kampf, wütend gegen den westlichen Kolonialismus, von dem ihrer Meinung nach Israel ein Teil ist. Unter der Voraussetzung, dass hier Frieden herrscht, würde unsere Existenz hier viel sicherer sein als jetzt. Ich kann mich noch an gute nachbarschaftliche Beziehungen erinnern, die zu Zeiten des britischen Mandats zwischen Juden und Arabern herrschten. Wer sagt denn, dass das Leben mit einer nationalen Minderheit notwendigerweise ein Leben mit Kampf sei? Soziale und kulturelle Kooperation zwischen zwei sich das Land teilenden Völkern kann nur zur Bereicherung für beide führen.

Nationale Minderheiten in verschiedenen Größen existieren in mehreren Ländern und es scheint, dass ihr Leben nicht geringwertiger als das Leben in Israel ist. Es scheint mir, dass für das spanische Volk z.B. sein nationales Leben in keiner Weise eingeschränkt ist von der Existenz der Katalanen oder gar der baskischen Minderheit. Auf jeden Fall sind die Palästinenser in Israel eine Tatsache und Vorschläge á la Lieberman und ähnlicher Art können das Land nur in ein Inferno verwandeln.

Mir schwebt ein Staat vor Augen, in dem Araber volle Partner sein werden, während wir weiter unsere eigene hebräische Kultur entwickeln und unsern Lebensstil wählen. Aber wir müssen sicher sein, dass wir nicht wie heute, die Rechte der andern d.h. der arabischen Bürger des Landes verletzen. Warum sollte die Anerkennung der Rechte der Minderheit uns in irgend einer Weise für uns nachteilig sein? Im Gegenteil, es versetzt uns in die Lage, eine tolerantere und humanere Gesellschaft in unserer nationalistischen „Villa im Dschungel“ aufzubauen (ein vom früheren Ministerpräsidenten Ehud Barak geprägter Ausdruck), die auf einem schlafenden Vulkan sitzt, der immer wieder auszubrechen droht.

Um in einem solchen Staat zu leben, müssten wir bei unsern Ansichten über uns und unsere Vergangenheit einige Veränderungen vornehmen. Wir würden dann fähig sein, all unsere hartnäckigen Entschuldigungen beiseite zu schieben, auch unsere scheinheiligen Posen der Überlegenheit gegenüber unsern Nachbarn. Ich glaube, dass der Gedanke jüdischer Ausschließlichkeit nicht notwendig für das jüdische Nationalleben ist. Exklusivität ist nur für eine enge, fremdenfeindliche Art von Nationalismus bestimmend. Ich glaube an einen Nationalismus, der für kulturellen Kontakt und Austausch mit andren ist, wie es bei allen großen Kulturen in der Welt der Fall war. Sich von der Welt draußen abzuschotten, führt nur zu Provinzialismus. Feindseligkeit gegen „die anderen“ ist eine armselige Form von nationaler Bereicherung.

Meiner Meinung nach kann innerhalb eines sog. Nationalstaates eine Minorität blühen, wenn man ihr einen entsprechenden Raum zur Entfaltung gibt. Auf jeden Fall ist solch eine Situation verheißungsvoller als das, was wir jetzt haben – in einem Staat zu leben, in dem eine größere palästinensische Minderheit ihrer Rechte beraubt ist. Um dies auf einen Punkt zu bringen, lass es mich so sagen: in einem Staat mit einer größeren palästinensischen Minorität zu leben, als wir sie heute haben, aber einer, die nicht feindselig gesinnt ist – in einem Staat mit einer größeren palästinensischen Minderheit als wir sie heute haben zu leben, die mit ihren Nachbarn in Frieden lebt – das bedeutet für uns alle größere Sicherheit und Freiheit.

Das Ergebnis wird zwar anders sein, als das was die frühen Zionisten vor Augen hatten. Nachdem sie aber den europäischen Kolonialismus in sich aufgenommen hatten, dachten sie, es sei nur selbstverständlich, ein Land zu besetzen und über die einheimische Bevölkerung zu herrschen – so wie es die Großmächte zu ihrer Zeit taten. Keiner hat je etwas von Entkolonialisierung gehört.

Aber wir können darauf hinweisen, dass meine „utopische“ Vision der Beziehungen zwischen Juden und Arabern nicht so sehr weit entfernt von dem ist, was Herzl in seinem berühmten „Altneuland“ schrieb. Dort beschreibt er einen offenen und pluralistischen Staat, der besonders tolerant gegenüber Arabern ist. Er schrieb dies zwar als Antwort auf eine Behauptung – die vor hundert Jahren gemacht wurde – dass es das zionistische Ziel sei, einen isolierten jüdischen Nationalstaat zu schaffen. Unter den frühen Kritikern des Buches war Ahad Ha’am, der als verhängnisvolle Prophezeiung schrieb, dass ein solcher Staat nur auf der Grundlage existieren könnte, wenn die Araber vollkommen verdrängt worden sind. Herzls utopischer Zuckerguss über der zionistischen Idee schien Ahad Ha’am nicht zu amüsieren. Aber Herzl sah ein, dass man eine zionistische Utopie beschreiben musste, einen Staat, der den Standards der universalen menschlichen Werte entsprach. Das Motto in seinem Buch war: „Wenn ihr wollt ist es kein Märchen“. Im traurigen Zustand, in dem sich Israel heute befindet, klingt vielleicht die Idee der Versöhnung mit den Palästinensern auf Grund des Rückkehrrechts auch wie ein Märchen. Noch, wenn wir wollen …

איך ארגיש חופשייה ומוגנת אחרי החזרת הפליטים“ The Right of Return
Originalartikel veröffentlicht am 11.3.2007

Der Autor Shmuel Amir wurde in Berlin geboren. Er musste Nazi-Deutschland verlassen und wanderte nach Palästina aus. Er ist Dr. der Agrarwissenschaft. Als alter Friedensaktivist in Israel veröffentlicht er Artikel in mehreren Zeitungen. Er ist Herausgeber der hebräischen und englischen Website: The Left Bank (Hagada Hasmalit).
Die Übersetzerin Ellen Rohlfs ist eine Mitarbeiterin von Tlaxcala, dem Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt.

1 Kommentar

  1. Ich bin heute zum zweiten mal überrascht, auf Hagalil solche Artikel lesen zu dürfen. Mein Glückwunsch. Ich wünsche mir Einigung und Friede im nahen Osten. Solche Artikel würden ein kleines bisschen hierfür beitragen. Alles positive muß man anerkennen.  Bravo.

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