Warum man in Zürich kein Sherut-Taxi bekommt

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Wer kennt sie nicht, die moderne Antwort auf die Taxis und die öffentlichen Verkehrsmittel in Tel Aviv – das Monit Sherut (Monit: Taxi; Sherut: Service). Das Prinzip des Monit Sherut ist in Tel Aviv bereits so fest verankert wie das Geschrei auf dem Marktplatz. Es gehört einfach zum Stadtbild dazu…

Ein Plädoyer für und gegen das Prinzip des Monit Sherut
Von Benji Epstein

Die Idee ist ganz einfach. Ein Monit Sherut ist nichts anderes als ein Sammel-Taxi, das versucht, möglichst genau den Routen der öffentlichen Verkehrsmittel zu folgen. Die revolutionäre Idee und der Vorteil gegenüber den Bussen liegt darin, dass man innerhalb der Stadt einsteigen und aussteigen kann, wo man will und das alles zum gleichen Preis wie ein Bus Ticket – NIS 5.50.

Doch wer glaubt, einfach so in ein Monit Sherut nehmen zu können, ohne ein Abenteuer zu erleben, der täuscht sich schwer. Denn eine Fahrt im Sammel-Taxi ist ein kulturell hochstehendes Abenteuer für sich und ein Muss bei jedem Besuch in Tel Aviv. Dieses beginnt bereits beim Einsteigen. Die Sammel-Taxis verfügen über zehn Plätze. Das bedeutet, dass es schon einmal vorkommen kann, dass zwei bis drei Sammel-Taxis an einem vorbeisausen, da keines über einen freien Platz verfügt.

Wird ein Monit Sherut mit freien Plätzen gefunden, hofft man beim Einsteigen, dass es noch viele freie Sitze möglichst im hinteren Teil des Monit Sherut gibt. Aber warum? Ganz einfach, wegen der Art und Weise wie sich die Bezahlung der NIS 5.50 abspielt. Ein kulturelles Erlebnis in Israel, das zumindest für einen Touristen zwingendermassen den ersten Kontakt mit Israelis herstellt. Denn die Bezahlung erfolgt nicht beim Einsteigen beim Fahrer selbst, sondern während der Fahrt.

Angenommen man setzt sich in die hinterste Reihe. Nun tippt man dem Fahrgast in der zweithintersten Reihe freundlich auf die Schulter und gibt im das Fahrgeld in die Hand. Dieser wiederum tippt dem Fahrgast vor ihm auf die Schulter und reicht ihm das Geld weiter. Bis das Fahrgeld schliesslich beim Fahrer angelangt. Dieser meldet sich nun laut zu Wort, schreit durch den Mini Van in die Menge und will wissen für wie viele Fahrgäste der erhaltene Betrag gilt, beziehungsweise wie viel Rückgeld er über die gleichen Stationen an den neu eingestiegenen Fahrgast zurückgeben muss.

Diese Prozedur wird nun für jeden Fahrgast, der neu in das Sammel-Taxi einsteigt, durchgeführt. Dies verlangt nicht nur viel Geduld, sondern auch den direkten Kontakt mit anderen Mitmenschen. Dabei kann es schon mal sein, dass einer der Fahrgäste schläft, Musik hört oder anderswie beschäftigt ist. Das scheint in einem Bus eher weniger ein Problem zu sein als in einem Sammel-Taxi, da im Monit Sherut Teamwork die oberste Maxime stellt.

Will der Fahrgast aussteigen, hat er den Vorteil, die Stelle selbst auswählen zu können. Da es sich dabei jedoch nicht um vordefinierte Haltestellen handelt und es dem Fahrer somit nicht klar ist, wo er jeweils anhalten soll, wird vom Fahrgast verlangt, in lauter Stimme und in hebräischer Befehlsform durch den Mini Van zu schreien, um den Fahrer mitzuteilen, dass er anhalten muss.

Die Idee ist eigentlich so simpel und mancher fragt sich, warum es noch keine Sammel-Taxis in Zürich, Berlin oder Wien gibt. Der Vorteil, die Haltestellen selbst definieren zu können, eine Pauschalgebühr zu bezahlen und nicht wie mit den Bussen jede Minute an einer Haltestelle anhalten zu müssen, ohne dass überhaupt Leute ein oder aussteigen, liegt auf der Hand. Die Verkürzung der Fahrzeit sowie die höhere Flexibilität des Fahrgastes sind somit die revolutionären Vorteile, die ein Monit Sherut mit sich bringt.

Nun drängt sich die Frage auf, ob so ein Service auch in Europa, zum Beispiel in der Schweiz funktionieren würde. Nun, generell schon. Wenn da nicht nur ein paar rechtliche und kulturelle Hindernisse wären: Das Einsteigen in die Sammel-Taxis wäre vermutlich schon die erste Schwierigkeit, denn es würde nach vordefinierten Haltestellen verlangen. Somit wäre das Ein- und Aussteigen, der eigentliche Vorteil der Sammel-Taxis, gar nicht erst umsetzbar. Man stelle sich vor, wie der Fahrer im Abendverkehr den Mini Van mitten auf der Strasse zum Stehen bringt, um Herr und Frau Schweizer aufzuladen. Das wäre ein vorprogrammiertes Chaos auf den Zürcher Strassen. Ein Schweizerisches no go.

Im Monit Sherut hätte man weiter das Problem, dass es dem Fahrer während der Fahrt nicht erlaubt ist weder das Fahrgeld einzukassieren noch mit den Fahrgästen zu kommunizieren, geschweige denn über die letzten Fussballresultate zu plaudern. Jeder kennt sie, die Schilder die in den Schweizer Bussen über dem Fahrerstand hängen: Bitte während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen.

Und dann wäre da noch der interpersonale Kontakt im Monit Sherut – eine weitere Hürde. Man stelle sich Herrn und Frau Schweizer vor, die normalerweise ruhig auf ihrem Sitz im Tram oder Bus sitzen, vertieft in die Berichterstattung der Neuen Zürcher Zeitung und hoffen, pünktlich an ihrer Destination anzukommen. Ein Auf-die-Schulter-Tippen, Geschrei oder ständiges Aufpassen, dass man den Ort nicht verpasst, an dem man aussteigen will, wäre hier alles andere als angebracht. Kurz: Die Idee ist so gut, dass sie in der Schweiz an ihre kulturellen Grenzen stossen würde.

Haben wir es hier etwa mit einem nahöstlichen Phänomen zu tun? Nun, es sieht ganz so aus. Denn die Idee ist einfach zu einfach, um europäisch zu sein.

6 Kommentare

  1. super artikel, der mir „mein“ tel aviv vorzüglich ins wohnzimmer nach düsseldorf überliefert! viele schmunzler und unaufhörliches nicken begeleiteten das lesen. roy m.

  2. Vielen Dank für die Rückmeldungen. @ FuxJudsf: The information of the article is based on daily and personal experience.

  3. Hallo und danke für diesen amüsanten Vergleich.  Ich fühle mich köstlich unterhalten.
    Soetwas kann in Deutschland auch  nicht funktionieren, höchsten bei
    „Versteckte Kamera“  oder so.
    Viele Grüße
    Ruth

  4. Der Hinweis „Bitte während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen“ steht schon im Sherut. Nur, die die Hebräisch lesen, kümmern sich nicht darum und die anderen können eh nix reden. 😉
    Schöner Artikel.

  5. …ich erinnere mich. 1968 war das  kein Problem, jeder 2. Fahrgast war ein „Jekkes“, oft war es auch der Fahrer. Also wo war das Problem?
    Shalom Rudi

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